Phönikische Metallkannen in den orientalisierenden Horizonten des Mittelmeerraumes

https://doi.org/10.34780/de1f-ofcg

Autor/innen

  • Barbara Grau-Zimmermann

Abstract

Bei der Untersuchung der Kannenform ließen sich zwei Haupttypen unterscheiden, die die Bezeichnung A und B erhielten (vgl. die Tabelle). Bei den Exemplaren des Typus A sind Gefäßbauch und -hals durch einen stufenförmigen Absatz voneinander getrennt; die kleeblattförmige Mündung ist verhältnismäßig groß (Abb. 1. 2). Dieser Typ kommt überwiegend im östlichen Mittelmeerbereich vor und war offensichtlich die an der Levanteküste selbst und auch auf Zypern bevorzugte Form. Der Typ B dagegen weist eine wirkliche ,Birnenform1 auf, mit nur leichter Einschnürung im Kontur zwischen Hals und Gefäßbauch. Die Kannen vom Typ B haben entweder eine kleine Kleeblattmündung, oder aber Mündung und Henkel stellen Sonderformen dar (Abb. 1-5). Sie fanden sich mit wenigen Ausnahmen nur im westmediterranen Raum, obgleich auch dieser Typus ursprünglich von der Levanteküste stammt.

Der Henkel aus zwei Rundstäben und die Form der Palmette sind Motive eindeutig orientalischer Herkunft und knüpfen an ägyptische und palästinensische Volutenkapitelle sowie an die orientalische Elfenbeinornamentik an. Sie gehören zu den frühesten Beispielen für das Auftreten solcher Henkelpalmetten und scheinen, zumindest mittelbar, auch als Vorbild für die Ausstattung anderer, zum Beispiel griechischer, Kannen mit Palmettenattaschen am Henkelansatz gedient zu haben.

Der Ausgangspunkt dieser Denkmälergruppe ist die Levanteküste, wo die Kannen seit dem frühen 1. Jt. v.Chr. als eine der Leitformen der ,Red Slip‘-Ware zahlreich belegt sind. Zwar fanden sich bisher nur Keramikexemplare, diese stellen jedoch zum Teil eindeutige Metallnachahmungen dar. Von dort ausgehend verbreitete sich diese Gefäßgattung dann im gesamten mediterranen Bereich. Dabei fiel auf, daß Metall- und Keramikkannen in ähnlicher Weise differenziert auftreten, wie die beiden unterschiedlichen Typen A und B. Die Keramikexemplare kommen ausschließlich im Mutterland, an der Levanteküste selbst und in den phönikischen Kolonien vor. Die Verbreitung der Metallkannen beschränkt sich dagegen auf Regionen mit vorwiegend kommerzieller Beziehung zur Levanteküste. Hier handelt es sich besonders um die Erzabbaugebiete auf Zypern, in Italien und im Innern der Iberischen Halbinsel (vgl. Karte 1).

Nur auf Zypern treten Keramik- und Metallkannen gemeinsam auf. Dies erklärt sich wohl aus einem Nebeneinander von phönikischen Niederlassungen wie Kition zum einen und einheimischem Metallhandel auf der Insel zum anderen. So fand sich die einzige Bronzekanne vom Typ B gerade in der kupferreichen Gegend von Tamassos. Die frühesten und zugleich kostbarsten ,birnenförmigen' Metallkannen sind die silbernen Exemplare aus den großen, orientalisierenden Gräbern des italisch-südetruskischen Raumes. Diese Kannen, deren Ilenkelattaschen sich durch eine ägyptisierende Papyrospalmette besonders auszeichnen, stellen mit großer Wahrscheinlichkeit Importstücke unmittelbar aus dem phönikischen Mutterland dar. Eine Herkunft aus Zypern, die ebenfalls vorgeschlagen wurde, kommt für diese Stücke kaum in Frage. Sie sind der ersten Hälfte des 7. Jhs. und vereinzelt auch noch dem späten 8. Jli. zuzuweisen und können als Zeugnisse für den spezifisch phönikischen Anteil am Handel des Orients mit Italien gelten. Den Erfordernissen dieser Märkte entsprachen als Tauschobjekte die wertvollen Silberkannen.

A uf der Iberischen Halbinsel ließen sich zwei getrennte Entwicklungen beobachten, die auch in einer unterschiedlichen Verbreitung der Funde zum Ausdruck kommen (vgl. Karte 2). Die Karmen des älteren Typus B I, zu welchen als frühestes bekanntes Beispiel auch die Glaskanne der ersten Hälfte des 7. Jhs. aus La Aliseda zu rechnen ist, fanden sich entlang der großen, an der westlichen Atlantikküste mündenden Flüsse Guadalquivir, Tajo und Duero. Für eine Herstellung der Bronzekannen auf spanischem Boden spricht besonders eine charakteristische Abwandlung der orientalischen Palmettenform, welche nur auf die Iberische Halbinsel beschränkt auftritt. Es waren liier Werkstattzusammenhänge zu beobachten, die auf ein mögliches gemeinsames Herstellungszentrum hindeuten. So liegt die Vermutung nahe, daß die Kannen in den phönikischen Faktoreien der andalusischen Mittelmeerküste oder auch in Cádiz angefertigt wurden. Anschließend verschiffte man sie entlang der Atlantikküste und transportierte sie die großen Flüsse aufwärts. Anders als in Italien, wo der Austausch von Gütern an bereits erschlossenen Handelsplätzen an erster Stelle stand, gründeten die Phöniker auf der Iberischen Halbinsel eigene Faktoreien. Die Waren, gegen die das Erz aus dem Hinterland eingehandelt werden sollte, produzierte man gleich an Ort und Stelle, um die Beschaffung der Rohstoffe zu intensivieren und zu beschleunigen.

Die Kannen des G. Jhs. vom Typus B II traten bisher nur in der Gegend von Huelva und dem Guadianabecken auf und sind wohl auch dort entstanden. Mündungen und Henkel dieser Stücke stellen ausgefallene Lokalformen dar, welchen sowohl orientalische wie auch griechische Motive und Techniken zugrunde liegen. Diese eigenwilligen Kannen dokumentieren vielleicht am deutlichsten den als ,tartessisch‘ bezeichneten Bereich der Iberischen Halbinsel.

Obgleich die Kannen keineswegs nur der Verwendung im Totenkult Vorbehalten waren, stammt doch die Mehrzahl der bekannten Exemplare aus Gräbern. Die unterschiedlichen Handelsbeziehungen der Phöniker zu Italien und Spanien werden durch die jeweilige Stellung der ,birnenförmigen“ Kannen innerhalb der Grabinventare noch verdeutlicht. Entsprechend ihrer vergleichsweise geringeren Bedeutung als Handelsgut spielten die Silberkannen in den italisch-etruskischen Gräbern nur eine untergeordnete Rolle, gemessen an
den übrigen orientalischen und orientalisierenden Beigaben. A uf der Iberischen Halbinsel dagegen bildeten die Bronzekannen, gemeinsam mit einem bestimmten Metallbecken, einen besonders wichtigen Bestandteil des Inventares und daher wohl auch der Begräbniszeremonie selbst.

Bei einer Gegenüberstellung mit phönikischen Bestattungen der Levanteküste und der Kolonien zeigte sich, daß die ,birnenförmigen' Kannen von den Trägern anderer Religionsformen zwar in ihrer spezifisch sepulkralen Bedeutung übernommen wurden, nicht jedoch der mit ihnen ursprünglich verbundene Ritus.

Veröffentlicht

2021-01-01

Bibliographische Daten & Rezensionen

Citation Formats

Grau-Zimmermann, B. (2021) „Phönikische Metallkannen in den orientalisierenden Horizonten des Mittelmeerraumes“, Madrider Mitteilungen, 19, S. 161–218. doi: 10.34780/de1f-ofcg.