Wo nur sind die Bürger von Pergamon?
Eine Phänomenologie bürgerlicher Unscheinbarkeit im städtischen Raum der Königsresidenz
https://doi.org/10.34780/x4vdn834
Abstract
Die letzten 130 Jahre archäologischer Forschungsgeschichte zu Pergamon galten allein der Residenzstadt der Attaliden. Dieser Aufsatz hingegen befaßt sich mit der Schattenseite der Macht und fragt – erstmals aus archäologischer Perspektive – nach der Zivilstadt Pergamon, d. h. nach Präsenz und Ausgestaltung von Bürgerlichkeit innerhalb des urbanen Raums der Königsresidenz.
Einen aussagekräftigen methodischen Ansatz für die Frage nach bürgerlicher Sichtbarkeit bieten die Ehrendekrete des Hellenismus selbst. Diese beschreiben, in einer exuberanten φαίνεσθαι-Begrifflichkeit, den städtischen Ehrungshabitus gegenüber den Dynasten sowie den lokalen Euergeten als zentrale Form kollektiver Selbstmanifestation. An keinem Ort läßt sich das Interesse an Polis-Gegenwart besser beobachten als in der freien Kleinstadt Priene, deren Agora zu einem monumentalen Schauplatz des städtischen Ehrungshabitus ausgestaltet ist.
Für Pergamon wurden drei genuin städtische Ausdrucksformen in den Blick genommen und anhand der epigraphischen Zeugnisse diskutiert: die bürgerlichen (Bau-)Stiftungen, das Ehrverhalten des Demos gegenüber den königlichen Philoi und dem Königshaus sowie der städtische Herrscherkult. Aus archäologischer Sicht galt es zuletzt, das Polis-Zentrum par excellence, die Obere Agora, auf ihren vermeintlich bürgerlichen Charakter hin zu untersuchen. Als Ergebnis läßt sich für den pergamenischen Demos eine erstaunliche innere Dynamik im Ringen um Präsenz festhalten. Während unter den ersten beiden Königen Attalos’ I. und Eumenes’ II. von einer bürgerlichen ›Leerstelle‹ gesprochen werden muß, gelingt es der Bürgerschaft in den letzten Jahren der Attalidenherrschaft nahezu unvermittelt, einen direkten Ehrungs-Dialog mit dem König Attalos III. zu etablieren und somit an und mit dem Herrscher zur Erscheinung zu kommen.
Schlagwörter:
Pergamon, Priene, hellenistische Polis, Agora