Abteilung Istanbul
Pergamon, Türkei
Pergamon
Die Arbeiten des Jahres 2021
Einleitung
1Die Forschungen in Pergamon und seinem Umland wurden im Jahr 2021 überwiegend im Rahmen eines bis auf zwölf Jahre angelegten Projektes durchgeführt, das die Transformation der Mikroregion Pergamon mit einem Schwerpunkt auf Hellenismus und römischer Kaiserzeit untersucht [1]. Ziel ist die Rekonstruktion der Interaktion zwischen Menschen und ihrer natürlichen Umwelt und deren Darstellung in einem komplexen sozial-ökologischen Modell. Das Projekt hat seine Arbeit 2019 aufgenommen und befindet sich mittlerweile in der zweiten von vier dreijährigen Förderphasen. Neben den vier Hauptpartnern aus Istanbul, Berlin und Manisa bestehen zahlreiche weitere interdisziplinäre Kooperationen vor allem in der Türkei und Deutschland.
2Im Jahr 2021 fanden Arbeiten in Pergamon und seiner unmittelbaren Umgebung, im westlichen Umland sowie in der Ballık Höhle nordwestlich von Dikili statt. Im Rahmen dieses Kurzberichtes kann nur eine Auswahl der zahlreichen Aktivitäten dargestellt werden [2].
Pergamon
3In Pergamon selbst legt das Projekt ein besonderes Augenmerk auf die Erforschung der Stadtanlage und ihres räumlichen Umfelds sowie auf Einzelbauten aus der römischen Kaiserzeit (Abb. 1). Daneben finden verschiedene Einzeluntersuchungen statt, wie z. B. zur Demographie und zu den Lebensverhältnissen der antiken Bevölkerung anhand von Skeletten aus Nekropolengrabungen des Museums Bergama oder zu den Steinbrüchen der antiken Stadt.
4In der Siedlungsgeschichte Pergamons bestehen vor allem für die römische Kaiserzeit und die Spätantike noch zahlreiche offene Fragen [3]. Dazu zählte auch die absolute Datierung der sog. Gotenmauer, die am oberen Südhang des Stadtberges über lange Strecken dem Verlauf der mutmaßlich spätklassischen ›Philetairischen Stadtmauer‹ folgt, zusätzlich aber auch das große hellenistische Gymnasion miteinschließt. Die Forschung hat sie bislang mit den Einfällen der Goten in den 50er und 60er Jahren des 3. Jahrhunderts n. Chr. in Verbindung gebracht; es wurde aber auch schon eine deutlich spätere, frühbyzantinische Entstehung vermutet [4].
5Mehrere Sondagen in den Kern der Mauer, in die Fundamente einer Toranlage sowie in einer öffentlichen Latrine, die vor Errichtung der Befestigungsmauer aufgegeben und dann von dieser zugesetzt wurde, haben Fundmaterial in signifikanten Mengen erbracht, das chronologisch offenbar nicht über das 3. Jahrhundert n. Chr. hinausreicht (Abb. 2). Das Fehlen von jüngerer Keramik sowohl aus den Mauerfüllungen als auch aus der umgenutzten öffentlichen Latrine spricht gegen eine deutlich spätere Datierung der Stadtmauer. Insofern erscheint es legitim, auch weiterhin von der spätantiken Stadtbefestigung bzw. der ›Gotenmauer‹ zu sprechen.
6Damit sind wesentliche Implikationen für die Siedlungsgeschichte Pergamons verbunden: Da die Vorstellung einer von der ›Gotenmauer‹ eingefassten ›Fliehburg‹ auf dem oberen Stadtberg, in die sich die Bevölkerung eines florierenden, aber zugleich ungeschützten Stadtgebietes in den unteren Bereichen des Stadtberges und in der Ebene im Bedrohungsfall zurückgezogen hätte, wenig plausibel erscheint, gilt es zukünftig zu prüfen, ob nicht in der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts n. Chr. die Bevölkerung Pergamons so stark reduziert war, dass sie auch in dem verkleinerten befestigten Stadtgebiet wieder Platz gefunden hätte.
7Ähnlich relevant für die Siedlungsgeschichte Pergamons war die Entdeckung eines römisch-kaiserzeitlichen Peristylhauses mit Mosaiken östlich der Roten Halle bei bauvorbereitenden Ausgrabungen für die Errichtung eines neuen archäologischen Museums (Abb. 3) [5]. In diesem Bereich war zwar schon vorher mit den Ausläufern der römischen Stadt gerechnet worden, genauere Vorstellungen über Ausdehnung, Art und Orientierung der Bebauung fehlten bislang jedoch.
8Die Pergamongrabung bekam die Möglichkeit, die wieder verfüllte Anlage erneut freizulegen und eine detaillierte fotografische und zeichnerische Dokumentation anzufertigen. Diese Arbeiten sollen 2022 mit stratigraphischen Sondagen zur Erfassung der Gesamtdimensionen der Anlage und zu ihrer Datierung abgeschlossen werden.
9Zwischen dem Stadtberg von Pergamon und dem Asklepieion erstreckt sich am westlichen Rand der römischen Unterstadt der Hügel Musalla Mezarlığı, an dessen Flanken das Amphitheater und ein großes römisches Theater liegen, während zu Füßen des Hügels das Stadion der antiken Stadt angelegt wurde. Auf dem Hügel konnten in den 1930er und 1950er Jahren in Suchschnitten reiche Wohnhäuser nachgewiesen werden; mittlerweile ist der Hügel dicht bebaut. Dieses bislang kaum erforschte Ensemble römischer Großbauten erinnert unmittelbar an den Palatin und dessen Umgebung in Rom mit den Kaiserpalästen, dem Circus Maximus, dem Kolosseum und dem Marcellus-Theater [6]. Für das Verständnis des römischen Pergamons wird es damit zu einem Schlüsselmonument.
10Die baugeschichtliche Dokumentation des Amphitheaters und seine Untersuchung mit Sondagen konnte in der Kampagne 2021 abgeschlossen werden [7]. Es liegen nun ein Grundriss und mehrere Schnitte vor. Auf dieser Basis können nun sechs Bauabschnitte bei der Errichtung des Amphitheaters differenziert werden.
11Die Sondagen haben weitere Informationen zum Aufbau des komplexen Gebäudes und zu seiner Konstruktionsweise erbracht. Besonders aufschlussreich war auch der Fund mehrerer Sitzbänke aus Andesit (Abb. 4), die sich von den einfachen Sitzstufen aus Tuffstein unterscheiden und daher als Sitze für privilegierte Bevölkerungsgruppen angesehen werden können. Neben professionell eingemeißelten Namen finden sich auch mehrere Namensinschriften, die am ehesten als ›Reservierungen‹ von Privatleuten gedeutet werden können.
12Auch die Arbeiten im römischen Theater mit dem Viran Kapı konnten abgeschlossen werden. Trotz der sehr schlechten Erhaltung der Anlage ist es nun möglich, eine Vorstellung vom Grundriss und von den Dimensionen des Theaters zu entwickeln. Mit einem Durchmesser von knapp 160 m übertrifft es die Größe der Theater in Ephesos und Smyrna zum Teil deutlich.
13Im Zuge der römischen Stadterweiterung im Bereich des Musalla Mezarlığı und zu Füßen des Stadtberges ab dem späten 1. Jahrhundert n. Chr. wurde auch der Westhang des Stadtberges aufgewertet, der mit einer neu errichteten Brücke die Verbindung zum Ensemble auf dem Musalla Mezarlığı darstellte. Unweit der Brücke entstand an den Ausläufern des Stadtberges ein weiterer römischer Großbau, von dem sich aber nur spärliche Reste erhalten haben. Nach einer ersten Bauaufnahme im frühen 20. Jahrhundert konnten sie nun mit modernen Methoden erstmals vollständig dokumentiert und ausgewertet werden (Abb. 5). Vermutlich handelt es sich um die Reste eines Thermengymnasions, auch wenn die Identifikation aufgrund der weniger erhaltenen Reste ohne großflächige Ausgrabungen nicht gesichert werden kann.
14Unter dem Namen ›Kleopatra Güzellik Ilıcası‹ ist ein südlich des Asklepieions von Pergamon gelegenes römisch kaiserzeitliches Thermalbad bekannt, dass in byzantinischer und osmanischer Zeit weitergenutzt wurde [8]. Die unter Aufsicht des Museums Bergama in den Jahren 2011 und 2016 begonnenen Ausgrabungen konnten jetzt durch die Pergamongrabung abgeschlossen werden. Im Mittelpunkt der Aktivitäten stand jedoch die baugeschichtliche Untersuchung und Dokumentation der Architektur des Bades, die wiederum als Summer-School für fortgeschrittene Studierende der İstanbul Teknik Üniversitesi durchgeführt wurde. Auch diese Arbeiten konnten abgeschlossen werden. Dabei wurden u. a. die Ausdehnung der Anlage nach Süden und die Bau- und Nutzungsgeschichte des großen Becken- bzw. Baderaumes an der Südwestseite des Thermalbades geklärt (Abb. 6).
15Ein Survey im Umfeld des suburbanen Asklepios-Heiligtums diente der Erforschung der Grenzen städtischer Bebauung im Nordwesten der römischen Unterstadt und sollte zugleich Informationen über die Nutzung des vorstädtischen Bereichs liefern. In diesem Zusammenhang fanden 2021 nur geophysikalische Nachuntersuchungen statt, die unsere Vorstellungen von der Bebauung nördlich und südlich der Heiligen Straße sowie von der Differenzierung zwischen dem bebauten Stadtgebiet und dem Heiligtum samt seiner umgebenden Bebauung nochmals deutlich präzisieren konnten (Abb. 7) [9].
16Bereits 2019 und 2020 war bei dem Survey ein ausgedehntes Bestattungsareal festgestellt worden, zu dem auch ein bei Raubgrabungen angeschnittener Grabbau gehörte. Dank einer Inschrift kann er dem Markos, Sohn des Tryphonos, zugeschrieben werden, der im 2. Jahrhundert n. Chr. als Augur den Willen der Götter aus dem Flug der Vögel vorhersagte. 2021 wurde die Anlage nun vollständig ausgegraben.
17Bei dem Gebäude handelt es sich um einen symmetrisch aufgebauten Baukörper, der sich aus einem größeren Mittelteil und zwei Anbauten zusammensetzt und am ehesten als Grabtempel zu rekonstruieren ist (Abb. 8). Dieser Bau enthielt insgesamt vier Bestattungen. An der Ostseite wurde später eine Umfassungsmauer angesetzt, in der sich ein weiteres Grab befindet. Weiterhin liegen hier zwei kleine Felsgräber ohne Umfassung, in denen Kinder bestattet waren.
18Die Hauptbestattung im Zentrum des Gebäudes ist eine Inhumation, die von den Raubgräbern bereits geöffnet und nahezu vollständig ausgeraubt war. Andere Bestattungen konnten hingegen noch unversehrt dokumentiert werden. Körper- und Brandbestattungen wurden parallel ausgeführt. Die Beigaben umfassen Keramik, Balsamarien aus Glas, Strigiles und goldene Ohrringe in den Kindergräbern. Erstaunlich ist die Bandbreite an Bestattungs- und Grabformen innerhalb eines einzigen Grabbaus, weswegen wir uns von der weiteren Auswertung neue Einblicke in das kaiserzeitliche Bestattungswesen der Eliten in Pergamon und die damit verbundenen Praktiken erwarten.
Umland
19Der Survey im westlichen Umland von Pergamon mit einem Schwerpunkt auf städtischen Siedlungen, den Küstenzonen und der westliche Ebene des Bakır Çay und dessen Mündungsgebiet konnte im Jahr 2021 angeschlossen werden. Ab Sommer 2022 wird im Rahmen von TransPergMikro ein neuer, auf sechs Jahre angelegter Survey starten, der die östliche Ebene des Bakır Çay und das nördlich angrenzende Bergland und seine Hochebenen mit einem Schwerpunkt auf der hellenistisch-römischen Epoche untersucht. Auf diese Weise soll zum besseren Verständnis von Entwicklung und Funktionsweise der UNESCO Welterbestätte Pergamon-Bergama in ihrem historischen und geographischen Umfeld beigetragen werden.
20Schwerpunkt des archäologischen Surveys war in diesem Jahr ein Ausschnitt des Gebietes zwischen Dikili im Norden und Çandarlı im Süden, das die östlichen Ausläufer der Kara Dağ-Halbinsel (Kane) und den westlichen Rand der Ebene des Bakir Çay (Kaikos) umfasst (Abb. 9) [10]. Ziel war es, in dieser spezifischen naturräumlichen Situation Informationen über Siedlungsgeschichte sowie Siedlungsdichte und -struktur im ländlichen Raum zu gewinnen. Daneben wurden mehrere einzelne Plätze aufgesucht, deren Untersuchung in den Vorjahren noch nicht abgeschlossen werden konnte. Von den insgesamt fünfzehn bearbeiteten Fundstellen kann im Folgenden nur eine Auswahl vorgestellt werden.
21An den östlichen Ausläufern des Kara Dağ wurde zunächst eine Fläche von etwas mehr als 2 km2 intensiv begangen (Abb. 10). Die Fundverteilung gestaltete sich sehr unterschiedlich: Während entlang der Hänge im westlichen Teil des Survey-Areals kaum Fundmaterial beobachtet wurde, zeichnen sich Fundkonzentrationen um die Fundstellen 02, 03 und 04 ab. Im östlichen Teil des Areals wurde insgesamt deutlich mehr Fundmaterial dokumentiert. Ähnlich wie heute lag hier wohl der Schwerpunkt landwirtschaftlichen Anbaus, während die Hanglagen eher für die Viehwirtschaft genutzt wurden. Eine besonders ausgedehnte Konzentration (Fundstelle 05) am östlichen Rand der Fläche des intensiven Surveys zeugt von einer größeren ländlichen Siedlung, d. h. vielleicht einem Dorf.
22Reste von Bestattungen in Form eines Grabbaus und mehrerer Tumuli stehen in Zusammenhang mit Fundstelle 02, dem sog. Zindan Tepe (s. u.). Vervollständigt wird das Bild der antiken Landschaft durch eine Wegeführung, die südlich von Fundstelle 03 verläuft und vermutlich weiter östlich bei einem der Tumuli nochmals gefasst werden konnte. Der Schwerpunkt des Fundmaterials gehört in die römische Kaiserzeit, in die Spätantike und in die spätbyzantinische Zeit. Daneben gibt es vor allem hellenistisches und prähistorisches Material.
23Auf die besondere Bedeutung der Fundstelle ›Zindan Tepe‹ (Abb. 11) weisen schon mehrere prominente Bestattungen in ihrem Umfeld hin. Bei der Siedlung selbst handelt es sich um eine Festungsanlage, die eine ca. 100 m lange Felsformation einnimmt. Die Festung wurde auf mehreren Ebenen angelegt und weist verschiedene räumliche Strukturen auf, die in den Fels eingearbeitet sind.
24Besonders signifikant sind ein großer Zentralraum mit Zisterne, ein mutmaßliches Badezimmer mit zwei Sitzbadewannen und einer Zisterne sowie ein kleiner Raum unterhalb des Hauptraumes, der vielleicht kultischen Zwecken diente. Abarbeitungen im Fels sprechen für die Existenz von zwei Türmen, womit sich die Wehrhaftigkeit der Anlage nochmals erhöht hätte.
25Aufgrund seiner chronologischen Bandbreite (s. u.) und der hierarchischen Strukturierung der Räume soll der ›Zindan Tepe‹ vorläufig als Sitz eines lokalen Dynasten unter persischer Oberhoheit angesprochen werden, der dann in hellenistischer Zeit als Festung weitergenutzt wurde. Eine solche Deutung hatten wir bereits für eine ganz ähnliche Anlage beim Dorf Eskişakran am südlichen Eingang in die Ebene des Kaikos vorgeschlagen [11]. Sollte sie zutreffen, würde der ›Zindan Tepe‹ unsere bislang noch ganz lückenhafte Kenntnis der Mikroregion Pergamon in vorhellenistischer Zeit um ein weiteres wichtiges Element bereichern. Das insgesamt geringe Fundmaterial am ›Zindan Tepe‹ reicht von der Bronzezeit bis in die römische Kaiserzeit mit einem klaren Schwerpunkt in der hellenistischen Epoche.
26An den befestigten antiken Siedlungen auf dem Dedekırağı Tepe und dem Hacıosman Tepe am südöstlichen Rand der Kara Dağ-Halbinsel wurden jeweils Inschriften aus den Buchstaben Omikron und Beta beobachtet, die in auffällige Felsblöcke eingemeißelt waren (Abb. 12). Lage und Gestaltung der Inschriften sprechen für Grenzmarkierungen; das Omikron würde dann für ὅ (ρος) = Grenzstein/Grenzmarkierung stehen, das Beta wäre dann die Abkürzung eines bislang unbekannten Ortsnamens. Beide Inschriften liegen oberhalb des Randes einer Hochebene, die von der antiken Siedlung Hatipler Kalesi (Abb. 9) dominiert wird. Es ist also denkbar, dass die Grenzsteine das Territorium bzw. die chora dieser kleinen Polis gegen das südwestlich anschließende Territorium von Pitane (Çandarlı) abgrenzten und uns damit einen seltenen Einblick in die Gliederung des ländlichen Raumes bieten.
27Östlich von Pergamon erstrecken sich am Rand der Ebene des Bakır Çay beim Dorf Sindel über mehrere Ebenen ausgedehnte römische Ruinen (Abb. 13), die bereits Anfang des 20. Jahrhunderts bekannt waren und aus denen u. a. eine Herme mit Besitzerinschrift geborgen wurde. Damals hatte man die nur in Ausschnitten bekannten Baureste in dem an natürlichen Quellen reichen Gelände als Therme interpretiert; heute gehen wir davon aus, dass hier in äußerst prominenter Position eine ausgedehnte römische Villa lag.
28Die unterste Terrasse nimmt den Hangfuß ein, der in die Ebene des Bakır Çay übergeht. Hier wurde eine Hangstützmauer mit vorgesetzten Pfeilern dokumentiert. Die Stützmauer der mittleren Terrasse lässt sich über eine Länge von 72 m rekonstruieren. Auf der mittleren Terrasse konnten wenige Mauerzüge im Süden festgestellt werden. Auf der Terrasse befinden sich auffällig viele Quellen. Nach Norden wird das Untersuchungsgebiet von einer oberen Terrassenmauer abgeschlossen, die wiederum Stützpfeiler aufweist. Einige wenige Funde stammen aus hellenistischer, spätbyzantinischer und osmanischer Zeit, während der größte Teil des Fundmaterials der römischen Kaiserzeit zuzuweisen ist.
29Die Anlage in Sindel ist ein weiteres Zeugnis für die Verbreitung römischer Villen in der Mikroregion Pergamon. Kulturhistorisch ist dies von großem Interesse, da das Phänomen der römischen Villa in Anatolien bislang kaum bekannt und erforscht ist.
30Zwischen Pergamon und Pitane (Çandarlı) liegt am westlichen Rand der Flussebene der Fundplatz Sazlık, wo anhand von Baugliedern aus Marmor eine weitere römische Villa lokalisiert werden kann (Abb. 14). Zu der Villa gehörte eine sehr ausgedehnte Anlage zur Produktion insbesondere von Amphoren, die durch zahlreiche Oberflächenfunde nachgewiesen werden konnte. Während das Fundmaterial der Villa in die römische Kaiserzeit bis in die Spätantike datiert, gehört die Keramikproduktion wohl in die Spätantike bis in die frühbyzantinische Zeit.
31Geomagnetische Prospektionen konnten mindestens zehn Anomalien nachweisen, die am ehesten von Töpferöfen herrühren. Der Umfang der Produktion muss beachtlich gewesen sein, und es stellt sich die Frage, ob die Amphoren allein dem Transport der von der Villa produzierten landwirtschaftlichen Güter dienten oder ob Teile der Produktion auch leer verkauft wurden. Die Auswertung des sehr umfangreichen Fundmaterials steht erst am Anfang. Aber das große Potential des Platzes für wirtschaftshistorische Untersuchungen und für unsere Kenntnis der Spätantike und der frühbyzantinischen Zeit in der Mikroregion Pergamon steht außer Zweifel.
32Das Hauptaugenmerk der Arbeiten der Physischen Geographie lag auf zwei Gebieten, die 2019 und 2021 auch im Fokus des archäologischen Teils des Surveys standen (Abb. 15) [12]: Das Tal eines von Demirtaş nach Osten in die Ebene des Bakır Çay fließenden Baches und die westliche Ebene des Bakır Çay zwischen dem Erigöl Tepe und dem Molla Mustafa Tepe. Die Sedimentabfolgen wurden fotografisch dokumentiert, genau beschrieben und beprobt. Für die 14C-Datierung wurden Holzkohleproben entnommen und im Grabungshaus Pergamon wurden erste geochemische Analysen durchgeführt. Ziel ist es, im Untersuchungsgebiet die Paläoumwelt in einzelnen Zeitschichten zu rekonstruieren und diachrone, dynamische Entwicklungen z. B. im Sedimentationsverhalten festzustellen. Diese Informationen fließen dann in die sozialökologische Interpretation der Projektergebnisse ein.
33Fünf Sedimentabfolgen aus dem Tal östlich von Demirtaş konnten durch Rammkernsondierungen geborgen werden (Abb. 16). Die Tiefe der Bohrungen variierte zwischen 4,5 m und 8 m. Die Abfolgen zeigen einen Wechsel zwischen feinen und groben Sedimenten, in den tiefer gelegenen Bohrungen auch einen Wechsel zwischen Sedimenten der Ebene und des Demirtaş-Tals. In zwei Bohrungen konnten Paläooberflächen identifiziert werden. Eine sorgfältige Auswertung der Laborergebnisse und die Ergebnisse der Radiokarbondatierung sind erforderlich, um die Sedimentabfolgen endgültig zu interpretieren und eine Rekonstruktion des Einflusses menschlicher Besiedlung im Einzugsgebiet auf die lokale Sedimentdynamik aufzuzeigen.
34Vier Sedimentabfolgen konnten aus der Bakır Çay-Ebene durch Rammkernsondierungen geborgen werden. Die Tiefe der Bohrungen variierte zwischen 6 m und 8 m. Sie stammen aus unterschiedlichen Geländeformen, die vorab mit Hilfe von Satellitenbildern identifiziert worden sind: Sedimente im Bereich eines ›azmak‹ vor dem Molla Mustafa Tepe, Hochflutsedimente des Bakır Çay und Sedimente im Bereich eines Nebenarms des Bakır Çay. Eine erste Interpretation der vorläufigen Ergebnisse deutet darauf hin, dass die Charakteristika der Sedimente recht gut zur topographischen Lage innerhalb der Bakır Çay-Ebene passen; vermutlich waren die Geländeformen seit der antiken Besiedlung stabil. Die vorliegenden Ergebnisse ergänzen die Daten aus vier Bohrungen in der Ebene, die bereits 2020 nördlich der aktuellen Bohrungen durchgeführt wurden. Für ein weiterführendes Verständnis der Entwicklung des Bakır Çay während des Holozäns ist der Abgleich mit den 14C-Datierungen erforderlich, der derzeit erfolgt.
Rettungsgrabung Ballık Höhle
35Der folgende Kurzbericht bezieht sich auf die Rettungsgrabung in der Ballık Höhle bei Dikili unter Leitung des Museums Bergama, die durch die Pergamongrabung des DAI in Kooperation mit der archäologischen Abteilung der Çelal Bayar Üniversitesi Manisa und der Ankara Üniversitesi, Dil ve Tarih-Coğrafya Fakültesi, Arkeoloji Bölümü, Tarihöncesi Arkeolojisi Anabilim Dalı durchgeführt wurde.
36Die Höhle liegt in den westlichen Ausläufern des Kozak-Gebirges im Tal eines in die Altınova-Küstenebene fließenden Baches. Im Bereich der Höhle nimmt das Tal die Form einer Schlucht an, die von steil aufragenden Felsformationen gebildet wird und im landschaftlichen Umfeld wie ein prominentes Naturdenkmal wirkt (Abb. 17). Trotz der unmittelbaren Nachbarschaft von Bach und Höhle gibt es keine Indizien für die Überschwemmung letzterer. Zu ihrer geschützten Lage trägt auch die nach Süden anschließende, vorkragende Felswand bei, die den Vorplatz der Höhle gegen Regen abschirmt.
37Die Höhle wurde 2020 im Rahmen des Umlandsurveys der Pergamongrabung entdeckt. An bzw. in der Höhle wurden offenbar schon seit längerer Zeit Raubgrabungen in geringerem Umfang durchgeführt. Bereits 2020 konnte unter Aufsicht des Museums Bergama Raubgrabungsschutt gesiebt und die Profile in den Löchern der Raubgräber dokumentiert werden [13].
38Seiner abgelegenen Lage in einem bis heute relativ unberührten natürlichen Umfeld verdankt der Platz seine besondere Faszination und seinen Schutz vor umfangreicher Zerstörung. Ein täglicher An- und Abmarsch von ca. 45 Minuten durch ein extrem schwieriges Gelände war hingegen eine besondere logistische und auch physische Herausforderung. Dementsprechend eingeschränkt waren die technischen Möglichkeiten der sechswöchigen Rettungsgrabung im Herbst 2021.
39Das in diesem Jahr ausgewertete Fundmaterial aus dem Schutt der Raubgrabungen umfasste archaische und klassische, viel hellenistische und deutlich weniger römische Keramik. Daneben wurde auch prähistorische Keramik und wenig byzantinisches Material beobachtet. Der Fund großer Mengen von Silex-Abschlägen und einzelner Geräte ließ jedoch noch eine deutlich frühere Nutzung der Höhle vermuten. Erste 14C-Datierungen von Knochenfragmenten aus den Profilen der Raubgrabungen weisen in das 12. und 11. Jahrtausend v. Chr., d. h. das späte Epipaläolithikum [14]. Diese Datierungen wurden kürzlich durch weitere 14C-Datierung bestätigt; sie datieren zudem die zweite prähistorische Nutzungsphase in die Zeit um 4900 v. Chr., d. h. das frühe bis mittlere Chalkolithikum.
40Im Jahr 2021 wurde zunächst in zwei größeren Arealen in und vor der Höhle gegraben (Abb. 18). Die Ausgrabung der epipaläolithischen Schichtenfolge durch die Universität Ankara konzentrierte sich dann auf einen wesentlich kleineren Bereich.
41Im Inneren der Höhle wurden in stark verdichtetem, lehmigen und mit Asche durchsetztem Boden eine große Zahl von Keramik, Knochen, Terrakotten, Münzen und anderen Votivgaben angetroffen. Eine auffällige Konzentration konnte in der Nähe einer natürlichen Nische beobachtet werden (Abb. 19). Dieses Material archaischer bis römischer Zeit reichte bis auf die Schicht mit der prähistorischen Keramik.
42Das zweite Grabungsareal vor der Höhle erbrachte ein ganzes Spek-trum unterschiedlicher Befunde, deren Genese und Funktion noch nicht abschließend geklärt werden konnte (Abb. 20). Ein ausgedehnter Steinversturz mit zahlreichen Andesitquadern könnte zu einer Terrassenmauer nordöstlich der Höhle gehört haben, die offenbar bei einem gewaltigen Felssturz zerstört wurde. Auch hier reichte das Fundmaterial möglicherweise von der Prähistorie über die Antike bis in byzantinische Zeit.
43Die überaus zahlreichen Fragmente von Terrakottastatuetten weisen eindeutig auf die Verehrung der aus Phrygien stammenden Natur- und Fruchtbarkeitsgöttin Meter vielleicht schon seit archaischer Zeit hin, deren Kult im griechisch geprägten Kulturraum häufig auch in Höhlen stattfand [15]. Während der Nutzung als Heiligtum vielleicht schon seit archaischer Zeit scheint die Höhle selbst zur Deponierung von Votiven, von Keramikgefäßen und Speiseresten kultischer Mahlzeiten sowie von Öllampen für nächtliche Rituale genutzt worden zu sein. Hinweise auf ein Kultbild oder einen Altar fehlen, sind aber auch nicht unbedingt zu erwarten. Vielmehr konnte die Höhle selbst als Kultmal aufgefasst worden sein. Allein zwei annähernd quadratische Abarbeitungen am Eingang der Höhle könnten kleine Reliefs oder Bilder aufgenommen haben.
44Unter den zahlreichen bekannten Meter-Heiligtümern der Mikroregion Pergamon stellt die Ballık Mağrası nicht nur wegen des hohen Alters des Kults, sondern auch wegen ihrer naturräumlichen Lage und der mutmaßlichen Beziehung zur Insel Lesbos eine wesentliche Erweiterung des bislang bekannten Spektrums dar.
45Die Untersuchung der Schichtenfolge unterhalb der antiken und chalkolithischen Horizonte konzentrierte sich auf eine Fläche von 80 x 80 cm (Abb. 18. 21) [16]. Es war möglich, die pleistozäne Schichtenfolge hinab bis auf sterile Schichten zu verfolgen und in die drei Hauptkomplexe GH II, GH II.1 und GH III zu gliedern.
46Die lithischen Artefakte aus diesen Schichten bestätigen die epipaläolithische Zeitstellung der 14C-Datierungen (Abb. 22). Mikrolithen dominieren und unter ihnen sind geometrische Formen, insbesondere Sichelformen, besonders stark vertreten. Neben den Mikrolithen treten unter den Werkzeugen vor allem Klingenkratzer des Mikrotypus auf. Weiterhin konnten zahlreiche Kerne und andere Produktionsabfälle beobachtet werden. In der untersten Schicht GH III nimmt die Dichte an Funden dann plötzlich ab, während sich ihre Zusammensetzung kaum verändert.
47Für die Herstellung der Steingeräte wurden lokale Rohstoffe verwendet, die offenbar primär aus der unmittelbaren Umgebung stammen. Wie Kerne und andere Produktionsabfälle zeigen, wurde der vollständige Produktionsprozess in der Höhle selbst durchgeführt. Neben lithischen Artefakten konnten zahlreiche Tierknochen beobachtet werden, die nach einer ersten, vorläufigen Einschätzung neben Schwein, Schaf und Ziege auch Raubtiere umfassen. Vor diesem Hintergrund und auch in Hinblick auf die geringen Dimensionen der Höhle nehmen wir an, dass sie als temporäres Jagdlager und nicht als dauerhafte Siedlung genutzt wurde. In Anbetracht der kleinräumigen Ausgrabung ist diese Interpretation freilich unter Vorbehalten zu betrachten.
48Die Ergebnisse der Rettungsgrabung in der Ballık Höhle liefern die ersten stratigraphischen Daten zum Epipaläolithikum an der anatolischen Ägäisküste und sind zugleich die mit Abstand ältesten Siedlungsreste in der Mikroregion Pergamon. Im Rahmen ihrer weiteren Auswertung wird ein besonderes Augenmerk auf Beziehungen in die Ägäis, aber auch nach Zentral- und Südanatolien gerichtet werden.
Kooperationen
BTU Cottbus, Darstellungslehre; CAU Kiel, Geophysik und Klassische Archäologie; Celal Bayar Universität Manisa, Archäologische Abteilung; DAI, AEK und Architekturreferat der Zentrale; Ege Üniversitesi İzmir, Geographische Abteilung; FU Berlin, Physische Geographie; Ministerium für Kultur und Tourismus der Republik Türkei, Generaldirektion für Kulturdenkmäler und Museen des Kultur- und Tourismusministeriums, Museum Bergama, 2. Denkmalschutzbehörde İzmir; HTW Berlin, Grabungstechnik; KIT Karlsruhe, Geodäsie; LMU München, Vor- und Frühgeschichte und Archaeobiocenter; Stadtverwaltung Bergama; TU Berlin, Historische Bauforschung und Denkmalpflege; Universität Ankara, Fakultät für Sprachen, Geschichte und Geographie; Universität Kocaeli, Geophysikalische Abteilung; Universität Sinop, Archäologische Abteilung; Universität Zürich, Historisches Seminar.
Förderung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (TransPergMikro).
Leitung des Projektes
F. Pirson, G. Ateş, M. Aksan, U. Mania (Stellv. Leitung).
Team
E. Acarkanlı, N. E. Akar, M. Z. Aksan, F. Așkın, G. Ateș, H. A. Aydın, H. N. Aydın, Y. Aydin, B. E. Bal, R. Barnea, D. Y. Bayar, A. B. Baykara, F. Becker, Ph. Bes, H. Bilgin, Y. Bozoğlu, İ. H. Büyükkayın, B. Cağlar Eryurt, D. Çakır, S. Çakmak, A. Çelebi, S. Çetinkaya, E. Çiftçi, M. Cura, M. Deckert, C. R. F. Dimai, M. Doğan, L. Eman, E. Erbil, D. Erdem, M. Ergün, A. Erkul, E. Erkul, S. Feuser, S. L. Fischer, P. Gebhardt, L. Geisler, İ. Gençoğlu, H. Güler, E. Gültekin, G. Günay, M. Güner, S. Güneş, A. Günzel, C. Gürbıyık, L. Heinze, J. Hochholzer, M. Hochmuth, M. İ. İncelli, E. İrgin, S. Japp, H. C. Kahya, F. Kant, İ. Kaplanvural, M. Karagül, E. Kayıkçı, A. Keweloh-Kaletta, B. Kızık, Y. Koçak, M. Korkmaz, Y. B. Korkut, T. Köroğlu, V. Kozel, J. Krasel, T. Kuloğlu, R.-M. Kumar, J. Lang, J. Langmann, B. Ludwig, U. Mania, P. Michalski, B. Milic, P. Morgenstern, J. Nehring, N. Neuenfeld, M. Nykamp, A. A. Omar, O. Özbalaban, S. Özdemir, G. S. Özden Gerçeker, E. Öztürk, S. Öztürk, Y. D. Perksoy, H. Peters, K. Piesker, L. Pikulski, W. Rabbel, Th. Rafflenbeul, S. Rapp, C. Rohn, İ. Şahin, O. Sakarya, K. Sarıoğlu, L. Schimmel, J. G. Schneider, P. Schork, T. Schulz-Brize, S. Şener, Y. E. Sevindik, A. Skolik, F. Sliwka, J. Steglich, H. Stümpel, Ö. Şükür, D. Suvacı, F. Tarhan, H. Taşkıran, W.-R. Teegen, R. A. Tekin, S. Tezer Altay, Y. Toktay, M. Tozan, A. Tuğlu, M. Ubben, B. Uyan, Ş. Uysal, E. Vaçin, S. Völkel, V. Walser, Ch. Williamson, G. Yalçınkaya, İ. Yaman, X. Yang, İ. Yaraş, İ. Yeneroğlu, E. Yildiz, U. Yüğrük, N. Yurtseven, A. Zeitler, R. Zirlewagen, I. Zugermeier.
Abstracts
Abstract
Pergamon, Turkey. Pergamon. Season 2021
In 2021, the Pergamon excavation focused on work within the framework of the new research programme TransPergMikro. The dating of the ›Gothic Wall‹ in the 3rd century CE could be confirmed. The discovery and documentation of an imperial-period peristyle building east of the Red Hall also contribute to our knowledge of the city's settlement history. The investigations of the amphitheatre, the theatre at the Musalla Mezarlığı, and the ›Lower Western Gymnasion‹ by archaeological building research were completed. The excavation of a Roman imperial funeral building northwest of the Asklepieion, significant new evidence for the funerary culture of Pergamon's imperial-period elites was obtained. In the surroundings of the ancient city, the investigation of the extra-urban thermal baths was completed. The survey in the western micro-region focused on the transition zone of the eastern foothills of the Kara Dağ peninsula and the adjacent western Bakır Çay plain. In addition to the diachronic reconstruction of land use in an intensively surveyed area, surprisingly diverse settlement sites were newly discovered and documented. The investigations of sediment archives in the river plain and in Pergamon by Physical Geography were continued. The interdisciplinary rescue excavation at the Ballık cave discovered the previous year was able to confirm a temporary place of settlement and tool-production of Epipalaeolithic hunter-gatherers as well as the use of the site as a sanctuary of the goddess Meter presumably since Archaic times.

Einleitung
Pergamon
Umland
Rettungsgrabung Ballık Höhle
Kooperationen
Förderung
Leitung des Projektes
Team
Abstracts