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Der Tempel des Apollo in circo in Rom und seine Bauherren
1Der Tempel des Apollo beim Circus Flaminius in Rom ist durch die Forschungen von Eugenio La Rocca und Alessandro Viscogliosi zu einem Schlüsselbau des frühen augusteischen Principats geworden (Abb. 1. 2)[1]. Die Architektur stellt mit den reich gestalteten Säulenordnungen nach außen und in der Cella, der luxuriösen Verwendung von Buntmarmoren aus fernen Provinzen und der vielfältigen Ausschmückung mit dekorativen Motiven eine glanzvolle Manifestation der gefestigten Staatsmacht dar. Die von La Rocca entdeckten und rekonstruierten Giebelfiguren, eine wiederverwendete originale griechische Komposition des Kampfes des Theseus gegen die Amazonen, sind ein brillantes Beispiel der Aktualisierung griechischer Mythen und klassischer Kunstformen zur kulturellen und ideologischen Nobilitierung der neuen Herrschaft. Das Kultbild des Gottes, ein Werk aus Zedernholz aus dem syrischen Seleukia, bezeugt die Zugehörigkeit des zurückgewonnenen Ostens zum römischen Reich. Und der in der Cella umlaufende Fries führt die Siege und Triumphe Octavians vor Augen, die die Grundlage des neuen Friedens unter der Herrschaft des Apollo und des unter seinem Schutz stehenden Princeps bilden.
2Auf den wenigen erhaltenen Teilen des Frieses sind vier Themen zu erkennen: ein Staatsopfer (Abb. 3), ein linksläufiger Triumphzug (Abb. 4), eine rechtsläufige religiöse Prozession (Abb. 5) und eine Schlacht gegen nördliche Gegner (Abb. 6)[2]. Der Fries lief im Inneren der Cella um, aber die Verteilung auf die verschiedenen Seiten ist nicht gesichert. Ein architektonisches Kriterium ergibt sich daraus, dass die Seitenwände (Ost und West) vorgeblendete Säulenstellungen mit tiefen Friesblöcken hatten, während die Rückwand (Nord) mit flachen Lisenen gegliedert war und flache eingelassene Friesplatten besaß. Dadurch ist die Lokalisierung der in wenigen flachen Fragmenten erhaltenen Opferszene an der Rückwand gesichert. Erhalten sind Reste von einem sowie vielleicht zwei weiteren Stieren, einem victimarius, zwei Tunicati, die Füße von drei weiteren Personen sowie zwei weitgehend vollständige Lictoren in Toga (Abb. 3 a–e). Überzeugend ist vermutet worden, dass Augustus als Opferherr im Zentrum am Altar stand, unmittelbar über dem Kultbild des Tempels, umgeben von Opferpersonal mit Opfertieren (links) und Lictoren (rechts)[3].
3Die Verteilung der weiteren Themen auf die übrigen Seiten der Cella ist problematisch und scheint nach dem gegenwärtigen Stand kaum endgültig zu lösen[4]. Viscogliosi hat gezeigt, dass die beiden Blöcke mit Kampfszenen aufgrund der verkürzten Soffitten an der Unterseite das linke Ende eines Frieses gebildet haben und im rechten Winkel an eine Wand mit Lisenen-Gliederung angeschlossen haben. Demnach setzte er sie an der nördlichen Ecke der Ostwand ein, im Anschluss an die Lisenenwand im Norden mit der Opferszene über dem Kultbild. Daraus ergab sich allerdings eine wenig überzeugende Anordnung der Themen: Auf der rechten Seite würden die rechtsgerichteten Kämpfe sich vom Kultbild weg zum Eingang hin entwickeln, auf der linken Gegenseite würden zwei einander entgegengesetzte Prozessionen unterzubringen sein, der Triumphzug wieder von dem Kultbild und der Opferszene weggewendet[5].
4Vielleicht ist jedoch diese Anordnung nicht zwingend. An der Eingangswand konnten bisher keine Grabungen durchgeführt werden, ein Podium für eine innere Säulenstellung ist dort nicht gesichert. Sie wurde von Viscogliosi erschlossen aufgrund zweier Indizien[6]. Zum einen bezieht er eines der Kapitelle der oberen Säulenordnung, das nur an zwei Seiten ausgearbeitet ist, auf eine Ecksäule zweier im rechten Winkel aufeinanderstoßender Säulenstellungen, was in der Tat nur an der Eingangswand möglich wäre. Doch diese zweifache unausgearbeitete Rückseite wäre wohl ebenso bei einer Ecksäule verständlich, über der der Architrav mit verkürztem Abstand weiter auf die Querwand zuläuft; der Abstand der Ecksäulen zur Längs- und zur Querwand ist genau gleich, beide Rückseiten sind in gleicher Weise nicht zu sehen. Das zweite Indiz sind drei Typen von Aediculae der inneren Blendarchitektur, von denen Viscogliosi diejenigen mit dreieckigen und runden Giebeln in abwechselnder Folge an die Längswände und die dritte Form mit ›Pagoden‹-Giebel an die Eingangswand zu beiden Seiten des Tores setzt. Diese Verteilung ist aber offenbar durch keine konkreten Befunde gesichert.
5Somit könnte die Eingangswand, wie die Rückwand, mit einer flachen Lisenenordnung gegliedert gewesen sein, sodass die Säulenordnung mit Aediculae und Architrav nur an den Langseiten entlanglief. Das nur zweiseitig ausgearbeitete Kapitell könnte dann sowohl an der Nordost- wie auch an der Südwest-Ecke angesetzt werden. Diese Lösung, die bereits von anderen Forschern vorgeschlagen wurde, ist bekanntlich bei römischen Tempeln geläufig, während die Ausstattung der Eingangswand mit Säulen und Aediculen, noch dazu mit dem aufwändigsten Typus des ›Pergola‹-Giebels, bei gleichzeitig flacher Lisenenordnung der Wand hinter dem Kultbild zumindest überraschend wäre[7].
6Unter dieser Voraussetzung könnten die Friesblöcke mit der Reiterschlacht auch am südlichen Ende der Westwand angesetzt werden. In diesem Fall könnten die Prozessionen, wie es grundsätzlich plausibel wäre, in Richtung auf das Kultbild und die darüber stehende Opferszene zulaufen: die Sühne-Prozession auf der Westseite, an die Kämpfe mit dem zu entsühnenden Blutvergießen anschließend, der längere Triumphzug auf der Ostseite (Abb. 7).
7Beim gegenwärtigen Stand der Kenntnisse kann das nur eine Hypothese sein, die durch neue Grabungen und Analysen zu prüfen sein wird. Einigermaßen deutlich ist jedoch die sachliche Abfolge der Bildthemen: Kämpfe – zwei Prozessionen – abschließende(s) Opfer. Dabei bleibt die Frage, wie die beiden Prozessionen sich rituell zueinander und zum Gott des Tempels verhalten.
8Die linksgerichtete Prozession ist durch das ferculum mit den Gefangenen eindeutig als pompa triumphalis zu erkennen. Sie hat einen Bezug zum Tempel insofern, als Apollo für die Sühnung der heimkehrenden Heere zuständig war und der Triumphzug an diesem Bau vorbei zur Porta Triumphalis und von dort in die Stadt einzog. Doch letzten Endes gilt das Triumph-Ritual dem Kapitolinischen Iuppiter, darum ist über die pompa triumphalis hinaus auch ein direkterer Bezug auf Apollo als Herrn des Tempels zu erwarten. Auf ihn wurde zu Recht die rechtsgerichtete Prozession bezogen.
9Erhalten ist nur ein Teil eines Blockes mit Trägern eines überdeckten ferculum, in dem Kopf und Schenkel eines geschlachteten Ferkels und gebackene Brote für ein darzubringendes Opfer liegen (Abb. 5)[8]. Das Ferkel ist zu Recht als Sühneopfer, piaculum, gedeutet worden; im Kontext der übrigen Themen des Frieses muss die Entsühnung des Heeres nach der Rückkehr vom Krieg gemeint sein. Diese hatte im Kult des Triumphes für Iuppiter Capitolinus keinen Platz; entsprechend sind auch in bildlichen Zeugnissen zum Triumphzug keine Elemente von Sühneopfern bezeugt. Die Reinigung des Heeres vom Blut des Krieges wurde noch vor dem triumphalen Einzug in die Stadt beim Tempel des Apollo vollzogen, kurz vor dem Überschreiten des Pomeriums. Seit republikanischer Zeit ist hier ein Becken, perirrhanterion bzw. lavacrum, für lustrierendes Wasser bezeugt, das unter Vespasian in einem Monopteros vor dem Tempel eine neue Form erhielt[9]. Bekanntlich war die Bedeutung des Apollo als Gott der Reinigung von Blutschuld, Befleckung und Krankheit der Grund für die Funktion seines Tempels als Ort der Verhandlungen zwischen siegreichen Heerführern und dem Senat über die Verleihung des Triumphs und der Ehre, mit dem Heer in die Stadt einzuziehen. Der Übergang vom Krieg zum gesicherten Frieden, vom Draußen der legitimen Gewalt zum Binnenraum der geschützten Stadt, von der Welt der Krieger zu der der Bürger, wird religiös zwischen Apollo und Iuppiter, topographisch zwischen den Tempeln in circo und auf dem Kapitol vollzogen. Aus Gründen der rituellen Praxis ist es kaum vorstellbar, dass die Rituale der Reinigung und des Siegesopfers zwei unabhängig voneinander durchgeführte Vorgänge waren: Sie müssen Anfang und Ende derselben Prozession in die Stadt gebildet haben.
10In diesem Sinn stellen die gegengerichteten Prozessionen zwei Aspekte eines einzigen Rituals dar, ähnlich wie die beiden Friese an der Nord- und Südwand der Ara Pacis . In dem Triumphzug muss Octavian rechts hinter dem Lictor (und seinen Kollegen) gefolgt sein; ob er noch einmal in dem rechtsläufigen Zug mit dem Sühneopfer dargestellt war, ist nicht zu erkennen, aber wohl eher unwahrscheinlich. Wenn er nur beim Triumph dargestellt war und sich auf beide Zugteile bezog, so wäre dies eine weitere Entsprechung zur Ara Pacis. Die Opferszene an der Stirnwand könnte beide Opferhandlungen, für Apollo und Iuppiter, zusammengefasst haben.
11Eine derart explizite politische Manifestation an einem Tempel ist in Rom einzigartig. Da sie ganz am Beginn der Herrschaft des Augustus, ja am Beginn der neuen Staatsform des Principats steht, stellt sich mit besonderer Schärfe die Frage nach den Initiatoren dieses Bauprojekts.
12Der Neubau des Apollo-Tempels in circo in der Form, die der Bau während der Kaiserzeit hatte (Abb. 1. 2), wird in den Schriftquellen mit der Person des C. Sosius verbunden, der in der Zeit des Zweiten Triumvirats und des beginnenden Principats eine bedeutende politische Rolle spielte[10]. Plinius teilt mit, dass »cedrinus est Romae in delubro Apollo Sosianus Seleucia advectus«. Darüber hinaus spricht er von einer Statuengruppe der Niobiden »in templo Apollinis Sosiani«[11]. Solange die Forschung im Wesentlichen auf die schriftlichen Quellen angewiesen war, wurde daraus der Schluss gezogen, dass Sosius den Tempel beim Circus Flaminius aus der Beute seines siegreichen Feldzugs gegen die Juden 37 v. Chr. und mit Geldern aus seinem anschließenden prokonsularischen Imperium in Syrien errichtet habe, wahrscheinlich nach seiner Rückkehr nach Rom und seinem Triumph 34 v. Chr.: Da er damals ein hochrangiger Gefolgsmann des Antonius war, habe er den Neubau in Konfrontation mit Octavian übernommen und durchgeführt. Auf dem Fries habe er seinen eigenen Triumph gefeiert[12].
13Diese historische Deutung hätte von vornherein angesichts der weiteren Karriere des Sosius Zweifel erwecken sollen: Dieser wurde für 32 v. Chr. zum Konsul gewählt, trat das Amt auch an, allerdings mit einer flammenden Rede für Antonius, woraufhin er wenige Tage später sich gezwungen sah, zusammen mit seinem Mitkonsul Cn. Domitius Ahenobarbus die Stadt zu verlassen und sich zu seinem Oberherrn nach Alexandria zu begeben, der ihm in der Schlacht von Actium die Leitung des linken Flügels der Flotte anvertraute. Der Zeitraum bis zu dieser Flucht war sicher viel zu kurz, um den Tempel zu vollenden.
14Eine neue Sicht ergab sich, als nach der Freilegung des Tempels in der Ära Mussolini die Elemente der reichen Architektur-Dekoration bekannt wurden, die auf eine spätere Entstehung wiesen. Heinz Kähler und andere Forscher zeigten auf, dass die Kapitelle, Friese, Soffitten und weitere Schmuckformen in die 20er Jahre führen, also in die Zeit nach Actium[13]. Das hinderte nicht an der Zuweisung an C. Sosius, da dieser nach Actium zu Octavian übergegangen war, von diesem in Gnade aufgenommen wurde und noch bei den ludi saeculares 17 v. Chr. Mitglied der XVviri sacris faciundis war, die für den Kult des Apollo zuständig waren. In der Folge nahm Inez Scott Ryberg die Errichtung des Neubaus unter der Ägide des Augustus an, bezog den Triumph auf dem Fries aber weiter auf C. Sosius[14]. Schließlich legten jedoch Gilbert-Charles Picard und später Eugenio La Rocca dar, dass der Fries keinen Sieg gegen die Juden, sondern gegen Feinde aus dem Norden schildert, mit Gefangenen in Kleidung und mit Barttracht nördlicher Barbaren sowie einem Tropaeum mit keltischer Perücke. La Rocca brachte dann auch den dekorativen Schmuck der Architektur, wie die Figuralkapitelle der Cella mit Dreifuß und Schlangen, dazu den Außenfries mit Zweiggirlanden aus Lorbeer, in enge Verbindung mit der apollinischen Atmosphäre des frühen Principats. Darüber hinaus konnte er eine umfangreiche Darstellung einer Schlacht von griechischen Helden gegen Amazonen aus originalen Figuren der griechischen Klassik nachweisen, die in Zweitverwendung den Giebel des Tempels geschmückt hatten, als mythisches Paradigma für Octavians Sieg gegen Kleopatra und Antonius (Abb. 8). Damit war klar, dass der Tempel in seiner endgültigen Form unter Augustus entstanden ist und der Fries dessen dreifachen Triumph von 29 v. Chr. darstellt. Die erhaltenen Blöcke zeigen Kämpfe und Triumph über die keltischen Dalmater 33 v. Chr., in den fehlenden Teilen müssen die Triumphe für diese Siege sowie für Actium und Alexandria vor Augen geführt worden sein. In der abschließenden Publikation des Tempels von Alessandro Viscogliosi wird die Fertigstellung nach Actium noch einmal nachdrücklich begründet[15].
15Aus dieser Erkenntnis wurde von dem weit überwiegenden Teil der Forschung der Schluss gezogen, dass der Tempel in zwei Phasen errichtet wurde, die erste vor, die zweite nach Actium. Dabei hat die explizite Rühmung des Augustus in dem Triumph-Fries den Blick stärker auf die politischen Aspekte des Baues gelenkt. Für die Phase vor Actium wurde zumeist weiterhin C. Sosius als Bauherr ab 34 v. Chr. angenommen; seine Initiative wurde z. T. als polemische Aktion gegen Octavian gesehen, der gleichzeitig, seit 36 v. Chr., den Tempel seines Schutzgottes Apollo auf dem Palatin errichtete. Sosius habe den Bau jedoch wegen seiner Flucht aus Rom 32 v. Chr. nicht zu Ende führen können, darum habe Octavian nach Actium selbst für die Fertigstellung gesorgt. Zahlreiche Forscher gingen davon aus, dass der Kaiser den Auftrag dann wieder dem inzwischen zu ihm übergegangenen und begnadigten C. Sosius gegeben habe; dieser habe nun den dekorativen Schmuck des Tempels, insbesondere den Fries, zum Ruhm des neuen Machthabers und zur Bekundung seines politischen Seitenwechsels eingesetzt[16]. Andere Forscher nahmen an, dass Augustus den Bau in eigener Person habe zu Ende führen lassen und dabei den Dekor zur Propaganda für sich selbst habe gestalten lassen[17]. Noch radikaler ist die weniger häufig geäußerte Meinung, der Bau sei überhaupt erst nach Actium begonnen worden: Entweder habe Augustus damals C. Sosius beauftragt, den Tempel für seinen Schutzgott, und damit implizit zu seinem eigenem Ruhm, zu bauen[18]. Oder Augustus habe den Bau damals selbst begonnen und Sosius habe nur das Kultbild beigesteuert[19].
16Die eingehenden Untersuchungen von Viscogliosi an dem Bau haben die Errichtung in zwei kurz aufeinanderfolgenden Phasen und eine durchgreifende Planänderung der Ausstattung eindeutig bestätigt (Abb. 9. 10. 11). Die Fundamente der Cella, in opus caementicium, wurden zunächst relativ schmal gegossen, für eine Wand mit weitgehend planer, durch flache Lisenen gegliederter Innenseite. Später wurde im Inneren eine zweite Fundament-Schicht vorgeblendet, die Fuge ist deutlich zu erkennen (Abb. 9): Das zusätzliche Fundament diente als Träger einer reichen vorgeblendeten Ädikula-Architektur aus bunten Marmoren, über der der Fries mit dem dreifachen Triumph des Octavian eingefügt wurde (Abb. 11)[20]. Diese reiche Ausstattung ist nach den Stilformen des Dekors und dem Thema des Frieses in der Zeit bald nach Actium entstanden; in diese zweite Phase gehören auch die Säulen des Pronaos aus lunensischem Marmor sowie die Halbsäulen um die Cella aus Travertin mit Stuckverkleidung, einschließlich der Kapitelle und Friese mit den augusteischen Schmuckmotiven; ebenso der Giebel mit den wiederverwendeten griechischen Bildwerken, die ebenfalls auf Augustus weisen. Wenn diese endgültige Gestalt des Tempels in die Zeit bald nach Actium gehört, so liegt es nahe, die erste Phase in der Zeit vor der Schlacht anzusetzen. Bereits damals muss offenbar die auffallende Gestalt des Tempels konzipiert worden sein, der in engem Zusammenhang mit dem benachbarten Theater stand, dessen Neubau wohl schon früh vorgesehen war. Der Tempel musste in seiner Monumentalität dem neuen Theater entsprechen, war aber in seiner Ausdehnung durch den zukünftigen Theaterbau im Süden und die Porticus Metelli/Octaviae im Nordwesten eng begrenzt: ein Problem, das man mit dem Verzicht auf eine frontale Freitreppe und deren Ersatz durch zwei seitliche Aufgangstreppen löste[21].
17Es bleibt allerdings die Frage, wer der Bauherr in den beiden Phasen war. Die von der Mehrheit der Forscher vertretene Möglichkeit, C. Sosius habe den Bau vor Actium begonnen, scheint in vieler Hinsicht wenig plausibel:
  • Der Tempel des Apollo war von Anbeginn eng mit der gens Iulia verbunden, denn der erste Bau war 431 v. Chr. von einem Cn. Iulius als Konsul dediziert worden[22]. Ein Neubau 179 v. Chr. wurde zwar von Mitgliedern anderer gentes, offenbar M. Fulvius Nobilior und M. Aemilius Lepidus, errichtet, aber zur Zeit von Caesar und Augustus stellten die gentilizischen Traditionen von öffentlichen Gebäuden eine starke Verpflichtung dar. Der bekannteste Fall sind die verschiedenen Rekonstruktionen der Basilica Aemilia , für die immer wieder Mitglieder der Familie der Aemilier die Verantwortung übernahmen[23]. Schon darum konnte Octavian den Tempel des Apollo kaum einem Bauherrn außerhalb der eigenen Familie überlassen.
  • Der Neubau des Apollo-Tempels ist nicht von dem neuen Marcellus-Theater zu trennen, das Augustus als Nachfolger eines republikanischen Theater-Baues aus Holz unmittelbar vor der Tempel-Fassade errichtete. In der Republik hatte das Theater vor allem zur Abhaltung der ludi Apollinares gedient, Augustus hat dort einen Teil der Festakte zu der Säkularfeier 17 v. Chr. begangen, bevor er es 13 v. Chr. offiziell im Namen des Marcellus einweihte[24]. Mit dem Neubau des Theaters trat Augustus aber zugleich in die Nachfolge seines Adoptivvaters Caesar ein, der im Rahmen seiner großen urbanistischen Projekte ein monumentales Theater geplant hatte, das den Theater-Komplex des Pompeius auf dem Marsfeld übertreffen sollte. Als topographische Lage wird eine Seite des Kapitols genannt, nach längerer Diskussion wird heute überzeugend die Westseite angenommen. Der genaue Ort und das funktionale Verhältnis zu dem Theater beim Apollo-Tempel sind umstritten und bedürfen weiterer Klärung[25]. Jedenfalls aber hat Octavian anscheinend nach Caesars Tod dessen Theater-Projekt in der geplanten Form aufgegeben. Da dieses Projekt allerdings als Antithese zum Pompeius-Theater gedacht war und zweifellos große Popularität anstrebte, liegt die Annahme nahe, dass er für die Zukunft ein alternatives Projekt im Sinn hatte. Der Apollo-Tempel nimmt offenbar bereits in der ersten Phase, also vor Actium[26], durch den Verzicht auf eine frontale Freitreppe Rücksicht auf einen erweiterten Neubau des vorgelagerten Theaters[27]. In diesem modifizierten Sinn stellt das Marcellus-Theater beim Circus Flaminius eine Realisierung von Caesars Theater-Plan dar. Davon ist der Apollo-Tempel nicht zu trennen: Er gehört in den Rahmen der urbanistischen Erbschaften, die Caesar dem Divi filius hinterließ.
18In diesem Zusammenhang kann ein Blick auf die traditionelle Praxis der öffentlichen Bautätigkeiten in den vorausgehenden Jahrhunderten der römischen Republik weiterführen, die zweifellos bis in die Zeit Caesars und Octavians in Geltung blieb. Die große Bedeutung, die individuelle Bauherren in Rom für die Errichtung von öffentlichen Bauten und Anlagen hatten, führte immer wieder dazu, dass die Projekte, aus welchen Gründen auch immer, von den Initiatoren nicht zu Ende geführt werden konnten. In solchen Fällen war es üblich, dass die Fertigstellung von deren Söhnen übernommen wurde. Bereits zu Beginn der Republik hatte der Dictator A. Postumius Albus nach der Schlacht am See Regillus 499/496 v. Chr. den Tempel des Castor am Forum gelobt, den dann sein Sohn 484 v. Chr. als IIvir aedi dedicandae einweihte[28]. 191 v. Chr. gelobte M. Acilius Glabrio einen Tempel der Pietas, den nach seinem Tod sein gleichnamiger Sohn zu Ende führte und 181 v. Chr. dedizierte[29]. Ähnlich muss die Gründung des Tempels für die Lares Permarini verlaufen sein. Der Bau war von L. Aemilius Regillus in der Schlacht von Myonessos 190 v. Chr. gelobt worden und wurde 179 v. Chr. von dem Censor M. Aemilius Lepidus geweiht: Wenn gegen alle Regel der siegreiche Feldherr den von ihm gelobten Bau nicht selbst dedizierte, so ist das kaum anders erklärbar, als dass er vor der Fertigstellung des Tempels gestorben war und ein Mitglied seiner gens sich der Aufgabe annahm[30]. Caesar hat bekanntlich bei seinem unvorhersehbaren Tod zahlreiche unvollendete Bauvorhaben und uneingelöste Bauschulden hinterlassen. Die wichtigsten Projekte hat Octavian übernommen, einige weitere wurden von politischen Anhängern weiter und zu Ende geführt: die Saepta Iulia wohl von M. Aemilius Lepidus und dann von Agrippa; das Atrium Libertatis von C. Asinius Pollio[31]. Eine ›feindliche Übernahme‹ durch politische Gegner scheint nicht bekannt zu sein und ist kaum vorstellbar.
19Octavian hat die nicht vollendeten Bauvorhaben seines Adoptiv-Vaters bekanntlich besonders demonstrativ übernommen, um sich als Sohn des Divus Iulius auszuweisen: Nicht nur hat er das Caesar-Forum vollendet, sondern auch den Neubau der von Caesar abgerissenen Curia des Senats übernommen und die von Caesar begonnenen Rostra zu Ende geführt. Es ist schwer denkbar, dass er einer Übernahme dieser Verpflichtung durch C. Sosius, den Gefolgsmann des Antonius, zugestimmt hätte.
20Caesars geplantes Theater war ein Konkurrenz-Projekt zu dem Theater des Pompeius . Zu diesem gehörte ein Tempel der Venus, die Pompeius als seine göttliche Patronin verehrte[32]. Auch aus diesem Grund konnte das neue Theater kaum ohne Tempel bleiben. Für Octavian aber lag ein zusätzlicher Stimulus noch darin, dass er bekanntlich Apollo als seinen persönlichen Schutzgott verehrte, so wie Pompeius Venus als seine göttliche Patronin verehrt hatte[33]. Schon früh, zur Zeit seines politischen Aufstiegs, verbreitete Octavian die Version seiner Abstammung von Apollo, der ihn in Form einer Schlange mit seiner Mutter Atia bei einer nächtlichen Feier eben in dem Tempel beim Circus Flaminius gezeugt habe (Sueton, Augustus 94; Cassius Dio 45, 1, 2). Im Jahr 40 v. Chr., so sagte man, sei er bei einem privaten Gelage, bei dem die Teilnehmer in der Rolle von Gottheiten aufgetreten waren, als Apollo erschienen (Sueton, Augustus 70). Für die Schlacht bei Naulochos hatte er Apollos Schwester Diana, für die Schlacht bei Actium Apollo selbst als Schutzgott gewählt (Cassius Dio 49, 8, 1 und 3; Properz 4, 6, 29 ff.; Vergil, Aeneis 8, 698 ff.). C. Sosius hatte zwar bereits als Parteigänger des Antonius Münzen mit Symbolen des Apollo geprägt, vielleicht im Anschluss an eine ältere republikanische Tradition, die den Gott als Verleiher von Siegen und Repräsentanten einer neuen Glückszeit sah[34]. Aber das bedeutet nicht, dass er damit in Rom selbst dem aufstrebenden Erben Caesars Konkurrenz machen konnte. Es wäre im höchsten Maß unverständlich, wenn Octavian den Bau dieses Tempels einem erklärten politischen Gegner überlassen hätte[35].
21Wenn diese Überlegungen zutreffen, dann scheint eine Bautätigkeit des C. Sosius am Tempel des Apollo vor Actium ausgeschlossen zu sein. Um zu einer Lösung zu gelangen, die sowohl den archäologischen Befund des Tempels als auch die historische Situation der möglichen Bauherren berücksichtigt, müssen folgende Daten miteinander verbunden werden: einerseits die initiale Verantwortung Octavians für den Neubau und eine Aktivität des C. Sosius nach der Zeit seiner Parteinahme für Antonius, also nach Actium; andererseits die zwei Bauphasen des Tempels, von denen die zweite in die Zeit nach Actium fällt und in ihrer Dekoration den Sieg und Triumph des Octavian-Augustus feiert.
22Daraus ergeben sich theoretisch drei Möglichkeiten der Rekonstruktion der Vorgänge, zwei davon wenig wahrscheinlich, die dritte von hohem Interesse.
  • Eine radikale Lösung, vorgeschlagen von Pierre Gros, wäre, dass C. Sosius überhaupt nichts mit der Rekonstruktion des Tempels zu tun hatte, sondern nur das Kultbild gestiftet hat, das wegen seines Materials, Zedernholz, berühmt war[36]. In diesem Fall hätte Octavian selbst den ganzen Bau durchgeführt, mit Beginn in den 30er Jahren und einer Fortsetzung nach Actium mit geändertem Plan, vor allem mit reicherer Innenausstattung aufgrund der nun verfügbaren Finanzmittel aus der Kriegsbeute. Zur Vollendung hätte er Sosius aufgefordert, das Kultbild beizusteuern. In der Tat erwähnen die Schriftzeugnisse über Sosius nicht explizit seine Aktivität als Bauherr des Tempels: Plinius nennt den (d. h. die Statue des) »Apollo Sosianus« aus Zedernholz, der aus Seleukia (also dem Aktionsgebiet des Sosius) gebracht wurde (Naturalis Historia 13, 53), und berichtet von der Gruppe der Niobiden »im Tempel des Apollo Sosianus« (36, 28) – der im Sinn dieser Lesung nach dem von Sosius gestifteten Kultbild benannt worden wäre[37].
  • Diese Deutung scheint jedoch wenig plausibel. Sie wird zum einen geschwächt durch die Parallele des etwa gleichzeitigen Tempels der Diana Cornificiana auf dem Aventin aus dem Jahr 36 v. Chr.: Der den Namen gebende L. Cornificius hatte nichts mit dem Kultbild zu tun, das aus dem Vorgängerbau übernommen wurde, sondern war der Bauherr des Tempels. Entscheidend ist aber, dass Augustus selbst den Tempel des Apollo in circo nicht unter seinen eigenen Bauten aufführt (Res gestae 21, 1), was insbesondere angesichts des zu dieser Zeit ungewöhnlich großen Aufwands der Ausstattung zu erwarten wäre. Im Gegenteil, wenn Augustus unter seinen Neubauten nur das »theatrum ad templum Apollinis« nennt, so schließt er implizit den Tempel selbst aus. Hinzu kommt eine weitere Überlegung: Es war eine mehrfach demonstrierte Geste des Augustus, zu den Heiligtümern anderer Bauherren die Kultbilder der Götter zu stiften[38]: Das Bild der Gottheit war das Zentrum des Kultes, das am stärksten die pietas des Stifters zum Ausdruck brachte. Dass Augustus dem Sosius Tempel und Kultbild überließ, ist durchaus möglich, dass er aber selbst den Tempel errichtet und einen anderen Stifter zur Bereitstellung des Götterbildes aufgefordert hätte, ist äußerst unwahrscheinlich. Das heißt, dass Sosius nicht nur das Kultbild beigesteuert haben kann, sondern auch an der Errichtung des Tempels beteiligt gewesen sein muss – allerdings nicht in der Phase seiner Parteinahme für Antonius, sondern nach Actium, als Anhänger des Octavian-Augustus.
  • Eine andere Möglichkeit wäre, dass Octavian zwar schon früh die Verantwortung für den Neubau des Tempels übernommen hätte, das Projekt aber zunächst wegen der militärischen Konflikte und finanziellen Engpässe aufgeschoben und die Aufgabe schließlich nach Actium dem C. Sosius übertragen hätte, der dadurch seinen politischen Wechsel demonstrativ beweisen konnte. Ein solcher Aufschub ist für den Tempel des Mars Ultor bezeugt, den Octavian in der Schlacht von Philippi 42 v. Chr. gelobt hatte, aber erst viel später, wahrscheinlich um 18 v. Chr. begann und schließlich 2 v. Chr. einweihte[39]. Gegen diese Rückführung des gesamten Baues auf C. Sosius sprechen jedoch die beiden Bauphasen, denn es wäre kaum ein plausibler Grund anzugeben, warum derselbe Bauherr innerhalb der offenbar kurzen Bauzeit die Pläne so stark verändert haben sollte.
  • Dritte Möglichkeit: Wenn von den beiden Bauphasen mit hoher Wahrscheinlichkeit die erste in die Zeit vor, die zweite in die Zeit nach Actium fällt, dann ist es kaum anders denkbar, als dass Octavian den Bau des Tempels in Verbindung mit dem Theater und wegen seiner genealogischen und ideologischen Verbindungen zu Apollo selbst übernommen und auch begonnen hat, ihn jedoch wegen der genannten politischen und finanziellen Probleme nicht weit voranbringen konnte. Ganz ähnlich verliefen gleichzeitig die Bauarbeiten am Tempel des Divus Iulius, der 42 v. Chr. beschlossen worden war, aber bis Actium nicht fertig wurde und erst 29 v. Chr. von Octavian eingeweiht werden konnte[40]. Beim Tempel des Apollo in circo jedoch vergab er die Aufgabe der Fertigstellung an C. Sosius, der als höchster Exponent der ehemaligen Anhänger des Antonius prädestiniert war, das Ende der Bürgerkriege durch die Verehrung des Gottes des neuen Machthabers zu bezeugen. Ähnlich hatte schon Caesar eigene Bauprojekte an seine Gefolgsleute abgegeben, die damit ihre Nähe zu ihm bekundeten. Octavian-Augustus konnte dies Projekt um so leichter delegieren, weil er seit 36 v. Chr. selbst auf dem Palatin einen neuen Tempel für Apollo errichtete, der in der Verbindung mit seinem eigenen Wohnsitz seine persönliche Beziehung zu dem Gott noch weit stärker hervorhob. In der parallelen Errichtung zweier Tempel für den Gott des Princeps durch Augustus selbst und seinen neuen Gefolgsmann findet die politische Eintracht ihren pointiertesten Ausdruck. Der palatinische Tempel wurde 28 v. Chr. eingeweiht, bei dem Tempel in circo kann man den Abschluss spätestens zur Feier der Saecularspiele 17 v. Chr. erwarten, bei denen C. Sosius als XVvir sacris faciundis mitgewirkt hat.
23Wenn diese Rekonstruktion zutrifft, so ist der Vorgang aus zwei Gründen aufschlussreich. Zum einen macht er grundsätzlich deutlich, wie wichtig es ist, die Praxis des öffentlichen Bauens in ihren äußeren performativen Formen als historisches Zeugnis ernst zu nehmen. Die bis heute vielfach gängige Auffassung der Bau- und Denkmalspolitik römischer Kaiser als Aktion politischer »Propaganda«, die letzten Endes doch allein vom Kaiser gesteuert worden sei und in der alle anderen Akteure die Funktion ausführender Instrumente der kaiserlichen »Selbstdarstellung« gehabt hätten, erweist sich hier wie anderswo als anachronistische Simplifizierung im Sinne moderner Staatsdiktaturen. Sie entspricht damit der ebenso überholten Auffassung, die die republikanischen Elemente der augusteischen Monarchie als »Fassade« sieht, hinter der die »eigentlichen« Machtverhältnisse mehr schlecht als recht verborgen würden. Doch der prätendierte Blick hinter die »Fassade« gibt keine »tiefere Wahrheit« zu erkennen: Die äußeren Formen der »Fassade« sind die Wirklichkeit dieser Monarchie, es macht einen entscheidenden Unterschied, ob die Neugestaltung Roms als Manifestation einer zentralen »Propaganda« oder als Aushandlung und Demonstration von vielseitigem Konsens realisiert wird[41].
24Aus dieser Perspektive ist der Tempel des Apollo das deutlichste Beispiel für die neue Praxis des öffentlichen Bauens unter Octavian-Augustus, die zuerst Eugenio La Rocca an den Bauten um den Circus Flaminius aufgezeigt hat[42]: Während die mächtigen Feldherren der späten Republik ihre großen Bauprojekte allein, und zum Teil gegen starken Widerstand, durchführten[43], war Augustus bestrebt, die umfassende Neugründung der Stadt Rom als ein Unternehmen in Szene zu setzen, das zwar unter seiner Ägide stand, aber von allen Teilen der stadtrömischen Gesellschaft getragen wurde. In diesem Sinn beteiligten sich Senat und Volk, Vertreter der großen republikanischen gentes und des Ritterstandes, seine väterliche Familie, seine alten Kampfgenossen, besonders sein engster Mitstreiter Agrippa, später schließlich seine Gemahlin Livia und seine Stiefsöhne Tiberius und Drusus an der großen Restauration[44]. Wenn Augustus einem hochrangigen ehemaligen Gegner die Fertigstellung des von ihm selbst begonnenen Baues für seinen persönlichen Schutzgott übertrug, so war das kein Einzelfall: Im Jahr 27 v. Chr. wurde dem früheren Gefolgsmann des Antonius L. Munatius Plancus die Aufgabe übertragen, im Senat den neuen Übernamen »Augustus« für den Princeps vorzuschlagen; und in diesem Sinn schmückte er den schon früher von ihm begonnenen Neubau des Saturn-Tempels mit Tritonen zur Feier des Seesieges von Actium. Beide Fälle sind deutliche Zeichen dafür, wie ernst es Augustus damit war, den Wiederaufbau Roms nicht als Manifestation seiner persönlichen Dominanz, sondern als Bekundung eines consensus universorum ins Werk zu setzen[45].
25Die historische Pointe dieser Fortsetzung des Baues liegt aber in der deutlichen Änderung des Plans. Octavian hatte offensichtlich einen Tempel in schlichten Formen geplant, mit einer Cella, die nach innen allenfalls eine einfache Gliederung durch Lisenen aufwies (Abb. 10). In welcher Form und mit welchen Materialien die äußere Säulenstellung mit dem Gebälk in dieser ersten Phase geplant war, ist nicht mehr zu erkennen. Die Schlichtheit entspricht, wie Henner von Hesberg gezeigt hat, dem Habitus der Zurückhaltung, die Octavian in diesen Jahren vielfach zur Schau stellte[46]. C. Sosius aber legte im Inneren eine zusätzliche breite Fundamentierung an, um eine Ädikula-Ordnung von bisher einzigartigem Reichtum einzuziehen, aus wertvollen bunten Marmoren und mit einem gleichfalls ungewöhnlichen Innenfries, der Octavians dreifachen Triumph feierte (Abb. 11). Noch aufwändiger wäre die Gestaltung des Innenraumes, wenn Eugenio La Roccas plausible Zuweisung eines oder zweier Relief-Giebel mit Darstellung eines Adlers auf einem Globus, flankiert von zwei Capricorni, sowie Aeneas mit Helenos und der Lupa mit den Zwillingen an die Ädikula-Architektur der Cella zuträfe (Abb. 12)[47]. Ebenso aufwändig ließ Sosius die äußere Säulenstellung gestalten: ganz aus Marmor, mit einem überreichen Schmuck von Ornamenten und einem einzigartigen wiederverwendeten griechischen Figurengiebel, die sich zu einem visuellen Panegyricus auf den Herrscher zusammenschlossen[48].
26Unter Voraussetzung dieser Geschichte des Baues erhält die prunkvolle Ausstattung des Tempels mit verschiedenartigen wertvollen Marmoren noch eine besondere Bedeutung. Die Säulenstellung der Front mit Gebälk und Giebel war, neben dem Apollo-Tempel auf dem Palatin, eines der ersten Beispiele einer umfangreichen Verwendung des neu erschlossenen Marmors von Luni. Dazu kam eine spektakuläre Verwendung fremdartiger bunter Marmorsorten: Der Boden der Cella in opus sectile war aus giallo antico (Numidien), pavonazzetto (Dokimeion), sog. africano (Teos), cippollino (Euboia) und portasanta (Chios) zusammengesetzt; die Architekturordnung der Innenwände enthielt ebenfalls, neben Marmor aus Luni, Säulen aus africano sowie Gesimse und Inkrustationen aus giallo antico, pavonazzetto, wohl auch portasanta und rosso antico (Tainaron). Bekanntlich hatte die Nutzung von kostbaren Buntmarmoren in der Architektur der späten römischen Republik begonnen; sie war politisch-moralisch stark umstritten, wurde vielfach vor allem im Bereich der privaten Wohnsitze als Zeichen der privata luxuria kritisiert und bekämpft, fand jedoch an öffentlichen Bauten als Zeichen der publica magnificentia Anerkennung. Der Tempel des Apollo in circo war dann, nach und neben dem Heiligtum des Apollo auf dem Palatin, eines der frühesten Beispiele der systematischen Verwendung vielfältiger Luxusmaterialien verschiedener Herkunft als symbolischer Ausdruck der Herrschaft über das Weltreich und der Verfügung über seine Ressourcen: eine Symbolik, die bereits von den achämenidischen Herrschern gepflegt wurde und wohl über die hellenistischen Herrscher nach Rom übernommen wurde. Wenn der Tempel des Apollo diese Aussage erst in der zweiten Bauphase mit der Ausstattung durch C. Sosius erhalten hat, so ist das wiederum als Verherrlichung der Macht des Princeps zu verstehen.
27Dabei kann man sich fragen, ob der Bauherr C. Sosius, anders als im Fall des von ihm aus Seleukia beschafften Kultbildes, selbst Zugang zu all den verschiedenen Steinbrüchen gehabt haben kann, aus denen die Materialien des Tempels geliefert werden mussten. Bekanntlich wurden die großen Steinbrüche von wertvollen Marmoren im ganzen Reich schon früh in kaiserlichen Besitz überführt. Wie rasch dies bereits unmittelbar nach Actium geschah, ist nicht bekannt. Zumindest für den lunensischen Marmor aber ist schon früh eine Kontrolle durch Augustus fassbar: Auf einem Block des Sosius-Tempels fand sich das Namens-Sigel eines kaiserlichen Sklaven, dessen Name auch aus den Steinbrüchen von Luni bekannt ist. Bei den weiter entfernt liegenden Steinbrüchen im Reich ist eine derart frühe Besitznahme durch Augustus wohl eher unwahrscheinlich. Doch auch wenn die Brüche zunächst noch von anderen Unternehmern betrieben wurden, bedurfte es wohl der Macht, Förderung und Finanzkraft des Princeps, um alle solche Lieferungen gleichzeitig in Gang zu bringen. Octavian hat die Infrastruktur solcher weltweiter Materialbeschaffung offenbar bereits seit 36 v. Chr. für das Heiligtum des Apollo auf dem Palatin bereitet, wo die Porticus um den Tempel aus giallo antico, die Serie der weiblichen Hermen aus nero und rosso antico und das Paviment des Bibliothekssaales aus giallo antico, pavonazzetto und africano bestand[49].
28Augustus hat bekanntlich in verschiedenen Fällen die Bauprojekte der Bauherren in seiner Umgebung finanziell unterstützt, in einzelnen Fällen die Kosten offenbar sogar weitgehend oder ganz übernommen. Das gilt etwa für die Porticus Octaviae und die Porticus Liviae. Von da war es nur ein kleiner Schritt dahin, dass der Kaiser Bauten im Namen anderer, nicht mehr lebender Personen errichtete, etwa das Theater des Marcellus oder die Porticus und die Basilica des Caius und Lucius. Für C. Sosius, der sicher besonders betont als eigener Bauherr auftreten sollte, wird Augustus gleichwohl zumindest organisatorisch, vielleicht aber auch finanziell bei der Besorgung der reichen Materialien mitgewirkt haben. Auch das war eine Bezeugung der neuen Kooperation[50].
29In dieselbe Richtung geht die Frage, ob C. Sosius selbst die Figuren der umfangreichen und künstlerisch erstrangigen Komposition der Amazonomachie für den Giebel des Tempels aus Griechenland erworben haben kann. Wo der Tempel stand, von dem die Figuren stammen, ist nicht bekannt, doch nach ihrer Erhaltung kann der Bau nicht völlig verfallen gewesen sein; der Abtransport muss für den Standort einen starken Eingriff in den eigenen religiösen und politischen Lebensraum bedeutet haben. Sosius hatte vor seinem Feldzug gegen die Juden, unter dem Oberkommando des Antonius, in Griechenland eine eher untergeordnete Stellung als Quaestor, danach vielleicht als designierter Konsul mit Imperator-Titel, wahrscheinlich mit Sitz auf Zakynthos. Ob er in dieser Position, zu einer Zeit, als der ›Raub‹ von Kunstwerken aus Griechenland ein sensibles Problem geworden war, ein so bedeutendes und umfangreiches Ensemble von Skulpturen wegschaffen konnte, scheint zumindest fraglich. Andererseits hat Octavian/Augustus gerade in der Zeit nach Actium eine vielfältige Aktivität als Stifter griechischer Bildwerke für sakrale Kontexte in Rom entfaltet. Er war sich zwar sehr wohl bewusst, dass die kulturelle Ausplünderung Griechenlands in den letzten Jahrhunderten der Republik dort einen schwer erträglichen Zustand geschaffen hatte. In diesem Sinn gab er die von Antonius aus Samos abtransportierten Figuren der Athena und des Herakles aus dem Gruppen-Anathem des Myron wieder an die Samier zurück. Doch bezeichnenderweise behielt er die zugehörige Figur des Zeus in Rom und stellte sie im kapitolinischen Heiligtum des Iuppiter auf[51]. Bekanntlich hat er vielfach, gerade zu Beginn seiner Alleinherrschaft, die von ihm selbst errichteten Tempel und Staatsbauten mit berühmten griechischen Bildwerken ausgestattet[52]; darüber hinaus hat er für Heiligtümer anderer Bauherren neu gefertigte Kultbilder beigesteuert[53]. Auch hier wird Religionspolitik demonstrativ als Interaktion zwischen Kaiser und anderen Akteuren vollzogen. Eine ähnliche Kooperation wäre auch bei dem von Octavian begonnenen und dann an C. Sosius übertragenen Tempel des Apollo in circo denkbar.
Abstracts
Zusammenfassung
Der Tempel des Apollo in circo und seine Bauherren
Tonio Hölscher
Der Neubau des Apollo-Tempels in circo in den Jahren um 30 v. Chr. ist archäologisch intensiv untersucht worden, dagegen ist die historische Zuordnung des Baues und seiner Bauphasen an bestimmte Bauherren noch nicht überzeugend geklärt. Der folgende Beitrag geht von der allgemeinen Baupraxis der Republik und der Baupolitik Octavians zu Beginn des Principats aus. Nach traditioneller Praxis muss der Neubau des Tempels zunächst von Octavian übernommen und begonnen worden sein. Nach dem Sieg bei Actium übertrug er, mit seiner neuen Strategie der Integration, die Fortsetzung und Fertigstellung an C. Sosius, der nach seinem Übertritt von Antonius zu Octavian die universelle Zustimmung zu dem neuen Machthaber bezeugen konnte. Die zwei Phasen der Fundamente lassen erkennen, dass Octavian zunächst einen Bau von programmatischer Schlichtheit geplant hatte, während Sosius den Tempel in einer ungleich reicheren Form zum Ruhm des Octavian-Augustus vollendete.
Schlagwörter
Apollo, Augustus, Architektur (römisch), Baupolitik, Rom (Topographie), Triumph
Abstract
The Temple of Apollo in circo and Its Builders
Tonio Hölscher
The new construction of the temple of Apollo in circo of ca. 30 B.C. has been the subject of intensive archaeological investigation, whereas the historical attribution of the building and its construction phases to specific political initiators remains an open question. The following contribution is based on the general building practice of the Roman Republic and Octavian’s building policy at the beginning of the principate. According to general practice, the task of rebuilding the temple must have first taken over and begun by Octavian. After his victory at Actium, with his new strategy of integration, he entrusted the continuation and completion to C. Sosius, who, after his change of allegiance from Antony to Octavian, could testify to the universal approval of the new ruler. From the two phases of foundations it becomes clear that Octavian initially planned a building of programmatic simplicity, while Sosius completed the temple in an incomparably richer form for the glory of Octavian-Augustus.
Keywords
Apollo, Augustus, architecture (Roman), building policy, Rome (topography), triumph
issue-summary
AA 2023/1 • 454 pages with 436 illustrations
citation-guideline
T. Hölscher, Der Tempel des Apollo in circo und seine Bauherren, AA 2023/1, § 1–29, https://doi.org/10.34780/wp24-o4b4
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Viscogliosi 1996, Abb. 93
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