Abteilung Istanbul
Pergamon, Türkei
Ein großer Berg Arbeit? Konstruktionsprinzipien und Aufwand beim Bau des Yığma Tepe
Die Forschungsarbeiten von August bis Dezember 2022
Einleitung
1Der Tumulus Yığma Tepe in der Ebene des Bakır Çayı ist mit einer Höhe von noch 35 m der gewaltigste Grabhügel Pergamons, der vorläufig an das Ende des 3./Beginn des 2. Jahrhunderts v. Chr. datiert werden kann. Seine Basis wird durch eine gewaltige Ringmauer aus Tuffquadern mit einem Durchmesser von 158 m markiert und ist von einem 62 m breiten und bis zu 13 m tiefen Umfassungsgraben umgeben. Durch zahlreiche Eingriffe seit der Spätantike verändert, weist er u. a. einen tiefen radialen Einschnitt im Nordwesten auf, der ihn in zwei Gipfel gliedert (Abb. 1). Nach ersten Ausgrabungen durch Wilhelm Dörpfeld (1905–1910) wurde er in einem neuen interdisziplinären geophysikalisch-archäologischen Projekt durch die Abteilung Istanbul des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) und die Universitäten Kiel und Kocaeli (2015–2019) erneut erforscht, bei denen jedoch keine Grabanlage zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte. Die abschließende, gesamtheitliche Auswertung und Befundvorlage steht noch aus und wird im Rahmen eines Disserationsvorhabens des Verfassers realisiert, das durch ein fünfmonatiges Forschungsstipendium des DAI, Abt. Istanbul wesentlich vorangetrieben werden konnte. Im Folgenden werden einige Aspekte des Vorhabens kurz vorgestellt.
Die Erdschüttung als größtes Bauelement
2Über den Aufbau der Hügel selbst ist bei vielen Tumuli des mediterranen Raumes meist nur recht wenig bekannt, da der Fokus oft auf die gebauten, steinernen Grabanlagen gerichtet war. Häufig wurde lediglich eine Schichtung erwähnt und das Material als Erde oder Steine charakterisiert. Dabei sind es die Schüttungen, die die Monumentalität dieser Grabform konstituieren, während die Grabanlagen im Verborgenen liegen.
3Gerade am Yığma Tepe wird deutlich, welche Dimensionen dabei erreicht werden können. So kann mithilfe eines 3D-Geländemodells und Ergebnissen der geophysikalischen Prospektion das frühere, rekonstruierte Hügelvolumen auf etwa 318.000 m³ geschätzt werden [1]. Während der antike Oberboden unterhalb des Hügels eindeutig erfasst wurde, ist die ehemalige Höhe der Aufschüttung nicht mehr sicher feststellbar. Allerdings würde schon eine geringfügige Erhöhung des Hügelzentrums um etwa 0,6 m gegenüber dem höchsten, heute noch erhaltenen Punkt ausreichen, um eine regelmäßige Hügelsilhouette zu generieren. Überdies wurde etwa 4 m unter dem rekonstruierten Gipfel und genau im Tumuluszentrum eine harte Erdschicht angetroffen, die den Rest einer Fundamentierung eines Semas (Grabzeichen) darstellen könnte [2], sodass die Rekonstruktion plausibel ist.
4Das ehemalige Volumen der Krepis (Ringmauer) ist aufgrund des Fehlens nur einer Mauerlage über den Befund gut zu rekonstruieren und kann durch ihre perfekte Kreisform mit 158,4 m Außendurchmesser als Rotationskörper aufgefasst und einfach berechnet werden. Zusammen mit dem Befund einer in der Schüttung direkt hinter der Krepis liegenden Rampe kann es auf 2300 m³ geschätzt werden.
5Nur in den geophysikalischen Prospektionen sind einige Strukturen (SOI 2, 4 und 5) detektiert worden, die womöglich als Grabanlagen gedeutet werden könnten. Am wahrscheinlichsten ist dies für SOI 2, das in der Schüttung etwa 5 m über der antiken Oberfläche liegt, was für pergamenische Tumuli ein Novum wäre, aber in einigen wenigen Grabhügeln Thrakiens beobachtet wurde [3]. Die Dimensionen können nur grob mit 15 x 4 x 5 m und 300 m³ abgeschätzt werden und stimmen damit in Breite und Höhe mit der gut dokumentierten Grabanlage aus dem hellenistischen Tumulus auf dem Ilyastepe überein. Zwar ist die Struktur deutlich länger, fände aber auch hier im Seç Tepe von Elaia eine Entsprechung. Die anderen SOI weisen mit 10 x 5 x 4 m und 12 x 4 x 4 m ebenfalls vergleichbare Abmessungen auf, liegen in der Aufschüttung jedoch noch einmal etwa 5 m höher. Ob sich darüber hinaus auch auf dem Niveau der antiken Oberfläche eine Grabanlage befinden könnte, muss offenbleiben, da die Auflösung der Messungen dort für die Detektion zu gering war.
6Die prozentuale Verteilung der Volumina zeigt, dass die Schüttung 99 % und die rein hypothetischen Grabanlagen nur weit unter 1 % ausmachen würden (Abb. 2). Im Vergleich mit anderen pergamenischen Tumuli wird deutlich, dass ihr Anteil sogar geringer ist, als jener der Sarkophagbestattung am hellenistischen Tumulus II (Dm: 30 m, H: 4,75 m). Allerdings repräsentieren sie auch beim Seç Tepe (Dm: 50 m, H: 11,3 m) und selbst beim kaiserzeitlichen Mal Tepe (Dm: 170 m, H: 26 m) mit einer gewaltigen, über 60 m langen Grabanlage nur etwa 1 % des Gesamtvolumens. Lediglich beim recht niedrigen Ilyastepe-Tumulus (Dm: 37 m, H: 4,5 m) beträgt ihr Anteil mit 4 % mehr. Zudem stellt die Krepis in allen Tumuli nur 1 bis 2 % dar. Dies verdeutlicht den Stellenwert der Erdschüttung, deren ehemalige Höhe aber mit Ausnahme des Mal Tepe unklar ist.
Die Erdschüttung als komplexes Bauelement
7Der Yığma Tepe wurde aus dem lokal anstehenden Schwemmmaterial errichtet, das im Umfassungsgraben gewonnen wurde, was durch annähernd gleiche Volumina vom rekonstruierten Graben und Hügel sowie bodenkundliche Untersuchungen gesichert ist. Die Volumenanteile der verwendeten Erdbaustoffe lassen sich durch die Ausgrabungen grob abschätzen (Abb. 3). Der Großteil wurde aus sandigem Kies und kiesigem Sand hergestellt, der in 1 bis 2 m mächtigen Schüttungen abgelagert wurde. Dieses Material ist zwar recht leicht abzugraben, besitzt aber eine mäßige Standfestigkeit und geringe Erosionsresistenz und ist daher für ein Erdbauwerk dieser Größenordnung weniger geeignet.
8Daneben wurden geringe Mengen eines deutlich bindigeren, lehmigeren Materials verbaut, bei dem es sich vermutlich um den im Umfassungsgraben gewonnenen antiken Oberboden handelt. Dieser diente zur Herstellung eines im Zentrum liegenden kleinen Kernhügels (Dm: 22–30 m, H: ca. 7 m) und wurde auch für stark verfestigte Schichten von 10 bis 12 cm Stärke in der weiteren Aufschüttung und selbst im Gipfelbereich verwendet.
9Schließlich sind bereits in den Altgrabungen drei andersartige Straten geringer Neigung von etwa 0,5 m Stärke beobachtet worden, die 3 bis 5 m und 6 bis 13 m über der antiken Oberfläche liegen und mit verschiedenen Anschüttungsphasen in Verbindung gebracht wurden (Abb. 4) [4]. Zumindest die obere Trennschicht kann vermutlich als mächtige Gerölllage angesprochen werden, die von reinem Feinkies bedeckt ist [5]. Solche Schichten sind in den neuen Ausgrabungen ebenfalls an anderen Stellen, u. a. noch im Randbereich des Gipfels angetroffen worden. Ein regelmäßiger Wechsel aus lockeren und bindigeren Materialien in fast horizontaler Lagerung, wie er auch hinter der Krepis zwischen Bauschutt- und Kiesschichten zu erkennen ist, wurde zudem in anderen Tumuli beobachtet und als intendierte Maßnahme zur Verbesserung der Stabilität der Aufschüttung, zum Schutz des Inneren vor Feuchtigkeit und zur besseren Kontrolle und Einhaltung einer regelmäßigen Hügelform interpretiert [6]. Am Yığma Tepe könnten die Geröll- und Kieslagen überdies womöglich sogar den Abschluss einzelner Bauetappen darstellen, denn auf dem Höhenniveau des unterem Stratums befindet sich die hypothetische Grabanlage SOI 2, auf jenem der oberen Trennschicht SOI 4 und SOI 5.
10Auch aus den Ergebnissen der geophysikalischen Prospektion ist eine Untergliederung in drei Schüttungspakete von je 10 m Stärke abzuleiten, wobei die Grenze zwischen dem untersten (Phase 1) und den oberen (Phasen 2 und 3) mit der oberen Trennschicht der Altgrabung koinzidiert. Sie unterscheiden sich deutlich in ihren physikalischen Eigenschaften, was in gleicher Weise auch im geologischen Untergrund des Tumulus beobachtet wurde. Hier überlagern sich vermutlich zwei Schwemmfächer und jener in der südlichen Hälfte des Tumulus ist ähnlich der untersten Aufschüttungsphase. In den Ausgrabungen hingegen konnten in Phase 1 lediglich ein etwas höherer Schluffanteil, mehr Grobsand und stärker verwitterte Gesteinspartikel erkannt werden. Dennoch ließe sich die Hypothese formulieren, dass das Material zunächst im südlichen und danach im nördlichen Teil des späteren Umfassungsgraben abgebaut wurde. Somit wäre der regelmäßige Wechsel verschiedener Bodenarten enorm vereinfacht worden.
11Die Stabilisierung und regelmäßige Formgebung war dennoch ein wichtiges Anliegen der Errichtenden des Tumulus, wie locker gesetzte Steinreihen aus Flusskieseln in radialer und konzentrischer Ausrichtung belegen, die sich durch die gesamte Aufschüttung ziehen. Sie treten in regelmäßigen Abständen von etwa 1 bis 2 m auf und sind in 0,5 bis 1,3 m hohe Segmente gegliedert, die auf einem Höhenniveau alle meist in dieselbe Richtung geneigt sind, auf dem darüberliegenden jedoch in umgekehrte Richtung, aber stets die Flucht beibehalten. Sie könnten die in verschiedenen Baustufen vorherrschenden, sich abwechselnden Schüttungsrichtungen belegen und zu einer besseren Verzahnung der Segmente beigetragen haben. Womöglich zeigen sie auch eine Segmentierung des Arbeitsprozesses und die Anwesenheit verschiedener Bautrupps an, wie Herodot (Hdt. 1, 93, 2–3) für den sog. Alyattes-Tumulus berichtet. Jener soll von den Händlern, Handwerkern und jungen Mädchen errichtet und die Arbeitsleistungen der drei Fraktionen auf den auf dem Gipfel aufgestellten Semata für die Nachwelt dokumentiert worden sein.
Die Erdschüttung als mühsame, jahrelange Plackerei?
12Damit stellt sich zugleich die Frage nach dem Arbeitsaufwand, der Zahl der Arbeitskräfte und der Errichtungsdauer. Da beim Yığma Tepe, wie bei fast allen Tumuli, weder schriftliche Quellen noch archäologische Indizien die Bauzeit genauer beleuchten können, sind wir auf Schätzungen angewiesen, die unter dem Begriff der antiken Bauökonomie subsummiert werden können und etwa 20 Jahre nach DeLaines grundlegender Arbeit als eigenes Forschungsfeld gelten dürfen [7]. Dabei werden die Monumente zunächst nach materialspezifischen, konstruktiven oder chronologischen Einheiten untergliedert, die für ihren Bau relevanten Arbeitsschritte identifiziert und die entsprechenden Volumina rekonstruiert. Durch Verrechnung mit Arbeitsraten aus historischen, ethnographischen oder archäologisch-experimentellen Kontexten können dann entsprechende Zeitwerte, meist Personenstunden oder -tage (PH, PD) pro Bauschritt ermittelt werden. Oft wird dabei auf das Handbuch von Giovanni Pegoretti [8] zurückgegriffen, da sich seine Angaben im Vergleich mit anderen Analogiequellen als plausibel herausgestellt haben [9].
13Während solche Analysen bereits für zahlreiche andere antike Steinbauwerke und insbesondere Stadtmauern des mediterranen Raums durchgeführt wurden, fehlen sie für die dortigen Tumuli mit Ausnahme der mykenischen Tholosgräber völlig. Dabei geht aus Schriftquellen der klassischen Epoche hervor, dass nicht die Dimensionen der Schüttung, sondern die für sie eingesetzte Arbeitskraft und -zeit entscheidend für die Bewertung der Angemessenheit eines Grabhügels war. So gibt Platon (Plat. leg. 12, 958 d) an, dass die Erde nur so hoch aufgeschüttet werden soll, wie es fünf Männer in fünf Tagen vermögen. Eine ähnliche Beschränkung der Arbeit für ein Grabmal auf die Leistung von zehn Mann in drei Tagen überliefert Cicero (Cic. leg. 2, 64–66) für Athen. Diese Angaben verdeutlichen, wie fruchtbar bauökonomische Analysen für Tumuli sein können.
14Dafür ist vor allem eine genaue Bestimmung der verwendeten Erdbaustoffe entscheidend. So zeigt bereits ein Blick in die detaillierten Aufstellungen für Erdarbeiten bei Pegoretti, dass sich im gleichen Zeitraum fast sechsmal so viel Oberboden lösen lässt wie großformatiges Flussgeröll. Darüber hinaus wirkt sich die Bodenart auch auf den Transportaufwand aus, da sich einerseits die Dichte und damit die Gewichte erheblich unterscheiden und andererseits beim Abgraben eine differierende Volumenvergrößerung auftritt. Diese beträgt bei Sand 10 bis 20 % und bei Grobkies sowie Geröll bis zu 35 % und reduziert sich nach der Ablagerung wieder auf etwa 1 bis 2 % bzw. 10 % gegenüber dem Ausgangsvolumen, sodass beim Bau mehr transportiert werden musste, als letztendlich heute noch im Befund nachweisbar ist (Tab. 1. 2).
15Der Yığma Tepe bietet wegen der genauen Bestimmung der Materialien gute Voraussetzungen für eine solche Analyse, auch wenn eine gesicherte Grabanlage fehlt. SOI 2 kann aber als Grabanlage nach anderen Grabbefunden aus Pergamon modelliert werden, sodass eine halbwegs realistische Abschätzung möglich ist (s. u.). Es wird ausschließlich auf die Arbeitsraten von Pegoretti zurückgegriffen, weil die Kohärenz für den Vergleich des Aufwandes für verschiedene Bauaufgaben bzw. Materialien entscheidend ist. Nichtsdestotrotz ist die Verwendung einer einzigen Analogiequelle problematisch, jedoch sollten solche Schätzungen ohnehin wegen Unsicherheiten bei der Rekonstruktion, der Nutzung von meist kulturell und chronologisch weit entfernten Vergleichswerten und der zahlreichen die Produktivität beeinflussenden Faktoren wie die verwendeten Werkzeuge, Klima sowie Ernährungszustand, Motivation und Ausdauer der Arbeitenden nur als grobe Annäherungen verstanden werden.
16Aufgrund der überwiegend horizontal aufgebauten Schüttung, der bereits die komplette Fläche des späteren Tumulus abdeckenden Baustufe Phase 1 sowie dem Fehlen archäologischer Indizien für eine Mehrphasigkeit, wird hier von einem Bau ohne größere zeitliche Unterbrechungen ausgegangen und der Aufwand auch für den gesamten Hügel und nicht für die einzelnen Bauetappen kalkuliert.
17Es wird deutlich, dass für die Gewinnung der großen Gerölle für Zwischenschichten und Steinreihen mehr als dreimal so viel Zeit aufgewendet werden musste, wie für den sandigen Kies, obwohl dieser einen deutlich höheren Anteil an der Schüttung hat (Tab. 3). Obwohl am Yığma Tepe keine Schüttungslinsen beobachtet werden konnten, wird aufgrund von Befunden aus anderen Tumuli davon ausgegangen, dass der Erdtransport mit Körben oder Tragesäcken oder bei großen Geröllen wegen der Gewichte durch Holzbahren erfolgte, auch weil größere Steigungen zu überwinden waren. Darüber hinaus zeigen ethnographische Studien die hohe Effektivität des händischen Erdtransports. Dabei können jeweils Gewichte von 20 bis 67 kg pro Person getragen werden, hier wurde mit 50 kg kalkuliert.
18Großen Einfluss auf die Arbeitsleistung hat die Transportdistanz, aber noch stärker die zu überwindende Steigung. Dabei findet sich bei Pegoretti neben der bekannten Formel zur Ermittlung der Zeit für den Transport mittels Körben in der Ebene (0,000444 h pro m, Hin- und Rückweg) auch eine mit einem um etwa 19 % höheren Faktor (0,000526 h pro m), wenn die Last bergauf getragen werden muss. Empirische ethnographische Untersuchungen zeigen aber, dass sich bei 10 % Steigung die Transportzeit bereits um min. 20 % erhöht, bei 20 % um 56 % [10]. Am Yığma Tepe beträgt der größte Höhenunterschied zwischen Grabensohle und Hügelspitze 45 m, im Mittel musste zwischen den Massezentren beider Körper eine Distanz von 111 m mit einer Steigung von ca. 14 % überwunden werden. Insofern ist der ermittelte Transportaufwand sogar noch als konservative Schätzung anzusehen, obwohl er mit 51 % den größten Posten beim Bau der Schüttung darstellt (Abb. 5). Auch für das eigentliche Anschütten und Verdichten ergeben Pegorettis Vergleichswerte nur einen recht niedrigen Aufwand, der tatsächlich zumindest für einige Hügelbereiche höher gewesen sein mag. Demgegenüber wurde er für die doch eher recht flüchtig und zügig errichteten Steinreihen in Ermangelung guter Vergleichswerte bei Pegoretti großzügig bemessen und macht knapp 14 % der Arbeitszeit für die Schüttung aus.
19Für den Bau der Krepis sind die Arbeitsprozesse Steingewinnung, Transport, Steinbearbeitung, das Ausheben des niedrigen Fundamentgrabens und der Mauerbau zu beachten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass über die dokumentierten Bauschuttschichten die Zurichtung der Mauerquader vor Ort belegt ist und fast 44 % des späteren Mauervolumens, d. h. knapp 1000 m³ hier deponiert wurden, sodass deutlich mehr Steinmaterial vom Steinbruch vermutlich mit Ochsenkarren herangefahren werden musste, als letztendlich in der Mauer verbaut wurde. Dieser erstaunliche Mehraufwand erklärt sich jedoch dadurch, dass der Tuff im bergfrischen, nassen Zustand deutlich leichter bearbeitet werden kann, aber auch bruchempfindlich und weich ist.
20Die genaue Lage des Steinbruchs ist unklar, allerdings steht Tuff in einer nordwestlich gelegenen Lahar-Formation an, die nördlich des Asklepieions vermutlich schon in der Antike ausgebeutet wurde [11]. Geochemische Analysen aus der weiteren Umgebung haben grundsätzlich eine Übereinstimmung zum Tuff des Yığma Tepe gezeigt, sodass mit einer Strecke von etwa 3 km gerechnet werden kann. Insofern waren für die Rohquader mit bis zu 2 m Länge und einer Dichte im feuchten Zustand von etwa 2 t/m³ erhebliche Gewichte bis etwa 0,8 t/Block zu bewältigen gewesen, wobei das Ladegewicht mit etwa 1 t pro Fuhre veranschlagt wird. Im direkten Vergleich der Bauaufgaben (Abb. 6) zeigt sich dann aber, dass der Transport inkl. Be- und Entladen trotzdem nur 6 % des Aufwandes ausmacht und der Großteil der Arbeitskraft durch die Steinbearbeitung, gefolgt von der Steingewinnung und dem eigentlichen Mauerbau absorbiert werden würde.
21Die hypothetische Grabanlage SOI 2 wurde aufgrund ihrer Dimensionen analog zu jener im Seç Tepe in Dromos, Vorkammer und Hauptkammer gegliedert, zur Vereinfachung besitzt der Dromos dieselben Maße wie die Kammer. Als direktes Vorbild diente dann die Anlage im Ilyastepe-Tumulus [12]. Dementsprechend wurden ein Keilsteingewölbe sowie gleiche Blockmaße und eine sehr elaborierte Steinbearbeitung mit Glättung der Mauersteine im Inneren und Randschlag im Gewölbe angenommen. Als Baumaterial wird Andesit vermutet, da es auch in diesen beiden Anlagen verbaut wurde. Somit ergäbe sich ein Steinvolumen von etwa 109 m³. Die Herkunft des Baumaterials ist hier noch deutlich schwieriger zu bestimmen. Abbauspuren in 1,5–2,5 km Luftlinie konnten noch nicht genauer datiert werden, sodass hier ebenfalls mit 3 km gerechnet wird, wobei wie beim Ilyastepe-Tumulus von einer Zurichtung der Blöcke im Steinbruch ausgegangen wird. Zum Transport auf die untere Aufschüttung diente vielleicht die erwähnte Rampe, die ggf. den Einsatz von Wagen zuließ. Für die Steinbearbeitung generiert der Rückgriff auf Pegorettis Werk hohe Werte, überdies mussten Angaben zu weichem Granit verwendet werden, weil Andesit in seiner Aufstellung fehlt. Darüber hinaus sind aufgrund des sehr qualitätvollen Baus im Ilyastepe-Tumulus und mit Blick auf eine großzügige Bemessung recht viele Arbeitsschritte berücksichtigt worden, die ggf. nicht alle nötig waren.
22Die Schätzungen ergeben für den gewaltigen Yığma Tepe einen hypothetischen Bauaufwand von 0,29 bis 0,31 Mio. PD (10 h-Arbeitstag), je nach Berücksichtigung der SOI 4 und 5. Davon entfallen mehr als 75 % bzw. 0,23 Mio. PD nur auf die Schüttung (Abb. 7). Für die Krepis mussten hingegen nur etwa 13 % aufgewendet werden, für SOI 2 gar nur 4 %. Würde man SOI 4 und 5 als in gleicher Weise gebaute Anlagen hinzurechnen, so erhöht sich der Anteil auf 10 %. Insofern entfällt ein Viertel des Aufwandes auf die Steinarchitekturen.
23Die insgesamt 0,3 Mio. PD entsprächen bei einer, DeLaine folgend, angenommenen jährlichen Arbeitsleistung von 220 Tagen 1300 bis 1400 Personenjahre [13]. Eine einfache Rechnung zeigt, dass schon mit 250 bis 350 Arbeitskräften eine relativ kurze Bauzeit von 4 bis 5 Jahren möglich gewesen wäre (Abb. 8). Sie könnte sich womöglich in den eingangs erwähnten vier Bauetappen widerspiegeln, wobei die Gerölllagen vielleicht jeweils ihren Abschluss markieren. Für die unterste Schüttung, die etwa 17 % des gesamten Hügels ausmacht, wären rund 40.000 PD nötig gewesen, sodass etwa 180 Personen den Bau in einem Jahr hätten realisieren können. Mit der gleichen Anzahl wäre zudem die Errichtung der Krepis in einem Jahr möglich gewesen, dabei fielen aber knapp 30 % der Arbeiten offsite im Steinbruch und beim Transport an. Für den Bau von Phase 1, Krepis und SOI 2 wäre schon knapp über die Hälfte der gesamten Arbeitszeit (0,15 Mio. PD) benötigt worden.
24Betrachtet man das Verhältnis von spezialisierter Arbeit und Hilfsarbeit, so wird deutlich, dass 80 % des Baus durch einfache Arbeitskräfte hätten hergestellt werden können (Abb. 9). Bei der Schüttung sind nur etwa 9 % spezialisierte Arbeit bei der Planung und Beaufsichtigung der Arbeiten nötig gewesen. Demgegenüber entfielen bei der Krepis über 60 %, bei der möglichen Grabanlage sogar fast 90 % auf spezialisierte Handwerker. Während für einen Kubikmeter Schüttung ca. 8 PH aufgewendet werden müssen, wären es für Krepis und SOI 2 173 bis 1200 PH. Selbst bei der Berücksichtigung der Unterschätzung des Transportaufwandes für Erde und der Überschätzung der Steinarbeit aufgrund des Rückgriffs auf Pegoretti ist dies ein eindrucksvoller Unterschied.
25Eine Vergleichsrechnung am deutlich kleineren Ilyastepe-Tumulus zeigt folglich ein umgekehrtes Verhältnis, Kammer und Dromos machen nun 75 % des Arbeitsaufwandes aus, die im direkten Vergleich deutlich größere Schüttung nur 25 % (Abb. 10). Dies liegt auch daran, dass der Hügel wahrscheinlich nur aus von der Oberfläche in der Nähe abgesammelten Basalt- und Andesitbrocken hergestellt wurde. Insgesamt wären für seinen Bau nur etwa 8000 PD nötig, sodass er von 50 Arbeitenden in 160 Tagen errichtet worden sein könnte. Dies sind nur knapp 3 % des Aufwandes für den Yığma Tepe, wobei er nur 0,8 % seines Volumens entspricht. Neben den enormen Unterschieden in der Größe der beiden Bauprojekte zeigt dies, dass gerade bei kleinen Tumuli wegen der aufwendigen Steinbearbeitung die Schüttung nicht immer auch die meiste Arbeitskraft absorbieren muss.
26Die hier vorgestellten Schätzungen belegen, dass der Aufwand für Erdbewegungen nicht überschätzt werden darf, wie bereits erste Überschlagsrechnungen für hallstattzeitliche Grabhügel des Alpenraums (7. Jh. v. Chr.) gezeigt haben [14]. Erdschüttungen sind ein wenig zeitaufwendiges und kostengünstiges Mittel, um ein dauerhaftes und visuell sehr eindrucksvolles Grabdenkmal zu schaffen, da fast das gesamte Baumaterial am Ort gewonnen werden kann. Ein Steinbau vergleichbaren Volumens wäre deutlich arbeits- und kostenintensiver. Zudem konnten für den Bau von Tumuli große Personenkreise, die über kein besonderes Bauwissen verfügten, herangezogen werden.
27Auch wenn die Bauzeit nicht zu hoch angesetzt werden darf, so ist sie natürlich im Vergleich zu einfacher Wohnarchitektur viel größer. So wurde für frühhellenistische Wohnhäuser (oika theta) von Salamis eine Mindestbauzeit von 460 PD ermittelt [15], sodass schon für den Ilyastepe-Tumulus fast das Zwanzigfache aufgewendet werden musste, für den Yığma Tepe hingegen mehr als das Sechshundertfache. Der Bauaufwand für diesen Tumulus ist enorm, vor allem wenn man bedenkt, dass für den Bau der Servianischen Stadtmauer Roms mit 11 km Länge, 4,5 Mio. m³ bewegter Erde und 411.000 m³ verbautem Tuff eine konservative Schätzung etwa 6,8 Mio. PD [16] ergab, was nur etwas mehr als das Zwanzigfache des Aufwands für den Yığma Tepe ist.
Danksagung
28An dieser Stelle möchte ich dem gesamten Team der Pergamongrabung, vor allem ihrem Leiter Felix Pirson sowie den Mitarbeitenden der geophysikalischen Prospektionen der Universitäten Kiel und Kocaeli herzlich danken. Insbesondere danke ich Rebekka Mecking für die Volumenrekonstruktion des Hügels und der einzelnen Phasen, die eine unverzichtbare Grundlage für die hier vorgestellten Schätzungen darstellt. Besonderer Dank gilt der Abteilung Istanbul des DAI für die finanzielle Förderung des Vorhabens im Rahmen eines fünfmonatigen Forschungsstipendiums.
Kooperationen
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Institut für Geowissenschaften, Angewandte Geophysik (W. Rabbel); Ecole Normale Supérieur Paris (S. Verger).
Förderung
DAI Forschungsstipendium 2022.
Leitung des Projektes
F. Pirson.
Team
M. Meinecke.
Abstracts
Zusammenfassung
Pergamon, Türkei. Ein großer Berg Arbeit? Konstruktionsprinzipien und Aufwand beim Bau des Yığma Tepe
Die Forschungsarbeiten von August bis Dezember 2022
Die Erdschüttungen von Tumuli konstituieren die Monumentalität dieser Grabform, sind aber erst in den letzten Jahrzehnten stärker beachtet worden. Neue Untersuchungen am hellenistischen Yığma Tepe von Pergamon ergaben, dass bestimmte Konstruktionsprinzipien angewendet wurden, die eine gute Kenntnis der Eigenschaften von Erdbaustoffen zeigen. Wie hoch der Aufwand für den Bau eines solchen Großtumulus war, lässt sich nur durch eine Schätzung unter Zuhilfenahme von Analogien im Rahmen der antiken Bauökonomie annäherungsweise bestimmen. Diese ergibt zwar einen hohen Aufwand für die Schüttung, der aber vor allem in den gewaltigen Dimensionen begründet ist. Insofern dürfen Erdbewegungen auch nicht überschätzt werden, da sie einfach zu realisieren sind.
Keywords
Antike Bauökonomie, Baumaterialien, Bauweisen, Hellenismus, Hügelgräber-Kultur, Pergamon, Tumuli
Abstract
Move Mountains? - Building Principles and Labour Costs in the Construction of the Yığma Tepe
Research Carried Out between August and December 2022
Although the embankments of tumuli constitute the monumentality of this tomb form, they have not received more attention until recent decades. New investigations on the Hellenistic Yığma Tepe at Pergamon have revealed that certain construction principles were applied, which show a good knowledge of the properties of earth-building materials. The amount of labour for the construction of such a large tumulus can only be approximated by an estimate with the help of analogies within the framework of the ancient building economy. Although it shows high costs for the filling, this is mainly due to the enormous dimensions. Therefore, the effort for earth moving should not be overestimated, as it is rather easy to realise.
Keywords
Ancient building economy, building material, construction methods, Hellenism, Pergamon, tumuli

Einleitung
Die Erdschüttung als größtes Bauelement
Die Erdschüttung als komplexes Bauelement
Die Erdschüttung als mühsame, jahrelange Plackerei?
Danksagung
Kooperationen
Förderung
Leitung des Projektes
Team
Abstracts