Abteilung Rom
Castiglione della Pescaia (Grosseto), Italien
»Prile-Projekt« (1. Jt. v. Chr., bes. 6.–1. Jh. v. Chr.)
Die Arbeiten der Jahre 2019 bis 2022
Einführung und Fragestellungen
1Seit 2016 untersucht das »Prile-Projekt« die Beziehung des etruskischen Zentrums Vetulonia mit der heute verlandeten Lagune, die von den Römern »Prile-See« genannt wurde [1]. Das Gewässer nahm in der Antike den Großteil der Ebene um die heutige Stadt Grosseto ein und ihr Verlandungsprozess führte zu maßgeblichen Landschaftsveränderungen, die Auswirkungen auf Vetulonia und auf die ganze südliche Toskana hatten (Abb. 1). Bisherige geoarchäologische Studien gehen davon aus, dass die Ebene zunächst von einer tiefen, marinen Bucht eingenommen war. Im Zuge des globalen, holozänen Meeresspiegelanstieges und mit Ausbildung einer Nehrung am westlichen Rand der Bucht kam es bereits von 4000 bis 2000 v. Chr. zu einer allmählichen Schließung der natürlichen Verbindung zum offenen Meer. Die Sedimentzufuhr der beiden in die Bucht mündenden Flüsse – Ombrone im Südosten und Bruna im Nordosten – führte darüber hinaus zu einer zunehmenden Verlandung des Gewässers, die aufgrund der unterschiedlichen Wassermengen der Flüsse im südlichen Teil viel schneller als im Nördlichen erfolgte. Daher kann eine schiffbare Lagune im nördlichen Teil der Grosseto-Ebene bei Vetulonia noch in der etruskischen und römischen Zeit angenommen werden. An den Ufern der Lagune pflegte die etruskische Stadt höchstwahrscheinlich Anlegestellen, durch die das in den umliegenden Tälern gewonnene metallische Rohmaterial verschifft wurde. Der kontinuierliche Verlandungsprozess der Lagune sowie die Trockenlegungs- und Meliorationsmaßnahmen seit dem 18. Jahrhundert haben schließlich dazu geführt, dass die ursprüngliche Ausdehnung – insbesondere des schiffbaren Teiles – der Lagune nicht bekannt ist.
2Das »Prile-Projekt« verfolgt daher zwei eng miteinander verflochtene Ziele. Zum einen sollen die Ausdehnung und der Verlandungsprozess der Lagune im nördlichen Teil der Grosseto-Ebene zeitlich eingeordnet werden, zum anderen sollen antike Infrastrukturen untersucht werden, die von der Beziehung Vetulonias mit der Lagune zeugen. Die Entwicklung der städtischen Infrastruktur als Reaktion auf die umfassenden Landschaftsveränderungen soll schließlich Aspekte der Strategien beleuchten, mit denen sich die Bewohner der Region an die sich ständig verändernde Umwelt angepasst haben.
Vorspann: die Arbeiten von 2016 bis 2018
3Im Rahmen des »Prile-Projektes« wurden zwischen 2016 und 2018 geomagnetische Prospektionen in der Ebene unmittelbar im Osten des Hügels von Vetulonia durchgeführt [2]. Insgesamt wurde eine Fläche von ca. 19,5 Hektar untersucht, die auf der Basis von topographischen und verkehrstechnischen Überlegungen im Hinblick auf das etruskische Zentrum Vetulonia ausgewählt wurde. In der Ortschaft Badia Vecchia – die bereits auf archäologischen Karten der Region verzeichnet war – führten die Prospektionen zur Entdeckung einer monumentalen Anlage, die aus einer ca. 600 m langen linearen und mehreren kleineren, rechtwinkligen Anomalien besteht (Abb. 2. 3). Die gesamte Anlage nimmt ca. 260 bis 280 x 90 m ein. Die gebogene Form der linearen Anomalie und ihre beträchtliche Dimension erinnerten zunächst an eine Hafeninfrastruktur: Im Anschluss durchgeführte Bohrungen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Geographische Wissenschaften der Freien Universität Berlin lieferten jedoch keine Hinweise auf Stillwassersedimente innerhalb dieser Struktur. Stillwassersedimente werden durch stehende Wasserkörper mit einer gewissen Wassertiefe abgelagert, so dass diese Sedimente auf ehemals schiffbare Bereiche hinweisen. Die Verbreitung von Stillwassersedimenten in der antiken Lagune konnte dagegen unmittelbar südlich der Anomalien dokumentiert werden (vgl. Abb. 4). Die Radiokarbondatierungen der Sedimente ergaben eine zeitliche Übereinstimmung zur Phase des etruskischen Zentrums in Vetulonia.
4Die positiven Resultate – mit der erstmaligen Dokumentation schiffbarer Gewässer in der Lagune sowie die Identifikation der monumentalen Anlage in unmittelbarer Nähe von Vetulonia – haben uns zur Fortsetzung der Erforschung der Fundstelle Badia Vecchia und ihrer Umgebung ermuntert.
Die Arbeiten von 2019 bis 2022
Geomorphologie und Geoarchäologie
5Die Rekonstruktion der Landschaftsentwicklung im Umland von Vetulonia wird durch umfangreiche anthropogene Landschaftsveränderungen (z. B. landwirtschaftliche Meliorationen) in den vergangenen Jahrzehnten erschwert. Diese Maßnahmen führten zu einer weitreichenden Umgestaltung der Landschaft bis hin zur künstlichen Trockenlegung der heutigen Grosseto-Ebene und zur nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschlossenen kompletten Umbettung des Flusses Bruna in unmittelbarer Nähe des Untersuchungsgebietes. Die anthropogenen Eingriffe zeigen sich insbesondere in den hangenden Sedimenten mit meist 3 m mächtigen Auflagen aus Kolluvien und anthropogen umgelagerten Ablagerungen als Sedimenten. Um diese historischen Veränderungen in ihrer Entwicklung aufzuarbeiten, werden gegenwärtig Karteninterpretationen anhand historischer Karten für den Zeitraum vom 17. bis ins 19. Jahrhundert durchgeführt. Die nicht durch historische Karten dokumentierten, älteren und natürlichen Landschaftsentwicklungen werden anhand von eigenen Sedimentbohrungen im unmittelbaren Umfeld von Vetulonia kartiert und interpretiert (Abb. 4).
6Die Sondierungen und Kartierungen der ersten Bohrkampagne (Frühjahr 2018) wurden am Institut für Geographische Wissenschaften (Physische Geographie) der Freien Universität Berlin eingehend untersucht, ausgewertet und interpretiert. Diese Kampagne umfasste neun Bohrkerne mit einer Gesamtlänge von 63,73 m, was ein umfangreiches Archiv vergangener Ablagerungsbedingungen und der Landschaftsentwicklung darstellt.
7Anhand von sedimentologisch-geochemischer Charakterisierung der beprobten Sedimente konnten die in den Ablagerungen repräsentierten Faziesbereiche identifiziert und deren Alter mittels Radiokarbondatierungen eingeordnet werden. Somit war es möglich, eine räumliche und zeitliche Verbreitung von ehemals schiffbaren Bereichen in unmittelbarer Nähe der archäologischen Struktur auszukartieren. Dabei konzentrieren sich die Laboruntersuchungen auf die Bohrkerne mit den mächtigsten Stillwasserablagerungen, da diese Abschnitte meist zeitlich länger andauernde Phasen von Schiffbarkeit repräsentieren. Eine detaillierte Bearbeitung erfolgte in zwei ersten Bachelor Abschlussarbeiten [3]. Die Kartierungen von 2018 wurden dann im September 2021 durch weitere Sondierungen ergänzt und wesentlich erweitert (Abb. 4): In weiteren 19 Bohrungen wurden insgesamt 117,85 m Sediment erbohrt, beschrieben, beprobt und im Labor – aufbauend auf den Erfahrungen und Erkenntnissen aus der ersten Bohrkampagne – analysiert. Auch diese Laborarbeiten werden gegenwärtig durch Qualifizierungsarbeiten unterstützt [4].
8Alle Bohrkerne, insbesondere die Stillwasserabschnitte, wurden engabständig beprobt und detailliert auf die Parameter Farbe, Korngröße, organischer und anorganischer Kohlenstoffgehalt, Gesamtstickstoffgehalt, C/N-Verhältnis, Mineralbestand, ausgewählte Elementverhältnisse und -konzentrationen untersucht. Erhöhte organische Kohlenstoff- und Stickstoffgehalte in Kombination mit tonreichen, bläulichen Sedimenten repräsentieren meist eine Stillwasserfazies, die in einem stehenden Gewässer abgelagert wurden (z. B. See, Lagune, Fluss-Altarm). Durch die Bestimmung des C/N-Verhältnisses der Organik kann auf das Bildungsmilieu der organischen Substanz in den Sedimenten und somit auf die Umweltbedingungen geschlossen werden. Bei überwiegend subaquatischer Bildung zeigen sich Werte <10 und bei terrestrisch (im Sinne von »an Land«) gebildeter Organik werden C/N-Verhältnisse >20 abgebildet. Die durchweg geringen C/N-Verhältnisse in den Bereichen erhöhter Organikgehalte belegen deren subaquatische Bildung in Gewässern. Durch Kenntnis des Mineralbestandes der Sedimente kann ebenfalls auf Umweltbedingungen geschlossen werden. So stehen höhere Tongehalte sowie die autochthone Bildung von Pyrit (FeS) und Carbonat (CO3) für langsam fließende oder auch stehende Gewässer, wogegen zunehmende Silikatgehalte (meist Quarz und Feldspäte) eher allochthone Sedimente fließender Gewässer repräsentieren und auf einen zunehmenden detritischen Eintrag durch den in die Lagune mündenden Zufluss Bruna hindeuten.
9Auch anhand weiterer Elementverhältnisse und -konzentrationen – quantifiziert über Röntgenfluoreszenz-Spektrometrie – lassen sich Aussagen zur Fazies und damit zu den Umweltbedingungen bei Ablagerung der Sedimente machen. So zeigen Verschiebungen des Zr/Rb-Verhältnisses zu höheren Werten gröbere Sedimente an. Die Verbreitung von organikhaltigen und calcitreichen (CaCO3) Sedimentabschnitten weist auf eine Karbonatübersättigung und -fällung im lagunären Gebiet hin und somit ebenfalls auf ehemals schiffbare Bereiche. Aufgrund des hohen detritischen Eintrages durch die Zuflüsse in die Lagune und des dynamischen Ablagerungsmilieus zeigen Mikrofossilien eine schlechte Erhaltung in den Sedimenten, wie Testanalysen gezeigt haben. Somit konnten Bioindikatoren wie Pollen, Diatomeen (Kieselalgen) und Ostrakoden (Muschelkrebse), die Aussagen zum aquatischen Milieu und der Vegetation der Lagune erlauben, bisher kaum ausgewertet werden.
10Die am nächsten an die archäologische Struktur heranreichenden Stillwassersedimente wurden schon 2018 erbohrt und finden sich auf Höhe des südlichen Endes der archäologischen Struktur (VE6; Abb. 4. 5). Durch weitere, in 2021 erbohrte Stillwassersedimente nur 40 m südlich (VE26) wird dieses Vorkommen bestätigt. Durch die ergänzenden Bohrungen von 2021 wurde der Bereich südwestlich und südöstlich kartiert und hier zeigen sich in südöstlicher Fortsetzung – also in Richtung der ehemals offenen Lagune – weiterhin mächtige Stillwassersedimente, deren Basis teilweise nicht mehr mit dem Bohrsystem erfasst werden konnte (Abb. 5: VE14 Stillwassersedimente bis 9 m unterhalb der heutigen Landoberfläche).
11Die ältesten datierten lagunären Stillwassersedimente an der Basis von Bohrung VE14 (880–900 cm unterhalb der heutigen Landoberfläche) datieren auf 6770 bis 6480 cal BCE. Die jüngsten datierten Stillwassersedimente in Bohrung VE5 (Holzkohle bei 362–364 cm unterhalb der heutigen Landoberfläche) datieren auf 1420 bis 1620 cal AD (siehe Abb. 5). Somit können schiffbare Bereiche seit dem Frühholozän bis in die Zeit der Etrusker und an einigen Stellen bis in die Neuzeit in der heute verlandeten und umgestalteten Bucht belegt werden. Allerdings stellte die ehemalige Lagune bzw. die gesamte Grosseto Ebene ein hochdynamisches Sedimentationsbecken für die lokalen kleineren Zuflüsse sowie die regionalen Flüsse Bruna (aus Nordwest) und Ombrone (aus Südost) sowie den marinen Einflüssen aus südlicher Richtung dar. Daher muss von häufig wechselnden Flussläufen, Altarmbildungen und sich verändernden Fließrichtungen und Sedimentationsbedingungen ausgegangen werden, die durch Aufsedimentation, Änderungen des Meeresspiegels und variierende Zuflüsse ausgelöst wurden. Es handelte sich um eine amphibische, sich schnell verändernde Landschaft, die dennoch bis in die Etruskerzeit schiffbare Stillwasserbereiche in dichter räumlicher Nähe zur Fundstelle Badia Vecchia und Vetulonia aufweist.
Archäologie
12Um die Natur und die Datierung der bei den geomagnetischen Prospektionen erkannten Anomalien zu klären, wurde 2019 eine Sondage eröffnet. Für die Untersuchung ausgewählt wurde ein Bereich, in dem das Geomagnetikbild sowohl einen Abschnitt der gebogenen, linearen Anomalie als auch kleinere, rechtwinklige Anomalien zeigte (siehe Abb. 2). In den Jahren 2021 und 2022 wurde die Sondage erweitert und bis zum anstehenden Boden stratigraphisch ausgegraben (Abb. 6).
13Die Ausgrabungen bestätigen die identifizierten Anomalien als antike Strukturen. Insbesondere die gebogene, 600 m lange lineare Anomalie hat sich als monumentale Terrassenmauer erwiesen, errichtet aus großen Blöcken in Trockenbauweise und bis zu einer Höhe von ca. 1,70 m erhalten (Abb. 7). Nordwestlich der Terrassenmauer befindet sich eine Reihe von Räumen mit Dächern aus Ziegeln, die zur großen Mauer hin anscheinend offen waren und in ihrer Ausrichtung klar darauf Bezug nehmen. Von diesen Räumen war wenig mehr als die Mauerfundamente erhalten, die jedoch von mehreren Phasen und Umbauten zeugen. Die Ausgrabung hat sich auf die Untersuchung eines dieser Räume (Raum A, ca. 7 x 5,5 m) und eines ca. 5 m langen Abschnittes der Terrassenmauer sowie der südlich davon befindlichen Schichtenabfolge (Approfondimento sud) konzentriert. Insgesamt wurden ca. 100 m2 teilweise bis zum anstehenden Boden untersucht (Abb. 6. 8). Insbesondere war es möglich, die stratigraphische Abfolge zu dokumentieren, die von den Fundamenten bis zur Aufgabe der großen Terrassenmauer geht. In der Folge sollen die identifizierten, groben Phasen – von der ältestenbis zur jüngsten – kurz vorgestellt werden.
14Die früheste Phase des untersuchten Komplexes besteht aus dem Bau der monumentalen Mauer. Zur Einbettung für die Fundamente wurde eine Vertiefung in den gewachsenen Boden vorgenommen, auf deren Innenwand – gegen den Boden – das Mauerwerk aufgesetzt wurde (siehe Abb. 7). Auf der so entstandenen Terrasse wurden wohl in derselben Phase drei Mauern errichtet, von denen zwei parallel in Nordwest-Südost-Richtung verlaufen und die beiden Seiten eines offenen Raums (Raum A) bilden. Die dritte, schlecht erhaltene Mauer hat wahrscheinlich die Rückwand des Raumes gebildet. Im Raum wurden keine Spuren von Fußböden festgestellt, sondern nur eingeebnete Bodenflächen, was für eine Interpretation als offenen, nur teilweise überdachten Bereich spricht. Ein weiteres Indiz bildet die offene Abflussrinne an der Stirnseite des monumentalen Mauerwerks, die in den Boden von Raum A mündet und den Abfluss von Regenwasser aus dem Raum in Richtung des Terrassenbeckens ermöglicht (Abb. 9). Die erste Phase scheint durch die Auffindung von Bucchero-Fragmenten vorläufig im 5. Jahrhundert v. Chr. datiert werden zu können.
15Eine zweite Phase in der Benutzung des Areals lässt sich in der hellenistischen Periode verorten. In dieser Phase ändert sich die Erscheinung von Raum A, obwohl es sich weiterhin um eine ›Freiluft‹-Anlage handelt. Zwischen dem 4. und dem 3. Jahrhundert v. Chr. wird die Mauer der ersten Phase von Raum A zerstört und durch regelmäßig errichtetes Mauerwerk ersetzt (Abb. 6. 8). Der Raum scheint jedoch zu einer Art Vorraum für einen hinteren, im Nordwesten anschließenden Raum geworden zu sein, wie der neue Übergang an der Rückwand von Raum A vermuten lässt. Die monumentale Terrasse war noch in Gebrauch, jedoch hatte die leichte Erhöhung des Bodenniveaus, die mit den Umbauten im Raum A einher ging, wohl die Abflussrinne geschlossen. Zwischen der Mitte des 3. und dem Beginn des 2. Jahrhunderts v. Chr. setzt die allmähliche Aufgabe der monumentalen Struktur ein. Die Mauern von Raum A werden abgetragen, wahrscheinlich um einen großen offenen Bereich zu bilden, und nur in der Mitte des Raums sind noch Reste von Aktivitäten in Form von Vertiefungen mit Brandspuren zu erkennen (Abb. 10).
16Die letzte Phase markiert die endgültige Zerstörung der monumentalen Terrasse und der umliegenden Gebäude. Die im Bereich südlich der Terrassenmauer dokumentierte stratigraphische Abfolge zeigt deutliche Zerstörungsebenen, die durch große Mengen an Baumaterial gekennzeichnet sind (Abb. 11). Diese Auffüllschichten scheinen aus dem Bauschutt der zerstörten Gebäude auf der Terrasse zu bestehen und füllen das Terrassenbecken bis zur erhaltenen Oberkante der Terrassenmauer auf. Nivellierungsschichten sind auch im Bereich von Raum A belegt. Das Fundmaterial, das in Zusammenhang mit der endgültigen Aufgabe des Areals in Zusammenhang zu bringen ist, datiert bis in die erste Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. In der Folgezeit scheint das Areal nicht mehr bebaut und eher für Landwirtschaft oder als Weideland benutzt worden zu sein.
17Wenn auch die Phasenabfolge im untersuchten Areal klar zu sein scheint, sind Hinweise auf die Funktion der Strukturen noch eher spärlich, da das meiste Fundmaterial aus sekundären Ablagerungen stammt. Eine erste Auswertung ermöglicht jedoch einige Bemerkungen und Hypothesen. Große Mengen an Dachziegeln wurden sowohl in Raum A als auch in den Verfüllungsschichten südlich der Terrasse geborgen, was auf die Präsenz nicht nur von offenen, sondern auch von überdachten Gebäuden auf der Terrasse hinweist. Der Charakter dieser Bauten ist allerdings noch nicht klar definierbar. Zahlreiche Fragmente von Gebrauchs- und Vorratskeramik sowie Webgewichte könnten auf häusliche Tätigkeiten hinweisen. Hinweise auf gehobene Wohnkultur lassen sich an den hochwertigen Bucchero-Keramiken und importierter Ware erkennen. Fragmente von architektonischen Terrakotten mit vegetabilen Elementen deuten auf religiöse Gebäude oder vornehme Wohnanlagen hin (Abb. 12). Von besonderem Interesse ist schließlich eine Gruppe von Materialien, die auf handwerkliche Tätigkeiten zurückzuführen sind, wie z. B. Metallbearbeitungsschlacken und Ofenabfälle von großen Behältern. Diese Funde weisen auf die Anwesenheit von Werkstätten spezialisierter Handwerker hin, die sich möglicherweise in der Umgebung der untersuchten Stelle befanden.
Ausblick und Perspektiven
18Die etruskische Anlage in der Fundstelle Badia Vecchia nimmt mit einer Ausdehnung von 260 bis 280 x 90 m monumentale Maße ein (siehe Abb. 3). Die 600 m lange Terrassenmauer verbindet die Lagune, deren Stillwassersedimente unmittelbar südlich der Anlage dokumentiert sind, mit der Hauptzugangsstraße nach Vetulonia. Wenn auch die bisherigen archäologischen Ausgrabungen eine Interpretation der Struktur als Hafenanlage nicht zulassen, so ist jedoch ihre Bedeutung für Verkehr und Handel zwischen der Stadt und dem schiffbaren Gewässer offensichtlich. Betrachtet man die Anlage als Ganzes, ist schon auf Grund ihrer Größe von einer Vielzahl von möglichen Aktivitäten und Funktionen auszugehen – womöglich von einer ausgedehnten, mit der Lagune verbundenen Infrastruktur mit unterschiedlichen funktionalen Bereichen.
19Die Entdeckung eröffnet zudem völlig neue Interpretationsszenarien für die Geschichte Vetulonias zwischen dem 5. und dem 1. Jahrhundert v. Chr. Nach einer Blütezeit zwischen dem 8. und dem 6. Jahrhundert v. Chr. ist über Vetulonia in der klassischen Zeit vergleichsweise wenig bekannt. Die neu entdeckten Strukturen widersprechen eindeutig dem in der bisherigen Forschung oft postulierten Niedergang von Vetulonia im 5. Jahrhundert. Die hier angenommene, kontinuierliche Nutzung der Anlage bei Badia Vecchia bis zum Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. bietet ebenfalls neue Einblicke im Romanisierungsprozess Vetulonias und der Umgebung, der mit dem Bau der Via Aurelia 241 v. Chr. angesetzt wird. Die Zerstörung der Anlage in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. ruft schließlich die Unruhen nach dem Bürgerkrieg zwischen Marius und Sulla in Erinnerung, die bereits als Ursache für Zerstörungen im Bereich der Siedlung von Vetulonia genannt wurden. Eine Korrelation dieser Ereignisse mit dem Funktionswandel der Anlage und mit den Änderungen in der Ausdehnung und Beschaffenheit der Lagune verspricht wesentliche neue Einblicke in die Geschichte des gesamten Umlandes Vetulonias und der Grosseto-Ebene.
Kooperationen
Comune di Castiglione della Pescaia (GR); Freie Universität Berlin, Institut für Geographische Wissenschaften, Physische Geographie (B. Schütt, Ph. Hoelzmann).
Leitung des Projektes
C. Colombi.
Team
J. Atanasov, R. Busch, D. Danne, V. Del Segato, I. Fiorentini, E. Giora, Ph. Hoelzmann, C. Langwald, M. Marconcini, C. Moricca, A. Pellin, F. Peruzzo, F. Quintili, E. Reani, V. Recchiuti, G. Reconditi, C. Sanna, Th. Sobek.
Abstracts
Abstract
Castiglione della Pescaia (Grosseto), Italy. »Prile Project«. Report on the seasons 2019 to 2022
The »Prile Project« has been investigating since 2016 the relationship between the Etruscan settlement of Vetulonia and the ancient lagoon called Prile. As part of the project, archaeologists and geoscientists are helping to outline and understand the changes in the landscape caused by the past siltation of the lagoon and the subsequent changes in the use of the shores. From 2019 to 2022, three excavation campaigns and one drilling campaign could be carried out, which have brought significant new insights into the extent and development of the lagoon. A monumental Etruscan infrastructure complex not far from the former shores of the lagoon was identified and its potential for future research was demonstrated.
Keywords
Archäologische Ausgrabung, Bohrungen, Etruskische Kultur, Geoarchäologie, Geomagnetische Prospektion, Geowissenschaften, Hafen, Siedlung
Einführung und Fragestellungen
Vorspann: die Arbeiten von 2016 bis 2018
Die Arbeiten von 2019 bis 2022
Geomorphologie und Geoarchäologie
Archäologie
Ausblick und Perspektiven
Kooperationen
Leitung des Projektes
Team
Abstracts