Die Politik der Form. Das Edictum Theoderici, das Prätorische Edikt und die Semantiken königlicher Rechtsetzung im postimperialen Westen
https://doi.org/10.34780/k4qf-qk4d
Abstract
Edictum Theoderici heißt in der Forschung eine Sammlung von 154 Rechtssätzen, die von einem Prolog und einem Epilog gerahmt werden; diese bezeichnen sowohl die Sammlung als ganze als auch die einzelnen Rechtssätze als Edikt. Urheberschaft, Entstehung und Zweck der Sammlung sind seit langem umstritten; ein Konsens zeichnet sich nicht ab. Die Frage, weshalb der Text sich selbst als Edikt bezeichnet, wurde bislang noch gar nicht gestellt. Der Aufsatz verteidigt zunächst die Zuschreibung an den ostgotischen König Theoderich und entwickelt auf dieser Grundlage die These, daß die Rechtssammlung zwar zur Anwendung vor Gericht bestimmt war, aber zunächst und vor allem eine symbolische Botschaft vermitteln sollte. Diese symbolische Botschaft erschöpfte sich nicht darin, Theoderich als rastlos tätigen und fürsorglichen Herrscher zu zeigen. Vielmehr verwies das Edictum Theoderici durch seine formale Gestalt bewußt auf das Prätorische Edikt, das in der Spätantike in der Form des Edictum perpetuum bekannt war und als Inbegriff magistratischer Jurisdiktion galt. Indem der König eine Rechtssammlung veröffentlichte, deren Form dem Prätorischen Edikt nachgebildet war – wahrscheinlich im Rahmen seines Rom-Besuchs im Jahre 500 –, stilisierte er sich zum römischen Magistraten, wenngleich nicht zum Inhaber eines bestimmten Amtes. Der von Theoderich geprägte, ‹magistratische Stil› der ostgotischen Gesetzgebung war Ausdruck und Mittel einer Politik, die auf die Kooperation mit den zivilen Eliten Italiens abzielte und die Anerkennung des Kaisers erstrebte. Er wurde auch von der Regierung seines Enkels und Nachfolgers Athalarichs gepflegt, verschwand jedoch im römisch-gotischen Krieg, als die Koalition zwischen gotischen Königen und weströmischem Senatorenstand zerbrach. Ein abschließender Vergleich mit den Rechtssammlungen, die etwa zur selben Zeit in den Herrschaftsgebieten westgotischer und burgundischer Könige herauskamen, unterstreicht den einzigartigen Charakter des Edictum Theoderici.