Typesetting
2023-2
Abteilung Athen
Athen, Griechenland
Neues zum Altar vor dem Heiligen Tor im Kerameikos
Ergebnisse der Kampagne 2022
Der Altar
1Unmittelbar vor dem Heiligen Tor Athens befindet sich auf der linken Seite der Heiligen Straße – heute wieder an seinem ursprünglichen Aufstellungsort – ein klassischer Altar (Abb. 1. 2) [1].
2Das Monument wurde im 5. Jahrhundert v. Chr. errichtet und besteht aus vier Teilen, für die vier verschiedene Materialien verwendet wurden: Das Fundament für den Altar besteht aus rötlichen Konglomeratblöcken, die ein breites Auflager für eine zweistufige Basis aus Kalkstein (dem sog. Poros) herstellen (Abb. 2). Beide Stufen der Basis bestehen aus je sechs Kalksteinblöcken, die untereinander mit doppelt T-förmigen Klammern im Bleiverguss verbunden sind (Abb. 3. 4). Die untere Stufe ragt allseitig leicht über die obere hinaus [2].
3Auf diesem Stufenunterbau ruhte ein Altar aus pentelischem Marmor, der aus einer weiteren Stufe [3] und einem Aufbau aus vier Orthostaten (Abb. 2. 5) [4] zusammengesetzt ist. Der Aufbau besteht aus vier Blöcken, von denen der zur Heiligen Straße gerichtete Frontorthostat die ganze Länge des Monuments einnimmt. Die Blöcke der Nebenseiten sind von hinten an diese Platte angesetzt. Zwischen den beiden Nebenseiten-Orthostaten ist der Orthostat der Rückseite eingesetzt.
4Die Deckplatte bzw. der Altaraufsatz, der/die den Altar oben abgeschlossen hat, und für deren Positionierung die Oberseite der Orthostaten eine Anathyrose aufweist, fehlt heute. Von der gewaltsamen Abnahme der Deckplatte zeugen heute noch Zerstörungsspuren am oberen Rand des Frontorthostaten (Abb. 6). Dort wurde mehrfach – ausgehend vom rechten Rand her – eine Brechstange angesetzt, um die Deckplatte abzuhebeln. Bei diesem Vorgang sind an der Oberseite des Blockes mehrere halbkreisförmige Bruchflächen nebeneinaner entstanden. Eine vergleichbare Beschädigung ist an der Oberseite der Rückseite festzustellen, wo das Brecheisen an der Stelle der Fuge zwischen Rück- und nordwestlichem Orthostat angesetzt wurde (Abb. 7).
5Unauffälliger als diese Zerstörungen sind unterschiedlich lange Stemmlöcher entlang der unteren Kante des Orthostatenaufbaus an allen Seiten: drei an der Frontseite, drei an der Rückseite, zwei an der nordwestlichen Schmalseite und eines an der südöstlichen Schmalseite (Abb. 8) [5]. Diese Stemmlöcher müssen beim mehrmaligen Versetzen des Altares entstanden sein.
6Ein aus marmornen Orthostaten zusammengesetzter Altar ist in Athen beispielsweise im sog. Heiligtum der Aphrodite Urania nordwestlich der Agora erhalten [6]. Hier wurden in dem von Orthostaten eingefassten Raum Blöcke aus weichem Poroskalk, Keramik, Asche und Tierknochen gefunden, aufgrund derer der Altar um 500 v. Chr. datiert wird. Offenbar hat man ein Opfer vorgenommen, bevor der marmorne Altar seine Abdeckung erhalten hat.
Die Einfassung des Temenos
7In geringem Abstand von der Stufenbasis war das sakrale Monument an drei Seiten von langen und schmalen Blöcken aus Piräuskalkstein eingefasst (Abb. 1. 3). Sechs Blöcke davon sind erhalten [7]. An der südöstlichen Schmalseite, d. h. zur Ringstraße hin, fehlt ein Block. Das so geschaffene kleine Temenos (ca. 9,60 x 6,90 m), öffnete sich mit der ganzen Front zur Heiligen Straße hin, da an dieser Seite keine Reste einer Einfassung gefunden wurden und die Straßenschichten der Heiligen Straße hier unmittelbar an die Stufen angrenzten [8].
8Für den Bau des Proteichisma-Turms vor dem Heiligen Tor wurde der marmorne Altar im späten 4./frühen 3. Jahrhundert v. Chr. abgetragen, während seine Kalksteinbasis, das Fundament und die Blöcke der Einfassungsmauern am Platz geblieben sind. Sie wurden bei Ausgrabungen im Jahr 2002 wiedergefunden.
9Der Altar aber wurde schon zu Beginn der Ausgrabungen im Kerameikos auf wesentlich höherem Niveau auf der Nordwest-Ecke des Proteichisma-Turms auf mittel- bis spätkaiserzeitlichem Niveau aufgefunden (Abb. 9). Erst in dieser Position sind die Beschädigungen durch Wagenspuren entstanden, durch die die gesamte nordöstliche Ecke der marmornen Stufe abgerundet wurde (Abb. 2). Bis 2002 hatte man vermutet, dass es sich um ein kaiserzeitliches Grabmonument handle, also eine Art Grabaltar [9]. Erst durch die Auffindung der zugehörigen Basis konnte das Monument richtig als klassischer Altar aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. identifiziert werden [10]. Das wirft die Frage auf, wo sich der Altar befunden hat, solange das Proteichisma (und damit sein Turm vor dem Heiligen Tor) verteidigungstechnisch für Athen relevant waren. Da zum Zeitpunkt seiner letzten Positionierung auf dem Proteichisma-Turm, im 2. oder 3. Jahrhundert n. Chr., das Gehniveau innerhalb des Grabungsareals bereits mehr als 3,50 m höher als im 4. Jahrhundert v. Chr. lag, muss es mehrere Zwischenphasen der Aufstellung des Altares gegeben haben.
10Die Umsetzung von Altären war in Athen nicht ungewöhnlich. Sie bezeugt, dass der am Altar ausgeübte Kult so bedeutend war, dass er über lange Zeit hin erhalten wurde, auch wenn sich die topographische Situation gegenüber dem ersten Aufstellungsort verändert hatte. Ein ähnliches Geschick hatte z. B. ein hellenistischer Rundaltar aus Marmor mit dorischem Fries, der in der Spätantike am Nord-Westrand der Agora erneut aufgestellt wurde [11]. Eine Höherpositionierung an gleicher Stelle als Reaktion auf das Anwachsen der Straßenniveaus ist auch am Rundaltar für Zeus Herkeios, Hermes und Akamas im Kerameikos zu beobachten [12].
11Während der Kampagne im Jahr 2022 erfolgte im Kerameikos eine Neuvermessung des Gebiets südlich der Heiligen Straße zwischen Proteichisma und Südhügel bzw. dem Heiligtum am Fuße des Südhügels [13]. Mit den Dokumentationsarbeiten wurde das Ziel verfolgt, den topographischen und historischen Zusammenhang dieser Fläche mit den Stadtbefestigungen, den Heiligtümern, Werkstätten und den wasserbaulichen Einrichtungen im Kerameikos zu erforschen [14] (Abb. 10).
12Diese Fläche ist bereits im Frühjahr und Sommer 1879 sowie im Frühjahr 1880 von Stefanos Koumanoudis bis auf das heute sichtbare Niveau ausgegraben worden. Sie hat seither keine Rolle mehr in der Forschung gespielt [15], man könnte sie auch als eine ›archäologische Brache‹ bezeichnen.
13In der Kampagne des Jahres 2022 konnte die Frage nach einer, wohl der ersten, ›Zwischenposition‹ des Altares geklärt werden (Abb. 11 Nr. 2. 12) [16]: Die genaue Vermessung der Oberfläche einer dreistufigen Basis, die sich unmittelbar westlich des Turmes an der Gräberstraße befindet und auf der heute in sekundärer Position das marmorne Grabdenkmal für Demarete, Frau des Eudemos aus dem Demos Gargettos [17], ruht, hat ausreichende Maße für diesen Zweck (Abb. 12. 13. 14).
14Angesichts des erwähnten Niveauunterschieds zwischen der zweiten und der dritten nachweisbaren Phase des Altares ist es sehr wahrscheinlich, dass es noch weitere vorübergehende Positionierungen des Altars nach Phase 2 gegeben hat.
15Welcher Gottheit dieser Altar geweiht war, bleibt vorerst ungeklärt [18]. Angesichts der ungewöhnlichen Beständigkeit des Kultes über mindestens 650 Jahre, seiner Lage vor dem Heiligen Tor und nahe bei bedeutenden wasserbaulichen Einrichtungen vor dem Tor ist es naheliegend, dass dieser Altar eine bedeutende Rolle bei den Prozessionen auf der Heiligen Straße gespielt hat. Ein Kultbild scheint es jedoch in dem Temenos nicht gegeben zu haben, jedenfalls kann in dem kleinen Bezirk kein Platz dafür gewesen sein.
Kooperationen
Ephorie Athen.
Leitung des Projektes
J. Stroszeck.
Team
S. Biernath, E. Foto, A. Gjumes, M. John, F. Lehmann, A. Sotiropoulos.
Abstracts
Zusammenfassung
Athen, Griechenland. Neues zum Altar vor dem Heiligen Tor im Kerameikos
Ergebnisse der Kampagne 2022
Jutta Stroszeck
Im Kerameikos befindet sich am Südrand der Heiligen Straße, unmittelbar vor dem Heiligen Tor, ein klassischer Altar aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. (heute unter einem Schutzdach aufgestellt). Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde der marmorne Altar an anderer Stelle und auf wesentlich höherem Niveau, nämlich auf der Ecke des Proteichisma-Turms, aufgefunden. Bei Ausgrabungen 2002 konnte der ursprüngliche Platz des marmornen Altares innerhalb des Proteichisma-Turmes identifiziert werden. Er war in einem kleinen Temenos auf einer zweistufigen Kalksteinbasis aufgestellt. Die Basis wurde dann von dem Turm überbaut. Das warf die Frage auf, wo sich der Altar befunden hat, solange das Proteichisma (und damit sein Turm vor dem Heiligen Tor) verteidigungstechnisch für Athen relevant waren. Im Verlauf der Dokumentationskampagne 2022 konnte diese Frage teilweise geklärt werden.
Keywords
Athina, Altäre, Heiligtümer, Heilige Straße, Kerameikos, Proteichisma
Abstract
Athens, Greece. New Evidence on the Altar in Front of the Sacred Gate in the Kerameikos Excavation
Results of the 2022 Campaign
Jutta Stroszeck
A classical marble altar is positioned just outside tower C of the Sacred Gate in the Kerameikos site, on the southern edge of the Sacred Road. It was repositioned there after excavation from 2002 to 2003, when its original limestone base was found below the Proteichisma tower (phase 1). The altar was surrounded by small temenos made out of limestones that opened onto the Sacred Street. On this Northeast side of the marble monument, a broad step allowed one to sit and watch the activities on the processional road. The marble altar itself had been found already during 19th century excavation in a position about 3,50 m above the street level of the late 4th century/early Hellenistic level of the Sacred Road. This position corresponds to a Roman level of the 2nd century AD or later (phase 3). Given the remarkable difference in level, there must have been at least one, probably several intermediate positions (phase 2) before the altar was positioned where it was found. One probable intermediate position was identified during the documentation work in 2022.
Keywords
Athens, altars, sanctuaries, Sacred Street, Kerameikos, proteichisma
Der Altar
Die Einfassung des Temenos
Kooperationen
Leitung des Projektes
Team
Abstracts
2023-2