Außenstelle Damaskus der Orient-Abteilung
Tell Bleibil, Jordanien
Grabungen am Tell Bleibil im südlichen Jordantal
Die Arbeiten der Jahre 2020 und 2021
Einleitung
1Nach Abschluss der letzten Kampagne der Feldarbeiten im Wadi Shuʿaib und am Tell Bleibil im Jahr 2019 beschränkten sich aufgrund der COVID-19- pandemiebedingten Pause die Arbeiten im Jahr 2020 primär auf die Digitalisierung, Zusammenführung und Aufarbeitung der bisher gemachten Ergebnisse der Vorjahre seit der ersten Kampagne 2016.
2Im Herbst 2021 konnte schließlich eine erneute Grabungskampagne am Tell Bleibil im südlichen Jordantal, am südlichen Ende des Wadi Shuʿaib gelegen, durchgeführt werden. Auf einer Fläche von fast 50 m2 wurden an der Nordwestflanke des Ruinenhügels mehrere Testschnitte angelegt, die einen Teilbereich einer außergewöhnlich gut erhaltenen Kasemattenmauer aus der Eisenzeit IIB/C (spätes 9./frühes 8.–spätes 7./frühes 6. Jh. v. Chr.; als »Gebäude A« bezeichnet) freilegen konnten, von der bisher zwei Raumeinheiten freigelegt wurden (Abb. 1).
Geographische Lage und Ergebnisse der Feldarbeiten der Vorjahre
3Im Verlauf des 1. Jahrtausends v. Chr. bildeten die westlichen Ausläufer des transjordanischen Hochplateaus und das südliche Jordantal die Westbegrenzung des Königreiches Ammon. Der Tell Bleibil befindet sich an der südwestlichen Flanke dieses Grenzbereichs, in der Nähe des heutigen Dorfes Shunet Nimrin (auch: Shunet Janubiyah). Der Fundort liegt unmittelbar nördlich des Wadi Shuʿaib, das vom Hochplateau kommend hier später in den Jordan einmündet. Der Tell Bleibil selbst befindet sich dabei auf einem natürlichen Felsrücken (-210 m ü. NN, ca. 1–max. 1,5 ha Fläche), der es ermöglichte, dass einerseits ein Großteil des südlichen Jordantals überblickt, andererseits der Zugang in das Wadi Shuʿaib kontrolliert werden konnte. Auffällig ist zudem, dass die Lage des Tells es zwar erlaubte, den Zugang vom Jordantal kommend in das Wadi hinein – und damit auf das Hochplateau und letztendlich zur Hauptstadt des ammonitischen Königsreiches, Rabat- Ammon (Amman) hinauf – zu regulieren, nicht aber Einblicke in das Wadi selbst ermöglichte. Dies kann nur so gedeutet werden, dass die primäre Bedeutung des Tells und der Fokus der gesamten Anlage sich auf die Regionen im Westen konzentrierte, nicht auf jene Regionen, die östlich, d. h. auf dem Hochplateau, lagen; der Aspekt der Grenzsicherung nach Westen wird – neben den in den Vorjahren freigelegten massiven eisenzeitlichen Fortifikationsmauern – somit auch hier nochmals verdeutlicht. Die Keramik älterer Perioden, insbesondere der Früh- und Spätbronzezeit (spätes 3. und spätes 2. Jt. v. Chr.), ist am Fundort zwar durch die Oberflächenbegehungen belegt, allerdings kann auf der Basis der Keramik weder etwas über die Größe und Struktur dieser älteren Siedlungen konkret, noch über die Existenz einer Stadtmauer in diesen Perioden bislang ausgesagt werden [1]. Eine Unterstadt am Fuße des eigentlichen Tells ist darüber hinaus ebenfalls archäologisch bislang nicht belegt.
4Der Felsrücken, dessen Abhänge stark abfallen und auf dem der Tell aufsitzt, weist geologisch eine natürliche oval-rechteckige Form auf, der die eisenzeitlichen Fortifikationsmauern generell folgen. Die Befestigungsanlagen können gewissermaßen als eine Erweiterung der natürlichen Verteidigungsfähigkeit des umgebenden Landschaftsgefüges angesehen werden. Das Ergebnis war eine fast durchgehende Barriere, die sich entlang des gesamten Felsrückens in Richtung Süden, Westen und Norden erstreckte und insgesamt, d. h. Fortifikationsmauer und Felsrücken zusammen, einen Höhenunterschied von ca. 30 m aufwies. Schon in den Jahren 2017 und 2018 wurde der Tell Bleibil im Rahmen des »Wadi Shuʿaib Archaeological Survey Projects (WSAS)« mehrfach eingehend begangen und dabei auch die rechteckig angelegte Fortifikationsmauer erkannt, die die Anlage umfasst [2]. In der Feldkampagne 2019 konnte schließlich ein Teil des Fundamentsockels dieser Fortifikationsmauer im nordwestlichen Bereich der Anlage freigelegt werden [3]. Der vermutete, aber noch nicht eindeutig nachgewiesene Zugang zur Anlage, lag wohl im nordöstlichen Bereich des Fundortes, da sich hier ein flacher Ausläufer des östlich anschließenden Hochplateaus befindet und somit einen verdeckten, nicht unmittelbar einsehbaren, jedoch einfacheren Zugang auf den Felsrücken bzw. die Festungsanlage ermöglichte.
Fotogrammetrische Aufnahme des Siedlungshügels 2021
5Im Rahmen der Feldarbeiten wurde in der Feldkampagne 2021 auch erstmals eine topographische (fotogrammetrische) Gesamtaufnahme des Tell Bleibil und der unmittelbaren Umgebung erstellt. Dieser Grundplan dient als Vorlage aller zukünftigen archäologischen Arbeiten am Fundort, wobei die gewonnenen Daten nicht nur zur Erstellung eines topographischen Plans des Tells, sondern auch zur Kartierung rezenter Störungen verwendet werden (Abb. 2).
6Eine bedeutende Erkenntnis dieser erstmaligen topographischen Aufnahme war darüber hinaus die, dass die bereits in den Surveykampagnen der Vorjahre 2016, 2017 und 2018 erkannte und dokumentierte umlaufende Steinsetzung, die damals bereits als Stadtmauer einer nicht gesichert zugewiesenen Zeitstufe bezeichnet wurde, in Verbindung mit den Grabungen der Jahre 2019 und 2021 (s. u.) nun chronologisch gesichert der Eisenzeit zugewiesen werden kann, da sich die bisher durch die Grabungen freigelegten Strukturen jetzt eindeutig nach Orientierung und Verlauf in den Gesamtplan einfügen lassen. Anhand des Gesamtplans (d. h. des sichtbaren Mauerverlaufs) lässt sich zudem eine Gesamtfläche der eisenzeitlichen Besiedlung von ca. 1 ha rekonstruieren. Die Tatsache, dass beim Bau der den gesamten Bereich des Felsrückens umfassenden rechteckigen Gesamtanlage bautechnische und architektonische Detailkenntnisse vorausgesetzt waren, deutet darauf hin, dass der Bau seitens eines regionalen ›staatlichen Akteurs‹ initiiert wurde. In Frage kämen hier die Herrscher des Kleinkönigtums Ammon.
Die Ergebnisse der Feldarbeiten 2021
7Die 2021 ergrabenen Baustrukturen lassen sich architektonisch und funktional den massiven Steinfundamenten der eisenzeitlichen Befestigungsmauer zuordnen, die bereits in der Kampagne 2019 an der Nordwestflanke des Tells in einem Teilbereich freigelegt wurden [4].
8Die 2021 angelegten Grabungsschnitte wurden, dem generellen Verlauf der Tellkante folgend und in direkter Projektion der 2019 freigelegten Steinfundamente, im nordöstlichen Bereich des Fundortes angelegt (vgl. Abb. 3). Hier wurden bereits unmittelbar unter der rezenten Oberfläche anstehende Lehmziegelmauern angetroffen, die einem größeren Gebäudekomplex zuzuweisen sind. Von besonderem Interesse war die in Raum 1 von Gebäude A gefundene eingestürzte Materialverfüllung, die vollständig aus den Trümmern eines massiven Zerstörungskontextes bestand. Der Schutt enthielt noch große Teile einer in diesen Raum gestürzten Zwischenboden- oder Dachkonstruktion, die eine detaillierte Rekonstruktion des aufgehenden Mauerwerks ermöglicht (s. u.).
9Raum 1 des Gebäudes A stellt dabei den Eckpunkt des nordöstlichen Bereichs der Befestigungsanlage der eisenzeitlichen Siedlung dar. Die Außenmauern des Raumes 1 verlaufen ca. 1 m von den westlich und südlich verlaufenden Außenmauern versetzt, bilden somit einen Vorsprung, sodass der Raum 1 als Eckturm innerhalb der Gesamtanlage interpretiert werden kann (Abb. 4). Unmittelbar westlich von Raum 1 schließt sich der mit einer Raumecke bisher nur teilweise freigelegte Raum 2 an. Südlich darf ebenfalls ein Raum vermutet werden, der aber 2021 noch nicht freigelegt wurde. Bei Raum 2 und auch dem vermuteten, noch nicht freigelegten südlich von Raum 1 gelegenen Raum, dürfte es sich um Wehrgänge handeln, die die Kommunikation zwischen bzw. Bewegung von stationiertem Personal innerhalb der Verteidigungsanlage erlaubte. Beide Räume mündeten in Raum 1 bzw. ermöglichten Zugang zu diesem. Architektonisch ist daher die Baustruktur als Kasemattenmauer anzusprechen. Die Außenseiten der Mauern wiesen bei der Freilegung noch stellenweise, so u. a. im Bereich der Außenseite des Raumes 2, einen weißen Verputz in situ auf, der aus einer Mischung aus Lehmerde, Stroh sowie Kalk/Gips bestand (Abb. 5). Es ist davon auszugehen, dass in der Eisenzeit die gesamte Außenfläche der Mauern mit diesem Verputz überzogen waren.
10Der gesamte Raum 1 des Gebäudes A ist überdacht gewesen, die Fläche des Raumes beträgt hierbei 3 × 3 m. Die aus Lehmziegeln bestehenden Wände der Räume innerhalb des Kasemattenmauerwerks sind hier teilweise noch bis zu einer Höhe von bis zu 1,5 m erhalten, was diesen Fundkontext einzigartig und außergewöhnlich macht, da ein derartiger Befund bisher für die Eisenzeit in der südlichen Levante kaum archäologisch belegt ist (Abb. 6. 7. 8). Der Fußboden des eigentlichen Raumes 1 besteht aus mittelgroßen und unbearbeiteten Steinen, die jeweils mit ihren Flachseiten horizontal verlegt wurden. Die Zwischenbereiche der Steine wurden dabei mit einem Kalkestrich gefüllt, der sich jedoch aufgrund der offenbar beträchtlichen Hitzeeinwirkung bei der Zerstörung der Anlage nur in wenigen Bereichen erhalten hat (Abb. 9).
Die Zwischenboden-/Dachkonstruktion (Raum 1/Gebäude A)
11Aufgrund der Erosion entlang der Tellkante und der direkten Überlagerung späterer Schichten – und der damit verbundenen Zerstörung des aufgehenden Mauerwerks –, ist es bisher nicht möglich mit Sicherheit zu konstatieren, ob es sich bei dem freigelegten Befund innerhalb des Raumes 1 um den eingestürzten Dachbereich oder um Fragmente einer Zwischendecke mit darüber ehemals liegendem zweitem Stockwerk handelt. Es ist bisher auch nicht bekannt, in welcher Höhe (ausgehend vom Niveau des Fußbodens des Raumes 1) sich die Zwischenboden-/Dachkonstruktion letztendlich befand. Es darf vermutet werden, dass sich eine Person stehend in Raum 1 aufhalten konnte, die generelle Höhe also bei mindestens 1,7 m veranschlagt werden könnte, zumal sich bei den bis zu 1,5 m hoch erhaltenen Mauerresten des Raumes 1 keinerlei Holzbalkenauflager nachweisen lassen konnten. Diese müssen also höher angebracht gewesen sein. Letztlich noch nicht erbracht ist aufgrund der Erosion und der Überlagerung späterer Schichten auch der Nachweis eines möglichen zweiten Stockwerks über Raum 1 bzw. des gesamten Gebäudes A. Es handelt sich hierbei um eine Flachdachkonstruktion, die über die Außenwände des Raumes 1 getragen wurde. Als erste Auflagefläche und als tragende Konstruktion dienten ca. 10 bis 15 cm im Durchmesser starke Holzstämme, die in regelmäßigen Abständen im Bereich des aufgehenden Mauerwerks auflagen.
12Archäobotanische Untersuchungen an geborgenen Proben aus Raum 1 durch Reinder Neef (Naturwissenschaftliches Referat des Deutschen Archäologischen Instituts [DAI]) ergaben, dass hierfür u. a. Euphrat-Pappel (populus euphratica) verwendet wurde, die Wuchshöhen bis zu 10 m erreicht und lokal im Jordantal für die Eisenzeit nachgewiesen ist. Abdrücke dieser Holzbalken haben sich im Versturz des Raumes 1 erhalten, obgleich der Abstand der Holzbalken zueinander nicht eindeutig ist (Abb. 10). Es kann davon ausgegangen werden, dass in Hinsicht auf die Tragfähigkeit der Konstruktion hier eine eher dichte Verlegung veranschlagt werden muss. Über diesen Holzbalken lagen Schilfrohr- oder/und Palmzweige (Auskunft durch Reinder Neef), die eine dichte zweite Auflagefläche boten. Auf diese Zweige folgte eine ca. 20 bis 30 cm dicke Erdpackung, die aus Lehmerde bestand und Anteile von Kalk und Stroh aufwies. Abdrücke der unmittelbar darunter liegenden Schicht der Schilfrohr- und Palmzweige fanden sich an der Unterseite dieser Erdpackung; aufgrund der Hitzeeinwirkung auf die Lehmerde zum Zeitpunkt der Zerstörung des Raumes 1 sowie des gesamten Gebäudes A, ist diese fest gebrannt und hat somit auch die Abdrücke des vegetabilen Materials sehr gut erhalten (Abb. 11. 12).
Keramik und Kleinfunde aus dem Versturz innerhalb der Räume 1 und 2 (Gebäude A)
13Die im Versturz innerhalb des Raumes 1 aufgefundene Keramik ist typologisch in die Eisenzeit IIB/C zu datieren (Abb. 13). Insbesondere ein bichrom bemaltes Keramikfragment mit roten und schwarzen Querstreifen, das generell der materiellen Kultur des eisenzeitlichen Königreiches Ammon zugewiesen wird, das seine Hochphase zwischen dem 8. und 6. Jahrhundert v. Chr. aufwies, bestätigt die allgemeine Datierung der Befunde (Abb. 14).
14Aus dem Versturz des Raumes 1 konnten u. a. eine massive Lanze und die Klinge eines Messers aus Eisen geborgen werden. Beide Objekte dürften somit mit hoher Wahrscheinlichkeit als Teil des ursprünglichen aufgelassenen Rauminventars des über Raum 1 gelegenen Bereichs zu interpretieren und bei der Zerstörungen in den Raum 1 verstürzt sein (Abb. 15).
15Ein Fragment einer Schale mit tiefem, abgerundetem und geschwungenem Rand, das allerdings bereits 2019 außerhalb des Gebäudes A gefunden wurde, kann möglicherweise als Nachahmung neuassyrischer Prototypen interpretiert werden, die sich in zahlreichen Fundkontexten dieser Periode in der Levante finden (Abb. 16). Ebenfalls bereits in der Kampagne 2019 konnte zudem das Fragment eines kleinen Kännchens der sog. Cypro-Phoenician Bichrome Ware gefunden werden, das einen weiteren Beleg für die interregionalen Verbindungen des Fundortes darstellt [5].
Eine Besiedlungsphase der persischen Periode (Gebäude B)
16Unmittelbar auf den Befunden der späteisenzeitlichen Mauern konnte bei den Feldarbeiten 2021 auch erstmals eine Besiedlungsphase der persischen Periode nachgewiesen werden. Diese besteht bislang lediglich aus der Mauerecke eines größeren Gebäudes (Raum 1, Gebäude B), dessen genaue Struktur und Ausrichtung noch nicht abschließend geklärt ist.
17Innerhalb des Gebäudes konnten mehrere vollständig erhalte Vorratsgefäße in situ freigelegt werden, die hier offenbar zusammen gelagert wurden. Im Fußbodenbereich wurden zudem diverse kleinere aufgemauerte Installationen aus Lehmziegeln gefunden, die als Einfassungen der Vorratsgefäße dienten. Eines der Gefäße (TB21-SF-06) trägt darüber hinaus eine kurze aramäische Inschrift [6], die einen Namen und eine Datumsangabe nennt (Abb. 17). Eventuell handelt es sich also bei Gebäude B um ein Lagerhaus bzw. beim freigelegten Teil des Gebäudes B um einen Lagerraum innerhalb einer größeren Gebäudestruktur, aber dies bedarf weiterer Untersuchungen.
Überregionale und regionale Konflikte: Zusammenfassung und Ausblick
18Insbesondere die Feldforschungen 2021 konnten wichtige Ergebnisse in Bezug auf die Errichtung, Nutzung und die generelle Konzeption der eisenzeitlichen Siedlung am Tell Bleibil erbringen. Insgesamt betrachtet scheint sowohl die Errichtung als auch die spätere Zerstörung des eisenzeitlichen Gesamtkomplexes nach bisherigem Kenntnisstand sehr wahrscheinlich in den Zeitraum der neuassyrischen und neubabylonischen Perioden zu fallen, ohne dass dies bislang auch archäologisch vollkommen gesichert belegt werden kann. Neben der noch nicht abgeschlossenen Analyse der Keramik aus den Zerstörungskontexten sind auch mehrere Holzkohleproben für anschließende 14C-Analysen entnommen worden, deren Ergebnisse hier möglicherweise Klarheit schaffen können. Zerstörungshorizonte sind archäologisch auch an benachbarten Fundorten für die späte Eisenzeit (Eisenzeit IIC) nachgewiesen worden, so u. a. am Tell Nimrin in unmittelbarer Nähe zum Tell Bleibil, oder auch am Tell Mazar im mittleren Jordantal und Tel Goren (En Gedi) am Westufer des Toten Meeres – womöglich könnten diese Zerstörungen in einem Zusammenhang stehen.
19Im Verlauf der Eisenzeit – und insbesondere in der Eisenzeit II – bildeten sich in der südlichen Levante, auch im Bereich des transjordanischen Plateaus, erste regionale Kleinkönigtümer heraus. Daraus resultierende Konflikte um Grenzziehungen und Einflussgebiete zwischen diesen einzelnen politischen Einheiten sind dabei auch historisch für die Region eindrücklich belegt. Eben diese regionalen Konflikte und das gleichzeitige Vordringen der Herrscher des neuassyrischen Reiches in die Regionen der Levante scheinen demnach auch insgesamt der Grund für die Errichtung derartiger Festungsanlagen gewesen zu sein.
20Nach den Ergebnissen der Grabungen 2021 scheint es sich beim Fundort Tell Bleibil um eine stark befestigte Siedlung aus dem Bereich des Königreiches Ammon in der Eisenzeit IIB/C zu handeln, die das südliche Jordantal und die westlich gelegenen Regionen überwachte und gleichzeitig den Eingang ins Wadi Shuʿaib und letztlich den Übergang zum transjordanischen Plateau mit seiner Hauptstadt Rabbat Ammon bewachte. Insgesamt betrachtet ist somit der eisenzeitliche Befund am Tell Bleibil womöglich eher als Festung, denn als Siedlung zu charakterisieren, auch wenn hier eine monokausale Deutung der Anlage insgesamt vermutlich nicht gerecht werden dürfte. Grabungen innerhalb der durch rezente Planierungsarbeiten stark gestörten Anlage sind zukünftig geplant, um hier mehr Informationen zu erhalten, die Hinweise bezüglich der Nutzung und Struktur erbringen.
21Beachtet werden muss hier außerdem, dass sich in unmittelbarer Nähe zum Tell Bleibil zwei weitere Fundorte befinden: Tell Mustaḫ und Tell Nimrin. Während der Tell Mustaḫ, auf der gegenüberliegenden Seite des Wadi Shuʿaib gelegen, nach Ausweis der durch Oberflächenbegehungen aufgefundenen Keramik nachweislich in der Eisenzeit nicht besiedelt war, ist für den ca. 1,5 km vom Tell Bleibil entfernten Tell Nimrin die Existenz einer gleichzeitigen eisenzeitlichen Besiedlung aber belegt. Die gleichzeitige Besiedlung und, dies sei hier ebenfalls angemerkt, vermutlich auch gleichzeitige Zerstörung beider Orte, könnte die beiden Fundorte in Relation zueinander setzen, doch fehlen hier noch weitere Informationen, die diese Vermutung stützen könnten. Eine Hypothese wäre, dass die Bewohner der (eisenzeitlichen) Siedlung von Tell Nimrin die Anlage am Tell Bleibil als Zufluchtsstätte im Falle von drohender Gefahr nutzten. Durch die erhöhte und gleichzeitig durch die landschaftlichen Gegebenheiten geschützte Lage der Festung am Tell Bleibil hätten umliegende Siedlungen im Bereich des flachen Jordantals Schutz finden können. Die exponierte Lage der Festung gewährt zudem visuelle Kontrolle über weite Teile des südlichen Jordantals und darüber hinaus bis hin zum judäischen Bergland im Westen und bot sich demnach für eine derartige Nutzung (d. h. als Grenzfestung) an.
22Die Ressourcen, die für die Planung, den Bau und den Betrieb einer derart großen Festung erforderlich waren, sind sicherlich als ein Indiz für staatliches Handeln zu interpretieren. Der Fundort bietet zudem einen seltenen Einblick in die eisenzeitliche Militärarchitektur und -organisation des Königreiches Ammon. Generell widersprechen solche Hinweise auf eine derartige institutionelle Kontrolle der wohl ungerechtfertigten Annahme eines eher schwachen eisenzeitlichen Königreiches Ammon, die bis heute einen Großteil der Forschung geprägt hat. Neben der Verteidigung des Zugangs zum Hochplateau und seiner Rolle als Refugium für benachbarte Siedlungen erfüllte die Anlage am Tell Bleibil womöglich auch noch weitere Funktionen als ein regionales Zentrum innerhalb des südlichen Jordantals, einer Mikroregion, die von einer kargen Landschaft, extremen klimatischen Verhältnissen und gleichzeitig geringer Besiedlungsdichte geprägt war und ist. Die Fähigkeit der eisenzeitlichen Festung, die unmittelbare Umgebung zu überwachen, deutet mitunter auf eine regionale und politische Ausdehnung der ammonitischen Autorität über das eigentliche Kerngebiet, dem transjordanischen Hochplateau, hinaus. Diese Verbindung unterstreicht auch die besondere geopolitische Rolle der Vasallenkönigreiche an der Peripherie der neuassyrischen und neubabylonischen Reiche und bietet Einblicke in die Praxis der territorialen Kontrolle durch staatliche Behörden im Hinterland dieser Regionen.
23Die offenbar umfassende Zerstörung der Festung im späten 7. oder frühen 6. Jahrhundert v. Chr., in Verbindung mit weiteren gleichzeitigen Zerstörungen an benachbarten Siedlungen, verweist auf eine militärische Kampagne des neuassyrischen oder neubabylonischen Reiches. Zukünftige Arbeiten am Fundort werden diesbezüglich hoffentlich weitere Informationen erbringen können. Die Besiedlung der persischen Periode, die nach einem Hiatus auf den Resten der späteisenzeitlichen Fundamente gegründet wurde, muss ebenfalls in zukünftigen Feldforschungen weitergehend und großflächiger untersucht werden.
Kooperationen
Department of Antiquities of Jordan (DoA).
Förderung
Groundcheck-Programm des Auswärtiges Amtes.
Leitung des Projektes
A. Ahrens.
Team
A. al-Hebashan, A. as-Saket, P. V. Bartl, B. Briewig, D. Burkhardt, D. Schäffler, R. Neef.
Abstracts
Zusammenfassung
Tell Bleibil, Jordanien. Grabungen am Tell Bleibil im südlichen Jordantal
Die Arbeiten der Jahre 2020 und 2021
Nach der COVID-19-pandemiebedingten Unterbrechung der Feldforschungen im Jahr 2020 wurden 2021 am Tell Bleibil im Bereich der Nordflanke des Tells neue Testschnitte angelegt, die einen Teil eines außergewöhnlich gut erhaltenen Kasemattenmauerwerks aus der Eisenzeit IIB–C (spätes 9./ frühes 8.–spätes 7./frühes 6. Jh. v. Chr.), genannt »Gebäude A«, freilegen konnten. In der Feldkampagne 2021 konnten von der Lehmziegelstruktur ingesamt zwei Räume ausgegraben werden. Die Strukturen lassen sich architektonisch und funktional den massiven Steinfundamenten der bereits in der Kampagne 2019 freigelegten eisenzeitlichen Befestigungsmauer an der Nordwestflanke des Tells zuordnen. Nach einem massiven Großbrand, der das Gebäude zerstörte und diese Phase beendete, wurde die Stätte während der persischen Periode neu besiedelt. Neben der archäologischen Arbeit wurde der Fundort zudem erstmalig komplett topographisch aufgenommen.
Keywords
Ausgrabungen, Befestigungen, Eisenzeit, Feldforschung, Jordantal, Levante, Südliche Levante, Tell Bleibil, Vorderasiatische Archäologie
Abstract
Tell Bleibil, Jordan: Excavations at Tell Bleibil in the Southern Jordan Valley
Preliminary Report on Field Seasons 2020 and 2021
In 2021, after the COVID-19-pandemic-related hiatus of field research in 2020, several new test trenches were conducted at Tell Bleibil along the northern flank of the tell, exposing part of an exceptionally well-preserved Iron Age IIB–C (late 9th/early 8th–late 7th/early 6th century BCE) casemate wall built of mudbricks, referred to as »Building A«, of which two rooms have been excavated in field season 2021. The structures can be architecturally and functionally assigned to belong to the massive stone foundations of the Iron Age fortification wall already exposed in the 2019 campaign on the north western flank of the tell. After a massive conflagration, which destroyed the building and brought an end to this phase, the site was resettled during the Persian period. In addition to the archaeological fieldwork, the site was completely topographically surveyed for the first time.
Keywords
excavation, fortifications, Iron Age, field research, Jordan Valley, Levant, Southern Levant, Tell Bleibil, Near Eastern Archaeology

Einleitung
Geographische Lage und Ergebnisse der Feldarbeiten der Vorjahre
Fotogrammetrische Aufnahme des Siedlungshügels 2021
Die Ergebnisse der Feldarbeiten 2021
Die Zwischenboden-/Dachkonstruktion (Raum 1/Gebäude A)
Keramik und Kleinfunde aus dem Versturz innerhalb der Räume 1 und 2 (Gebäude A)
Eine Besiedlungsphase der persischen Periode (Gebäude B)
Überregionale und regionale Konflikte: Zusammenfassung und Ausblick
Kooperationen
Förderung
Leitung des Projektes
Team
Abstracts