Ausgrabungen in der Kleinsiedlung Babunjë bei Apollonia (Albanien)
Bericht zu den Kampagnen 2018–2019
1Auf einem isoliert liegenden Hügel an der Südspitze des Divjaka-Höhenzuges, beim heutigen Dorf Babunjë (Kr. Lushnje), befand sich zwischen dem 6. und 4. Jh. v. Chr. ein kleiner Ort, dessen topografische Lage seine Bedeutung vor Augen führt (Abb. 1)[1]: Der wasserreiche Apsos, einer der großen – und im Unterlauf wohl schiffbaren – Flüsse der mittelalbanischen Küstenebene Myzeqe, umfloss den Siedlungshügel (Abb. 2) kurz vor seiner Mündung ins Adriatische Meer[2]. Ein Überlandweg zwischen den beiden großen Nachbarstädten im Süden und Norden, Apollonia und Epidamnos/Dyrrhachion , muss den Fluss bei Babunjë überquert haben[3]. Babunjë kontrollierte also offenbar an einem entscheidenden Punkt der Küsten- und Flusslandschaft die natürlichen Wasser- und Landrouten im ländlichen Gebiet zwischen Apollonia und Epidamnos/Dyrrhachion.
2Gegründet wurde Babunjë im späteren 6. Jh. v. Chr. als kleine Planstadt (Abb. 3): Systematische Prospektionen konnten 2013 feststellen[4], dass man die urbane Struktur des Ortes auf einer Fläche von knapp unter 5 ha einheitlich gegliedert hatte, mit einer hangparallel geführten Hauptstraße und 13 rechtwinklig darauf ausgerichteten Nebenstraßen. Die hierbei umschlossenen, lang-schmalen Insulae wurden mit einer ungewöhnlich geringen Breite von üblicherweise nur 15 m konzipiert. Die geringen Dimensionen kommen einerseits der Gliederung von Apollonias Oberstadt nahe[5], wo Insulae von nur 13 m Breite bestanden. Andererseits erinnert die gesamte Stadtanlage in ihrer Kleinheit und Gliederung an den epirotischen Bergort Orraon , der allerdings erst im 4. Jh. v. Chr. und deshalb nicht mit vergleichbarem Hintergrund entstanden sein kann[6]. Eher kommen eine Reihe kleiner Küstenorte unweit der korinthischen Kolonien am Ionischen Meer als Vergleich zu Babunjë in Betracht, doch sind diese Siedlungen bislang kaum erforscht. Daher wurde 2018 mit Ausgrabungen begonnen, um anhand des Beispiels von Babunjë insgesamt zu einem besseren Verständnis solcher Kleinsiedlungen zu gelangen. Die Ausgrabungen konzentrieren sich auf zwei Aspekte: die Fortifikation und die Wohngebäude.
Fortifikation
3Bereits 1988/1989 hatten Ausgrabungen in Babunjë stattgefunden, die den Nachweis erbrachten, dass der Ort mit einer Umfassungsmauer befestigt gewesen sein muss[7]. Da im Gelände von der Fortifikation kaum etwas wahrnehmbar ist und Baudetails wie Datierungen bislang völlig offen waren, wird seit 2018 diese Mauer am Nordrand der Siedlung genauer untersucht (Abb. 4).
4Hierbei ließ sich in einer kleinen Sondage A2 von 6 × 1 m ein Abschnitt einer in West-Ost-Richtung ziehenden Kurtine anschneiden, die eine Mauerbreite von ca. 2 m aufwies (Abb. 5. 6. 7). Erhalten blieb ein zweischaliges Fundament aus unregelmäßigen Bruchsteinen: Die Innenschale hatte man aus vergleichsweise kleinen Sand- und Konglomeratsteinen (Abb. 6), die Außenschale hingegen deutlich stärker unter Verwendung mächtiger Konglomeratblöcke errichtet (Abb. 7). Ein Dachziegelversturz an der Stadtseite der Mauer (Abb. 5) könnte von der Fortifikation stammen, geht man davon aus, dass auf dem Steinsockel ein Lehmziegelaufbau saß, den man aus Schutz vor Witterung oben mit Ziegeln hätte abdecken müssen. Auch ein mit Ziegeldach überdeckter Wehrgang wäre möglich[8].
5Ein weiteres Stück der Befestigung liegt ca. 30 m westlich an einer modernen Abbruchkante frei (Abb. 8). Unterschiedliches Steinmaterial macht sich hier bemerkbar: Ein fein gearbeiteter Sandsteinblock mit Randschlag weist dieselbe Orientierung wie der Mauerabschnitt in Sondage A2 auf, andere Blöcke aus Konglomeratgestein könnten rechtwinklig zu dem ersten Stein stehen. Aus der Topografie ergibt sich, dass die Mauer an dieser Stelle umgebogen sein muss, um der oberen Hangkante des Siedlungshügels zu folgen. Möglicherweise haben wir es mit Resten eines Eckturmes oder einer Eckverstärkung zu tun[9]. Noch unklar bleibt, inwieweit in einer weiteren Sondage A3 (Abb. 4) ein Mauerzug, der aus grob bearbeiteten Konglomeratsteinen besteht und in Nordwest/Südost-Richtung zu streichen scheint, zu der Fortifikation gehört.
6An der äußersten Nordspitze der Siedlung kam ein erstaunlich massives Element des Befestigungsringes zutage. In repräsentativer Lage errichtet, führt allein dieser Bau die Bedeutung des Ortes vor Augen:
7Aufgedeckt wurde das Fundament eines Rechteckbaues von 6,20 m Breite sowie mindestens 9,50 m Länge (Abb. 4. 9. 10) in einem Schnitt A1 von 10 × 8 m Größe (80 m²)[10] – die Gesamtlänge des Baus sowie die Art der Einbindung in den Mauerring sind noch unbekannt. Verunklärt wird der Befund durch den modernen Eingriff einer ausgedehnten, tiefen Grube (Abb. 10. 11, Kontext 66), bei deren Anlage zahlreiche Steine und Teile der Fundamentfüllung entfernt wurden. Nach Überlieferung von Bewohnern aus Babunjë soll hier in kommunistischen Jahren das albanische Militär eine Panzerstellung angelegt haben. In der Grubenverfüllung fand sich eine Patronenhülse mit Stempel SMI 928, der ein italienisches Fabrikat von 1928 für ein Mannlicher-Carcano-Gewehr kennzeichnet[11]. Dies würde eher auf eine Stellung aus der Regierungszeit König Zogus oder auf eine italienische bzw. deutsche Stellung des Zweiten Weltkrieges hindeuten, die auch noch in kommunistischer Zeit genutzt worden sein mag. Jedenfalls wird die fortifikatorische Bedeutung des Platzes nicht nur in der Antike, sondern auch noch für die Neuzeit deutlich: Von dem Platz aus lässt sich im Taleinschnitt zwischen dem Stadthügel und dem nördlich angrenzenden Hügelgebiet das Gelände sowohl nach Westen – in Richtung Küste – als auch nach Osten – ins Hinterland – besonders gut einsehen.
8Der Unterbau, der von der Fundament-Unterkante noch max. 3,30 m hoch erhalten blieb (Abb. 11. 12), wurde unter Verwendung unterschiedlicher Baumaterialien – lokal anstehendem Konglomeratgestein, Sandstein-Spolien, Dachziegeln sowie Lehm – errichtet. Damit hatte man a) die Schalen und einen Binder aus Stein, b) den Kern aus Lehm und c) eine Ziegelkonstruktion noch unklarer Funktion aus Dachziegelfragmenten erbaut.
9Die Außenschalen, die im Grundriss ein Rechteck bildeten, bestanden zumeist aus gewaltigen Konglomerat-Steinblöcken, die in pseudo-isodomer Bauweise mit abgearbeiteter Vorderseite und oft horizontalem Auf- und Unterlager versetzt waren. Dahinter, zwischen der Außenschale und dem Lehmkern, wurde gänzlich unregelmäßiges Steinmaterial verfüllt (Abb. 11, Kontext 16, 52 im Süden und Westen, Kontext 2, 16, 49, 52 im Norden). Neben Konglomerat verwendete man zuweilen Spolien aus Sandstein (Abb. 12), wodurch der Eindruck entsteht, dass man in recht eiligem Bauvorgang das Baumaterial zusammengetragen hatte, zumal nur wenig natürliche Steinressourcen in der Umgebung zur Verfügung standen. Versetzt wurde – entgegen der ursprünglichen Absicht – auch ein mächtiger Block mit einer Keilnut an seiner Oberseite: Der Stein sollte also eigentlich im Steinbruch noch gespalten werden (Abb. 13. 14, in Plan Abb. 10 an der Westseite). Dass das Material üblicherweise erst beim Versetzen vor Ort in die letzte Form gebracht wurde, zeigen dünne, horizontale Steinsplittschichten, die sich in den Sedimenten direkt vor der Steinmauer ablagerten. In ihrer Lage und Höhe korrespondieren sie mit den Oberkanten der Blöcke[12]. Diese Bauvorgänge können in den Lehmsedimenten sowohl nördlich (Abb. 12) wie östlich des Gebäudes abgelesen werden (Abb. 15). Im Inneren des Fundamentes hatte man etwa mittig in Nord-Süd-Richtung einen Binder zwischen die Nord- und die Südmauer des Fundaments gesetzt (Abb. 10, Kontext 16). Zwei bis drei Lagen aus sehr unförmigen Konglomeratsteinen sind von ihm noch erhalten. Der Kern bestand aus dicht gepacktem Lehm (Abb. 11, Kontext 21, 25, 63 im Westteil, Kontext 58 im Ostteil). Da beim Abgraben das Material öfter in etwa 10 cm starken Schichten brach, folgt daraus, dass die Lehmpackungen wohl schichtweise aufgebaut und anschließend verdichtet wurden[13].
10Unklar blieb, warum im Nordwestteil des Fundamentes eine mauerartige Struktur aus aufeinander geschichteten Dach-Flachziegeln verlegt wurde (Abb. 10. 16, Kontext 9, 24, 64)[14]. Sie fußt auf Steinmaterial hinter der nördlichen Mauerschale und bildet den Übergang zur südlich anschließenden Lehmfüllung des Fundament-Westteils. Am westlichen Ende läuft sie an einen Block des Steinbinders und endet aber erst an der Lehmfüllung des Fundament-Ostteils. Da die Struktur in die Lehm- und Steinkonstruktion eingebunden ist, haben wir es mit einem ursprünglich zur Gesamtkonstruktion gehörenden Element zu tun, also keinesfalls mit einer späteren Phase. Vermutlich steht die Ziegelsetzung mit einer (noch nicht entschlüsselten) Konstruktion im Aufgehenden in Zusammenhang. Das Bauwerk hatte man auf ältere Kulturschichten gesetzt, die unterhalb einer Baugrube und des Fundamentes zum Vorschein kamen (Abb. 12, Kontext 43, 44, 45). Relativ gut lässt sich durch Keramikmaterial aus diesen Schichten die Datierung des Bauwerkes beurteilen: Neben nur allgemein in klassische Zeit zu datierenden Bruchstücken verschiedener Schälchen (Abb. 17 e. f), einer Lekythe (Abb. 17 g) oder von tongrundigen Kannen/Krügen (Abb. 17 h. i) liegt beispielsweise mit Scherben einer – aus Attika importieren – Kylix wohl aus dem zweiten Viertel des 5. Jhs. v. Chr. (Abb. 17 a)[15] und von verschiedenen Skyphoi mit gestreckter Wandung des späten 6. Jhs. oder der ersten Hälfte des 5. Jhs. v. Chr. (Abb. 17 b–d) Material hauptsächlich aus der ersten Jahrhunderthälfte des 5. Jhs. v. Chr. vor. Eine Datierung des Bauwerkes nach der Mitte des 5. Jhs. v. Chr. wird damit plausibel, also einige Generationen nach Gründung der Siedlung von Babunjë.
11Insgesamt handelt es sich um einen – auch angesichts der geringen Ausdehnung des Ortes – imposanten Bau. Welche Art von Flankierungs- oder Begleitbauwerk – z. B. ein Turm oder eine Plattform/Bastion[16] – hier konkret vorliegt, lässt sich einerseits durch das Fehlen des Oberbaus und andererseits durch den noch spärlichen Einblick zur Einbindung in den Mauerring derzeit nur schwer beurteilen. Der langrechteckige Grundriss resultiert vermutlich daraus, dass damit eine noch bessere Sicht ins Umland gewonnen wurde, als es eine quadratische Form geboten hätte, ohne den Mauerzug weiter nach Norden verlängern zu müssen.
12In Apollonia hat sich ein Bau von ähnlichen Grundriss-Ausmaßen erhalten, der konstruktiv mit einem der Haupttore der Stadt verbunden war[17]. Auch in der noch wenig erforschten Festung Pirgos Ragiou aus dem 5. Jh. v. Chr., am Unterlauf des Kalamas gegenüber Kerkyra gelegen, könnte mit einem Bau von vergleichbarem Grundriss ein Haupttor verbunden gewesen sein[18]: Ob in Babunjë ebenfalls ein Tor in die Gesamtkonstruktion integriert war, wird erst verständlich werden, wenn auch das Umfeld dieses sicherlich zentralen Elements des Verteidigungsringes näher erkundet ist.
Wohnsiedlung
13Die Untersuchungen im Wohngebiet 2018/2019 hatten das Ziel, die Struktur von Wegenetz und Insulae auf einem Plateau im Nordwestteil der Siedlung zu klären und den Grundriss eines Privathauses vollständig zu erfassen (Abb. 3, B). In Schnitt B1, der mit einer Länge von 16,50 m und Breite von meist 8 m und einer Sondage im Osten von 6 × 3 m eine Gesamtgröße von 155 m² besaß und annähernd nord-südlich orientiert war (Abb. 18. 19), konnten insgesamt Abschnitte zweier Straßen, ein Wohnhaus in Gänze, ein Teil eines zweiten Wohnhauses sowie Bereiche angrenzender Höfe aufgedeckt werden. In modernen Gruben lässt sich die weitere Bebauung westlich des Schnittes erkennen[19].
14Eine West-Ost-ziehende Straße konnte auf eine Länge von 17 m freigelegt werden. Ihre Breite beträgt um 3,50 m. Der Straßenkörper besteht aus sandig-lehmigem Sediment, das verschiedentlich mit Kies, Bruchsteinen oder Ziegelbruch gefestigt wurde (Abb. 20). Schlaglöcher hatte man in unterschiedlicher Weise ebenfalls mit Stein-, Ziegelmaterial, Keramikfragmenten oder Schlacke verfüllt. Die Ausrichtung und ihre geringe Breite sprechen dafür, dass es sich um eine Nebenstraße handelt. Am Nordrand der Grabung wurde eine zweite, parallel laufende Straße mit entsprechenden Sedimenten angeschnitten. Beide Straßen lagen 9 m voneinander entfernt. Sie flankieren beidseitig eine Insula.
15Zwischen den Straßen legten die Grabungen die Grundmauern eines Wohnhauses frei (Abb. 18. 19, Haus A). Alle Mauern hatte man einheitlich, zumeist zweischalig mit größeren Bruchsteinen in der untersten Lage, darüber aus aufeinander geschichteten Dachziegeln, meist Stroter- und seltener Kalypter-Fragmenten, in Lehmbettung gesetzt[20]. Da die lehmigen Schuttsedimente, die die Fundamente überlagerten, kaum Steine enthielten, lässt sich ein Oberbau mit Lehmziegel- oder Lehmstampfwänden oder Holzbindern mit Lehmausfachung vermuten.
16Als Zweiraumhaus von 9 × 5,50 m Grundfläche besaß das Gebäude einen einfachen Grundriss mit einem größeren, südlichen Raum A2 von 4,30 × 4,60 m Größe, ca. 19,78 m², und dem nördlich benachbarten Raum A1 von 3 × 4,60 m, ca. 13,80 m² (jeweils lichte Maße). Ein zentral in der Ostwand des größeren Raumes gelegener Hauptzugang von 1,90 m Breite bezeugt eine Ausrichtung des Gebäudes nach Osten, auf eine östlich vor dem Haus gelegene freie Fläche. Die Zone vor dem Eingang hatte man als Antritt mit wiederverwendeten Dachziegeln gefestigt. Im Hausinneren existierte zwischen Raum A1 und A2 ein annähernd zentral gelegener Durchgang von 1,20 m Breite (Abb. 18. 19, Kontext 84B). Raum A1 konnte nur über den Hauptraum A2 betreten werden und besaß keinen eigenen Zugang von außen. Die daraus resultierende Abgeschiedenheit und die kleineren Ausmaße sprechen dafür, dass wir es mit einem kleineren, im Hausinneren ‚verborgenen‘ Nebenraum (A1) und einem nach außen ‚offenen‘ Hauptraum (A2) zu tun haben.
17Von der Binnenausstattung lässt sich erkennen, dass die Böden als Lehmestriche ausgebildet waren. Nur in der Südwestecke des Nebenraumes hatte man große Bruchstücke von Stroteren verlegt (Abb. 22), diese aber wiederum mit Lehm überdeckt. Offenbar dienten die Ziegel als Unterkonstruktion für eine nicht näher erkennbare Installation[21]. Die Wände dürften mit Lehm verputzt gewesen sein; Hinweise auf eine farbige Wandgestaltung fehlen[22]. Die Türschwellen bestanden vermutlich aus Holz, wenn man nicht an (nach Aufgabe des Gebäudes entfernte) größere Steinschwellen denken möchte. Sie besaßen als Unterlager geschichtete Flachziegel der üblichen Mauerkonstruktion. Am Hauseingang südlich neben der rekonstruierbaren Schwelle hat sich ein Stein mit einer Einarbeitung für den Türzapfen des südlichen Türflügels erhalten (Abb. 21 links). Von einem sehr einfachen Schließmechanismus könnte ein hier gefundener Eisenhaken stammen (Abb. 32 f)[23].
18Westlich und östlich des Hauses, außen entlang der Mauern, hatte man jeweils einen gefestigten Saum auf Laufniveau verlegt, der aus Kieseln, Ziegelbruch, größeren Keramikscherben und kleinen Bruchsteinen gebildet war (Abb. 18, Kontext 16; Abb. 23. 24). Er diente sicherlich als Tropfsaum unterhalb der Regentraufe dazu, Feuchtigkeit vom Hausfundament abzuhalten. Daraus lässt sich rekonstruieren, dass das Gebäude ein Giebeldach gehabt haben muss, dessen Flächen sich nach Westen und Osten neigten. Die Dächer werden mit Ziegeln gedeckt gewesen sein: Die Zweitverwendung von Dachziegeln in den Mauern impliziert, dass in Babunjë eine Ziegeldeckung der Häuser üblich war. Weitaus die meisten der überlieferten Dachziegel gehören dem großgriechischen Dachsystem an[24], bestehend aus flachen Stroteren (Abb. 25 a) und gerundeten Kalypteren (Abb. 25 b). Einige Fragmente von mächtigen Firstziegeln, die für die Aufnahme der Kalyptere seitlich eingeschnitten sind, haben sich erhalten (Abb. 25 c). Die Stücke bezeugen eine repräsentative Gestalt der Dächer mit technisch ausgefeilten Ziegeln. Dass die Ziegel wohl üblicherweise vor Ort hergestellt waren, lassen Dachziegel-Fehlbrände erkennen, die man öfter als Baumaterial im Mauerverband nutzte[25].
19Dem Haus A war östlich ein Areal vorgelagert, das keine Binnen-Untergliederung besaß. Deshalb muss es sich um einen Hof handeln. Die Ausrichtung des Hauses nach Osten zeigt, dass Haus A mit diesem Hof eine Einheit bildete. Die Breite des Hofbereiches, von Nord nach Süd, ergibt sich aus der Distanz beider Straßen von 9 m; seine Länge, von West nach Ost, konnte noch nicht ermittelt werden, betrug aber über 5,50 m, wie die Sondage im Osten der Grabungsfläche bezeugt. Lediglich in einem noch kaum freigelegten Bereich vor der Nordhälfte des Hauses machen sich ein Wechsel in den Böden und das Fehlen des Trauf-Saumes bemerkbar (Abb. 18, Kontext 76). Es bleibt zu untersuchen, ob hier mit einem nachträglichen Anbau oder Nebengebäude zu rechnen ist[26]. Zu den Straßen hin fehlt es an Begrenzungen im archäologischen Befund, sodass offenbar Zäune aus vergänglichem Material, Holz o. ä., die Abgrenzung zwischen Hof und Straße, zwischen privatem und öffentlichem Raum, gebildet haben.
20Westlich hinter Haus A bestand ein zweiter Hof, dessen West-Ost-Ausdehnung mit 7,50 m vermutet werden kann: Die nächstgelegenen Hausmauern des westlich anschließenden Hauses konnten in den modernen Punktfundamentgruben angeschnitten werden (Abb. 18)[27]. Haus A lag abgewandt zu diesem Hof, da keine Türdurchgänge bestanden. Wir haben es also bei den Hausmauern in den modernen Gruben mit Überresten eines weiteren Hauses zu tun, das wohl mit diesem Hof assoziiert war. Es ergibt sich der Eindruck einer regelhaften, rhythmisierten Bebauung, die aus quer auf den Insulae orientierten Häusern und relativ großen Höfen bestand.
21Bei Haus A belegen die Positionen der Türen, dass man das Gebäude vom Hof her betrat. Anders verhält es sich auf der südlichen Nachbar-Insula mit Haus B (Abb. 18. 19. 26): Angeschnitten wurde eine Hausecke mit einem Raum B1, der Ausmaße wie der Hauptraum A2 von Haus A gehabt haben könnte. Da in der Raummitte eine Herdstelle rekonstruierbar ist – erhalten hat sich ein durch Hitzeeinwirkung verziegelter Bereich im Lehmboden (Abb. 18, Kontext 51; Abb. 26. 27) –, könnte es der Hauptraum von Haus B gewesen sein. In der zur Straße hin gelegenen Nordmauer lässt sich eine Maueröffnung von 1,10 m Breite rekonstruieren (Abb. 26), die einen Zugang des Hauses von der Straße her markiert. In der Öffnung kamen ein langer Stein und flache, große Ziegelstücke als Unterlager der Schwelle sowie westlich des Durchganges eine runde, sekundär in die Ziegel eingeschlagene Einlassung für einen Türzapfen zum Vorschein. Nördlich vor dem Durchgang im Straßenbereich auf dessen Laufniveau hatte man einen Antritt für den Eingang durch sorgfältig verlegte Ziegelbruchstücke gebildet (Abb. 20. 26).
22Beim gegenwärtigen Grabungsstand ist der Hausgrundriss von Haus B noch fraglich, allerdings könnte das Gebäude ähnlich strukturiert gewesen sein wie Haus A auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Jedenfalls macht sich im Vergleich beider Häuser ein Gegensatz im Bezug von privatem und öffentlichem Raum bemerkbar: Haus B konnte direkt vom öffentlichen Straßenbereich her betreten werden, bei Haus A war ein Hof zwischen Straße und Hauseingang zwischengeschaltet. Die archaischen, einige Generationen älteren Häuser von Megara Hyblaia[28] verdeutlichen durch ihre quer zur Straße liegende Orientierung, mit ihrer Ausrichtung auf einen großen Hof, eine gewisse Abkehr der Wohnhäuser vom öffentlichen Raum. Sie sind in ihrer Gliederung gut mit Haus A von Babunjë vergleichbar. Für Haus B, obgleich ein seitlicher Hof in dem noch gänzlich unausgegrabenen Bereich gelegen haben mag, zeigt sich hier eine unterschiedliche Auffassung durch den direkt von der Straße zum mutmaßlichen Hauptraum führenden Zugang, gewissermaßen eine Öffnung des Privatraums hin zum öffentlichen Raum der Straße. Dass es sich hier um ein Muster und weniger um einen Einzelfall handeln könnte, legt ein Vergleich mit der noch wenig erkundeten Oberstadt von Apollonia nahe: In regelmäßigen Abständen konnten dort Zugänge von der Straße in die Häuser nachgewiesen werden, deren Grundrisse allerdings noch unbekannt sind[29]. Da einige der dortigen Häuser mit ihren letzten Belegungsphasen bereits in das 3. Jh. v. Chr., im Einzelfall auch in das 1. Jh. v. Chr., hineinreichen, bleibt zu fragen, ob hier jüngere Phänomene vorliegen. In Babunjë ist jedenfalls mit beiden Mustern am Ende der Besiedlung des Ortes zu rechnen.
23Zur Datierung der Gebäude steht umfangreiches Fundmaterial zur Verfügung. Allein die Bautechnik, die Nutzung von Dachziegeln in den Sockeln der mutmaßlichen Lehmziegelwände, verweist auf eine archaische oder klassische Zeitstellung der Häuser. Der (spät?)-archaische Bothros im Artemis-Heiligtum in Epidamnos und die Mauern der klassischen Wohnhäuser in Apollonia weisen dieselbe Bautechnik auf[30].
24Die Grabungen in Babunjë konnten bislang hauptsächlich die obersten Schichten aufdecken, sodass zum Beginn und zur Genese der Häuser noch wenig bekannt ist. Die ältesten Funde, die in Tiefensondagen geborgen wurden, scheinen in das frühe 5. Jh. v. Chr. zu reichen. Generell fällt die hohe Qualität im Fundmaterial auf: Die Haushalte waren bestens mit Importen aus den Keramikzentren ausgestattet, wie rotfigurige Keramik aus Attika (Abb. 28 a. b. e) und Unteritalien bezeugt (Abb. 28 c. d. i). Einige Stücke weisen einen floralen, für rotfigurige Keramik charakteristischen Dekor auf (Abb. 28 f–h); sie dürften ebenfalls aus Unteritalien importiert gewesen sein, ohne eine regionale Produktion, die sich unteritalischen Erzeugnissen anlehnte, ausschließen zu können[31].
25Das Fundmaterial umfasst im Übrigen ein übliches Spektrum griechischer Haushalte: Zahlreich sind schwarzgefirnisste Trinkgefäße (Abb. 29 a–c) und Essgeschirr (Abb. 29 d–f) überliefert, ebenso wie Salznäpfchen (Abb. 29 g) unter dem weiteren Tafelgeschirr. Einige Stücke weisen Graffiti auf: zwei Skyphosböden die Bezeichnungen APIΣTH.N. (Abb. 29 b) und ΛE (?, Abb. 29 c), ein Tellerbruchstück ein KAI (Abb. 29 d) und ein Salznapf AI (Abb. 29 g). Die Bewohner waren folglich des Lesens und Schreibens mächtig. Seltener überlieferte Formen sind Askoi (Abb. 29 h)[32] und Lekythen (Abb. 29 i–m), von denen letztere zuweilen mit Netzdekoren oder Riefen verziert waren.
26Dem Gebrauch in der Küche sind zahlreiche quarzsand- und muschelgrusgemagerte Gefäße zuzuweisen: Es handelt sich um typisch griechisches Kochgeschirr (Abb. 30), darunter Lopades (Abb. 30 a) und verschiedene Formen und Größen von Chytren (Abb. 30 b–f). Ungewöhnlich ist ein bislang singulärer Henkel[33] eines Einhenkeltopfes mit überstehender Daumenstütze (Abb. 30 g): Die Verbreitung und Datierung dieser Gefäßform ist noch völlig unzulänglich erforscht, allerdings finden sich Parallelen in südillyrischen Orten[34]. Aus dem makedonischen Pella sind ähnliche Stücke mit Kleeblattrand überliefert[35]. In Babunjë stellt dieser Topf eine Ausnahmeerscheinung innerhalb des Kochgeschirr-Spektrums dar. Gerade für die Frage nach der Ethnizität von Babunjës Einwohnerschaft müsste in Zukunft untersucht werden, ob mit dieser Form ein Marker für einen – wenn auch geringen – indigenen, illyrischen Einfluss im Kochgeschirr vorliegen könnte.
27Das tongrundige Alltagsgeschirr folgt wiederum gänzlich dem griechischen Formengut, wie zahlreiche Kannen (Abb. 31 a–e), zylinderförmige Olpen (Abb. 31 f) sowie Schüsseln (Abb. 31 g) belegen. Auch bei der Schwerkeramik ist dies der Fall: Ein Amphorenhenkel mit Blattstempel ist einer Korinthisch A-Amphore zuzuweisen (Abb. 31 h)[36], und ein Louterion mit Flechtband (Abb. 31 i) könnte ebenso aus Korinth stammen[37]. Ein lokales Produkt mag das mit Blattdekor versehene Louterion Abb. 31 j gewesen sein[38]. Unter der weiteren Schwerkeramik sind die beiden charakteristischen Hauptformen der klassischen Reibeschüsseln (Abb. 31 k. l) vertreten[39]. Vorräte wurden in Pithoi gelagert, von denen zahlreiche Bruchstücke erhalten sind; Pithosdeckel mit einer gesonderten, mittleren Öffnung (Abb. 32 a) finden seltene Vergleiche im griechischen Mutterland wie der Magna Graecia[40]. Hinzu kommen vereinzelte Sandkern-Glasgefäße (Abb. 32 d). Keramiklampen (Abb. 32 c), Webgewichte, Spielsteine, beinerne Schreibgriffel (Abb. 32 g. h) oder auch Mühlsteine stellen charakteristische Alltagsgegenstände dar, während ein Bronzehenkel von einem Möbel stammen kann (Abb. 32 e). Keramikschmuckscheiben (Abb. 32 b), die in Babunjë äußerst beliebt waren[41], scheinen eine korinthische Eigenart gewesen zu sein, die auch in Unteritalien Verbreitung fand. Unter den Terrakotten (Abb. 33) verdient eine Fundkonzentration gut erhaltener Exemplare Erwähnung: Seitlich vor dem Hauseingang von Haus A traten verschiedene großstückig erhaltene weibliche Protomen und Büsten zutage (Abb. 33 c–f), zusammen mit einer vollständig überlieferten Miniaturkanne (Abb. 33 g) und der Keramikscherbe eines außergewöhnlich großen, verzierten Kraters (Abb. 33 h). Nicht auszuschließen ist, dass die Stücke ursprünglich bewusst neben dem Eingang positioniert waren, etwa an einem Schrein oder Altar.
28Recht konkret ergibt sich aus den jüngsten Fundstücken, wann die Gebäude aufgelassen wurden: Neben späten ‚korinthischen‘ Skyphoi mit schmalem Pokalfuß aus der zweiten Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. (Abb. 29 a–c), einem Fischteller (Abb. 28 i) und riefenverzierten Kännchen (Abb. 29 j. k) gehören unter den Lekythen des 4. Jhs. v. Chr. zwei Exemplare der Talcott-Klasse mit Trichterrand (Abb. 29 l. m) in die letzten Jahrzehnte des 4. Jhs. v. Chr.[42]. Da es an üblichen Haushaltsgefäßen hellenistischer Zeit wie Reliefbechern, hellenistischen Tellern oder früher Terra Sigillata fehlt, müssen die Häuser im späteren 4. Jh. v. Chr. verlassen worden sein.
Der Babunjë-Bronzereiter
29Abseits der Grabungsflächen kam 2018 bei Pflugarbeiten ein außerordentlich bemerkenswerter Fund zum Vorschein: die im Vollguss hergestellte Bronzefigur eines auf einem Pferd galoppierenden Reiters (Abb. 34. 35)[43]. Die Kleinbronze, von exzeptioneller Qualität, hat eine erhaltene Größe von 14,2 cm und eine Länge von 13,85 cm. Der weit nach hinten genommene rechte Arm der Figur mit geöffneter Hand dokumentiert, dass der Reiter im Moment eines Wurfes dargestellt ist, wahrscheinlich des Wurfes eines Speeres. Vermutlich trug er einen Panzer und ein Schwertgehänge, doch müssen die noch ausstehenden Restaurierungen abgewartet werden, um Details beurteilen zu können. Die stilistischen Eigenarten und die Machart etwa von Pferdemähne oder Pferdeschwanz stellen das Stück an die Seite spätarchaischer Darstellungen der griechischen Welt. Innerhalb Albaniens handelt es sich um ein bislang einmaliges Stück. Aus Dodona, von der Athener Akropolis, aus der elimiotischen Hauptstadt Aiani sowie aus Mantineia sind vergleichbare Reiter-Bronzen überliefert, ebenso wie aus Armeno in Lukanien. Hinzu kommen Stücke im Princeton University Art Museum und im New Yorker Metropolitan Museum[44]. Da an fast allen diesen Exemplaren wie auch am Babunjë-Reiter unten die Pferdefüße weggebrochen sind, lässt sich eine Befestigung der Pferde an Gegenständen, unten an den Füßen, rekonstruieren: Reich verzierte Bronzegefäße dieser Zeit lassen vermuten, dass der Reiter von Babunjë ursprünglich wohl als Verzierung an einem Gefäß appliziert war.
Zur Eigenart von Babunjë
30Babunjë wurde an verkehrsgeografisch bedeutender Stelle am Unterlauf des wasserreichen Apsos unweit der Adriaküste als eine vergleichsweise sehr kleine Planstadt gegründet. Die Lage, die urbane Gliederung mit einem rechtwinkligen Straßenraster sowie das Fundmaterial, das bei fast vollständigem Fehlen einheimisch-illyrischen Formenguts deutliche Bezüge in die mediterrane Welt – nach Korinth, Athen oder Unteritalien – zeigt, legen es nahe: Griechische Kolonisten müssen den Ort gegründet haben.
31Dass Babunjë keinesfalls als eigenständige Kolonie anzusehen ist, vermitteln schon die geringen Dimensionen der Siedlung. In den Schriftquellen gibt es keinen Hinweis auf den Ort, obgleich die Nachbarorte doch mannigfaltig in den Quellen Erwähnung fanden, und eine eigene Münzprägung kann ebenfalls ausgeschlossen werden. Insofern ist Babunjë als ein politisch abhängiger Ort anzusehen. Da von den beiden großen Nachbarn, Apollonia und Epidamnos, Apollonia in Sichtweite von Babunjë lag und beide Orte in derselben, von der Geografie vorgegebenen Siedlungskammer der Myzeqe-Ebene positioniert waren, muss es sich um eine auf Apollonias Territorium gelegene, von Apollonia abhängige Siedlung handeln.
32Welchen Zweck erfüllte dieser Ort? Er schuf den Bewohnern durch seine exzellente Lage sicherlich gutes Auskommen durch Handel, Handwerk, Landwirtschaft und Viehzucht, allerdings erhellen sich die Hintergründe für die Bedeutung des Ortes zusätzlich durch einen Blick zu den weiter im Süden gelegenen Kolonien: Korinth und Kerkyra hatten im späteren 7. Jh. v. Chr. nicht nur Epidamnos und Apollonia[45], sondern auch Anaktorion, Ambrakia und Leukas am Rande Akarnaniens und des Epirus gegründet[46], womit der gesamte Küstenabschnitt – Bindeglied zwischen dem Mutterland und dem griechischen Westen – in der Hand Korinths und seiner Kolonien lag. Die Seefahrt und der Handel sahen sich insofern einem offensichtlich schnellen, gezielten Kolonisierungsprozess gegenüber, der in einer korinthisch-korkyräischen Dominanz der akarnanisch-epirotisch-illyrischen Küstenabschnitte resultierte. In Leukas und in Kerkyra wird es aber besonders deutlich, dass man nicht nur die eigentlichen Kolonien als die beherrschenden Hafenorte an den Seerouten eingerichtet hatte, sondern kleine, geschlossene Siedlungen in den περαίαι an den gegenüberliegenden Festlandsufern zu diesem Siedlungsnetz hinzukamen[47]: Die Zufahrt in die Meerenge bei Leukas beherrschte der mit einer Ringmauer befestigte, ca. 12 ha umfassende Ort Ag. Giorgos[48], und den Küstenabschnitt gegenüber von Kerkyra flankierten mindestens drei Siedlungen: Ligia an der Bucht von Igoumenitsa[49], Mastilitsa[50] und – an engster Stelle des kerkyräischen Sundes – Butrint . Das frühe Butrint beschränkte sich nach D. Hernandez auf den etwa 6 ha großen Hügelrücken der späteren Akropolis[51]. Die Durchfahrt durch die Meerengen von Kerkyra und Leukas konnte somit von beiden Ufern, von den Inseln und vom Festland her, überwacht werden, und zu dieser Kontrolle standen den Kolonien diese relativ kleinen, befestigten Siedlungen zur Seite.
33In dieser Hinsicht, wenngleich die Kolonien in diesen Fällen auf den Inseln lagen, lässt sich Babunjë gut in dieses Siedlungsgeflecht einfügen. Über die Ausdehnung von Apollonias Territorium liegen noch wenig fundierte Hinweise vor. Der Polis musste allerdings die Beherrschung der Küstenlinie für einen reibungslosen Seeverkehr ein besonderes Anliegen gewesen sein: Da Babunjë eine exzellente topografische Lage besaß, gehen wir als derzeitige Arbeitshypothese – die künftigen Arbeiten sollen sie überprüfen – davon aus, dass der Ort eben als apolloniensischer Kontrollposten der Wasser- und Landwege gegründet wurde und zur Festigung des Siedlungs- und Kontrollsystems diente.
34Babunjë dürfte nicht die einzige Kleinsiedlung im Umfeld von Apollonia gewesen sein: Im Norden kommt Bishtçukas als weiterer Ort dieser Art in Betracht, in dessen Nekropolen vergleichbares Material zutage trat[52]. Bishtçukas lag, geradezu spiegelverkehrt zu Babunjë, am Nordende des Divjaka-Höhenrückens, unweit oberhalb der Shkumbin-Mündung (siehe Abb. 1). Mit illyrischen Orten in Apollonias östlichem Hinterland, in den Bergen östlich der Myzeqe-Ebene, müsste in Zukunft ein Abgleich hergestellt werden[53]: Hinsichtlich urbaner Strukturen, Bauten oder materieller Hinterlassenschaften sind diese Siedlungen, die wohl eine ‚protourbane‘ Phase in archaischer und klassischer Zeit aufweisen, weitgehend unerforscht. Charakteristisch ist deren Position im bergigen Binnenland ohne Anbindung an die mutmaßlichen Hauptverkehrswege, womit sie sich von den hier infrage stehenden Kleinsiedlungen grundlegend unterscheiden. Künftig wird sich also zeigen, ob zu diesem Siedlungsnetz noch weitere Orte im Umfeld der Kolonien zählten. Babunjë stellt jedenfalls unter all den genannten Plätzen die erste, systematisch erforschte Kleinsiedlung dar.
35Einige Generationen nach Gründung von Babunjë, um oder ab der Mitte des 5. Jhs. v. Chr., erhielt der Ort ein neues Element an der Fortifikation, einen turm- oder plattformartigen Bau. Ob er nachträglich an eine bereits bestehende Befestigung angesetzt wurde oder zugleich mit dem gesamten Mauerring entstand, bleibt zu prüfen. Die Verwendung unterschiedlicher Baumaterialien, darunter Spolien, legt nahe, dass die Errichtung in Eile geschah. Die offensichtlich bedrohliche Sicherheitslage dieser Zeit wird also durch den gewaltigen Rechteckbau an der Nordspitze der Siedlung unterstrichen. Mit der Datierung des Bauwerkes gelangt man in eine für die Gegend unruhige Zeit: Die bürgerkriegsähnlichen Zustände um 435 v. Chr. in Epidamnos, in die nicht nur die beiden Mutterstädte, sondern auch die illyrischen Taulantier und Apollonia[54] hineingezogen wurden und die einen Ausgangspunkt für den Peloponnesischen Krieg darstellten, werden in der Region ihre Spuren hinterlassen haben. Es scheint gut möglich, dass die politischen Unruhen oder der folgende Krieg für den Bau den äußeren Anlass gaben.
36Hinsichtlich der generellen städtebaulichen Gliederung konnten die Grabungen klären, dass die beiden Straßen eine einzeilige Insula flankierten, in der die Wohngebäude also in nur einer Häuserzeile angeordnet waren. Kleine Häuser mit relativ großen Höfen lässt der bisherige Grabungsausschnitt erkennen, in einem Fall ein auf den Hof ausgerichtetes Zweiraumhaus. Wohnhäuser griechischer Kolonien, etwa in Megara Hyblaia mit den Ein-, Zwei- und Dreiraumhäusern und zugehörigen großen Freiflächen[55], sind unmittelbar vergleichbar. Allerdings entstanden die dortigen Bauten einige Generationen früher als die in Babunjë. Die Breite der angeschnittenen Insula hat sich als schmaler herausgestellt als zunächst erwartet: Auf Basis geophysikalischer Messungen, die die Nebenstraßen deutlich zu erkennen geben, lässt sich belegen, dass die Nebenstraßen in Babunjë üblicherweise um 15 m voneinander entfernt lagen, die Insulae also gewöhnlich um 15 m breit waren. Mit den neuen Grabungen erscheint es plausibel, dass generell die – sehr schmalen – Insulae einreihig gegliedert waren, anders als wir es von üblichen griechischen Kolonien mit ihren zweizeiligen Insulae kennen. Orraon, das erst spät gegründet wurde und bereits mehrräumige Häuser mit einer differenzierten Gliederung besaß[56], gibt ein Beispiel für einreihige Wohnblöcke von 15 m Breite ab, und es mag kein Zufall sein, dass dieser Ort ebenfalls in der epirotisch-akarnanisch-illyrischen Großregion im Umfeld korinthischer Kolonien lag.
37Die Grabungen belegen nun allerdings ein Phänomen, dass nicht der gesamte Ort einheitlich untergliedert war. Auf dem Nordwestplateau, wo die Messergebnisse wegen moderner Störungen nur ungenau sein konnten[57], hatte man Insulae nicht mit 15 m Breite, sondern – soweit der Grabungsausschnitt annehmen lässt – mit nur 9 m Breite angelegt. Bei einer Breite des Plateaus von maximal 60 m konnten dadurch nicht nur drei, sondern vier Wohnblöcke – also mehr Grundstücke bei enger gestaltetem Wohnraum – geschaffen werden. Im Plan Abb. 3 ist hypothetisch ein kleiner Platz unweit des Plateaus rekonstruiert, da dort in den Geophysikbildern nur wenige Anomalien zu verzeichnen sind. Der Wechsel von 15 zu 9 m breiten Wohnblöcken könnte westlich unterhalb des Platzes eingesetzt haben. Noch ist unklar, ob dieses Quartier zeitgleich mit dem gesamten Straßennetz oder nachträglich geschaffen wurde. Die früheste Keramik aus Babunjë, die aus den Prospektionen bekannt ist[58], bezeugt eine Gründung des Ortes noch im 6. Jh. v. Chr., in spätarchaischer Zeit. Innerhalb des Grabungsareals B, in dem sich die Arbeiten bisher auf die obersten Schichten konzentrierten, fehlt es aber vorläufig an Kulturschichten aus dieser Zeit. Die jüngsten Funde bezeugen, dass die Häuser während der letzten Jahrzehnte des 4. Jhs. v. Chr. verlassen wurden, und dies deckt sich mit der Gesamtaufnahme sämtlichen Fundmaterials aus Babunjë anlässlich des Surveys von 2013, die zeigt, dass im 3. Jh. v. Chr. das Leben in Babunjë erloschen war[59]. Die bisherigen Grabungsbefunde an der Stadtmauer wie in dem Wohnviertel geben keine Hinweise darauf, dass man den Ort infolge eines katastrophalen Ereignisses, etwa einer gewaltsamen Eroberung, aufgelassen hatte. Die Lehmhäuser verfielen jedenfalls ohne jegliche Feuereinwirkung, und die fehlenden Dachziegel in den Schuttschichten bezeugen, dass die Bewohner genügend Zeit hatten, ihren mobilen Besitz – und dazu gehörten sicherlich die teuren Ziegel[60] – abzutransportieren.
38Für die Gründe der Auflassung fehlen insofern eindeutige Anhaltspunkte in den Befunden, allerdings könnten sich die Hintergründe aus äußeren – vielleicht auch vielschichtigen Umständen – erklären: Dazu könnte zählen, dass die Struktur der Gesamtsiedlung wie auch die Gestalt der Häuser ein ‚archaisches Wohnen‘ vermittelt, wie es im 4. Jh. v. Chr. an der Schwelle zum Hellenismus reichlich unbequem geworden sein mag. Angesichts des zeittypischen Wachsens des Platz- und Repräsentationsbedürfnisses im öffentlichen wie privaten Raum hätten sich die Bewohner Babunjës schwerlich entfalten können: Der kleine Hügel schränkte öffentliche Flächen ein, sodass eine zeitgemäße urbane Entwicklung kaum greifen konnte, wie auch im privaten Bereich die schmalen Wohnblöcke enge Grenzen setzten. Ein in verschiedene Räume gegliedertes differenziertes Wohnen, wie es Privathäuser klassischer Zeit charakterisiert, ist jedenfalls bislang nicht zu erkennen. Babunjë scheint in dieser Hinsicht von der allgemeinen Entwicklung abgeschnitten gewesen zu sein und dürfte im 4. Jh. v. Chr. kaum mehr den zeitgemäßen Ansprüchen an urbanes Leben entsprochen haben – ganz im Gegensatz zum nahen Apollonia, in dem in klassischer Zeit eine weite, großzügig angelegte Unterstadt mit ungewöhnlich großen Wohnblöcken entstand[61]. Als – wohl gemerkt nur in seiner letzten Phase – wenig attraktiver Ort könnte Babunjë also allmählich verlassen worden sein.
39Nicht auszuschließen ist allerdings, dass äußere politische und kriegerische Umstände hierfür den Anstoß gaben: Die fatalen Ereignisse im Entstehen und während des Peloponnesischen Krieges hatten zu einem gänzlich anderen Kräfteverhältnis in der nordwestgriechisch-südillyrischen Region und auch zum Zerfall der korinthisch-korkyräischen Dominanz geführt[62]. Im Süden gründeten ab dem 4. Jh. v. Chr. die epirotischen und akarnanischen Stämme eigene Städte, einige davon mit Zugang zur Küste. Zudem herrschten im 4. Jh. v. Chr. in der Region unruhige Zeiten, ausgelöst durch Expansionsbestrebungen der illyrischen und makedonischen Nachbarn[63]. Einige Ereignisse, wie Bardylis’ blutige Molosser-Feldzüge 385/384 und 360 v. Chr. – ersterer in Allianz mit dem an der Adriaküste interessierten Dionysios I. von Syrakus[64] –, könnten mittelbar auf die Sicherheitslage Einfluss gehabt haben, konkrete Bedrohungen stellten hingegen die Taulantier dar; in der zweiten Jahrhunderthälfte griffen dann die Makedonen über: Die Taulantier, die in Epidamnos bereits im Bürgerkrieg der 430er-Jahre zu den Konfliktparteien gehörten[65], standen nach illyrischen Eroberungen in Makedonien in steten Auseinandersetzungen mit dem expandierenden Makedonien. Ab 346 v. Chr. wurde Philipp II., wie Isokrates meinte[66], Herr über die meisten Illyrier, außer denen, die am Adriatischen Meer wohnten. Apollonia und Epidamnos könnten nach der Schlacht von Pelion 335 v. Chr. als weiterhin freie Städte eine Allianz mit Makedonien eingegangen sein[67], die ihnen zur Prosperität verhalf. Die Illyrier durchliefen eine dynamische Entwicklung mit Gründung eigener Städte wohl ab dem mittleren 4. Jh. v. Chr. wie Dimal und Byllis[68]. Ob hierzu auch Antipatreia (Berat)[69] am östlichen Eingang zur Myzeqe-Ebene nur 40 km von Babunjë entfernt gehörte oder die Stadt erst durch Kassander (neu?) gegründet wurde, ist derzeit offen. Nachdem bereits 343/342 v. Chr. Ambrakia unter Philipp II. bedroht und die nahegelegenen Kleinsiedlungen Bouchetion, Elatria and Pandosia erobert wurden[70], Ambrakia schließlich aber 338 v. Chr. eine makedonische Besatzung hinnehmen musste[71], hatten die Taulantier Epidamnos vor 314 v. Chr. besetzt[72] und Apollonia zugleich belagert[73]. Kassander bekämpfte wiederum die Taulantier zu diesem Zeitpunkt im Rahmen seines Vorhabens, die illyrischen Gebiete und den gesamten Nordwesten Griechenlands für sich zu gewinnen. Leukas, Apollonia und Epidamnos erhielten 314 eine makedonische Besatzung[74], die allerdings kurz darauf 312 v. Chr. von Kerkyraiern (Leukas, Apollonia) bzw. von Kerkyraiern mit Unterstützung von Taulantiern (Epidamnos) wieder vertrieben werden konnte[75].
40Ob nun solche an den Handelsstraßen gelegenen Kleinsiedlungen wie Babunjë ganz allgemein ihre Bedeutung verloren, oder illyrische wie makedonische Expansionen konkrete Anlässe für einen Niedergang des Ortes gaben: Die instabilen, verworrenen Verhältnisse dieser Jahrzehnte könnten dazu beigetragen haben, das kleine Gemeinwesen von Babunjë besser zu verlassen.
Danksagung
41Die Arbeiten werden seit 2018 im Rahmen der albanisch-deutschen Apollonia-Kooperation vom Archäologischen Institut der Akademie für Albanologische Studien Tirana, der Universität Tirana und dem Winckelmann-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin durchgeführt und durch das europäische Förderprogramm Erasmus+ und die Bayerische Akademie der Wissenschaften finanziell getragen. Für Unterstützung danken wir zudem der Fritz Thyssen Stiftung. Unser Dank gilt vor allem auch Henner von Hesberg, Stephan G. Schmid (Berlin), Stefan Schmidt (München), Luan Përzhita, Matthias Parske und Johann Comolle für Diskussionen und Hilfestellungen sowie für ihren engagierten Einsatz den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der beiden Grabungskampagnen Levente Daczó, Marie-Hélène Lindner, Victoria Kant, Thomas Martin, Jenny Schlehofer, Katalin Sidó und den vielen Studierenden aus Deutschland, Albanien und Rumänien!
Abstracts
Abstract
Excavations in the Small Settlement of Babunjë near Apollonia (Albania)
Report of the Campaigns 2018–2019
Field research at Babunjë, a small fortified settlement of ca. 5 ha lying between the Corinthian-Corcyraian colonies of Apollonia and Epidamnos, seeks to achieve a better understanding of the colonial settlement structure at the eastern coast of the southern Adriatic (and further south along the Ionian Sea). Babunjë was founded at the end of the 6th century BC and was abandoned in the last decades of the 4th century BC. The site had a fortification with a ‚bastion‘ or unusual large tower which was built some decades after Babunjë’s foundation. A planned urban layout shows long, narrow insulae with single rows of house-plots. A two-roomed house was excavated completely. Small settlements like Babunjë were, after the large colonies, most probably an important part of the colonial settlement structure on this coast.
Keywords
Settlement Structure, Greek Colonies, Greek Fortification, Greek Houses, Apollonia (Albania)

Fortifikation
Wohnsiedlung
Der Babunjë-Bronzereiter
Zur Eigenart von Babunjë
Danksagung
Abstracts