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127•2021
Die Hallstattkulturen und Italien während der älteren Eisenzeit
Einleitung
1Einleitend muss man wohl erläutern, warum mitteleuropäische Archäologen auf die Idee kamen und kommen, sich mit den eisenzeitlichen Kulturen in Italien zu beschäftigen. Schuld daran war im Fall des Autors der Doktorvater Karl Kromer, der immer betonte, dass man die Hallstattzeit in Mitteleuropa nicht ohne die Kulturen im gleichzeitigen Mittelmeerraum verstehen kann, denn wie kaum eine andere Epoche der Vorzeit waren die Hallstattzeit und die beginnende Latènezeit in Mittel- und Westeuropa geprägt von der Interaktion mit den Hochkulturen des Mittelmeerraums, allen voran denen der Etrusker und der Griechen. In der Eisenzeitforschung wurde diese Tatsache schon sehr früh erkannt. Ludwig Lindenschmit der Ältere, der Begründer des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz (Abb. 1), stellte schon in den 1850er-Jahren fest, dass, wie er sich wortwörtlich ausdrückte, „die am Mittelrhein in nicht unbedeutender Zahl entdeckten Erzkannen (= Schnabelkannen) [...] die Annahme vorrömischer und zwar etruskischer Berührungen und Handelsverbindungen mit dem Norden [bestätigen]“[1]. Die Entdeckungen weiterer keltischer Fürstengräber, wie z. B. dem von Bad Dürkheim, das u. a. einen etruskischen Bronzedreifuß enthielt, bestätigten ihn in seiner Annahme[2].
2Diese Fragestellung nach den Kontakten der mitteleuropäischen Kulturen mit den Mittelmeerzivilisationen und der Übernahme mediterraner Importe, Zierformen, Techniken und Ideen blieb bis heute ein zentrales Thema in der Eisenzeitforschung. Klassische Archäologen und Prähistoriker, wie z. B. Paul Jacobsthal, Wolfgang Kimmig, Franz Fischer, Otto-Hermann Frey, Friedrich Wilhelm von Hase, Claude Rolley und Brian B. Shefton, um nur einige zu nennen, beschäftigten sich intensiv mit diesem Thema[3]. Auch meine Generation hat mit Dirk Krauße, Dirk Vorlauf, Hans Nortmann, Alessandro Naso, Raffaele de Marinis, Bruno Chaume und weiteren wichtige Beiträge zu diesem Thema geliefert[4].
3Neben dem Nachweis weitreichender Kulturkontakte boten die Importfunde aus dem Mediterraneum besonders in der Frühzeit der Eisenzeitforschung eine der wenigen Möglichkeiten für eine absolute Datierung der Hallstattzeit. Heute sind Importfunde immer noch hilfreich, aber in Mitteleuropa haben Daten der Dendrochronologie die führende Rolle für das chronologische Grundgerüst übernommen[5].
4Zu Beginn der Forschungen stand Etrurien im Mittelpunkt des Interesses, dabei wurden jedoch immer nur der Ausgangspunkt, sprich die etruskischen Stadtstaaten, und die Westhallstattkultur nördlich der Alpen gesehen. Andere italische und gar inneralpine Kulturen, ohne die ein Gütertausch in der älteren Eisenzeit unmöglich war, wurden mehr oder weniger ausgeblendet. L. Pauli war einer der ersten, der im Zuge seiner Studien zur Golasecca-Kultur in der Lombardei auf die wichtige Rolle dieser keltischsprechenden Kultur für den transalpinen Handel hinwies[6]: Über die sog. Tessin-Route gelangte eine Vielzahl der Importfunde von Etrurien in die Nordschweiz, nach Baden-Württemberg und Ostfrankreich (Abb. 2)[7]. W. Kimmig rückte neben den Kontakten zu Italien auch die griechisch-phokäische Kolonie Massalia, das heutige Marseille , und das Rhônetal als weiteren Ausgangspunkt bzw. Verkehrsweg für mediterrane Importe nach Mitteleuropa in den Fokus[8]. Dabei spielten die attische Keramik und die Weinamphoren eine wichtige Rolle. Auf der Abb. 2 wurden die wichtigsten Routen über die Alpen zusammengestellt[9]. Neben der Tessin-Route, für die es zwei mögliche Wege über das Rheintal bzw. in das Schweizer Mittelland gibt, konnte man noch die Etsch- und die Inntal-Route über Tirol und die sog. Hallstatt-Route über die Ostalpen als weitere wichtige Handelsrouten erschließen, die aber nie die gleiche Bedeutung wie die Tessin-Route besaßen.
5All das betraf hauptsächlich den Westhallstattkreis, aber nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckten France Staré, Stane Gabrovec und Renato Peroni auch im Osthallstattkreis und hier insbesondere im Südostalpenraum Importe aus Mittelitalien[10]. Auch in diesem Fall schielte man nach Etrurien, aber wenn man in Richtung Südostalpen reisen wollte, kam man nicht an der venetischen Este-Kultur und den Picenern, die in der heutigen Region Marche an der adriatischen Seite Mittelitaliens lebten, vorbei. Im Zuge der Studien zu den italischen Helmen konnte aufgezeigt werden, dass fast alle in Etrurien entwickelten Helmformen von den Picenern übernommen und in den Südostalpenraum weiter vermittelt wurden[11]. Im Picenum war eine wichtige eisenzeitliche Kulturgruppe entstanden, die ihre Nachbarn massiv beeinflusste. O.-H. Frey warf auch die Frage auf, ob das eine oder andere Importstück aus Mitteleuropa nicht etruskischer, sondern picenischer Herkunft gewesen sein könnte, ohne das abschließend auszudiskutieren[12].
Die Hallstattkulturen
6Bevor wir uns der Interaktion der Hallstatt-Kulturen mit Italien zuwenden, gilt es, die Hallstattkultur oder besser gesagt die Hallstattkulturen näher zu betrachten: Lange Zeit wurde in der Vorgeschichtsforschung der Begriff Hallstattkultur als eine kulturelle Einheit, die gleicher Grabbrauch, gleiches Formenspektrum etc. miteinander verbunden hätte, verstanden. Dieser keineswegs zutreffende Wunsch nach Vereinheitlichung, der auch politisch gewollt war, gipfelte in dem Titel der großen internationalen Ausstellung 1980 in Steyr, die unter dem Titel „Die Hallstattkultur – Frühform europäischer Einheit“ veranstaltet wurde[13]. Aber allein schon die Tatsache, dass die Hallstattkultur traditionell in einen Ost- und einen Westkreis unterteilt wurde, hätte stutzig machen müssen. Es gab auch durchaus Mahner, die aber nur wenig Gehör fanden. O.-H. Frey wies als einer der ersten darauf hin, dass die Hallstattkultur in viele Untergruppen zerfällt, und schlug vor, anstelle des Begriffs Hallstattkultur den Terminus Hallstattkulturen zu verwenden[14], der der eisenzeitlichen Wirklichkeit eher entsprochen haben dürfte.
7Die Zusammenlegung von Ost- und Westhallstattkreis zu einer Kultur ist darauf zurückzuführen, dass das Gräberfeld von Hallstatt in Oberösterreich, das östliche und westliche Elemente in großer Fülle enthielt, am Beginn der Vorgeschichtsforschung um 1850 entdeckt und zum eponymen Fundort erklärt wurde. Ansonsten hätte die Gelehrtenwelt mit großer Wahrscheinlichkeit zwei eigenständige Kulturen definiert und sie nicht unter dem gemeinsamen Begriff Hallstattkultur subsumiert. Heute wird immer deutlicher sichtbar, dass die Aufteilung in viele lokale Kulturgruppen geradezu ein Kennzeichen der „Hallstattkultur“ darstellt, die nie als Einheit, sondern nur als Summe vieler Kulturgruppen existierte.
8Es soll im Folgenden versucht werden, anhand von zwei Karten die Unterteilung der Hallstattkulturen zu skizzieren (Abb. 3. 4). Die erste stellt die Hallstattkulturen im 7. Jh. v. Chr. dar, während die zweite die Situation um 500 v. Chr. umreißen soll, um den dynamischen Entwicklungen dieses Kulturraumes gerecht zu werden.
9Die erste Karte (Abb. 3) zeigt, dass der Osthallstattkreis sich aus heutiger archäologischer Sicht als ein Gemenge von recht heterogenen Gruppen darstellt, die oft mehr trennt, als sie verbindet. Innerhalb dieses Kulturkreises, der Niederösterreich, das Burgenland, die Steiermark, Kärnten, Westungarn, einen Teil der Slowakei, die Osthälfte Kroatiens sowie den größten Teil Sloweniens umfasst, existierten mehrere Gruppen, die in Grabbrauch und Grabsitten ebenso wie im Keramikstil recht deutliche Unterschiede aufweisen[15]. In den meisten der mitunter schwammig definierten Kulturgruppen wurden zu Ehren der Toten sehr große Grabhügel aufgeschüttet. Eine dominante Rolle nahm die Sulmtal-Gruppe in der Steiermark einschließlich der slowenischen Südsteiermark und eines großen Teils Ostkroatiens ein, die sich durch besonders reiche Fürstengräber und große Grabhügelnekropolen auszeichnet[16]; sie stehen stets in Verbindung zu einer nahegelegenen Höhensiedlung. Namengebend ist die Sulmtal-Nekropole zwischen Goldes und Kleinklein am Fuß des Burgstallkogels, die zu den größten Grabhügelnekropolen Europas zählt. Verwandt mit der Sulmtal-Gruppe ist die südlich in Kroatien angrenzende Kaptol-Gruppe[17]. Enge Beziehungen bestanden auch zur südwestpannonischen Gruppe im südlichen Westungarn[18]. Das Gleiche gilt auch für die im nordöstlichen Transdanubien ansässige Gruppe[19]. Soweit erkennbar, scheint dort die Sitte der Waffenbeigabe zu fehlen. In Niederösterreich, dem Burgenland, im nordwestlichen Ungarn und der Slowakei etablierte sich die Kalenderberg-Kultur[20]: Hier finden sich zwar auch Grabhügel, darunter sogar der größte, der Großmugl in Niederösterreich, aber es fehlen oft die Höhensiedlungen. Die Beigabenausstattungen in den Tumuli setzen sich größtenteils aus keramischen Objekten zusammen. Die Grenze zwischen Ost- und Westkreis dürfte im Bereich Strudengau bzw. Wachau in Niederösterreich verlaufen sein.
10Die Südwestgrenze des Osthallstattkreises markieren die Frög-Gruppe in Kärnten[21] und die sehr gut erforschte unterkrainische Hallstattkultur bzw. die Dolenjska-Gruppe in Slowenien, die eine Sonderstellung innerhalb des Osthallstattkreises einnimmt[22]. Aus diesem Gebiet ist eine hohe Dichte großer befestigter Höhensiedlungen, wie z. B. in Stična , Magdalenska gora oder Novo mesto mit zugehörigen Tumuli-Nekropolen bekannt geworden. Die Tumuli wurden dabei nicht für eine Person, sondern für viele Bestattungen errichtet, weshalb sie als Sippengrabhügel angesprochen werden.
11Dem Westhallstattkreis werden Ostfrankreich, Südwestdeutschland, die Nordschweiz, Bayern, Salzburg, Oberösterreich, Böhmen und Mähren zugerechnet. Auch der Westhallstattkreis bildete keine Einheit. Der klassische Westhallstattkreis in Südwestdeutschland und im angrenzenden Frankreich muss in mindestens zwei Gruppen unterteilt werden. Eine Kernzone in Südwestdeutschland und im angrenzenden Elsass lässt sich von einer französischen Gruppe, die in der Stufe Ha C anhand von unterschiedlichem Grabbrauch sehr gut zu unterscheiden ist, abtrennen[23].
12Bayern und das angrenzende Salzburg und Oberösterreich können vom klassischen Westhallstattkreis abgehoben werden und bilden eine eigene Gruppe, die mitunter als „mittlerer“ Hallstattkreis angesprochen wurde und sich in eine nord- und eine südbayerische Gruppe unterteilen lässt[24]. Die häufigen Schwert- und Wagengräber belegen eine enge Bindung an den Westhallstattkreis.
13Verwandtschaft zu Bayern und Südwestdeutschland speziell im Bereich der Wagen- und Schwertbeigaben zeigen auch die Hallstattkulturen in der Tschechischen Republik. In Nordböhmen war im 8. und 7. Jh. v. Chr. die Bylaner Gruppe ansässig, die mit ihren zahlreichen Wagengräbern viele Parallelen zum süddeutschen Raum aufweist[25]. In Mittel- und Südböhmen breitete sich die mittel- und südböhmische Gruppe aus[26]. In Südostmähren bildete sich die Horákov-Gruppe heraus, während sich in Ostmähren und in Schlesien die Platenicer-Gruppe formierte[27], die eine enge Verbindung zur Lausitzer Kultur in Polen besaß, die nicht mehr zur Hallstattkultur zählt.
14Die in Süddeutschland und Böhmen markanten Anzeiger für elitäre Gräber, wie Wagen, Pferdegeschirr, Schwert etc., erreichen darüber hinaus sogar Belgien und die Niederlande, was anzeigt, dass diese in Süddeutschland und Böhmen entwickelten Statussymbole des sog. „Mindelheim-Horizontes“ eine beachtliche Strahlkraft besaßen und von anderen Kulturen übernommen wurden[28]. Die Ausgrabungen in dem Gräberfeld von Domasław im Bez. Wrocław in Polen deuten an, dass auch das an Böhmen angrenzende Südwestpolen sehr stark von der Hallstattkultur beeinflusst wurde, was vor allem die Elitegräber betrifft[29]. Gleichzeitig sind der Grabbrauch und die Keramik dieser Region noch sehr stark in der Lausitzer Kultur verwurzelt, was gegen eine Zuordnung zu den Hallstattkulturen spricht. Es scheint hier ein ähnliches Phänomen wie in den Niederlanden und Belgien vorzuliegen, dass der elitäre Grabbrauch der Stufe Ha C auch von benachbarten Kulturen übernommen wurde.
15Eine eigene Position zwischen dem Ost- und dem Westhallstattkreis sowie zwischen den eisenzeitlichen Kulturen Oberitaliens nehmen die inneralpinen Hallstattkulturen im mittleren Alpenbogen ein, denen aber bislang von Seiten der Forschung weit weniger Beachtung zuteilwurde. Ein Hauptkennzeichen ist das Festhalten an der aus der Urnenfelderzeit überlieferten Brand- bzw. Urnenbestattung. Außerdem lehnten sie die Errichtung großer Tumuli ab. Darin unterscheiden sich die inneralpinen Hallstattkulturen sehr deutlich von denen nördlich der Alpen. Die inneralpinen Hallstattkulturen stellen aber auch keine geschlossene Einheit dar, sondern lassen sich in mehrere Gruppen aufteilen[30]: Zur Salzach-Gruppe in Salzburg zählen die großen Gräberfelder von Bischofshofen und Uttendorf [31]; sie charakterisiert einerseits ein stark nordalpiner Einfluss bei der Keramik, und andererseits ein stark südostalpiner Einschlag beim Trachtschmuck. Die Inntal-Gruppe in Nordtirol weist während Ha C ebenfalls einen sehr starken Einfluss der Westhallstattkultur bei der Keramik auf, aber ihr fehlt die südostalpine Prägung in der Tracht[32]. Im Alpenrheintal findet sich die Taminser Gruppe, die bei der Keramik Einflüsse von Seiten der Westhallstattkultur sowie der Melauner Gruppe erkennen lässt; die Tracht wurde sehr stark von der Golasecca-Kultur in der Lombardei beeinflusst[33]. In Südtirol und dem Trentino südlich des Alpenhauptkammes breitete sich die Melaun-Gruppe aus, die sich durch ihre von der Laugener Kultur aus der Spätbronzezeit geprägte Keramik unterscheidet[34]. Nahestehend ist noch die Oberkrainer Hallstattkultur in den slowenischen Alpen, die einerseits eng mit der Sta. Lucia-Gruppe verbunden war und anderseits auch Eigenheiten mit den inneralpinen Hallstattkulturen aufweist[35].
16Diese Aufgliederung darf man aber nicht als ein statisches Modell verstehen, denn im Laufe der Hallstattzeit vom 8. bis zur Mitte des 5. Jhs. v. Chr. verändern sich diese Gruppen. Die zuerst gezeigte Karte (Abb. 3) spiegelt die Verteilung der Kulturgruppen während des 7. Jhs. v. Chr. wider; in der zweiten Karte soll versucht werden, die Verteilung der Kulturgruppen um 500 v. Chr. nachzuzeichnen (Abb. 4). Als erstes fällt auf, dass der Osthallstattkreis in Pannonien um die Mitte des 6. Jhs. v. Chr. kollabiert ist. Übrig blieben nur die Unterkrainische Gruppe in Slowenien[36] und die Frög-Gruppe in Kärnten[37]. Möglicherweise haben sich noch Reste der Sulmtal-Gruppe in den Ostalpen erhalten, wie aktuell zumindest diskutiert wird[38]. In Ungarn und der Slowakei tauchen skythisch beeinflusste Kulturgruppen, wie die Vekerzug-Kultur auf, die aber nicht zu den Hallstattkulturen zu rechnen sind[39].
17In der Westhallstattkultur entstanden ab dem späten 7. Jh. v. Chr. die Fürstensitze wie die Heuneburg , der Hohenasperg , der Münsterhügel in Breisach in Baden-Württemberg oder der Britzgyberg im Elsass sowie der Mont Lassois im Burgund, um nur einige zu nennen[40]. Hier finden sich nun sehr viel häufiger Importe aus dem Süden, als das zuvor der Fall war. Der Westhallstattkreis expandiert in Richtung Mittelgebirgsregion in Deutschland und Lothringen sowie der Champagne in Frankreich[41]. Bayern, insbesondere der Süden, rückte in die zweite Reihe. Der Fürstengräberkreis im Westen strahlte sehr stark aus, sodass die Fibel- und Ringschmuckausstattung aus dem südwestdeutschen Raum übernommen wurde. Neue Studien zeigen, dass der Einfluss des Fürstengräberkreises bis nach Böhmen hin bemerkbar ist[42]. Dort lösen sich die Unterschiede zwischen den einzelnen Kulturgruppen, die während Ha C existierten, während Ha D auf.
Die Kulturgruppen in Italien
18Bleibt noch, Ober- und Mittelitalien sowie das angrenzende Westslowenien kurz zu beleuchten: In Oberitalien breiteten sich die Este-Kultur in Venetien und die Golasecca-Kultur in der Lombardei, im Piemont und in der Südschweiz aus[43]. Ganz im Osten stößt man auf die Sta. Lucia-Gruppe bzw. Most na Soči-Gruppe in Westslowenien, die eine alpine Ausprägung der Este-Kultur ganz ähnlich den Alpentälern Venetiens darstellt[44]. Ganz im Westen gehört noch die Chiavari-Gruppe in Ligurien zu den oberitalischen Kulturgruppen[45]. Die Umgebung von Bologna und die Romagna sind schon seit dem 9. Jh. v. Chr. stark etruskisch geprägt, sodass man von der Nordvillanova-Kultur redet[46]. Hier anzuschließen gilt es noch die histrische Gruppe in Istrien , die ein weiteres Bindeglied zwischen Ober- und Mittelitalien und dem Südostalpenraum bildet[47].
19Während man bis nach Oberitalien Kulturbegriffe ohne ethnische Zuweisung benutzt, ändert sich das in Mittelitalien, was die Sache nicht einfacher macht. Mittelitalien wurde geprägt durch die Etrusker auf der tyrrhenischen und die Picener auf der adriatischen Seite und irgendwo dazwischen sitzen die Umbrer[48]. Im südlichen Etrurien und in Latium sind auch noch die Sabiner, die Falisker und die Latiner angesiedelt. In Kampanien gab es eine etruskische Besiedlung, die wie eine Enklave wirkt, so wie das auch in Bologna bzw. mit dem Fundort Fermo in den Marken der Fall ist.
20Auch in Italien kam es im Laufe der älteren Eisenzeit zu massiven Verschiebungen, was die Karte mit den Kulturgruppen um 500 v. Chr. (Abb. 4) demonstriert: Nachdem die von den Persern vertriebenen griechischen Phokäer sich während der zweiten Hälfte des 6. Jhs. zuerst in Alalia und später in Massalia niederließen, bedrohten sie die Seeherrschaft der Etrusker im Tyrrhenischen Meer[49]. Die Etrusker und die Griechen suchten nach neuen Seewegen und gründeten am Caput Adriae zwei neue Städte, Adria und Spina [50]. Über die Adria-Route konnten nun griechische Waren nach Etrurien verbracht werden. Hand in Hand dazu verlief die etruskische Kolonisation der Poebene. Man gründete in dieser Region neue Städte wie Mutina/Modena oder Bagnolo di S. Vito bei Mantua[51]. Damit rückten die Etrusker näher an die Westhallstattkulturen heran.
Die Produzenten der Importgüter in Italien
21Bevor man sich den Importfunden zuwendet, muss man zwei Kategorien von Importen unterscheiden. Da sind zum einen die Keimelia[52], großartige Prunkstücke mediterraner Herkunft, die die barbarischen Eliten im Norden bewunderten, und daneben Alltagsgegenstände wie z. B. Drago- oder Schlangenfibeln, die von den mitteleuropäischen Eisenzeitkulturen im Laufe der Hallstattzeit aus Italien übernommen wurden. Sie waren keine Einzelstücke, sondern erreichten in großer Zahl Mitteleuropa; sie wurden in den eigenen Trachtschmuck übernommen und es entstanden rasch einheimische Varianten. Dabei ist es stets interessant zu beobachten, welche Objekte man übernahm und welche man ablehnte.
22Dass die Etrusker einen großen Teil der Importfunde in Mitteleuropa beisteuerten, ist unbestritten[53]. Man kann das an vielen Beispielen demonstrieren: Besonders beeindruckend ist die Verbreitungskarte der Schnabelkannen (Abb. 5)[54]. In großer Zahl wurden etruskische Produkte nach Norden verbracht.
23Aber die Etrusker waren nicht die einzigen in Italien, die Güter in den Norden verhandelten. In den letzten Jahren rückt das Picenum in der heutigen Region Marche immer mehr in den Fokus[55]. Besonders eng war die Verbindung zwischen dem Picenum und dem Osthallstattkreis: Unter den Beigaben aus dem Hartnermichelkogel 1 von Kleinklein in der Steiermark wurden einige Fragmente eines konischen Helmes mit Rosshaarkamm entdeckt[56]. Helme dieser Art waren bis dahin aus der Steiermark unbekannt. Sie gehören zu einer Helmform, die um 700 v. Chr. im Bereich des Caput Adriae gebräuchlich war (Abb. 6). Sie belegen, dass Kleinklein schon in dieser Zeit Kontakte zum Mittelmeerraum unterhielt. Die „Tomba del Trono“ in Verucchio [57] weist dabei besonders viele Verbindungen mit dem in etwa zeitgleichen Hartnermichelkogel 1 auf (Abb. 7)[58]: Beide Krieger trugen nicht nur einen ähnlichen Helm, sondern führten ein sehr ähnliches Lappenbeil, wurden mit bronzenen Pferdetrensen beigesetzt und verfügten möglicherweise auch über einen ähnlichen Satz von Bronzegefäßen, der weiter unten noch besprochen werden soll.
24Während man die Helme unter die Keimelia zählen kann, gehören die Dreiknopffibeln zu den Alltagsgütern (Abb. 8)[59]. Im Fach ist man sich einig, dass diese Fibelform kurz vor 600 v. Chr. im Picenum entwickelt wurde, wo Tausende von ihnen entdeckt wurden. Es gibt dort Gräber, die über 100 solcher Fibeln enthielten[60]. Die Verbreitungskarte zeigt aber ebenso, dass die Dreiknopffibeln auch im Südostalpenraum sehr häufig vorkamen und dort von den einheimischen Kulturen übernommen wurden. Es wurden schnell eigene lokale Varianten entwickelt.
25Einzelne Importfunde aus dem Picenum erreichten auch die Region nördlich der Alpen. Der erst vor wenigen Jahren entdeckte Eisendolch mit Elfenbeingriff aus dem Grabhügelfeld von Kindling/Ilbling im Landkreis Eichstätt in Oberbayern liefert dafür ein beredtes Zeugnis (Abb. 9, 1)[61]. Er entstammt einem Grab, das in ein Zeitfenster zwischen 660 und 620 v. Chr. datiert werden kann. Die besten Gegenstücke finden sich in den reichen Bestattungen in Matelica (Abb. 9, 2), aber auch in Belmonte Piceno und in Numana im Picenum. Der Dolch von Kinding/Ilbling scheint damit ein Importstück von der adriatischen Seite Mittelitaliens zu sein. Er stellt außerdem eines der seltenen Militaria unter den Importfunden dar, denn ansonsten wurden hauptsächlich Bronzegefäße oder Trachtbestandteile nach Norden verhandelt.
26Dass während der älteren Eisenzeit tatsächlich auch Werkstätten aus dem „picenischen“ Raum Bronzegefäße in den transalpinen Gütertausch einspeisten, lässt sich auch am Beispiel der Situlen vom Typ Gladbach nachweisen, die H. Nortmann definierte (Abb. 10)[62]. Die wichtigsten Kennzeichen sind der aus einem Stück getriebene Gefäßkörper, der nach innen abgeknickte Rand und die Eisenattaschen mit einem eisernen Bügelhenkel, die aber oft verloren sind. Ihre Verbreitungskarte zeigt, dass es sich um eine picenische Gefäßform handelt[63]. In Etrurien tauchen sie nicht auf, allerdings wurden sie bis in die Niederlande und Frankreich verhandelt. Situlen vom Typ Gladbach stellen dabei eine der Importbronzegefäßformen dar, die nicht in etruskischen oder in griechischen Städten produziert wurden, sondern in den Marken.
27Die in der Lombardei ansässige Golasecca-Kultur spielte im transalpinen Handel über die Tessin-Route eine dominante Rolle und der Großteil der Importfunde aus den westhallstättischen Fürstengräbern dürfte über sie nach Norden vermittelt worden sein (Abb. 11)[64]. Nicht umsonst erscheinen vielfach in späthallstattzeitlichen Siedlungen wie Gräbern Trachtfunde und Keramikobjekte der Golasecca-Kultur, die die Anwesenheit der „Golasecchiani“ in der Region nördlich der Alpen belegen. Wenn man sich vor Augen hält, dass die „Golasecchiani“ wahrscheinlich einen dem Keltischen nahe verwandten Dialekt sprachen[65], boten sie sich als Mittler zwischen Nord und Süd geradezu an; sie übernahmen im 6. und 5. Jh. v. Chr. die Hauptrolle im transalpinen Handel für das südwestliche Mitteleuropa.
28Dass die „Golasecchiani“ selbst auch in größerem Stil Bronzegefäße für den Norden produzierten, zeigen die sog. rheinisch-tessinischen Situlen[66]. Sie entstanden in der Lombardei und im Tessin in der zweiten Hälfte des 6. Jhs. v. Chr. und wurden im 5. Jh. v. Chr. zu einem der häufigsten Importgefäße im Norden (Abb. 12). Qualitativ kamen sie nicht an etruskische Arbeiten heran, waren aber trotzdem vor allem im deutschen Mittelrheingebiet sehr beliebt.
29Aber auch andere oberitalische Kulturen partizipierten an diesem transalpinen Gütertausch: Eine Verbindung der Este-Kultur am Caput Adriae mit der Westhallstattkultur lässt sich am Beispiel der Kreuzattaschenkessel vom Typ C nachzeichnen[67]. Sie besitzen ein sehr weites Verbreitungsgebiet, das sich zwischen Frankreich im Westen, Ungarn im Osten, Serbien im Süden und den Niederlanden im Norden erstreckt (Abb. 13). Der Verbreitungsschwerpunkt liegt rund um das Caput Adriae, in Venetien, Istrien und dem Südostalpenraum. In Oberitalien ist bemerkenswert, dass die Kreuzattaschenkessel vom Typ C einerseits südlich des Po und andererseits auch im Westteil der Poebene bis auf eine Ausnahme nicht vorkommen. Die starke Konzentration im venetisch-istrisch-slowenischen Gebiet legt die Vermutung nahe, dass ein Großteil der Kreuzattaschenkessel dort hergestellt wurde. Eine Weitergabe über die Tessin-Route kann aufgrund der Verbreitungskarte kaum Wahrscheinlichkeit beanspruchen: Es ist vielmehr naheliegend, dass sie über die Hallstatt-Route über die Ostalpen oder über die Etschtal -Route über Alttirol nach Norden gelangten.
30Die erwähnte Hallstatt-Route führte vom östlichen Oberitalien über Slowenien und die Steiermark über den Hauptalpenkamm bis ins nordöstliche Alpenvorland in Oberösterreich, Salzburg und Bayern (Abb. 2)[68]. Kaum ein Fundobjekt beschreibt diese Route über die Ostalpen hinweg so klar und deutlich wie die henkellosen Bronzesitulen (Abb. 14). Wichtige Stationen waren Este , Most na Soči , Kleinklein, Strettweg und das eponyme Gräberfeld von Hallstatt, das mit 25 henkellosen Situlen die größte Konzentration aufweist. Es ist nicht auszuschließen, dass hier der Ursprung dieser Situlengruppe gelegen hat. Naheliegend ist eine enge Verbindung mit dem von Hallstatt ausgehenden Salzhandel. Über diesen Weg dürfte auch der italische Kammhelm aus Grab 49 der Linzer Grabung nach Hallstatt gelangt sein[69]. Diese Route scheint vor allem während der Stufe Ha C bis D1 eine wichtige Rolle gespielt zu haben, aber mit dem Kollaps der Osthallstattkultur verlor sie an Bedeutung.
31Auch im Bereich der Chiavari-Gruppe in Ligurien , der bislang wenig Beachtung in Bezug auf ihre Kulturkontakte zuteil wurde, finden sich Hinweise auf transalpine Verbindungen. In zwei Männergräbern des Gräberfeldes von Chiavari fanden sich stark beschädigte Sätze von sog. Krempenfaleren vom Typ Hallstatt[70]. Die meisten stammen aus dem eponymen Gräberfeld von Hallstatt[71]. Sie erscheinen meist in Sätzen von bis zu sechs verschieden großen Faleren. Sie datieren in ein recht schmales Zeitfenster zwischen 660 und 620 v. Chr.[72]. Ihr Zweck bleibt bis heute unbestimmt. Die Deutungen reichen von Pferdegeschirrzier über die Montage auf Schutzwaffen, wie Panzern oder Schilden, bis zu Schmuckscheiben, aber keine dieser Deutungen konnte bislang überzeugen. Die Befestigung der z. T. sehr großen Faleren mit einer einzigen Rückenöse ist nicht sehr stabil, sodass sie wohl kaum großen mechanischen Kräften ausgesetzt gewesen sein konnten, ohne dass der Knauf mit der Öse abbrach[73]. Bemerkenswert ist aber die Verbreitung der Krempenfaleren vom Typ Hallstatt (Abb. 15)[74]: Sie finden sich von Ligurien diagonal über die Alpen hinweg bis nach Ungarn und ein Exemplar kam in einem Depotfund in Wales zum Vorschein. Wo sie hergestellt wurden, weiß bislang aber niemand, in jedem Fall bezeugen sie einen Kulturaustausch diagonal über den gesamten Alpenbogen hinweg.
Die Empfänger der Importgüter im Norden
32Es soll mit dem Osthallstattkreis begonnen werden. Bis vor 20 Jahren stand die unterkrainische Hallstattkultur im Mittelpunkt des Interesses, wenn es um Importfunde ging[75], aber Studien zu Kleinklein und Strettweg mit ihren großen Grabhügelnekropolen rückten in den letzten Jahrzehnten die Sulmtal-Gruppe in der Steiermark immer mehr in den Fokus der Forschung[76]. Namengebend war die Sulmtal-Nekropole etwas südlich von Graz in der Steiermark[77]. In der Umgebung des Dorfes Kleinklein befindet sich eine der größten Grabhügelnekropolen Mitteleuropas (Abb. 16). Heute können mit Hilfe des LiDAR-Scans noch 559 Grabhügel sicher bestimmt werden[78]. 1883 wurden 1124 Tumuli gezählt, obwohl man sich schon damals beschwerte, dass die Bauern im Bereich der Ackerflächen viele Tumuli zerstört hatten[79]. Schätzungsweise umfasste die Sulmtal-Nekropole einst an die 2000 Tumuli. Bemerkenswert ist die Separatnekropole der obersten Eliten in dem Dorf Kleinklein, wo in vier Tumuli, den beiden Hartnermichel-, dem Pommer- und dem Kröllkogel, die reichsten Grabfunde des gesamten Osthallstattkreises zutage traten. Die zugehörige Höhensiedlung befand sich auf dem Burgstallkogel , hellgrün in die Karte eingetragen, über die man abgesehen von der Zeitstellung nicht viel weiß[80].
33In den Großgrabhügeln findet sich meist eine rechteckige Steingrabkammer mit einer Art Dromos (Abb. 17)[81]. Die Steingrabkammer umgab eine hölzerne Kammer, in der die verbrannten Überreste der Verstorbenen beigesetzt wurden. In den Kammern fanden sich meist die Überreste von mehreren Toten sowie von Pferden[82] – ein Hinweis darauf, dass im Bereich der Sulmtal-Gruppe die Eliten nicht allein ins Jenseits gingen und dass es recht grausame Grabbräuche gab.
34Bemerkenswert ist es, dass die Siedlung am Burgstallkogel schon in der Stufe Ha B und damit wahrschlich im 10.–9. Jh. v. Chr. gegründet wurde, aber die reichen Prunkgräber erst im späten 8. Jh. v. Chr. auftreten, was an die Entwicklung in Etrurien erinnert. Im etruskischen Mittelitalien wurden im 10. und 9. Jh. v. Chr. große Höhensiedlungen gegründet[83], aus denen oft etruskische Stadtstaaten hervorgingen. In dieser Frühphase sind keine großen Unterschiede im Grabbrauch zu erkennen. Aber kaum waren im 8. Jh. v. Chr. die ersten Importe erschienen, die Phönizier und Griechen nach Italien verbracht hatten, setzte ein regelrechter Wettlauf um immer noch prunkvoller ausgestattete Gräber ein, der schließlich im letzten Viertel des 8. Jhs. v. Chr. in den Fürstengräbern der orientalisierenden Epoche gipfelte[84].
35Eine ganz ähnliche Dynamik findet sich auch in Kleinklein wieder. Eingangs wurde bereits auf den konischen Bronzehelm mit Lophos hingewiesen, der belegt, dass die Kontakte zwischen dem Osthallstattkreis und Italien um 700 v. Chr. einsetzten (Abb. 6)[85].
36Sechs bis neun bronzene Zisten mit Deckeln und eine große Situla bilden den Kern der Bronzegefäßservices im Kröll- sowie im benachbarten Pommerkogel von Kleinklein[86]. Auch aus dem nur sehr marginal überlieferten Hartnermichelkogel 1 liegen Hinweise vor, die andeuten, dass auch das Gründergrab der Kleinkleiner Separatnekropole eine Situla und mehrere Zisten enthielt[87]. Die Verbreitungskarte (Abb. 18) demonstriert, dass die Kombination mit großer Situla zwar im Osthallstatt- und einmal sogar im Westhallstattkreis vorkommt, aber sie stellt keine originär hallstättische „Erfindung“ dar, denn Funde von Verucchio in der Emilia Romagna sowie aus dem Picenum legen die Vermutung nahe, dass an der adriatischen Seite Mittelitaliens der Ursprung dieses Trinkgeschirrsatzes zu suchen sein dürfte[88]. Den ältesten Beleg lieferte die „Tomba del Trono“ in Verucchio, die in die beiden letzten Jahrzehnte des 8. Jhs. v. Chr. datiert[89], und den jüngsten die „Tomba della Regina“ von Numana-Sirolo, die um 520 v. Chr. angelegt worden sein dürfte[90]. Bemerkenswert erscheint, dass dieser eigentümliche Geschirrsatz auch in dem frühen Fürstengrab von Kappel am Rhein begegnet[91], was andeutet, dass ein solcher, ursprünglich picenischer Geschirrsatz im Südostalpenraum übernommen wurde und von dort bis an den Rhein gelangte. Hier wird die enge Verbundenheit und Mobilität der hallstattzeitlichen Kulturen und vor allem ihrer Eliten sichtbar. Mit einem solchen Geschirrsatz war sicher auch ein ganz bestimmter Ablauf des Festgeschehens verbunden: In der großen Situla wurde ein sehr wahrscheinlich berauschendes Getränk angemischt; was man mit den vielen Zisten machte, wissen wir nicht genau, aber es ist zu vermuten, dass der Festablauf mit dem Trinkgeschirrsatz weitergegeben wurde.
37Es erscheinen im Osthallstattkreis aber nicht nur picenische Importe, denn im Hügel 1 von Strettweg konnte ein großer Lebes aus Bronze entdeckt werden (Abb. 19)[92], bei dem es sich entweder um ein etruskisches oder ein griechisches Produkt handelt[93]. Die Verbreitungskarte lässt beide Möglichkeiten offen (Abb. 20).
38In die Richtung Etrurien weisen auch die im Bereich der Hallstattkultur einzigartige Bronzemaske und die Bronzehände aus dem Kröllkogel in Kleinklein (Abb. 21, 1)[94]. Es sei vorausgeschickt, dass es sich nicht um eine Totenmaske gehandelt hat, die auf dem Gesicht des Toten gelegen hat, was bei einer Verbrennung des Toten auch wenig Sinn hätte. Dagegen sprechen nicht nur die zu geringe Größe von 17,3 cm, sondern auch die Bronzenägel, die weit ins Innere ragen. Bei der Auffindung war im Inneren noch Holz vorhanden, auf das die Maske genagelt worden war. Die Darstellung der Fingernägel belegt, dass auf beiden wahrscheinlich der Handrücken wiedergegeben wurde. Die Punzbuckelzier deutet an, dass Maske wie Hände lokal angefertigte Fundobjekte darstellen.
39Gute Vergleiche für die Hände wie für die Maske findet man erst im weit entfernten Etrurien[95]. Bronzemasken wurden im 7. Jh. v. Chr. in der Etruskerstadt Chiusi angefertigt; sie wurden auf Tonurnen befestigt und stellten den Toten dar. Die Bronzehände finden zwar auf den Chiusiner Aschenurnen keine Parallelen, dafür finden sich rund um die Etruskerstadt Vulci mehrfach Bronzehände, zumeist in Zusammenhang mit sog. Büsten[96]. Es handelt sich dabei um etwas unförmige Gebilde, die Schultern, Hals und Kopf in sehr einfacher Form wiedergeben. Dazu gehören auch zwei Bronzehände. Noch im Laufe des 7. Jhs. v. Chr. entstanden deutlich raffiniertere Werke. Die moderne Etruskologie geht davon aus, dass die Büste die Keimzelle der später so hoch entwickelten etruskischen Porträtplastik bildete.
40Wenn man nach Kleinklein zurückkehrt, so gibt es dort noch ein weiteres Argument, das für die Existenz von Büsten in der hallstattzeitlichen Steiermark spricht. Auf der Bronzeziste XIII erscheint die Darstellung eigenartiger Wesen ohne Unterleib (Abb. 21, 2)[97], die in der Literatur als Adorantinnen oder Wickelkinder angesprochen wurden. Es spricht Vieles dafür, dass sie solche Büsten nach etruskischem Vorbild darstellen, die aber lokal im Südostalpenraum hergestellt wurden. Sie dürften den Verstorbenen bzw. seine Vorfahren zeigen; man beabsichtigte damit, trotz Leichenverbrennung ein Abbild des Toten zu bewahren.
41Situlen, Zisten und Bronzedeckel aus Kleinklein schmücken in hoher Dichte geometrische Muster und figurale Szenen, die sowohl in der traditionellen Punzbuckel- wie in Relieftechnik ausgeführt wurden (Abb. 21, 2 u. 22, 1)[98]. Figurale Kunst war in Kleinklein ein Medium der obersten Elite, denn nur in den reichsten Fürstengräbern finden sich solche Bilder. Aus Platzgründen kann hier nur ein ganz kurzer Einblick gegeben werden: Neben rein geometrischen Zier- und den Tierfriesen gibt es auf den Gefäßen Festszenen, die auch sportliche und musische Wettkämpfe beinhalten, sowie Krieger-, Reiter- und Jagdszenen. Es fällt dabei auf, dass in den Bildern die gleichen Themen angesprochen werden, wie das auch die Beigabenausstattung tut: Der Tote wurde durch Beigaben als Krieger, Jäger, Reiter und als Festveranstalter dargestellt.
42Darstellungen von sportlichen und musischen Wettkämpfen machen deutlich, dass die figurale Kunst aus dem Mittelmeerraum übernommen wurde[99]. Etwa zur gleichen Zeit erscheint auch die Situlenkunst, die erheblich detailfreudiger und realistischer war als die Kleinkleiner Punktmännchen (Abb. 22, 1). Auch dort zählt der Agon zu den beliebten Sujets, was die Zeichnung eines Faustkampfes auf einem Bronzegefäß aus Matrei am Brenner in Tirol zeigt (Abb. 22, 2)[100]. Interessant ist die Verbreitung der Situlenkunst in Oberitalien, im Südostalpenraum und in Alttirol (Abb. 23). In den einzelnen Regionen entstehen eigene Stile der Situlenkunst. Die Karte verdeutlicht, dass man im Ostalpenraum schon in der 2. Hälfte des 7. Jhs. v. Chr. bereit war, die neue figurale Kunst mit ihrem narrativen Inhalt zu übernehmen und in die eigene Kultur zu integrieren[101]. Die Karte demonstriert gleichzeitig auch, dass man im Westhallstattkreis nördlich der Alpen zu diesem Zeitpunkt solche figuralen Bildwerke mit narrativem Inhalt ablehnte.
43Damit kommen wir schon zu den inneralpinen Hallstattgruppen, die auch die Situlenkunst übernommen hatten. Es soll hier die Aufmerksamkeit auf das nur wenige Kilometer östlich von Kufstein im Inntal bei Wörgl gelegene eisenzeitliche Urnengräberfeld von „Egerndorfer Wald bzw. Feld“ gelenkt werden (Abb. 24)[102]. Es wurde bereits 1838 beim Schotterabbau entdeckt; erste Grabungen fanden in den 1840er- und 1930er-Jahren statt. Wegen angedrohter und real stattgefundener Baumaßnahmen wurden zwischen 1982 und 2004 unter der Leitung des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum in Innsbruck zwölf Grabungskampagnen durchgeführt, im Zuge derer ca. 600 Brandgräber geborgen wurden[103]. Bislang sieht es so aus, dass das Gräberfeld in Ha C1a einsetzt und bis nach Lt A durchläuft. Es handelt sich durchwegs um Urnengräber mit einem sehr einheitlichen Grabritus. Nur im Bereich der Metallbeigaben lassen sich Unterschiede im sozialen Status erkennen. Auffällig sind die relativ vielen Importfunde, die aus allen Himmelsrichtungen, darunter auch aus Italien, Wörgl erreichten.
44Bemerkenswert an diesem inneralpinen Gräberfeld, das nur ca. 20 km südlich des Westhallstattkreises liegt, ist die Tatsache, dass dort schon kurz vor 700 v. Chr. die sicher aus Oberitalien übernommene Fibeltracht mit Bogen-, Raupen- und Brillenfibeln allgemein unter Frauen verbreitet war. In den Ha C1-zeitlichen Gräbern 10 und 15 fanden sich Bogen- und Raupenfibeln (Abb. 25). Im nahegelegenen Oberbayern lehnte man im 8. und 7. Jh. v. Chr. solche südlichen Neuerungen ab. Erst kurz vor 600 v. Chr. war man bereit, die Fibeltracht zu übernehmen. Man sieht hier erneut, dass die Kulturgruppen in den Ostalpen schon viel früher auf südliche Impulse reagierten und den Bewohnern des nördlichen Alpenvorlandes um rund 100 Jahre voraus waren.
45In Grab 81 von Wörgl wurde neben der Urne eine reich ausgestattete Frauentracht entdeckt. Ein besonderes Objekt stellt die sekundär gekürzte Gürtelplatte dar, auf die A. Naso bereits hingewiesen hat (Abb. 26, 1)[104]. Sie zählt zu den italischen Gürtelplatten, cinturone a losanga oder tipo Villanoviano genannt. Sie stammen alle aus Mittelitalien und datieren vorwiegend ins 8. Jh. v. Chr.[105]. Es spricht damit alles dafür, dass der Cinturone aus Grab 81 von Wörgl im 8. Jh. sehr wahrscheinlich in Mittelitalien hergestellt wurde. Grab 81 von Wörgl ist jedoch deutlich jünger als die Gürtelplatte: Das Tonnenarmband und die Halbmondfibeln vom Typ Hallstatt datieren dieses Grab in die Stufe Ha D1 und damit ins ausgehende 7. und beginnende 6. Jh. v. Chr. Die Gürtelplatte durchlief offensichtlich eine lange Gebrauchszeit von über 100 Jahren. Mit dem beginnenden 7. Jh. v. Chr. kamen die Gürtelplatten in Mittelitalien aus der Mode und spätestens um diese Zeit dürfte die Gürtelplatte aus Grab 81 in Richtung Norden nach Tirol verbracht worden sein. Ob das in einem Zug oder über mehrere Stationen in Oberitalien ablief, bleibt dahingestellt. Auf diesem Weg wurde die Gürtelplatte, die bei ihrer Herstellung fast die halbe Taille einer Frau umspannte, um fast zwei Drittel verkürzt. Ob dies wegen einer Beschädigung geschah oder ob man bewusst eine kleinere Gürtelplatte haben wollte, kann nicht entschieden werden. In jedem Fall wollte man das exotische Stück so lange wie möglich behalten.
46Schlussendlich regten solche italischen Gürtelplatten eine eigenständige Produktion in den Alpen an: Sowohl in Tirol wie auch im Tessin entstanden mit fast einhundertjähriger Verspätung lokal gefertigte Gürtelplatten, die sich in ihrer Form wie in ihrem Dekor von den mittelitalischen Vorbildern vom Typ Villanova ableiten lassen[106]. Beste Beispiele lieferte der Depotfund von Fließ (Abb. 26, 2)[107], aber auch aus dem Gräberfeld von Wörgl liegen zwei derartige ovale Gürtelplatten vor.
47Im Westhallstattkreis soll mit den Zimelien begonnen werden. Es lassen sich grob zwei Zeitscheiben herausarbeiten. Die ältere umfasst die Stufe Ha C1b bis Ha D1, was in absoluten Zahlen der Zeit zwischen 720 und 550 v. Chr. entspricht. Die jüngere umfasst die Zeit zwischen 550 und 450 v. Chr. Wir beginnen mit dem älteren Zeitabschnitt: Im westhallstattlichen Mitteleuropa reagierte man schon sehr früh, praktisch in der Formationsphase der etruskischen Zivilisation, auf dieses Geschehen und war an südlichen Importen interessiert. Den besten Beleg dafür liefert das Schwertgrab von Frankfurt/Main-Stadtwald, das um 700 v. Chr. datiert. Neben einem bronzenen Mindelheim-Schwert und einem böhmischen Holzjoch mit zwei Pferdetrensen enthielt das Grab einen Satz von vier Bronzegefäßen, die sehr wahrscheinlich alle italischer Herkunft sind (Abb. 27. 28. 29)[108]. Die Rippenschale aus Frankfurt liefert das überzeugendste Beispiel (Abb. 27). Die Verbreitungskarte belegt, dass es sich um ein Importstück aus Etrurien handelt, und sie dürfte über die Lombardei und das Tessin nach Mitteleuropa transportiert worden sein (Abb. 30)[109]. Aus dem gleichen Hügelgrab von Frankfurt liegt auch noch eine Situla mit ankerförmigen Attaschen vor (Abb. 29)[110], die auch mittelitalischen Ursprungs ist. Das markante Kennzeichen sind die ankerförmigen Attaschen. R. de Marinis erstellte eine Verbreitungskarte dieses Situlentyps, der sich bis nach Mittelitalien verfolgen lässt[111], wobei offen bleibt, ob diese Situla in Etrurien oder im Picenum hergestellt wurde (Abb. 31).
48Weitere etwas jüngere Beispiele für Importe aus der älteren Zeitscheibe sind die Pyxis von Appenwihr im Elsass (Abb. 32, 1)[112] oder die rhodische Kanne von Vilsingen in Baden-Württemberg (Abb. 32, 2)[113]. Diese Beispiele aus der älteren Zeitscheibe zeigen, dass sie ausnahmslos alle aus Italien stammen; griechische Importe erreichten vor der Mitte des 6. Jhs. v. Chr. das westliche Mitteleuropa noch nicht. Insgesamt handelt es sich in Anbetracht der langen Zeitspanne von über 150 Jahren nicht um sehr viele Importstücke.
49Das änderte sich schlagartig in der zweiten Zeitscheibe, die die Zeit von 550 bis 450 v. Chr. umspannt. In dieser Zeit erschienen die mit Goldschmuck ausgestatteten Fürstengräber im Westhallstattkreis und parallel dazu nahmen die Importe aus dem Süden massiv zu[114]. Nun erreichten neben etruskisch-italischen Produkten auch griechische Importe das westliche Mitteleuropa, wobei immer offenbleibt, ob diese über Italien und die Alpen oder über Massalia und die Rhône nach Norden gelangten.
50Eines der besten Beispiele liefert das Fürstengrab von Hochdorf in Baden-Württemberg. Der große Kessel mit den Löwenstatuetten auf der Schulter gilt als griechische Arbeit[115]. Im Grab von Grafenbühl bei Asperg in Württemberg fanden sich trotz antiker Beraubung noch Überreste eines griechischen Dreifußes und einer griechischen Kline mit Bernstein- und Elfenbeinzier[116]. Entdeckt wurden auch zwei kleine wahrscheinlich griechische Elfenbeinsphingen mit Bernsteineinlage (Abb. 33)[117]. Diese erhielten bei einer Nachgrabung im letzten Jahr in Belmonte Piceno eine erste wirkliche Parallele. Auf dem Deckel dieses wundervollen Elfenbeinkästchens, das Joachim Weidig kürzlich veröffentlicht hat, finden sich vier Sphingen mit Bernsteineinlagen, die allerdings noch viel kunstvoller gestaltet waren als die Sphingen vom Grafenbühl (Abb. 34)[118]. Dieses Kästchen deutet an, dass solche Importe nicht zwangsläufig über Etrurien oder über Massalia nach Norden verhandelt wurden, sondern es besteht auch die Möglichkeit, dass das über das Picenum ablief, was O.-H. Frey schon vor vielen Jahren vermutete[119].
51Ein weiteres Beispiel ist das Grab der Prinzessin von Vix im Burgund[120]. Griechisch ist der einzigartige Krater[121], aber in dem Grab fanden sich auch eine etruskische Schnabelkanne und mehrere Bronzebecken, die sehr wahrscheinlich über Italien und die Alpen das Burgund erreichten[122].
52Den Streckenrekord unter den Importgütern der Westhallstattkultur hält die achämenidische Glasschale aus dem späthallstattzeitlichen Hügel 1 von Ihringen-Nachtwaid , Breisach-Hochschwarzwaldkr. in Baden (Abb. 35)[123], die ca. 3500 km entfernt von ihrem Produktionsort im Iran in einem hallstattzeitlichen Tumulus deponiert wurde. Ursprünglich gehörte sie zu Luxusgütern, die für den achämenidischen Königshof in Persepolis oder Pasargadae hergestellt wurden, um von dort nach Kleinasien und über die Griechen und/oder die Etrusker ins Oberrheintal zu gelangen[124].
53In dem ganzen Austauschprozess zwischen Italien und dem Westhallstattkreis scheint ab etwa 600 v. Chr. der Fürstensitz auf der Heuneburg an der oberen Donau eine ganz besondere Rolle gespielt zu haben (Abb. 36)[125]. Zwar konnten in fast allen Fürstensitzen Importfunde nachwiesen werden, aber nur auf der Heuneburg gibt es Hinweise auf die Anwesenheit mediterraner Handwerker. Das begann mit der Entdeckung der Lehmziegelmauer im Jahre 1950[126]. Hinzu kommen die Bastionen – ein in Mitteleuropa gänzlich unbekanntes Architekturdetail[127]. Die nächste Parallele zu den Maßen der luftgetrockneten Lehmziegel der Heuneburg fanden sich in der Etruskerstadt Roselle [128]: Die ältere Stadtmauer aus der zweiten Hälfte des 7. Jhs. v. Chr. wurde aus luftgetrockneten Lehmziegeln mit fast gleichen Abmessungen von 50×40 cm und einer Stärke von 7,0–8,5 cm errichtet. Dabei wurde schon früh der Verdacht geäußert, dass italisch-etruskische Handwerker auf der Heuneburg tätig waren.
54Dieser Eindruck verdichtete sich, als die Gussform eines bärtigen Mannes mit Voluten und Palmette auf der Heuneburg entdeckt wurde (Abb. 37, 1)[129], woraus folgt, dass ein zweifelsfrei mediterranes Bronzeobjekt auf der Heuneburg gegossen wurde. Die Ausgrabung des Bettelbühl-Tumulus förderte in den letzten Jahren einen ungewöhnlichen Goldschmuck mit Filigrandrahtauflage zutage – eine Technik, die im 6. Jh. v. Chr. in Mitteleuropa unbekannt war (Abb. 37, 2)[130]. Die besten Vergleiche zu diesen aufgelöteten wellenförmigen Drähten führen nach Mittelitalien; ohne Inspiration aus diesem Raum wäre eine Herstellung solcher Schmuckstücke in Baden-Württemberg undenkbar. Auch hier steht der Verdacht auf italisch-etruskische Handwerker auf der Heuneburg im Raum. Insgesamt drei Belege erhöhen die Wahrscheinlichkeit eines solchen Austausches auch von Handwerkern.
55Aus der „kleinen“ Heuneburg der 1950er-Jahre wurde im Zuge der Forschungsprojekte der drei letzten Jahrzehnte die große Heuneburg (Abb. 36)[131]. Neben der eigentlichen Burg, auf die sich anfangs alle Forschungen konzentrierten, existierte eine ebenfalls befestigte Vorburg; dazu kam die Außensiedlung mit vielen Gehöften. Zurzeit wird erforscht, inwieweit Siedlungen in der unmittelbaren Umgebung auch zum Siedlungskomplex Heuneburg gehörten, sodass einige Kollegen von einer urbanen Siedlung ausgehen[132].
56Der Kontakt mit Italien spiegelt sich aber nicht nur in den Keimelia, sondern auch in den einfacheren Dingen des Lebens, wie den Bronzefibeln, wider. Die Verbreitungskarte der Schlangenfibeln demonstriert, dass neben den Keimelia in der Westhallstattkultur auch die Fibeltracht aus Oberitalien am Beginn der Stufe Ha D, d. h. kurz vor 600 v. Chr. erfolgte (Abb. 38)[133]. Dieser Transfer betraf nicht nur nicht nur die Eliten, sondern einen großen Teil der Bevölkerung. Die Menschen fixierten und zierten ab dieser Zeit ihre Kleider wie in Italien mit Bogen-, Schlangen- und Kahnfibeln. Ab 550 v. Chr. werden in Mitteleuropa eigene Fibeltypen wie die Pauken- oder die Fußzierfibel entwickelt.
57In enger Verbindung mit dieser Intensivierung der transalpinen Austauschprozesse im 6. und 5. Jh. v. Chr. steht die eingangs schon erwähnte etruskische Kolonisation der Po-Ebene in der zweiten Hälfte des 6. Jhs. v. Chr. Sie mag eine wichtige Antriebskraft für die Intensivierung der Handelskontakte im Norden gewesen sein[134]. Auch die Konkurrenz mit Massalia um die Vormacht im Tyrrhenischen Meer mag zu dieser Verlagerung beigetragen haben. Über die Golasecca-Kultur und die Tessin-Route gelangte nun eine recht beachtliche Anzahl von Importen aus Etrurien nach Norden (Abb. 11)[135]. Die Genese mächtiger Eliten, die über die nötigen wirtschaftlichen und militärischen Mittel verfügten, um so einen Gütertausch zu organisieren, mag ebenfalls zu dieser Intensivierung beigetragen haben. Daneben erreichten nun auch über die Rhône-Saône-Route Importe aus der griechischen Kolonie Massalia in Südfrankreich Mitteleuropa (Abb. 2). Auch die Griechen intensivierten in der zweiten Hälfte des 6. Jhs. v. Chr. ihre Handelsunternehmungen ins europäische Festland hinein[136]. Dabei ist es in vielen Fällen unmöglich zu entscheiden, ob ein griechisches Produkt über die Rhône oder über Italien und das Tessin nach Mitteleuropa gelangte.
58Eine Überquerung der Alpen in der Eisenzeit war ein schwieriges und wohl auch risikoreiches Unterfangen. Es war nur im Sommer und im frühen Herbst möglich. Es gab noch keine Straßen, sondern nur Saumpfade, die über die hohen Alpenpässe führten. Enge Saumpfade gestatten nur einen Transport mit Tragtieren. Eine Situla aus Novo mesto in Slowenien zeigt so ein Tragtier, auf dessen Rücken Güter befestigt wurden (Abb. 39)[137]. Aus Sicherheitsgründen war man sicher gezwungen, in größeren Gruppen zu reisen. Dazu benötigte man Tragtiere und Menschen, die man mit Futter und Lebensmitteln versorgen musste, denn die kargen Alpentäler waren nicht besonders reich an diesen Gütern. Es war daher sicher notwendig, sich mit den Alpenbewohnern zu arrangieren, um eine Alpenüberquerung in die Tat umzusetzen. Die Schweizer Archäologin Biliana Schmid-Sikimić hat den Versuch unternommen, anhand eisenzeitlicher Trachtausstattungen im Alpenrheintal aufzuzeigen, dass die Händler der Golasecca-Kultur ihre Töchter mit Anführern aus den Alpentälern verheirateten, um so sichere Stützpunkte für ihre Alpenüberquerungen zu gewinnen[138].
Gegengaben aus Mitteleuropa
59Offen bleibt, welche Gegengabe die südlichen Partner einforderten, denn es ist wenig wahrscheinlich, dass diese Keimelia nur als reine Gastgeschenke den Raum nördlich der Alpen erreichten, ohne dass sich dahinter eine Art „Zollabgabe“ verbarg. Aus dem Osthallstattkreis gibt es nur einen sicheren Beleg für den Export von Objekten nach Italien, und das ist das bronzene Lappenbeil aus der „Tomba del trono“ in Verucchio, was eine Verbreitungskarte verdeutlicht (Abb. 40)[139]. Auch die Bernsteinstraße wird gerne mit den Interaktionen zwischen den Marken und dem Südostalpenraum in Verbindung gebracht. Sie führte um die Ostalpen herum und endete am Caput Adriae. Die großen Massen an Bernsteinschmuck in Etrurien wie im Picenum belegen, dass es ein wichtiges Handelsgut war[140], aber der präzise Verlauf der Bernsteinstraße und die Rolle, die die südostalpinen Gruppen dabei spielten, ist schwer zu greifen.
60Es stellt sich die Frage, ob nicht auch andere Bodenschätze aus den Ostalpen nach Süden verhandelt wurden. Dass das Steinsalz aus Hallstatt und Hallein eine wichtige Rolle spielte, ist unbestritten[141], aber welchen Umfang dieser Gütertausch besaß, kann bei dem leicht löslichen Salz nur schwer bestimmt werden. Eine von T. Stöllner erstellte Karte zeigt die mutmaßlichen Salzrouten (Abb. 41), die von Hallstatt und Hallein in alle vier Himmelsrichtungen wegführten. Im Mittelmeergebiet steht allerdings Meersalz zur Verfügung, das viel leichter zu gewinnen war als das im Bergbau gewonnene Steinsalz aus den Alpen.
61Bleibt noch zu erwägen, ob nicht auch Kupfer, das in den Ostalpen in beachtlichen Mengen vorkommt, ein wichtiges Handelsgut war. Bis vor zehn Jahren war es Lehrmeinung, dass alle bekannten prähistorischen Abbaustellen in den Ostalpen in die Bronzezeit zu datieren sind. Untersuchungen der Universität Innsbruck in den letzten zwei Jahrzehnten ergaben jedoch, dass im Bergbaurevier Schwaz-Brixlegg auch in der älteren Eisenzeit noch Kupfer in erheblichem Ausmaße abgebaut wurde (Abb. 42)[142]. Das erwähnte Gräberfeld von Wörgl liegt dabei nur ca. 20 km Luftlinie von Brixlegg entfernt. Um festzustellen, ob das Kupfer auch nach Italien verhandelt wurde, wäre es notwendig, große Serien von Bronzeobjekten einer Bleiisotopenanalyse zu unterziehen, was bislang nur in sehr geringem Umfang geschah; es wäre eine lohnende Aufgabe für die Zukunft.
62Im Westhallstattkreis sieht es mit mitteleuropäischen Exporten in Richtung Italien auch nicht viel besser aus: Alles, was man sicher bestimmen kann, ist eine größere Anzahl eindeutig westhallstättischer Fibeln, die in Oberitalien und im Picenum zutage getreten sind (Abb. 43)[143].
63Die Gründung neuer Städte in der Po-Ebene erforderte Arbeitskräfte und es ist gut vorstellbar, dass Sklaven die Gegengabe des Nordens waren[144]. Sie lassen sich leicht über die Alpen transportieren, während die Berge eine kaum überwindbare Barriere für zur Flucht bereite Sklaven in Italien waren. Auch wenn man den Sklavenhandel mit archäologischen Mitteln nicht sicher belegen kann, dürfte einer solchen Deutung mehr Wahrscheinlichkeit zukommen als dem bislang vorgeschlagenen Gütertausch mit Pelzen oder mit schwer transportierbaren Rohstoffen wie Eisen.
64Den einzigen – wenn auch nur vagen – Hinweis auf Sklaverei in der Hallstattzeit liefern die figürlichen Darstellungen der Situlenkunst (Abb. 44): In der untersten Zierzone auf der sog. Situla Benvenuti aus Este in Venetien werden drei nackte Gefangene von Kriegern abgeführt (Abb. 44, 1)[145]. Allen dreien wurden die Händen gebunden und zweien wurde ein rundes, schildartiges Gebilde um den Hals gehängt. Im Gegensatz zu den üblicherweise kahlköpfig dargestellten Menschen in der Situlenkunst tragen die Gefangenen eine Haartracht, die aus kleinen Buckelchen gebildet ist. Wollte man so die Fremdheit dieser Menschen darstellen? Ein weiterer nackter Gefangener erscheint auf der erst kürzlich entdeckten Situla von Montebelluna in Venetien (Abb. 44, 2)[146]: Er wurde an einem Wagen angebunden und zu einem Situlenfest verbracht. Die Bilddokumente belegen immerhin, dass man im Krieg Gefangene erbeutete und sie nackt und damit demütigend abführte. Ob die Sieger sie töten bzw. opfern wollten[147], ob man von ihren Verwandten Lösegeld erpressen wollte oder ob die Gefangenen tatsächlich einem Sklavenschicksal entgegen schauten, lässt sich den Bildern nicht mehr entlocken.
Zusammenfassung
65Als Fazit kann man festhalten, dass die Hallstattkulturen nördlich und östlich der Alpen sehr eng mit den Kulturen Ober- und Mittelitaliens verwoben oder – wie man heute gerne sagt – vernetzt waren. Dabei speisten nicht nur die Etrusker ihre Erzeugnisse in diesen Gütertausch ein, sondern auch Produkte der Kulturen Oberitaliens und der Marken wurden bis nach Mitteleuropa verhandelt. Es fällt auf, dass in der Region nordwestlich der Alpen vor allem Trachtbestandteile und Metallgefäße übernommen wurden. Bei Letzteren dürfte die Übernahme in Zusammenhang mit berauschenden mediterranen Getränken, wie dem Wein[148], stehen. Die Übernahme von Waffen spielte nur im Osthallstattkreis eine Rolle. Es ging auch dort nicht nur um die Prunkstücke, die über die Alpen hinweg transportiert wurden, sondern auch einfache Objekte wie Fibeln wurden weitergegeben, die einen sehr viel nachhaltigeren „impact“ in Mitteleuropa hinterließen. Frühe Fibeln und die Übernahme figuraler Kunstwerke auf Metallgefäßen in den Ostalpen und in Slowenien zeigen, dass man dort früher bereit war, südliche Impulse in die eigene Kultur zu integrieren, als das in der Region nördlich der Alpen der Fall war. Dort stand man im 8. und 7. Jh. v. Chr. solchen Neuerung noch skeptisch gegenüber; erst knapp vor 600 v. Chr. übernahm man die Fibeltracht nach oberitalischer und inneralpiner Manier. Bei der figuralen Kunst war man noch viel reservierter und übernahm sie erst in der beginnenden Latènezeit und auch dann nur teilwiese. Es ist klar sichtbar, dass man bereit war, Einiges zu übernehmen, Anderes lehnte man jedoch ab. Es war aber keineswegs so, dass die mediterranen Impulse zu einer „Mediterranisierung“ der mitteleuropäischen Kulturen führten[149]. Die Kontakte und die Beschaffung von Prestigegütern hat sicher die Herausbildung mächtiger Eliten, wie man sie in der Steiermark und Südwestdeutschland findet, begünstigt, aber das war nur ein Faktor von vielen. Die Hallstattzeit war sicher keine konfliktfreie Welt ohne Auseinandersetzungen, aber große Völkerverschiebungen blieben aus. Das erfolgte erst nach dem Wandel zur Latènekultur in der Zeit um 400 v. Chr., indem keltische Kriegerscharen in Italien einfielen[150], was zu der oben benannten Völkerverschiebung führte, aber das ist eine eigene Geschichte.
Abstracts
Abstract
The Hallstatt Cultures and Italy during the Early Iron Age
Markus Egg
Through the discovery of luxury bronze vessels of Etruscan and in lesser numbers of Greek origin, scholarship had already realized around the middle of the 19th century that there must exist cultural contacts between the Mediterranean civilisations and the Celtic world in western Central Europe. Subsequent studies verified that the different groups comprising the Hallstatt culture were cross linked with the cultures in Upper and Central Italy; and that it was not only the Etruscans who involved their products in this exchange of goods, but also the Upper Italian cultures and the Picenes in eastern Central Italy, who both trafficked their products into Central Europe. It is noticeable that in the region northwest of the Alps it is mainly dress accessories and bronze vessels, which belong to sympotic activities for drinking wine, that were adopted. In contrast in the Eastern Hallstatt area weapons too were taken up. Not only luxury goods were involved, but also simple objects like fibulae, which made a much deeper impact in Central Europe. The adoption of early fibula-types and of figural art on metal vessels in the Alps and in Slovenia shows that the people in this area were earlier disposed to integrate southern influences in their own cultures, just as happened in the region north of the Alps. Here though the inhabitants in the 8th and 7th centuries BC were slower at accepting these innovations; only a little before 600 BC did they adopt the fibula-requiring costume in the upper Italian and inner alpine fashion. In the case of the figural art, the culture groups north of the Alps were much more conservative; not until the beginning of the La Tène-period in the 5th century BC did they accept something of figural art. In all these cases no "Mediterranization" of the central European cultures ever took place, but rather the contacts and the acquisition of prestige goods from the south promoted the development of powerful local elites, as we have recognized them in Styria, in south-western Germany and north-eastern France.
Keywords
Hallstatt Period, Hallstatt Cultures, Cultural Contacts, Intercultural Exchange, Imported Objects
Einleitung
Die Hallstattkulturen
Die Kulturgruppen in Italien
Die Produzenten der Importgüter in Italien
Die Empfänger der Importgüter im Norden
Gegengaben aus Mitteleuropa
Zusammenfassung
Abstracts
127•2021