Zentrale
Al-Minya, Ägypten
Müll im Überfluss in der griechisch-römischen Bergsiedlung in Tuna el-Gebel
Die Kampagnen 2021 und 2022
Das Tuna El-Gebel Projekt
1Das Institut für Ägyptologie und Koptologie der LMU München führt in Kooperation mit der Universität Kairo seit über drei Jahrzehnten Grabungen in Tuna el-Gebel, einer Nekropole des antiken Hermopolis Magna, in Mittelägypten durch (Abb. 1). Die Ausgrabungen konzentrierten sich zunächst auf die unterirdischen Galerien, in denen heilige Tiere, allen voran Ibisse, bestattet wurden sowie die dazugehörigen Kultbauten [1]. In den vergangenen Jahren hat sich die Joint Mission Kairo-München insbesondere mit den umfangreichen Siedlungsbereichen befasst, die das Personal dieses bedeutenden Bestattungs- und Kultplatzes beherbergten, der von der altägyptischen Spätzeit bis in römische Zeit hinein in Betrieb war [2]. Seit 2017 wandten sich die archäologischen Untersuchungen der Joint Mission unter der Leitung von Mélanie Flossmann-Schütze insbesondere einer Siedlung zu, die sich auf einer Bergkuppe des Gebirges befindet, das das Niltal von der Westwüste trennt [3]. Im Zentrum der sog. Bergsiedlung stehen die Reste eines monumentalen, aus Steinen errichteten Tempelgebäudes, das bereits 2005 während eines Surveys untersucht werden konnte [4]. Die Siedlung ist durch eine antike, in den Felsen gehauene Treppe zugänglich, die unweit des zentralen Eingangs zu den Tiergalerien rauf auf den Berg führt. Zahlreiche Lehmziegelbauten erstrecken sich südlich und östlich des Steingebäudes.
2Nachdem im Herbst 2018 erstmals einer dieser Lehmziegelbauten, ein für das Ägypten in griechisch-römischer Zeit typisches Turmhaus (MS1, Abb. 2), vollständig freigelegt werden konnte, konzentrierten sich die archäologischen Arbeiten – nach einer pandemiebedingten Pause – im Winter 2021 auf einen dazugehörigen Hof im Süden des Gebäudes. Schon 2018 war aufgrund zahlreicher, gut erhaltener Pflanzenfunde im Bereich des Hofes klar, dass sich der Lehmziegelkomplex in besonderer Weise für archäobotanische Untersuchungen anbieten würde. Ab diesem Zeitpunkt haben Ferran Antolín und Jessica Izak in Zusammenarbeit mit dem Grabungsteam ein archäobotanisches Projekt auf der Siedlung entwickelt.
3In der Frühjahrskampagne 2022 wurde der Hof komplett ausgegraben und dokumentiert. Zusätzlich konnten Lagerräume im Süden in die Untersuchung einbezogen werden. Der Komplex konnte anhand von Papyrusfunden in das späte 2. Jahrhundert n. Chr. datiert sowie der antike Name der Bergsiedlung, Petra »der Fels«, erschlossen werden [5]. Die Füllschichten enthielten hervorragend erhaltene Mülldeponierungen, die kurz nach Aufgabe der Hofnutzung des Hofes entstanden sein mussten. Die Dachkonstruktion aus Palmwedeln im Hof befindet sich zwischen solchen Abfallhaufen, was von einer sehr schnellen Ablagerung spricht. In diesen Mülldeponierungen wurde viel fragmentierte, aber auch komplett erhaltene Keramik gefunden. Die größte Fundgruppe machten jedoch die organischen Reste aus: Körbe, Matten, Textilien, Papyri, Exkremente, Samen, Früchte, Halme, Säcke, usw. (Abb. 3).
4In diesem Bericht wollen wir die angewandten Beprobungsmethoden und die ersten Ergebnisse der archäobotanischen Studien präsentieren.
Ausgrabung und Beprobung von Mülldeponien
5Die Müllhaufen können nur selten nach den üblichen stratigraphischen Prinzipien ausgegraben werden. Sie bestehen zwar typischerweise aus einer Reihe einzelner Schichten, doch sind diese bei der Ausgrabung nur selten oder gar nicht sichtbar. Daher werden sie in der Regel in künstlichen Abschnitten ausgegraben, wobei einzelne Schichten nur in den Schnitten erkennbar sind.
6Der außergewöhnliche Reichtum der Müllhaufen bedeutete, dass nur ein proportional kleiner Teil genauestens auf botanische Reste untersucht werden kann. Erfahrungsgemäß enthält selbst eine kleine Ein-Liter-Probe so viele botanische Überreste, dass ein ganzer Tag für die Analyse dieser in Anspruch genommen werden muss. Gleichzeitig kann eine kleine Probe nicht als repräsentativ für eine umfangreiche Halde angesehen werden, und seltenere pflanzliche Nahrungsmittel (insbesondere kleine Samen und Gewürze) könnten somit übersehen werden. Aus diesem Grund wurde beschlossen, einen dreiteiligen Ansatz zu verfolgen. Die drei Arten der gesammelten Proben waren wie folgt:
• »Feinsiebung«: Beim Ausgraben werden Proben entnommen, das Volumen wird gemessen und anschließend werden die Proben über einer Siebkolonne mit 2 mm und 0,5 mm Maschenweite von Staub und störenden Partikeln befreit. Diese Proben werden unter dem Mikroskop sortiert (Vergrößerungen bei x7,5–x45) und alle Fragmente wirtschaftlicher Pflanzen werden entfernt und soweit möglich identifiziert. Bisher wurden 13 solcher Proben untersucht.
• »Grobsiebung«: Auf der Fläche entnommene Proben werden über einem 2 mm-Sieb gesiebt. Alle mit bloßem Auge sichtbaren Nahrungsreste und Nutzpflanzen werden entfernt und identifiziert.
• »handverlesenes« und »Grobsiebung« Material: Dieses besteht aus Überresten, die zum einen während der Ausgrabung von Arbeiter:innen gesehen und von Hand gesammelt wurden und zum anderen aus den Siebungen auf der Fläche mit einem Sieb mit 4 mm Maschenweite gefunden werden. Es handelt sich meist um größere Objekte wie Obst- oder Nusskerne und Zwiebelschalen, aber auch kleinere Exemplare wie Oliven- und Dattelkerne.
• Weitere Untersuchungen umfassten Objekte mit organischen Komponenten: mehrere Dungstücke und ein Lehmziegel wurden untersucht. Die Dungstücke wurden von Hand auseinandergenommen und die bestimmbaren Reste unter dem Binokular aufgenommen. Der Lehmziegel wurde in Wasser aufgelöst und danach mit 2 und 0,5 mm Sieben geschlämmt [6].
7Im Winter 2021 und Frühling 2022 wurden die gut erhaltenen botanischen Überreste des Hofes und seiner umliegenden Gebäude im Grabungshaus untersucht und eine Auswahl davon fotografiert (Abb. 4). Alle Reste wurden mithilfe des Referenzatlas bestimmt [7] und gezählt. Die eigentlichen Zahlen sind aber stark durch mehrere taphonomische Faktoren beeinflusst (z. B. nicht alle Samen/Früchte enden in Abfallhaufen, die Erhaltungschancen sind für alle Früchte nicht gleich, die Anzahl von Samen pro Frucht/Pflanze ist unterschiedlich, usw.). Die bisherige archäobotanische Forschung in MS2 in Petra versucht vor allem so viele Pflanzenarten wie möglich zu identifizieren (mit einem Fokus auf Nutzpflanzen und Importe) sowie die »Routes of entry« zu rekonstruieren. Zukünftige Arbeiten von neuen Befunden werden uns erlauben, die Fragestellungen zu erweitern und entsprechend die Auswertungsmethoden anzupassen.
Erste Archäobotanische Ergebnisse
8Über zwölftausend archäobotanische Überreste wurden ausgewertet, die Körner, Samen, Fruchtkerne, vegetatives Pflanzengewebe einschließlich Spreu sowie Textilien und Papyri umfassten. Die Auswertung wurde im Rahmen der Masterarbeit von Jessica Izak gemacht [8].
9Die meisten Reste wurden in getrocknetem und nur ein kleiner Bruchteil in verkohltem Zustand gefunden. Das Pflanzenspektrum wird von Früchten und Nüssen dominiert. Feingesiebte Sedimentproben zeigen aber andere Verhältnisse, da großsämige Pflanzen in kleinen Proben unterrepräsentiert sind [9]. In den kleineren Proben sind vor allem Getreide, Gewürze, (Un)kräuter, Öl- und Faserpflanzen sowie Hülsenfrüchte besser repräsentiert.
10Das Getreidespektrum wird von Hartweizen (Triticum durum/turgidum), Emmer (Triticum dicoccum) und Gerste (Hordeum vulgare) dominiert. Interessanterweise wurden einige Häufchen gekeimter Gerstenkörner gefunden. Hier könnte man sich fragen, ob dies ein Nachweis für die Malzherstellung in Petra ist, was anhand der bisherigen Funde noch nicht beantwortet werden kann. Hülsenfrüchte sind zwar seltener, aber ebenso gut repräsentiert, mit u. a. Resten von Linsen (Lens culinaris), Gartenerbsen (Pisum sativum), Weißen Lupinen (Lupinus albus), Bockshornklee (Trigonella foenum-graecum) und Saat-Platterbsen (Lathyrus sativus). Unter den Nüssen und Früchten wurden vor allem viele Reste von Datteln (Phoenix dactylifera), Weintrauben (Vitis vinifera) und Oliven (Olea europaea) gefunden, aber auch Johannisbrotbaum (Ceratonia siliqua), Wüstendatteln (Balanites aegyptiaca) und Christdorn (Ziziphus spina-christi) waren vertreten. Weitere Früchte umfassten die Feige (Ficus carica) und Sykomorenfeige (Ficus sycomorus) sowie Persea (Mimusops laurifolia) und Granatapfel (Punica granatum). Zitrone (Citrus sp.), Mandel (Prunus dulcis) und Pfirsich (Prunus persica) wurden nur selten bestimmt, genauso wie Haselnuss (Corylus avellana) und Walnuss (Juglans regia). Nur ein einziger Samen einer Wassermelone (Citrullus lanatus) wurde entdeckt.
11Reste von Knollen sind ebenfalls nur selten in archäologischen Fundstellen zu finden. Knoblauch (Allium cf. sativum) und Cyperus rotundus wurden jedoch in Petra gut dokumentiert.
12Wir haben in Tabelle 1 die Informationen über den Erhaltungszustand und Probetyp pro Taxon zusammengefasst. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass die meisten Reste nur in unverkohltem (subfossil-trockenem) Zustand gefunden wurden. Die wenigen verkohlt erhaltenen Reste können dabei meist den häufig vorkommenden Taxa zugeordnet werden. Getreide und Hülsenfrüchte wurden auf eine ähnliche Weise in grobgesiebten und feingesiebten Proben gefunden. Früchte hingegen wurden immer besser in den grobgesiebten Proben erfasst, weil mehr Sediment bearbeitet wurde. Gleichermaßen wurden in den feingesiebten Proben einige Hülsenfrüchte, Gewürze und Wildpflanzen (z. T. nicht in der Tabelle dargestellt), die kleinere Samen haben, dokumentiert. Dadurch wird deutlich klar, dass die Methodik, die angewendet wurde, eine Maximierung der Erfassung von Nutzpflanzen erlauben wird, was zu den Grundfragen des Projektes gehört.
Ausblick
13Die archäobotanischen Untersuchungen eröffnen ganz neue Perspektiven auf die Lebensweise der Bewohner dieses antiken Ortes, die im Zentrum der archäologischen Arbeiten in Tuna el-Gebel stehen.
14Nur wenige Siedlungsplätze, die mehrere Perioden umfassen, wurden bisher gründlichen Ausgrabungen unterzogen, die auch archäobotanische Untersuchungen umfassten. Daher bietet dieser Ort eine große Chance, Veränderungen und Kontinuitäten in den Nutzungsmustern von Pflanzen innerhalb einer altägyptischen Gemeinschaft zu untersuchen. Ziel der Studie ist es, eine erste Bestimmung der Kultur- und Wildpflanzen vorzunehmen und diese zu interpretieren, um die Art der Bergsiedlung zu charakterisieren. Das Hauptaugenmerk liegt daher auf der Rekonstruktion des Alltagslebens der damaligen Bewohner. Die durch Austrocknung hervorragend erhaltenen Pflanzenreste ermöglichten eine erste stratigraphische Annäherung an diesen Abfallhaufen. Die Ergebnisse bestätigen, dass es sich bei den an der Fundstelle gefundenen Müllresten um menschliche und tierische Abfallprodukte sowie um Reste von handwerklichen Tätigkeiten handelt, die vor Ort durchgeführt wurden. Durch die Identifizierung der Nahrungsreste können vielversprechende Ergebnisse für die Rekonstruktion der Ernährungsgewohnheiten der Bewohner erzielt werden, die durch Informationen aus Papyri und verwandten archäologischen Zeugnissen ergänzt werden sollen. Darüber hinaus sind detailliertere Analysen der Fütterungsstrategien geplant, um die gesamte Komplexität des landwirtschaftlichen Systems und die Integration der Viehzucht in dieses System zu rekonstruieren.
Förderung
Universität Basel; Ludwig-Maximilians-Universität München; Münchner Universitätsgesellschaft; Collegium Aegyptium. Förderkreis des Institutes für Ägyptologie der Ludwig-Maximilians-Universität München e.V.
Leitung des Projektes
F. Antolín, M. C. Flossmann-Schütze.
Abstracts
Zusammenfassung
Al-Minya, Ägypten. Müll im Überfluss in der griechisch-römischen Bergsiedlung in Tuna el-Gebel. Die Kampagnen 2021 und 2022
Die archäobotanische Forschung in der griechisch-römischen Bergsiedlung Petra in Tuna El-Gebel (Ägypten) begann 2021 mit einem starken Fokus auf die hervorragend erhaltenen Müllablagerungen, die als Verfüllung eines Innenhofs eines Turmhauses gefunden wurden. Pflanzenreste (Samen, Früchte, Holz, Holzkohle, Blätter, Knollen, Stängel etc.) und Elemente aus oder mit Pflanzenresten (Dungreste, Körbe, Matten, Textilien, Lehmziegel usw.) wurden in großen Mengen geborgen. Die bisherigen archäobotanischen Arbeiten ermöglichten die Identifizierung einer großen Anzahl von Nutzpflanzen, die darauf hindeuten, dass die am Standort verfügbare Pflanzenvielfalt sehr reich war und von weiträumigen kommerziellen Netzwerken profitierte.
Keywords
Abfälle, Archäobotanik, Ernährung, klassische Archäologie
Abstract
Al-Minya, Egypt. A wealth of garbage at the Graeco-Roman mountain siedlung in Tuna el-Gebel. Season 2021 and 2022
Archaeobotanical research at the Graeco-roman mountain settlement of Petra, in Tuna El-Gebel (Egypt), started in 2021, with a strong focus on the excellently preserved rubbish deposits found as infilling of an inner court of a tower house. Plant remains (seeds, fruits, wood, charcoal, leaves, tubers, stems, etc.) and elements made of or containing plant remains (dung remains, baskets, mats, textiles, daub, etc.) were recovered in large amounts. The archaeobotanical work so far allowed to identify a large number of useful plants that indicate that the crop diversity available at the site was very rich and benefited from large-distance commercial networks.

Das Tuna El-Gebel Projekt
Ausgrabung und Beprobung von Mülldeponien
Erste Archäobotanische Ergebnisse
Ausblick
Förderung
Leitung des Projektes
Abstracts