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72•2022
In Memoriam Prof. Dr. Elmar Schwertheim
9. Juli 1943 – 5. November 2022
1Die Forschungsstelle Asia Minor, das Seminar für Alte Geschichte der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster sowie zahlreiche Kolleginnen und Kollegen in der Türkei wie in Deutschland trauern um Elmar Schwertheim (Abb. 1), der sich mit unermüdlichem Einsatz und großem Enthusiasmus auch über die Zeit seines aktiven Berufslebens hinaus der Erforschung des antiken Kleinasien sowie der Pflege der türkisch-deutschen Wissenschaftsbeziehungen gewidmet hat.
2Unmittelbar nach Aufnahme des Studiums der Geschichte, Germanistik und Klassischen Archäologie in seiner Heimatstadt Münster im Sommersemester 1965 nahm Elmar Schwertheim noch im Sommer desselben Jahres an den Ausgrabungen seines akademischen Lehrers Friedrich K. Dörner in der kommagenischen Residenzstadt Arsameia am Nymphaios teil. Die Erforschung der Kommagene sollte fortan das wissenschaftliche Werk Elmar Schwertheims wesentlich mitbestimmen und findet in zahlreichen Publikationen ihren Ausdruck. So war es für ihn auch selbstverständlich, sich in den Jahren 1992 und 1993 an den umfangreichen neuen geophysikalischen und archäologischen Forschungsarbeiten auf dem Nemrud Dağı zu beteiligen. Nicht zuletzt seiner Initiative und seinem Engagement ist es zu verdanken, dass im Jahre 1997 die landeskundlichen Arbeiten in der Kommagene durch Mitarbeiter*innen der Forschungsstelle Asia Minor wiederaufgenommen wurden und bis heute fortgesetzt werden können.
3Die Faszination dieser am mittleren Euphrat gelegenen antiken Kulturlandschaft mit ihrer besonderen religiösen Vielfalt weckte frühzeitig Elmar Schwertheims Interesse an der Religionsgeschichte Kleinasiens. 1973 erfolgte die Promotion mit einer Arbeit über die »Denkmäler orientalischer Gottheiten im römischen Deutschland«. Zwei Gottheiten, die nicht nur die religiösen Verhältnisse Kommagenes, sondern auch insgesamt die Religionsgeschichte der römischen Kaiserzeit mitprägten, galt dabei Elmar Schwertheims besonderes Interesse: Mithras und Iupiter Dolichenus. 1979 erschien seine umfassende Studie » Mithras. Seine Denkmäler und sein Kult «, 1987 folgte das » Corpus Cultus Iovis Dolicheni « (zusammen mit Monika Hörig), das bis heute die einzige vollständige Sammlung aller bis zum Erscheinen dieses Bandes bekannten Denkmäler des Kultes darstellt.
4Mit dem Beginn seiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Assistent am Seminar für Alte Geschichte der Universität Münster (1975–1983) wurde es Elmar Schwertheim möglich, regelmäßig eigene landeskundliche Forschungen in der Türkei durchzuführen. Die geographischen Schwerpunkte einer intensiven Surveytätigkeit bildeten die Landschaften Bithynien , Mysien und die Troas . Zentrales Anliegen dieser ausgedehnten Forschungsreisen war insbesondere die Aufnahme und Sammlung neuer Inschriften. Die Erschließung des epigraphischen Materials und die historisch-topographische Erforschung der genannten Landschaften im Nordwesten Kleinasiens bildeten fortan einen weiteren Forschungsschwerpunkt Elmar Schwertheims. 1980 veröffentlichte er »Die Inschriften von Kyzikos und Umgebung. Teil I: Die Grabtexte« (Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien 18 ). Seine Habilitationsschrift »Die Inschriften von Kyzikos und Umgebung. Teil II: Miletupolis« erschien 1982 (Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien 26 ). 1987 folgte ein weiterer Band über »Die Inschriften von Hadrianoi und Hadrianeia« (Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien 33 ). Die aufgrund zahlreicher anderer Verpflichtungen – unter anderem amtierte er von 1991 bis 1993 sowie von 1999 bis 2001 als Dekan des Fachbereichs Geschichte bzw. Geschichte/Philosophie der Universität Münster – immer wieder aufgeschobene Fertigstellung des Corpus der Inschriften von Kyzikos war ihm stets Herzensangelegenheit wie Verpflichtung. Noch bis wenige Wochen vor seinem Tod hat er intensiv an dem Abschluss des Manuskriptes »IvKyzikos III« gearbeitet. Leider ist es ihm verwehrt geblieben, das Erscheinen dieser Publikation noch selbst zu erleben.
5Nach der Übertragung einer Professur auf Zeit (1983) erfolgte 1988 die Ernennung zum C3-Professor und Leiter der im Jahre 1968 von Friedrich K. Dörner gegründeten Forschungs- und Arbeitsstelle Asia Minor. Seit 1990 war er als C4-Professor zudem Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte und Kultur Kleinasiens, der in dieser Ausrichtung in der europäischen Universitätslandschaft einzigartig ist. Zu internationalem Renommee verhalf er der Forschungsstelle Asia Minor nicht zuletzt durch die Gründung der altertumswissenschaftlichen Schriftenreihe » Asia Minor Studien « – ebenfalls im Jahr 1990 –, deren hundertster Band inzwischen erschienen ist. Das breite thematische Spektrum dieser Reihe und die große Vielfalt der in ihr behandelten Themen sind bezeichnender Ausdruck auch der weitreichenden Interessen Elmar Schwertheims, ohne dessen unermüdliches Bemühen um das Entstehen jedes einzelnen dieser Bände bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2008 eine solche enorme Publikationsleistung nicht möglich gewesen wäre.
61989 initiierte Elmar Schwertheim das Forschungsprojekt: »Historisch-topographische Forschungen in der Troas«, das die Aufgaben der Forschungsstelle Asia Minor für mehr als ein Jahrzehnt wesentlich mitbestimmen sollte. Die Arbeiten konzentrierten sich bis 1995 zunächst auf die Stadt Neandreia , anschließend auf das am Eingang zum Hellespont gelegene, von Konstantin d. Gr. als neue Reichshauptstadt erwogene Alexandria Troas . Die an diesem Ort von ihm 1994 initiierten wissenschaftlichen Untersuchungen und von 2007 bis 2011 unter seiner Leitung stehenden Ausgrabungen in der Colonia Augusta Troadensis haben eine Vielzahl von herausragenden neuen Funden und Befunden hervorgebracht, die in zahlreichen Publikationen vorgelegt werden konnten, zuletzt in dem von ihm im Jahre 2018 herausgegebenen Sammelband » Neue Forschungen in Alexandria Troas « (Asia Minor Studien 88). Ein 2006 von Elmar Schwertheim zusammen mit Georg Petzl veröffentlichtes einzigartiges Inschriftendokument » Hadrian und die dionysischen Künstler. Drei in Alexandria Troas neugefundene Briefe des Kaisers an die Künstler-Vereinigung « (Asia Minor Studien 58) unterstreicht eindrucksvoll die enorme Bedeutung dieser Stadt an einer der Nahtstellen zwischen Orient und Okzident.
7Gerade die exponierte geographische Lage an einem der wichtigsten Übergänge von Europa nach Asien verhalf Alexandria Troas bereits in der Antike zu großem Ansehen und führte zu der prächtigen Ausstattung, wie sie sich noch heute im archäologischen Befund spiegelt. Die Stadt ist aber zugleich auch symbolhafter Ausdruck für die Funktion Kleinasiens als Brückenland, als Vermittlerin zwischen den Kulturen des Vorderasiatischen Raumes einerseits und des griechisch-römischen Kulturkreises andererseits. Der Euphrat im Osten, die Dardanellen und der Bosporus im Westen markieren die jeweiligen Enden dieser Brücke. Elmar Schwertheim hat sie nie als Grenzen aufgefasst, sondern stets deren verbindende Funktion für die Geschichte und Entwicklung der antiken Mittelmeerwelt herausgestellt. Als er seine Geschichte » Kleinasien in der Antike. Von den Hethitern bis Konstantin « (2005; zweite durchgesehene Auflage 2011) verfasste, war es das zentrale Anliegen, diese Bedeutung des kleinasiatischen Raumes für die Vermittlung von Traditionen herauszustellen, die die Geschichte der Antike entscheidend geprägt haben.
8So wenig Elmar Schwertheim je müde geworden ist, in Vorträgen und Publikationen diese bedeutsame Funktion des antiken Kleinasien als Brückenland zwischen den unterschiedlichen Kulturen zu betonen, so wenig hat er über die Jahrzehnte in seinem Bemühen nachgelassen, selbst Brücken zu bauen: Brücken zwischen den verschiedenen Fächern und Disziplinen, Brücken zwischen den türkischen und deutschen Altertumswissenschaften, Brücken auch für Studierende. Vor allem die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in der Türkei war ihm eine Herzensangelegenheit. Elmar Schwertheim hat es einer immensen Zahl türkischer Studierender, Promovendinnen und Promovenden ermöglicht, die von ihm geprägte besondere Atmosphäre der Forschungsstelle Asia Minor zu erfahren. Für viele war der Aufenthalt in Münster ein wichtiger Schritt für die weitere akademische Karriere, viele von ihnen bekleiden heute Lehrstühle in der Türkei und leiten international beachtete Ausgrabungen.
9Die Faszination der so reichhaltigen kulturellen Hinterlassenschaften Kleinasiens wie insgesamt die Liebe zur Türkei und ihren Menschen, die Elmar Schwertheim seit den ersten Kontakten mit dem Land geprägt und motiviert haben, konnte man in jedem Gespräch mit ihm spüren. Sein intensives Bemühen um die türkisch-deutsche Zusammenarbeit praktizierte er stets im Geiste freundschaftlicher Kooperation und eines partnerschaftlichen, offenen Diskurses sowohl im wissenschaftlichen und akademischen wie im privaten Bereich. Mit Elmar Schwertheim verlieren wir eine profilierte Forscher- und charismatische Lehrerpersönlichkeit.
10Seine Herzlichkeit und Gastfreundschaft bleiben unvergessen, sein Optimismus und seine vertraute Nähe werden fehlen.
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IstMitt 72, 2022 • 282 pages with 262 illustrations
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E. Winter – K. Zimmermann, In Memoriam Prof. Dr. Elmar Schwertheim. 9. Juli 1943–5. November 2022, IstMitt 72, 2022, § 1–10, https://doi.org/10.34780/aba3-ta17
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