Abteilung Rom
Capua, Italien
Das Amphitheater von Capua in Kampanien
Die Arbeiten des Jahres 2019
1Das Amphitheater von Santa Maria Capua Vetere [1], dem antiken Capua, liegt außerhalb des antiken Stadtgebiets an dessen Nordwestecke, wo sich zwischen dem 7. und 5. Jahrhundert v. Chr. eine Nekropole befand und in unmittelbarer Nähe ein Amphitheater aus republikanischer Zeit stand, das sog. Amphitheater des Spartacus [2], das für den Neubau niedergelegt wurde. Nach dem Kolosseum ist der Bau mit einer Ausdehnung von 166,38 m zu 136,67 m das zweitgrößte Amphitheater der antiken Welt [3]. Die Datierung der Anlage ist allerdings nicht gesichert, so wird der Baubeginn bereits am Ende des 1. Jahrhunderts angenommen, seine Fertigstellung jedoch aufgrund einer 1726 gefundenen Inschrift in hadrianische Zeit datiert [4]. Von der Anlage, die auf einer großen, gepflasterten Fläche steht, haben sich aufgrund eines intensiven Steinraubs im Mittelalter nur zwei Stockwerke von der Außenfassade und die Substruktionen erhalten, welche die Sitzstufen der Cavea trugen. Trotz des geringen Erhaltungszustandes belegen die zahlreichen Quadersteine der Fassade, dass diese eine große Ähnlichkeit mit der des Kolosseums hatte, sodass von einer dreistöckigen Bogenfassade mit einer hohen Attika auszugehen ist. Ein eigenwilliges Fassadenelement sind die Schlusssteine der Bögen, die in Form von Gottheiten ausgeführt sind, sog. Protome [5]. Aufgrund dieses Dekorationselementes sowie der reich dekorierten Marmorplatten der Brüstungen wird die Datierung in die hadrianische Zeit angesetzt [6]. Wie das Kolosseum besitzt auch das Amphitheater unter der Arena ein dichtes Netzwerk von unterirdischen Räumen, in denen die für die Tierhatz (venationes) erforderlichen Aufzüge untergebracht waren. Ferner gut erhalten ist die Podiumsmauer, welche die Arena umgrenzt sowie weite Teile der Cavea, also der Bereich, wo die Zuschauer saßen [7] (Abb. 1. 2).
Die sog. Kammer der Gladiatoren und ihre Wandmalerei
2Mit der sog. Kammer der Gladiatoren werden beim Amphitheater von Capua zwei Räume auf der Ost- und Westseite der Querachse bezeichnet, die unter den Ehrentribünen (pulvinar) liegen, auf dem der Spielgeber und die Amtsträger der Stadt saßen. Haben sich von dem Raum auf der Westseite nur die Grundmauern erhalten, so hat der östliche Raum seine Wandbemalung und sein stuckiertes Gewölbe bewahrt (Abb. 3).
3Der 10 x 2,50 m große Raum wird durch Wandpfeiler in drei fast quadratische Raumelemente unterteilt, die je mit einem Kreuzgratgewölbe überdeckt sind. Betreten werden kann der Raum über eine breite Tür in der Ostwand vom zweiten Umgang (ambulacro) aus, wobei eine Stufe den Höhenunterschied zwischen Umgang und dem Laufniveau der Kammer vermittelt. In seiner Westwand, die gleichzeitig auch Podiumsmauer ist, waren ursprünglich drei rechteckige Fenster vorhanden. In einer späteren, zeitlich nicht bestimmbaren Phase wurde das mittlere Fenster zu einer Tür erweitert, sodass man nun aus der Kammer in die Arena treten kann. Ferner lässt sich aus den sichtbaren Spuren auf dem Boden die Existenz einer Trennwand links von der Eingangstür ableiten, die einen Vorraum zum Rest des Raumes bildete.
4Aufgrund von erhaltenen Stuckfriesen und seiner Wandmalerei hebt sich der Raum von den anderen Bereichen des Amphitheaters ab und gibt ihm somit ein eigenes Gepräge.
5Die Malerei, die an allen Wänden und am Gewölbe viele Fehlstellen aufweist und deren Farbpigmente stark verblichen sind, hat sich am besten auf der Ost- und Südwand erhalten und dies trotz einer dichten Folge von Hackspuren, sog. Pickspuren, mit der der rechte Teil der Ostwand und die gesamte Südwand überzogen sind. Eine solche Aufrauhung der Wand mit Pickung dient dazu, den vorhandenen, glatten Wandputz für eine bessere Verbindung mit einem neu aufzutragenden Putz vorzubereiten. Allerdings sind keine Spuren eines neuen Wandputzes erhalten.
6Das dekorative Schema der Wandmalerei ist zwischen senkrechten Pilastern an den Wänden horizontal in Sockel-, Mittel- und Oberzone oder Bogenfeld (Lünette) gegliedert, wobei vom Sockel, der fast vollständig von einer neuzeitlichen niedrigen Mauer verdeckt wird, die im südlichen Teil des Raumes vor die Wand gesetzt wurde, nur der rote Hintergrund zu sehen ist (Abb. 4. 5).
7Die Mittelzone mit weißem Hintergrund ist durch rote, vertikale Elemente in ein Mittel- und zwei Seitenfelder unterteilt, wobei die Unterteilung kaum noch sichtbar ist. Vermutlich handelt es sich hier um Pilaster mit Quaderspiegeln, flankiert und umrahmt von helleren Rahmenstreifen. Das Mittelfeld wird von Ornamentbordüren gerahmt, die aus kleinen, diagonalen Quadraten mit eingeschobenen Dreiecken in bräunlichem Farbton bestehen. Hingegen sind die Innenrahmen der zwei seitlichen Felder mit Bordüren aus alternierend Rosetten und einem X-Motiv in Gelb, Grün oder Braun gebildet. In der Mitte der seitlichen Felder erscheinen blaugrundige Tafelbilder mit violettem Rahmen, während sich im zentralen Feld keine Dekoration erhalten hat (Abb. 5a. b. 6).
8Haupt- und Oberzone (Abb. 7) werden von einem Stuckfries getrennt, der aus einem sphärischen Perlenband, einem glatten Band und darüber einer Doppelreihe gegenständiger ionischer Kymatien gebildet wird. Die Lünetten werden ebenfalls von einem Stuckfries aus einem glatten, mit Perlenreihen eingefassten Band gerahmt (Abb. 5c). Das innere Lünettenfeld ist von einem roten, gelb gerahmten Band eingefasst und vertikal dreigeteilt. Die vertikalen Teiler bestehen aus gegenständigen Vierecken, in deren Zwischenraum je ein kleiner Clipeus (Rundschild) erscheint, der von einem kaum sichtbaren Element (einer Trägerfigur oder einem Kandelaber?) gehalten wird, von dem nur blaue Farbspuren erhalten sind.
9In der Mitte jeder Lünette ist ein Pinax (Tafelbild) mit einem roten, monochromen Hintergrund gemalt, der außen von einem feinen Rahmen mit einer Bekrönung umgeben ist, von der sich jedoch kein Dekorelement erhalten hat. In den zwei seitlichen Flächen ist mittig mit blauer Farbe je ein Dreieck ausgeführt, das die Form des roten und gelben Bandes der Lünette nachzeichnet. Im südlichsten Feld der Ostwand ist innerhalb der Lünette eine nicht mehr lesbare Inschrift sichtbar, auf die in der Neuzeit ein Konsolidierungsmittel aufgetragen wurde. Die so beschriebene Malerei mit Lünetten über den Pilastern wiederholte sich wohl in jedem Wandabschnitt von Ost- und Westwand gleich. Hingegen dürfte an der Südwand und vermutlich auch an der Nordwand, wo der Putz sehr beschädigt ist, das Wandsystem etwas vereinfacht gewesen sein (Abb. 8).
10Von der Bemalung des Gewölbes sind nur noch sehr wenige Spuren erhalten. Das zentrale Dekorationsschema wurde um ein Quadrat angeordnet, das in ein Achteck mit konkaven Seiten eingeschrieben war, vermutlich umrahmt von konzentrischen Bändern, von denen sich nur die äußeren Bänder erhalten haben (Abb. 8. 9).
11Es ist anzunehmen, dass der Raum auf der Westseite ähnlich dekoriert war, zumal die wenigen Spuren von Malerei einen dunklen Sockel und rote, vertikale Bänder in den Ecken der Wände erkennen lassen (Abb. 10).
12Das Wandsystem der Malerei aller Wände kann als sog. Ädikula-Malerei bezeichnet werden. Dieses System tritt im dritten und vierten pompejanischen Stil auf, wird in das 1. Jahrhundert n. Chr. datiert und im 2. Jahrhundert weiterentwickelt. Es besteht aus vertikalen Trennelementen wie Pilastern, Säulen oder flachen architektonischen Prospekten mit monochromem Hintergrund, die zusätzlich mit hängenden Figuren oder Bildchen gefüllt werden [8]. Der hier gewählte Farbbereich ist sehr begrenzt und beschränkt sich auf Rot in verschiedenen Farbtönen, Violett und Blau für die Hauptelemente sowie Gelb und Grün für die Details wie Clipei (Rundschilder) und die umlaufenden, geometrischen Bordüren. Die chromatische Gleichmäßigkeit, insbesondere die Wahl eines zu 2/3 weißen Hintergrundes, erzeugen eine im Wesentlichen flache Wand ohne perspektivische Effekte und illusionistische Auflösungen.
13Wände mit architektonischen Prospekten in der Mittelzone sind in pompejanischen Häusern reichlich vorhanden – z. B. im Tablinum der Casa del Principe di Napoli. Allerdings zeichnen sich diese durch eine stärker akzentuierte perspektivische Darstellung aus.
14Einige Details, die sich auf die Malerei der Vesuvstädte beziehen, wurden offensichtlich an eine neue Sprache angepasst, wie z. B. die geometrischen Rahmenbordüren, die in pompejanischen Häusern häufig vorkommen [9], aber sich hier aufgrund der gewählten Farbauswahl und ihrer neuen stilistischen Anordnung als überarbeitete Motive zu erkennen geben. Andere Elemente der Wandmalerei in der sog. Kammer der Gladiatoren weisen bereits auf die Wandmalerei des mittleren 2. Jahrhunderts hin.
15Insbesondere die weißgrundige Mittelzone, die durch Pilaster und Felder unterteilt und mit Bändern gerahmt ist, erinnert in seiner chromatischen Auswahl an einige der Wände einer Domus auf der Piazza dei Cinquecento in Rom [10]. Die Art und Weise den Raum innerhalb der Lünette mit Hilfe dreieckiger Elemente an den Seiten zu begrenzen, findet sich in einem Arcosolium (Kammer) des Mausoleums B in der Vatikan-Nekropole [11]. Zu anderen Gräbern des Friedhofs unter Sankt Peter führen auch die kleinen dekorativen Elemente der Oberzone. Die Gesamtheit der Beobachtungen spricht für eine zeitliche Einordnung der malerischen Dekoration in die erste Hälfte des 2. Jahrhunderts, wahrscheinlich, wegen der klassizistischen Anklänge, um das erste Viertel. (SF)
Deutung und Funktion der Kammer
16Bei einer ganzen Reihe von Amphitheatern lassen sich im Bereich der Querachse und unmittelbar hinter der Arenamauer unterschiedlich große Räume oder Kammern nachweisen, die mit den zwei Räumen in Capua vergleichbar sind. Aufgrund des weniger guten Erhaltungszustandes ist solchen Räumen bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt worden, sodass eine systematische Untersuchung zu ihnen fehlt. In der Literatur werden sie häufig als sacellum oder carceres angesprochen, also die Orte, wo nach unserem Kenntnisstand die Gladiatoren vor dem Kampf oder zu anderen Gelegenheiten einer Gottheit, häufig der Nemesis (Schicksalsgöttin) [12], ein Opfer darbrachten oder wo Tiere vor dem Spielbeginn der Tierhatz (venationes) untergebracht waren.
17Ist die Zuweisung solcher Räume bei einigen Amphitheatern aufgrund ihrer geringen Größe als carceres gerechtfertigt, so ist eine Zuweisung als sacellum weniger möglich, da diese keinen speziellen Zugang zur Arena benötigen. In den Amphitheatern, in denen ein sacellum nachgewiesen ist, liegen sie an ganz unterschiedlichen Stellen, sodass ihre Lage anscheinend nicht an einen bestimmten Ort gebunden ist.
18Neben einer Zuweisung als sacellum oder carceres werden die Räume in der Querachse auch als Latrine für die Amtsträger gedeutet, da diese ihre Sitzplätze am Podium hatten und insofern nicht in allzu großer Distanz zu den Räumen lagen. Speziell in Capua wird der ausgemalte und stuckierte Raum auf der Ostseite als Luxuslatrine bezeichnet [13], obwohl weder eine Wasserzuleitung noch Ableitung vorhanden ist. Überhaupt fehlen solche Voraussetzungen einer Latrine auch in den anderen Räumen.
19Den besten Bezug zur Funktion solcher Räume hat m. E. Thomas Hufschmid [14] erarbeitet. Er deutet diese als den Aufenthaltsort für Gladiatoren, bevor sie ihren Kampf in der Arena aufnahmen. Insbesondere das Vorhandensein von zwei gleichen Räumen in der Querachse unter den Tribünen von Spielgeber und Amtsträger könnte dem Aufenthalt der Gladiatoren und ihrer Waffenträger gedient haben. Insofern wären diese nach dem festlichen Einzug (pompa) in das Amphitheater und der Bekanntgabe der gegeneinander kämpfenden Gladiatorenpaare in die sog. Kammer der Gladiatoren gegangen, um dort bis auf ihren Auftritt zu warten [15]. Bei Aufruf der Kampfpaare hätten diese, begleitet von ihren Waffenträgern, durch die Tür in der Podiumsmauer in die Arena treten können, um in der Mitte der Arena Aufstellung zu nehmen, wo der Schiedsrichter und seine Adjutanten warteten.
20Diese Idealvorstellung über den Aufenthaltsort der Gladiatoren vor ihrem Kampf in einer mit Wandmalerei und Stuck dekorierten Kammer trifft auf die beiden Räume im Amphitheater von Capua nur bedingt zu. Grund dafür ist die Tatsache, dass die Tür, die von der Kammer in die Arena führt, in beiden Räumen ursprünglich ein Fenster war und erst nachträglich zu einer Tür umgestaltet wurde, indem man die Brüstung des Fensters entfernte. Nun erstreckt sich zwischen Baubeginn und der Fertigstellung der Anlage ein Zeitraum von ca. 50 Jahren, wobei sich die zeitliche Einordnung der Malerei mit der Fertigstellung des Gebäudes deckt, sodass angenommen werden kann, dass die beiden Räume vorher nicht in Funktion waren – zumal wir auch nicht wissen, ob Gladiatorenspiele vor der Fertigstellung des Amphitheaters in diesem ausgeführt wurden. Zwingend notwendig ist es nicht gewesen, da die Anlage aus republikanischer Zeit noch bestand und nach den Ergebnissen der Ausgrabung erst in der Mitte des 2. Jahrhunderts niedergelegt wurde, also wohl kurz vor Fertigstellung des neuen Amphitheaters. Insofern kann die Umgestaltung des mittleren Fensters zu einer Tür gleichzeitig mit der Ausmalung der Kammern vorgenommen worden sein. Sollte diese Annahme zutreffen, so dienten die beiden Kammern tatsächlich dem Aufenthalt der Gladiatoren vor ihrem Auftritt in der Arena. Interessant dabei ist, dass die Malerei, soweit sie sich rekonstruieren lässt, keinen Bezug zu den Spielen im Amphitheater nehmen, ganz im Gegenteil zu den steinernen Brüstungen der Vomitorien, die neben Jagddarstellungen auch mythologische Szenen zeigen. Aber vielleicht bedurfte es dieser in der Kammer auch nicht, da die sich dort aufhaltenden Personen Teil der zu erwartenden Ereignisse waren. (HB)
Kooperationen
Polo Museale della Campania; Museo Archeologico dell‘Antica Capua, Mitreo e Anfiteatro di Santa Maria Capua Vetere (Direttore: I. Gennarelli).
Leitung des Projektes
H.-J. Beste.
Team
S. Fortunati, R. Hahn Rieger, U. Petzold.
Abstracts
Abstract
Capua, Italy. The so-called Gladiators’ Chambers in Capua’s amphitheater
The Gladiators’ Chamber’s walls and vault in Capua’s amphitheater still retain portions of their painted decoration. The same decorative pattern on the walls, interrupted by pillars, was repeated for each bay. The decoration is articulated into a dark red plinth, a middle zone divided into three white panels by red pillars, and an upper zone, separated by a stucco frame, within the space of the lunette. The panels in the middle zone are further framed by polychrome »embroidery borders«. The ones on the side contain small squares with a blue background; the central ones preserve no trace of decorative elements. The upper field is framed by a red band, the centre of which is occupied by a dark red square. The decorative scheme and the chromatic range suggest a chronology included within the first half of the second century – more likely around the first quarter of it, because of the consistent classical reminiscences. The embroidery borders for example, which were very popular in Pompeii, have been reworked according to a new decorative taste. Other elements, such as pillars and bands marking the panels and some details of the lunette, evoke paintings belonging to the full second century, such as some walls of the domus in Piazza dei Cinquecento in Rome and some mausoleums of the Vatican Necropolis.
Schlagworte
Amphitheater, Ehrentribünen, Gladiatoren, Gladiatorenschule, Malerei

Die sog. Kammer der Gladiatoren und ihre Wandmalerei
Deutung und Funktion der Kammer
Kooperationen
Leitung des Projektes
Team
Abstracts