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2023-1
Zentrale
Milet, Türkei
Marmor in Milet der Kaiserzeit. Bericht über die archäometrische Studie
Die Arbeiten der Jahre 2018 bis 2022
1Die archäometrische Studie zur Herkunftsbestimmung der marmornen Architektur der Stadt Milet bildet den zentralen Gegenstand des DFG-geförderten Forschungsprojektes »Baumaterialien und Wirtschaftsdynamiken im Milet der Kaiserzeit« (TO1102/1-1), das primär die Ziele verfolgt, die Auswirkung der lokal umfangreich anstehenden Marmorressourcen auf die Stadtentwicklung des römischen Milet zu erforschen und das Marmorkonsumverhalten dieser kleinasiatischen Stadt innerhalb des kaiserzeitlichen Phänomens des Marmorhandels einzuordnen.
Stand der Forschung
2Der Forschungsstand sieht zwei distinkte Marmorabbaugebiete als Hauptquellen für Milets Baumaterial: die eigenen Marmorbrüche und diejenigen der benachbarten Stadt Herakleia am Latmos (Abb. 1). Beide Abbaugebiete lagen direkt am Ufer des Latmischen Golfes (heute Bafasee) und zwar entlang des Südufers bzw. am Ostrand. Die milesischen Brüche befanden sich genau am Nordfuß des Griongebirges (Ilbira Dag), wobei diejenigen von Herakleia auf einer anderen, geographisch distinkten Bergformation, auf einem südlichen Ausläufer des Latmos (Besparmak). Die Lokalisierung dieser zwei antiken Abbaugebiete und deren wissenschaftlichen Erschließung geht auf die Surveyarbeit von Annelise Peschlow-Bindokat zurück, die an der Südseite des Bafasees zahlreiche disparate Spuren antiker Abbautätigkeit mitunter 90 großformatige Säulentrommeln dokumentiert, wohingegen am Latmos ein kompaktes Abbauareal mit meterlangen Bruchwänden und Schutthalden identifiziert hat. Entsprechend ihrer breiten Verteilung und Lage wurden die milesischen Brüche am Südufer in zwei Areale unterteilt: Milet Ost, das dem Hügel Lefka-Bur-Dag entspricht, und Milet West, das sich genau am Bafa-See befindet, direkt südlich der Hauptverkehrsachse, die Söke mit Milasa verbindet, und in der Nähe des modernen Touristenkomplexes von Silva Oliva [1].
3Meine interdisziplinäre Untersuchung baut auf den Publikationen von Klaus Germann, Thomas Cramer und Gregor Borg auf, die seit den 1980er Jahren im Rahmen interdisziplinärer Projekte die lokalen Marmorvorkommen der Bafasee-Region archäometrisch erfasst haben und mithilfe multivariater analytischer Verfahren eine Marmorherkunftsbestimmung repräsentativer Bauten aus Milet und der Umgebung unternahmen [2]; hinzu kamen Provenienzanalysen archäologischer Gegenstände aus der Mäanderebene, die sich in Beständen der Berliner Museen befinden [3].
4Laut Germann soll der Marmor von Herakleia massiv für den hellenistischen Wiederaufbau des milesischen Apolloheiligtums bei Didyma verwendet worden sein, und ebenfalls Cramer schrieb der latmischen Lagerstätte den Marmor des berühmten Markttors und des Nymphäums zu. Auch Barbara und Gregor Borgs Untersuchung des didymeischen Materials, welche die Verwendung von thasischen und prokonnesischen Importen für die hellenistische bzw. die römische Phase des Didymeions zeigte, änderte kaum die traditionelle Auffassung, der zufolge, die lokal anstehenden Steinbrüche in Besitz der Stadt selbst bzw. von Herakleia am Latmos die Hauptquellen für Milets Baumaterialversorgung waren.
5Diese vermeintlich massive Nutzung latmischen Steins in Milet hat vielfältige wirtschaftliche Implikationen, da es sich bei diesem Marmor nach der allgemein akzeptierten Interpretation einer Vitruvius Textstelle [4] sowie des um 301 erlassenen diokletianischen Preisediktes um einen von der Archaik bis in die Spätantike überregional gehandelten und zudem auch um einen besonders hochwertigen Marmor handeln soll. Die Revision der schriftlichen Quellen und neue Beobachtungen zum archäologischen Befund – die ausführlich abgesondert dargelegt werden – zeichnet für Herakleia ein durchaus differenziertes Bild ab, in dem der Marmor eine wesentlich jüngere, wohl hellenistische Abbautradition aufweist und in der Antike, wahrscheinlich, kaum mehr als lokale Bedeutung besaß. Daher stellt sich erneut die Frage nach der Herkunft des Baumaterials, das Milets architektonische Gestaltung in der Kaiserzeit ermöglicht hat und wann oder ob überhaupt, Marmor aus Herakleia in der benachbarten ionischen Stadt Verwendung fand.
6Diese Frage verlangt nach einer detaillierten archäometrischen Studie zur Marmorherkunft des milesischen Baumaterials und abermalig zur Charakterisierung der lokal anstehenden Marmorvorkommen mitsamt dem Versuch einer intra-site Diskriminierung. In den Jahren 2017 bis 2022 wurden etappenweise ausgewählte Bestände aus Marmorprobensammlungen (2017/2018; 2021) erfasst, Probenmaterial auf der Grabungsstätte Milet entnommen und ausgeführt (2016, 2018), naturwissenschaftliche Untersuchungen an Laboren in Deutschland und Kanada veranlasst (2018–2022), geologische Präparate in Auftrag gegeben, ausgewertet und digitalisiert (2018–2022) und die Sicherung der zusätzlich georeferenzierten archäometrischen Daten auf dem Geoserver des DAI gewährleistet. Im Folgenden soll ein Überblick über die Arbeiten hinter der archäometrischen Untersuchung und eine Auswahl an Ergebnissen präsentiert werden, deren Vorstellung sowohl in der Reihe der e-Forschungsberichte wie auch in ausführlicher Form in Peer-Reviewed Zeitschriften fortgesetzt werden soll.
Die archäometrische Untersuchung
Die Materialgrundlage: Die Probensammlungen
7Meine archäometrische Studie basiert auf 440 Datensets zu 194 geologischen Proben aus antiken Steinbruchgebieten in Westkleinasien sowie zum beprobten archäologischen Material (236), das vor Ort entnommen wurde oder aus früheren Forschungsprojekten hervorgegangen ist.
8Der Großteil der projektrelevanten Steinbruchproben entstammt der Sammlung von Klaus Germann, der als Professor für Lagerstättenforschung an der TU-Berlin (1988–2004) Forschungen zu antiken Lagerstätten in Thessalien, auf den Kykladen (zusammen mit Gottfried Gruben) und am Bafasee (zusammen mit Annelise Peschlow-Bindokat) mitbetreut und gemeinsam mit Thomas Cramer, Wolf-Dieter Heilmeyer und Volker Kästner eine archäometrische Studie zur Herkunftsbestimmung der architektonischen Bestände der Berliner Antikensammlung unternommen hat. Aus dieser intensiven Forschungstätigkeit sind mehr als 2000 Proben, geologische Präparate (Dünnschliffe, Anschliffe, Marmorpulver), Messwerte und Unterlagen hervorgegangen, die nach Germanns Emeritierung in den Beständen der Berliner Antikensammlung übergegangen sind und im Rahmen des hiesigen Projektes 2017/2018 erstmal systematisiert und partiell katalogisiert wurden.
9Zur Vervollständigung des Referenzmaterials wurden 2021 zusätzliche Proben aus einer weiteren deutschen Sammlung herangezogen, die Gregor Borg, Geologieprofessor an der Martin-Luther-Universität Halle in den 1990er Jahren im Rahmen seinen Untersuchungen des marmornen Baumaterials des milesischen Heiligtum von Didyma angelegt hat.
10Der Schwerpunkt des im Rahmen des Projektes erfassten geologischen Materials liegt auf der Bafasee-Region (132 Proben) und umfasst die Lagerstätten von Herakleia (43), Milet Ost (38), Milet West (35), Myus (13), aber auch Material aus Euromos (11), Magnesia (4), Priene (10), Stratonikeia (6), Mylasa (4), Phourni (3) und Ephesos (9). Die Zahl der archäologischen Proben beträgt 236 und ist das Ergebnis meiner eigenen 2016 und 2018 durchgeführten Beprobungskampagnen in Milet (96) sowie früherer Projekte von Germann und Cramer (31) und von Reinhard Köster (10). Alle 81 Proben aus dem milesischen extraurbanen Heiligtum von Didyma, darunter der Apollontempel (73), der Sphyngertemenos (3), die Seleukospfeiler (1) und der Poseidonaltar von Monondendri (4), sind Teil der hallensischen Borg-Sammlung. Weiteres archäologisches Material aus früheren Projekten (18) bezieht sich hauptsächlich auf Baudenkmäler aus Herakleia (6), Priene (4) und Magnesia (1).
Die archäometrischen Methoden
11Für alle 440 Proben sind jeweils Sets mit denselben experimentellen, sprich numerischen Werten ermittelt bzw. die petrographisch-mineralogischen Merkmale bestimmt worden (Abb. 2a. b. c).
12In den Jahren 2018 bis 2022 wurden für 302 Proben die stabilen Kohlenstoff- und Sauerstoffisotopenwerte (δ18O bzw. δ13C) im Isotopenlabor des Museums für Naturkunde, Berlin gemessen [5]. Diese dienen als Grundlage für die in der Marmorforschung etablierte diskriminante statistische Analyse und auf der Anwendung der Software Statistica basiert [6]. Die eigenen Analysen wurden mit Daten aus Peer-Reviewed-Studien ergänzt. Erste Ergebnisse und Vorschläge zum Umgang mit den Daten sind 2020 vorgestellt worden. Momentan wird unter tatkräftiger Unterstützung von Attanasio der Versuch unternommen die Grenzen und Möglichkeiten des statistischen Verfahrens bei der Auswertung des enormen Datenvolumens, das dieses Projekt generiert hat, zu testen.
13Mit der chemischen Analyse der Spurenelemente für 273 Proben wurde in den Jahren 2018 und 2020 das kanadische Labor Actlabs beauftragt, das im Rahmen eines AR-MS/ICP-MS-Verfahren 63 Elemente ermittelt hat. Für die statistische Analyse sind 18 Spurenelemente relevant: Sr, Mg, Fe, Mn, Cu, Zn, Y, Na, S, Co, Zr Mo, Cd, Ba. Ce, Nd, Pb, U.
14Die petrographische Analyse basiert auf 266 neu angefertigten Dünnschliffen von Andreas Wagner (Wien, Österreich), die mit ›alten‹ geologischen Präparaten aus der Berliner bzw. Hallenser Sammlung erweitert wurde. Die mikroskopischen Untersuchungen umfassen die digitale Korngrößebestimmung (min., max., AGS), die mit dem Hirox-Digitalmikroskop der Naturwissenschaftlichen Abteilung des DAI gemessen wurde sowie eine petrographische Analyse einschließlich der Charakterisierung des Gefüges, der Bestimmung der mikroskopischen Eigenschaften der Kristalle (Grenzen, Orientierung, Deformationsformen) und der akzessorischen Minerale. Die primäre mineralogische Charakterisierung wurde von Markus Bäßler am Labor für Automatisierte Mineralogie der Freien Universität Berlin unternommen. Die Dünnschliffe wurden unter einfachem und gekreuzt polarisiertem Licht analysiert und anschließend mit einem ZEISS Axio Imager M2m und der Zen blue Software digitalisiert. Die mineralogische Analyse folgt den von LorenzoLazzarini und Fabrizio Antonelli aufgestellten Standards [7].
15Die petrographische Analyse umfasst auch die Autopsie und Charakterisierung der makroskopischen Merkmale der Marmore (Farbe, Musterung,Verunreinigungen). Dies wurde vor Ort, in Milet und bei Besichtigungen der Steinbrüche der Bafasee-Region durchgeführt [8].
Vorläufige Ergebnisse
16Die getesteten analytischen Verfahren zeigen, dass einen einseitigen methodischen Ansatz die Fragestellung zur eindeutigen Differenzierung der Marmorabbaugebiete nicht klären kann. Vielversprechend ist dagegen eine multivariate Analyse, welche die statistische Auswertung numerischer Parameter (O18 und C13-Isotopen, Spurenelemente und MGS) mit deskriptiv erfassten Merkmalen (makroskopische und mikroskopische Eigenschaften) verbindet und dazu noch historische und archäologische Beobachtungen berücksichtigt.
17Die vorläufigen Ergebnisse der archäometrischen Untersuchung deuten darauf hin, dass Milet für seine urbane Gestaltung in der archaischen, hellenistischen und römischen Zeit hauptsächlich Gebrauch vom lokal anstehenden Marmor machte, und zwar vom solchen, der sich innerhalb des eigenen Territoriums und im Besitz der Stadt befand.
18Die Marmorbrüche von Milet West dürften eine weitaus größere Rolle in der Versorgung Milets mit Marmormaterial gespielt haben als bisher angenommen, denn sowohl die Ausdehnung des antiken Abbauareals wie auch die große Verfügbarkeit verschiedener Marmorvarietäten von der archäologischen und archäometrischen Forschung bisher weitgehend unerkannt geblieben sind. Die Spuren antiker Abbautätigkeit in dem Areal Milet West, das Peschlow-Bindokat in der dritten Bucht westlich der Kahve Assar Ada lokalisiert hat, sind durch die Überbauung durch den touristischen Bungalow-Komplex Silva Oliva verdeckt und zum Teil sogar alteriert (Abb. 3a. c.). Noch Anfang der 1980er Jahre waren dort fünf große Schutthalden (Abb. 3b) ersichtlich sowie weitere Steinbruchartefakte die heute aufgrund des angestiegenen Pegels des Bafasees unter Wasser liegen [9]. Jedoch auch westlich von Silva Oliva lassen sich weitere vier soweit nicht genau dokumentierte antike Abbaustellen identifizieren. Zieht man die Beobachtungen von Philippson zur Geologie der Region hinzu, dann dürfte man für den ganzen Südufers des ehemaligen latmischen Golfes vom Ioniapolis (nahe Mersinet Iskelsei) bis hin zur türkischen Ortschaft Sakizburnu von antiken Marmorabbaustellen ausgehen [10]. Die Lage direkt am Ufer stellte sicherlich einen wesentlichen Vorteil für die Gewinnung des Marmors, dessen maritime Abtransport ohne zusätzliche ländliche Infrastruktur unproblematisch zu bewältigen war. Urteilt man nach dem Fund von großformatigen Säulentrommeln, die ähnlich wie in den Brüchen von Lafka-Bur-Dag auch hier gefunden wurden, dürfte man von einer Betriebszeit bis in das 3. Jahrhundert n. Chr. ausgehen.
19Eine besondere Erwähnung verdient eine dunkelgraue Varietät mitweißen, z. T. gekreuzten Calcitadern, die soweit lediglich am Südufer des Bafasee identifiziert wurde und in hellenistischer Zeit als Baumaterial des Didymeions und des Bouleuterions genutzt wird und in der Kaiserzeit einen dekorativen Wert bekommt (Abb. 4a. b. c. d. e. f).
Kooperationen
Milet-Grabung, Universität Hamburg (C. Berns); Dokuz Eylul University (B. Yavuz); Antikensammlung, Berlin (M. Maischberger).
Förderung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG / TO1102/1-1).
Leitung des Projektes
N. Toma.
Team
M. Bäßler, D. Dieter, J. Jürgens, J. Schneider, J. Schoeneberg, A. Schwarz, K. Zielke.
Abstracts
Zusammenfassung
Milet, Türkei. Marmor in Milet der Kaiserzeit. Bericht über die archäometrische Studie. Die Arbeiten der Jahre 2018 bis 2022
Natalia Toma
Der Bericht präsentiert die archäometrischen Untersuchungen zur Herkunftsbestimmung des marmornen Baumaterials, das Milets Stadtbild prägte. In den Jahren 2018 bis 2022 wurden im Rahmen des DFG-geförderten Forschungsprojektes (TO1102/1-1) mehr als 440 archäologische und geologische Proben untersucht und jeweils mit einem archäometrischen Datensatz versehen, der numerische Parameter und deskriptiv erfassten Eigenschaften beinhaltet und die Grundlage für eine multivariate Provenienzanalyse des Marmors bilden. Hinzu kommt die Erfassung zweier Sammlungen mit geologischem Material und Präparaten sowie mit archäologischen Proben: des Nachlasses von Klaus Germann (TU-Berlin), der zu den Beständen der Berliner Antikensammlung zählt und der hallenischen Sammlung von Gregor Borg (MLU-Halle).
Keywords
Archäometrie, Marmor
Abstract
Milet, Turkey. Engl Marble in Imperial Roman Miletus: report on the archaeometric study. Seasons 2018 to 2022
Natalia Toma
The report presents the archaeometrical methods used to provenance the marble building material used to adorn the city of Miletus. Within the framework of the DFG-funded research project (TO1102/1-1), more than 440 archaeological and geological samples were examined during the period 2018 to 2022, and each was provided with an archaeometric dataset containing numerical parameters and descriptively recorded properties, which serves as the basis for a multivariate provenance analysis of the marble. In addition, two collections of geological material and archaeological samples were recorded: the legacy of Klaus Germann (TU-Berlin), which is now preserved at the Antikensammlung in Berlin, and the collection of Gregor Borg stored at the Martin-Luther-University of Halle.
Stand der Forschung
Die archäometrische Untersuchung
Die Materialgrundlage: Die Probensammlungen
Die archäometrischen Methoden
Vorläufige Ergebnisse
Kooperationen
Förderung
Leitung des Projektes
Team
Abstracts
2023-1