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2023-2
Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) in Kooperation mit der Abteilung Athen
Olympia, Griechenland
Forschungen zum Projekt »Fragmentierung von Weihgaben im Heiligtum von Olympia«
Die Forschungsarbeiten von 2022 bis 2023
Einleitung
1Seit Januar 2022 wird am Leibniz-Zentrum für Archäologie in Mainz (LEIZA) in Zusammenarbeit mit der Abteilung Athen des Deutschen Archäologischen Instituts das DFG-Projekt »Fragmentierung von Weihgaben im Heiligtum von Olympia - Forschungen zum Hintergrund einer rituellen Praxis« durchgeführt. Das Projekt zielt darauf ab, das Phänomen der Fragmentierung von Votivgaben aus Buntmetall im Heiligtum von Olympia zu untersuchen (Abb. 1), indem verschiedene Forschungsansätze aus unterschiedlichen Fachdisziplinen angewandt werden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Identifizierung spezifischer Fragmentierungs- und Bruchmuster in ausgewählten Materialgruppen, deren statistischer Analyse nach Maßen und Gewichten sowie der Untersuchung der räumlichen Verteilung der Objekte in bestimmten Funktionsbereichen des Heiligtums (z. B. Gusswerkstätten, Altären, Tempeln). Die Anwendung der verschiedenen Ansätze wird dabei helfen zu verstehen, wie und wann diese Votivgaben zerstört wurden und warum sie in großer Zahl ins Heiligtum gelangten bzw. im Heiligtum verblieben.
Das Phänomen der Fragmentierung im Zeusheiligtum von Olympia: Eine kurze Geschichte
2Fragmentierte Objekte gehören zum Alltag archäologischen Arbeitens, doch gehen ihre Bewertung und Interpretation in der Fachliteratur und in verschiedenen Fachdisziplinen mitunter weit auseinander. Das Phänomen der Deponierung fragmentarischer Metallobjekte taucht in großem Stil in bronze-/früheisenzeitlichen »Brucherzhorten« Alteuropas auf [1]. Aufgrund unterschiedlicher Quellenlagen und (Fach-)Traditionen in den Altertumswissenschaften und aufgrund verschiedener Forschungsinteressen wurden solche Objekte kontrovers erforscht und interpretiert [2].
3Brucherz wurde nicht nur in Hortfunden Alteuropas, sondern auch in Heiligtümern Griechenlands und Siziliens von der geometrischen bis zur archaischen Zeit gefunden [3]. Während fragmentierte Bronzegegenstände bronzezeitlicher Hortfunde Alteuropas seit langem einen wichtigen Forschungsgegenstand darstellen, haben solche Objekte in griechischen Heiligtümern bislang wesentlich geringere Beachtung gefunden und keine systematische Bearbeitung erfahren.
4In Olympia war wohl Adolf Furtwängler der Erste, der sich 1890 für das Phänomen der Fragmentierung von Votivgaben interessierte. Er konstatierte: »Die Zerstörung der älteren Bronzeweihgeschenke und die Zersplitterung der Fragmente hat schon in recht früher Zeit begonnen« [4], wie etwa die Fragmente geometrischer Dreifüße zeigten (siehe Abb. 1). Er erkannte auch die Zerstreuung zusammengehöriger Bruchstücke, die an ganz verschiedenen Stellen innerhalb des Heiligtums zutage kamen.
5In den folgenden Jahrzehnten wiesen auch andere Wissenschaftler:innen auf das weit verbreitete Auftreten dieses Phänomens aus verschiedenen Perspektiven hin [5]. Besonderes Verdienst gebührt jedoch Helmut Kyrieleis, der die Fragmentierung von Weihgaben als rituelle Praxis verstand und sie mit vergleichbaren Phänomenen aus dem prähistorischen Alteuropa in Zusammenhang brachte. Kyrieleis stellte fest, dass zahlreiche Bronzen aus Olympia »verbogen, zerbrochen oder gewaltsam aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen worden waren, bevor sie unter die Erde gekommen sind«, und »dass die meisten dieser Beschädigungen und Zerstörungen nicht zufällig oder durch spätere Erdbewegungen etc. entstanden sind, sondern auf absichtliche Gewalteinwirkung zurückgehen« [6]. Nach Kyrieleis wurden die meisten Votivgaben, die aufgrund der sakralen Vorschriften (ouk ekphora) nicht aus dem Heiligtum entfernt werden durften, für die Belange des Heiligtums eingeschmolzen, während »die nicht in den Schmelzofen gewanderten Teile der zerlegten Votive aus kultischen Gründen aufbewahrt wurden, um als pars pro toto im Besitz der Gottheit zu verbleiben« [7].
Voraussetzungen und Verlauf des Vorhabens
6Das Heiligtum von Olympia bietet die besten Voraussetzungen für eine ausführliche Untersuchung dieses Themas:
1. Eine große Zahl von Objekten, die es erlaubt, auch innerhalb einzelner Materialgruppen bestimmte Fragmentierungsmuster herauszuarbeiten
2. ein guter Publikationsstand, der viele Informationen leicht greifbar macht
3. eine hinreichend präzise Verortung der Funde innerhalb des Heiligtums, die Rückschlüsse auf die räumliche Verteilung fragmentierter Objekte und insbesondere anpassender Fragmente ermöglicht.
7Um zielgerichtete und unmittelbare Ergebnisse zu erzielen, wurden drei Materialgruppen von Buntmetall für die Auswertung ausgewählt, weil bei ihnen ein nicht beabsichtigtes Zerbrechen unwahrscheinlich ist:
1. Massive bronzene Weihgaben geometrischer Zeitstellung (Dreifüße und Votivtiere). Die Materialgattung geometrischer Dreifüße erscheint für die Untersuchung gut geeignet, weil nicht nur die großen Beine vorliegen, sondern auch kleinere Elemente wie Ringhenkel, Ringhenkelhalter bzw. Aufsatzfiguren. Insbesondere im Vergleich mit den geometrischen Votivtierchen soll geklärt werden, ob ähnliche, zeittypische Fragmentierungstechniken nachweisbar sind oder ob grundsätzliche Unterschiede bestehen.
2. Gegossene Gefäßteile archaischer Zeit (Greifenköpfe). Die Gattung der gegossenen Greifenköpfe wurde ausgewählt, um die Forschungen durch einen diachronen Aspekt zu ergänzen und zu prüfen, ob sich in archaischer Zeit ab dem 7. Jahrhundert v. Chr. andere Fragmentierungsmuster in Olympia nachweisen lassen als zuvor in geometrischer Zeit.
3. Sizilisch-italische Bronzen, die auch in italischen Horten vertreten sind (Lanzenspitzen, Kesselhenkel, Schaftlochäxte). Zahlenmäßig weniger umfangreich, sind diese Objekte deshalb besonders interessant, weil sie in gleicher Weise in sizilischen und unteritalischen Horten auftreten und somit einen unmittelbaren Vergleich erlauben. Hier soll der Frage nachgegangen werden, ob die Fragmentierungsmuster und -techniken miteinander korrelieren, was für eine Weihung fragmentierter Bronzen in Olympia sprechen könnte.
Phase I
8Das Projekt ist in mehrere Phasen unterteilt: Die erste viermonatige Phase (von Januar bis April 2022) fand am Leibniz-Zentrum für Archäologie in Mainz statt und diente der Vorbereitung und Datenerfassung der ausgewählten Materialgattungen aus der Literatur- und anderweitigen Quellenrecherche für die zweite Phase der Materialaufnahme. Die vier für die Analyse ausgewählten Materialgruppen sind größtenteils bereits publiziert, die Informationen jedoch nicht homogen. Es handelt sich also um grundlegende Informationen, die während der Materialaufnahme weiter überprüft und bearbeitet wurden.
Phase II
9Die Phase der Materialanalyse dauerte insgesamt fast sieben Monate (von Mai bis Dezember 2022) und wurde schwerpunktmäßig in Olympia durchgeführt, wo die meisten Funde aufbewahrt werden; ergänzend wurden auch die Stücke im Nationalmuseum in Athen und in den Staatlichen Museen zu Berlin aufgenommen, wo sich die sog. Dubletten befinden. In dieser zweiten Phase wurde die Autopsie der Objekte aus den ausgewählten Materialgattungen durchgeführt und die relevanten Daten erfasst (Abb. 2). In dieser Projektphase wurden knapp 6000 Buntmetallobjekte untersucht, von denen mehr als 4000 Votivtiere sind. Davon weisen etwas mehr als 1800 Objekte Spuren absichtlicher Zerstörung auf, die sich wie folgt verteilen:
• 805 Dreifußteile
• 832 Votivtiere
• 127 Greifenköpfe
• 58 sizilisch-unteritalische Funde
10Um eine so große Anzahl von Objekten analysieren zu können und um Fragmentierungsspuren von denen zu unterscheiden, die durch die Herstellung, Nacharbeit, Gebrauchsspuren, nachträgliche Veränderungen, Restaurierung, Korrosion oder moderne Schäden verursacht wurden, war die materialkundlich-technische Expertise eines erfahrenen Restaurators zwingend notwendig (Abb. 3). Ein wichtiger Bestandteil dieser Phase war die eingehende Autopsie oberflächlich sichtbarer Zerstörungsspuren (Verbiegungen, Hiebspuren, Schlagspuren, Brüche usw.) mit Hilfe eines Stereomikroskops sowie mit normalen Lupen (x2). Informationen wie Größe, Gewicht, Anzahl der Bruchkanten, Art und Lage der Spuren sowie weitere Angaben zum Erhaltungszustand des Objektes wurden in Excel-Tabellen erfasst (siehe Abb. 2). Abgerundet wurde die Materialaufnahme durch eine photographische Dokumentation, die auch Makrodetails umfasst. Wo immer nötig, wurden Angaben zum Objekt in den Tage- und Inventarbüchern geprüft (Abb. 4).
Phase III
11Die dritte Phase des Projekts ist derzeit im Gange. Sie besteht in der Vorbereitung von Datasets der Materialgattungen für komplexe statistische Analysen, die es ermöglichen, die Ergebnisse der Materialanalyse zu systematisieren und auf verschiedene Weise zu visualisieren.
Phase IV
12In der vierten Phase wird eine räumliche und kontextuelle Analyse durchgeführt, um die Verbreitung der Fragmentierung innerhalb des Heiligtums besser zu verstehen und auch das Phänomen der anpassenden Fragmente zu erklären.
Bisherige Ergebnisse und zukünftige Perspektiven
13Die bisher durchgeführte Materialaufnahme der ausgewählten Materialgruppen hat verschiedene Arten von Zerstörungsindikatoren (Kerben, Hiebspuren, Abflachungen, Einkerbung mit Materialverdrängung, Brüche, Verbiegungen usw.) ergeben, die sich für alle Materialgattungen konsistent wiederholen, jedoch in unterschiedlichen Maßen.
14Darüber hinaus wurden bei drei Materialgattungen (Dreifüße, Greifenköpfe und italische Kesselhenkel) wiederholte Zerlegungsmuster beobachtet. Ich werde mich hier auf die Ergebnisse der Analyse der geometrischen Dreifüße konzentrieren. Die Beobachtung ähnlicher Verbiegungen, Brüche und Lockerungsspuren an Henkeln und Beinen beweist die Anwendung eines präzisen Zerlegungsprozesses, das als ersten Schritt die Entfernung des Henkels vorsah (Abb. 5). Dazu mussten die mit dem Gefäß vernieteten Teile des Henkels (Ansatzplatte und Bügel) durch Aufhebeln und/oder Schläge mit einem Werkzeug gelöst werden. So sind beispielsweise an den Kanten der Ansatzplatte und des Bügels Hiebspuren mit einem scharfen Werkzeug zu sehen. Nach dem Lösen des Henkels wurde dieser durch Bewegungen nach innen und außen vom Gefäß gelöst. Vor allem der Druck nach innen führte dazu, dass die Enden der Ansatzplatte abbrachen oder sich nach außen verbogen. Bei Zug nach außen brach der vertikale Bügel oberhalb der Verbindung zum Gefäß ab (Abb. 6).
15Der zweite Schritt bei der Zerlegung eines Dreifußes war das Entfernen der Beine (Abb. 7). Die Zerlegung des Beines begann am oberen Rand des Kessellagers. Dieses wurde entweder durch Aushebeln der Nieten oder durch kräftige Hammerschläge von oben vom Gefäß gelöst, wobei der obere Teil des Kessellagers abbrach oder sich verbog. Nach dem Lösen der oberen Nieten des Kessellagers wurde der Dreifuß umgedreht und auf den Rand gestellt. Mit scharfen Werkzeugen wurde dann versucht, die Ränder des Kessellagers und die unteren Nieten zu lösen. Einmal gelockert, wurden die Beine durch Zug und Druck aus dem Kessel getrennt. Dabei brach das Ende des Kessellagers häufig ab oder verbog sich nach außen (Abb. 8). Ein weiteres Zerlegungsmuster, das in einigen Fällen beobachtet wurde, ist die Entfernung von Henkeln und Beinen durch die Zerstörung des Kessels (Abb. 9). Nachdem die Henkel und die Beine entfernt worden waren, wurden sie in Stücke von unterschiedlicher Länge und Gewicht zerkleinert.
16Die Ergebnisse der archäologischen Beobachtung werden derzeit durch verschiedene statistische Tests überprüft. Es scheint jedoch, dass die statistische Analyse die beobachteten Muster bestätigt. Der nächste Schritt wird darin bestehen, die Diachronie der Muster zu überprüfen, um zu klären, ob eine Kontinuität der Fragmentierung von Dreifüßen bis in die spätgeometrische Zeit besteht und ob Henkel und Beine nach vordefinierten Gewichten und Maßen in Stücke zerkleinert wurden. Die gleiche Art von Analyse wird auch für die anderen Materialgattungen durchgeführt.
17Für das kommende Jahr ist die vierte Phase des Projekts und eine umfassende Analyse der Daten geplant, die es ermöglichen wird, die verschiedenen Aspekte des Phänomens der Fragmentierung im Zeusheiligtum zu erfassen.
Danksagung
18Wir danken der Ephorie für Altertümer von Elis, dem Nationalmuseum von Athen und den Staatlichen Museen zu Berlin für die Studiengenehmigung. Wir möchten uns auch bei Reihnard Senff und seinem Nachfolger Oliver Pilz für ihre Unterstützung während der Forschung bedanken.
Förderung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG).
Leitung des Projektes
H. Baitinger.
Team
A. Scarci, G. Stawinoga.
Abstracts
Zusammenfassung
Olympia, Griechenland. Forschungen zum Projekt »Fragmentierung von Weihgaben im Heiligtum von Olympia«
Die Forschungsarbeiten von 2022 bis 2023
Azzurra Scarci
Fragmentierte Objekte gehören zum Alltag archäologischen Arbeitens, doch gehen ihre Bewertung und Interpretation in der Fachliteratur und in verschiedenen Fachdisziplinen mitunter weit auseinander. Das Projekt »Fragmentierung von Weihgaben im Heiligtum von Olympia – Forschungen zum Hintergrund einer rituellen Praxis« am LEIZA in Mainz zielt darauf ab, die Bedeutung der Fragmentierung von Weihgaben aus Buntmetall im Heiligtum von Olympia durch die Anwendung eines multiperspektivischen Verfahrens zu verstehen. In diesem Beitrag werden das Projektkonzept und erste Ergebnisse präsentiert.
Keywords
Buntmetallobjekte, Fragmentierungen, Spurenanalyse, Weihgaben
Abstract
Olympia, Greece. Research on the Project »Fragmentation of Votive Offerings in the Sanctuary of Olympia«
The Research Work for 2022–2023
Azzurra Scarci
Fragments are part of everyday archaeological work, but their evaluation and interpretation in the literature and different disciplines sometimes diverge widely. The project »Fragmentation of votive offerings in the sanctuary of Olympia – research on the background of a ritual practice« at LEIZA in Mainz aims to understand the meaning of the phenomenon of fragmentation of copper-based votive offerings in the sanctuary of Olympia by applying a multi-perspective method. This paper presents the concept and the first results of the project.
Keywords
non-ferrous metal objects, fragmentation, trace analysis, votive offerings
Einleitung
Das Phänomen der Fragmentierung im Zeusheiligtum von Olympia: Eine kurze Geschichte
Voraussetzungen und Verlauf des Vorhabens
Phase I
Phase II
Phase III
Phase IV
Bisherige Ergebnisse und zukünftige Perspektiven
Danksagung
Förderung
Leitung des Projektes
Team
Abstracts