Die Ausgrabungen in Boğazköy-Ḫattuša 2022
Grabungen in der nördlichen Unterstadt
1Während wir im Norden der seit 2015 untersuchten Unterstadtterrasse die vermutliche Südostecke des römischen Militärlagers und deren Überbauung durch ein kaiserzeitliches Bad weiter untersucht haben[1], wurde im Süden die hethitische und mittelbronzezeitliche Bebauung in einer zusammenhängenden Fläche abschließend freigelegt (Abb. 1. 2. 3)[2]. Es gelang insbesondere, die stratigraphische Abfolge der bronzezeitlichen Bauschichten und die bisher unklaren Anschlüsse vor allem nach Westen und Norden bis auf wenige offene Fragen zu klären.
2Die Abfolge der hethitischen Bauschichten entspricht der in den südlichen Teilen der Unterstadt, obwohl wegen erheblicher Störungen und der Erosion keine zusammenhängenden Bauten freigelegt wurden (Abb. 3. 4). Teilweise sind die Bauten der jüngeren hethitischen Phase unmittelbar auf die Mauern der älteren gegründet, so dass sich zumindest in den letzten beiden Bauschichten nur wenige Planänderungen erkennen lassen.
3Im Süden der Terrasse handelt es sich mehrheitlich um eine kleinräumige Bebauung in drei hethitischen Bauschichten, die wiederum stellenweise jeweils zahlreiche Umbauphasen aufweisen (Abb. 3. 4). Auch dies deckt sich mit Beobachtungen im südlichen Teil der Unterstadt und ist als Hinweis auf eine sehr dynamische Stadtentwicklung zu werten, die von der althethitischen Zeit bis in das frühe 15. Jh. v. Chr. dauerte. An die dichte Bebauung im Westen des Areals schließt etwa in der Mitte der ausgegrabenen Planquadrate (PQ) in 298–299/401–402 eine wahrscheinlich nach Norden offene Freifläche an (Abb. 3. 4). In dieser zeichnen sich beim gegenwärtigen Stand der Grabungen mehrere ovale und kreisrunde Gruben ab, die in die darunter liegende, ältere Bebauung eingetieft wurden. Diese sind insofern ungewöhnlich, als in den hethitischen Schichten in Boğazköy normalerweise keine vergleichbaren (Abfall- oder Vorrats-)Gruben nachgewiesen sind. Da angesichts der Ergebnisse der langjährigen Grabungen in diesem Bereich eine eisenzeitliche Nutzung in Ermangelung entsprechender Funde ausgeschlossen ist, stehen die Gruben möglicherweise mit den umliegenden Raumbefunden in Verbindung. Dies ist letztlich nur durch weitere Ausgrabungen in der Kampagne 2023 zu klären.
4Südlich der Freifläche wurden im PQ 298/401 zwei parallel angeordnete Räume aufgedeckt, die wahrscheinlich Teil eines Gebäudes sind, das weiter südlich von einer von Südwesten nach Nordosten verlaufenden Straße begrenzt wurde (Abb. 3)[3]. Die Mauern der jüngeren Phase sind unmittelbar auf der älteren gegründet, die durch ein Feuer zugrunde gegangen ist. Während die überwiegende Mehrheit der Räume fundleer war, erbrachte der westliche der beiden Räume in seiner älteren Phase ein interessantes Inventar, das auf einem mit Kieseln gepflasterten Boden lag (Abb. 5 a. b). Offensichtlich hatte man nach der Brandzerstörung den Schutt mit dem darin befindlichen Inventar eingeebnet und den neuen Laufhorizont darüber errichtet. Dieses Vorgehen wird insbesondere daran deutlich, dass von den Gefäßen regelmäßig die höher anstehenden Teile fehlten. Dennoch handelt es sich bei diesem Befund um eines der seltenen in situ Inventare in Boğazköy.
5Eine abschließende Analyse dieses Inventars, das sich aus Gefäßen besonders hochwertiger Waren ‒ rotpolierter, weißpolierter sowie einigen Beispielen der ›red-lustrous wheelmade ware‹ ‒ zusammensetzt, kann hier zwar noch nicht erfolgen, aber erste Rückschlüsse sind dennoch möglich. Denn die Zusammensetzung entspricht nicht der eines normalen Fundkomplexes. Vielmehr deutet die Vergesellschaftung von einem Libationsarm (Abb. 6 a. b; Bo22-2013-2183), einem großen Krug mit einer auf dem unteren Henkelansatz eingeritzten Hieroglypheninschrift (Abb. 7; Bo22-2013-2148/2151)[4] und einem Geweih eines Rothirsches (Abb. 8; Bo22-2013-2150)[5], die durch zwei ›spindle bottles‹ (Abb. 9; Bo22-2013-2096, Bo22-2013-2094/2149) und zahlreiche kleine Schälchen ergänzt werden, auf eine rituelle Nutzung hin. Fragmente von elaborierten Schnabelkannen, einer Pilgerflasche und mindestens einer wahrscheinlich großformatigen Tierfigur unterstützen diese Vermutung. Möglicherweise deutet das Geweih auf eine Verehrung des »Gottes auf dem Hirsch« bzw. des »Schutzgottes der Wildflur« (heth. DKAL LÍL bzw. DLAMMA, zu lesen: Kurunta) hin, der durch den Rothirsch symbolisiert wurde[6]. Denn auch die anderen Gefäßtypen finden sich in den bildlichen Darstellungen der Kulthandlungen für diesen Gott[7].
6In jedem Fall bemerkenswert ist der erneute Nachweis ritueller Handlungen in einem baulichen Zusammenhang, der nicht dem hinlänglich bekannten Schema hethitischer Tempel entspricht, sondern vielmehr eher dem alltäglichen Leben diente als offiziellen, repräsentativen Funktionen. Der Befund erinnert an das ›Haus des GAL.MEŠEDI‹ in der westlichen Oberstadt, wo der Nachweis erbracht wurde, dass Kult- und Ritualhandlungen neben den offiziellen Tempeln auch in Zusammenhängen des alltäglichen Lebens der Eliten stattfinden konnten[8]. Während die Funde aus dem ›Haus des GAL.MEŠEDI‹ an ältere Inventare angeschlossen werden können und so auch auf eine lange Kulttradition hinweisen, unterscheidet sich die typologische Zusammensetzung des vorliegenden von anderen Ensembles so stark, dass man in jedem Fall von einem anderen Kult und einer unterschiedlichen Ritualhandlung ausgehen kann.
7Die Datierungen der bronzezeitlichen Befunde in der Unterstadt konnten durch drei Radiokarbondatierungen weiter verdichtet werden (Abb. 10. 11). Während die Proben Bo22-2157-2767 und Bo19-0020-0169 die Datierung der stratigraphischen Abfolge bestätigen, könnte das unerwartet späte Datum der Probe Bo22-2013-2104, welches das jüngste an Proben der nördlichen Unterstadt bisher gemessene Datum ist, unter Umständen auf eine Kontaminierung im Zuge der Errichtung der jüngsten Phase in diesem Bereich hindeuten, was in der Kampagne zu überprüfen ist.
Grabungen auf dem mittleren Büyükkale-Nordwesthang
8Durch die Forschungen der letzten Dekaden wird deutlich, dass die hethitische Stadt Ḫattuša sehr wahrscheinlich zu keinem Zeitpunkt ihrer Geschichte die gesamte als Stadtgebiet definierte Fläche umfasste. Vielmehr verschieben sich die Siedlungsschwerpunkte innerhalb des topographisch definierten Siedlungsraums mehrfach während des 2. Jahrtausends v. Chr.[9]. Zumindest während der hethitischen Zeit bilden die Büyükkale im Osten und das Areal des Großen Tempels im Westen zwei wichtige Pole der Altstadt (Abb. 12). Zwischen diesen erstreckt sich der Büyükkale-Nordwesthang und bildet so ein Areal von zentraler topographischer Bedeutung, das bisher in der Forschung kaum in den Blick genommen wurde. Dies mag mit der für eine monumentale Bebauung wenig geeignet erscheinenden Geländestruktur ebenso zusammenhängen wie mit der komplizierten Erreichbarkeit. Forschungen am westlichen Fuß des Hangs (›Haus am Hang‹) und unterhalb von Ambarlıkaya am Nordrand des Hangs (kārum-zeitliches Vorratsgebäude) sowie, angelehnt an die südliche Begrenzung durch die Poternenmauer, die Aufdeckung eines Getreidespeichers auf dem mittleren Nordwesthang vermitteln bisher nur einen groben Eindruck von der chronologischen und funktionalen Abfolge der Besiedlung von der späten Frühbronzezeit bis in die hellenistisch-galatische Epoche[10]. Da dieser Bereich zentral zwischen den beiden prägenden Polen der Altstadt – dem Großen Tempel und der Büyükkale – liegt, soll er durch neue Ausgrabungen großflächig untersucht werden. Um einen möglichst breiten Überblick über die Befundsituation in dem teilweise steilen Gelände zu erhalten, wurden zwei Bereiche ausgewählt, in denen jeweils mehrere Schnitte angelegt wurden[11].
9 Areal A umfasst die PQ 316–319/362–364 und liegt auf dem nach Osten ansteigenden Hang unmittelbar oberhalb des ›Hauses am Hang‹ und der Grabungsareale der 1960er Jahre (Abb. 13). Die Schnitte wurden südlich der erkennbaren Ruine des Steinsockels des Grabungshauses von Th. Makridi und H. Winckler angelegt, um die Ausdehnung des Grabungshauses und nach Möglichkeit auch ungestörte Zusammenhänge zu erfassen (Abb. 14. 15. 16). Die Arbeiten zeigen allerdings, dass die Eingriffe durch die Baumaßnahmen im Frühjahr 1907, aber auch durch mehrere, immer wieder erneuerte Wasserleitungen zur Versorgung des östlichen Teils des Dorfs massiv waren und vor allem nach Süden und Westen ganz erhebliche Terrassierungen mit eingebrachtem oder umgelagertem Material vorgenommen wurden (Abb. 14)[12]. Diese sind der Grund dafür, warum kaum Befunde in situ angetroffen wurden. Dennoch erlauben die Ergebnisse vorläufige Aussagen zur Nutzung des Areals.
10Anhand der Keramik können zwei kulturelle Nutzungsphasen nachgewiesen werden: eine der hethitischen und eine sehr wahrscheinlich der hellenistisch-galatischen Zeit[13]. Bemerkenswert ist zudem, dass in beiden Phasen bisher keine kleinteilige Bebauung, sondern offenbar großflächig angelegte Strukturen nachgewiesen wurden. Reste einer relativ gut erhaltenen hethitischen Struktur wurden hangseitig im Südosten in Form einer regelmäßigen Mauerkreuzung dokumentiert (Abb. 16). Die Ecke eines weiteren, eventuell hethitischen Gebäudes, das in etwa die gleiche Ausrichtung aufweist wie die Strukturen im Osten, wurde talseitig im Westen des Areals freigelegt.
11Im Norden der untersuchten Fläche wurde die Ecke eines Gebäudes freigelegt, dessen erfasster Raum durch einen Kalkmörtelfußboden charakterisiert ist (Abb. 17). Dieser Raum wird im Süden von einer Freifläche begrenzt, in der eine große, kreisrunde Herdstelle sowie die Fundamente von südlich gegen die Gebäudemauer gesetzten Strukturen freigelegt wurden. Da ausschließlich in diesem Bereich »bemalte Kızılırmak Keramik«[14] gefunden wurde, ist zu vermuten, dass es sich um Strukturen dieser Epoche handelt, ohne dass deren Funktion angesichts der begrenzten Fläche momentan en Detail zu klären wäre. Bei der gut erhaltenen Mauer weiter südlich handelt es sich wahrscheinlich um die ehemalige südliche Gartenmauer des Grabungshauses (Abb. 14. 15. 17).
12 Areal B, die zweite Grabungsfläche, liegt etwas nördlich in den Planquadraten 323–325/370–372 auf der nächst höheren Geländestufe (Abb. 13. 18. 19). In diesem Bereich ist aufgrund der Topographie zu vermuten, dass die hethitische Straße, die ausgehend von einer großen Freifläche zwischen dem Tempel 1 und dem ›Haus am Hang‹ auf dessen Rückseite (= Ostseite) den Hang ansteigend zunächst in Richtung Ambarlıkaya verlief und dann eine weite Kurve nach Südosten machte, um den Hang weiter hinauf anzusteigen. Angesichts dieser topographischen Situation wurden hier zunächst drei Areale angelegt, die trotz ihrer relativ horizontalen Lage keine aussagekräftigen Befunde erbrachten. Während in den PQ 324–325/367–368 und 326–327/367 nach wenigen Dezimetern der gewachsene Boden erreicht wurde, könnte eine unregelmäßige Steinreihe im PQ 326/370 der Rest einer stark zerstörten Bebauung sein (Abb. 13. 19).
13Weitere Ausgrabungen in den nördlich anschließenden Planquadraten 323–325/370–372 konnten hingegen eine mindestens drei kulturelle Perioden umfassende Abfolge von Gebäuden freilegen (Abb. 18. 19). Diese sind zwar ebenfalls durch die Erosion und die Überbauung teilweise stark gestört, erlauben aber im Zusammenhang der Gesamtsituation erste Rückschlüsse auf die Nutzung dieses Teils des Nordwesthangs.
14Die jeweils wechselnde Ausrichtung der drei Kulturschichten – der hellenistisch-galatischen Zeit, der Eisenzeit und der hethitischen Periode – spricht dafür, dass das Areal zwischen den Nutzungsphasen jeweils längere Zeit nicht genutzt wurde (Abb. 19). Mithin handelt es sich nicht um eine ununterbrochene Abfolge. Darüber hinaus sprechen die Unterschiede in der Ausführung der Architektur für sich grundlegend verändernde Nutzungsweisen des Areals.
15Die jüngste Nutzungsphase ist durch ein ausgesprochen regelmäßig angelegtes Gebäude der hellenistisch-galatischen Zeit nachgewiesen, von dem bisher mindestens sechs Räume erfasst wurden (Abb. 19. 20). Bemerkenswert ist, dass die Verbindung zwischen den beiden momentan größten Räumen im Nordosten durch einen breiten Durchgang ermöglicht wird, der durch eine mittige Säulenstellung geteilt war (Abb. 19. 20). Die schmale, grob zugearbeitete Basis aus Kalkstein, die in den unteren Teil der Säule übergeht, fand sich in unmittelbarer Nähe ein wenig den Hang hinabgerutscht (Abb. 21). Wahrscheinlich war der mittlere und obere Teil der Säule ursprünglich aus Holz. Die Datierung des Bauwerks ergibt sich aus Funden der typischen, »bemalten Kızılırmak Keramik« (Abb. 22). Aufgrund der Hanglage fanden sich nur wenige Objekte, die sicher dieser Bauschicht zugewiesen werden können. Verweisen möchte ich auf zwei gehämmerte Pfeil- oder Speerspitzen aus Eisen, die typisch für diese Zeit sind (Abb. 23; Bo22-6033-6090; Bo22-6095-6207)[15] und ein Messer, ebenfalls aus Eisen (Abb. 23; Bo22-6053-6102), welches stratigraphisch zwar der jüngsten Phase zuzuordnen ist, typologisch aber eher Beispielen der Eisenzeit nahesteht[16].
16Die Ausrichtung des Gebäudes unterscheidet sich erheblich von den beiden älteren Schichten, ähnelt aber den nördlich in den frühen 1960er Jahren untersuchten Strukturen (Abb. 19), so dass man vermuten kann, dass die Bebauung dieser Zeit auf Stufen angelegt wurde, die parallel zum Hang bis etwa Ambarlıkaya reichten. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Befunde der Grabungen 1960–1963 kein Zufall waren, sondern Teil einer umfassenderen Siedlung sind, die von einem bis 2011 untersuchten befestigten Gebäude südöstlich von Kesikkaya über den unteren und mittleren Büyükkale-Nordwesthang bis Ambarlıkaya reichte[17]. Trotz der immer noch eingeschränkten Befundlage werden in allen Bereichen dieser Zeitstufe sowohl einheitliche Charakteristika der Gebäude[18] als auch anhand der unterschiedlichen Bauformen funktional differenzierte innere Strukturen der Siedlung sichtbar. Diese weist eine für die hellenistisch-galatische Zeit bisher in Zentralanatolien nicht nachgewiesene soziale Komplexität auf.
17Der zweiten Bauschicht können trotz massiver Eingriffe durch die Erosion und die jüngeren Strukturen in zwei Bereichen Befunde zugewiesen werden (Abb. 19). Deren Datierung in die entwickelte Eisenzeit ergibt sich aus dem Auftreten bemalter Keramik der Stufe BK II und I (früh) sowie graupolierter Keramik. Im PQ 324/370 können die Mauerfragmente wahrscheinlich zu einem schiefwinkligen Rechteck ergänzt werden, dessen zumindest südlicher Teil einst mit einem sorgfältig verlegten Steinpflaster ausgestattet war (Abb. 19. 20). Im nördlichen PQ 325/371–372 wurden weitere Fragmente der eisenzeitlichen Bebauung untersucht, die aufgrund ihrer Ausrichtung möglicherweise zum gleichen Gebäude wie die südlichen Teile gehören könnten (Abb. 19). Trotz des vergleichsweise schlechten Erhaltungszustands gelingt hier erstmals der Nachweis eisenzeitlicher Bebauung auf dem unteren und mittleren Büyükkale-Nordwesthang, so dass die von J. Seeher südwestlich weiter hangaufwärts aufgedeckten Strukturen nicht singulär sind, sondern letztlich Teile einer größeren Siedlung sind, die von der Unterstadt und Kesikkaya bis auf die Büyükkale reichte[19].
18Hethitische Baureste fanden sich im PQ 324/370 und 325/372 (Abb. 19). Während die nördlichen Gebäudeteile trotz der beschränkten Fläche aufgrund der regelmäßigen Raumecken und der Breite der Mauern den Eindruck der üblichen hethitischen Architektur vermitteln, ist die südlich freigelegte Struktur ungewöhnlich. Es handelt sich um einen relativ schmalen Mauerwinkel, der gegen den nach Norden abfallenden Hang gebaut wurde. Hangseitig verlaufen zwei Kanäle.
19Unmittelbar an diesem Kanal kam ein Gefäß (Bo22-6094-6209) zutage, in dem sich das nahezu vollständige Skelett eines Ferkels fand[20]. Typologisch hat der kleine Topf mit quer auf der Schulter angebrachten Bogenhenkeln keine unmittelbaren Parallelen im bekannten hethitischen oder eisenzeitlichen Repertoire Boğazköys (s. u. Abb. 93 a. b). Allerdings sind entsprechend quer angebrachte Henkel lediglich in älteren hethitischen Zusammenhängen bei Schalen[21] und einigen Topfformen[22] belegt. Da die Ware ebenfalls frühen hethitischen Standardprodukten entspricht, handelt es sich wahrscheinlich um eine verkleinerte Ausführung der genannten Töpfe. Die Lage des Topfs und sein Inhalt sprechen für eine intentionelle Deponierung, möglicherweise im Zusammenhang mit einem Bauritual[23]. Neben zwei Fragmenten von Keilschrifttafeln rituellen Inhalts[24] fand sich ein fragmentarisch erhaltener Kopf eines Stiers (Abb. 24) (Bo22-6099-6005) im hethitischen Schutt im PQ 325/372.
20Trotz der noch begrenzten Flächen und des Mangels an gut stratifizierten Funden wird deutlich, dass dieser Teil des Büyükkale-Nordwesthangs auch in hethitischer Zeit bebaut gewesen ist. Folgt man der Rekonstruktion der Straße zwischen der Unterstadt und Büyükkale könnte es sein, dass die freigelegten Bereiche zu Gebäuden westlich der Straße gehörten. Es gilt allerdings, weitere Grabungen abzuwarten, um zu klären, ob die Bebauung ähnlich locker angelegt war wie z. B. in der Oberstadt.
A. Sch.
Radiokarbondatierungen aus weiteren Bereichen der Stadt
21Die Arbeiten seit 1994 zeigen die große Bedeutung naturwissenschaftlicher Datierungen für die kulturgeschichtliche Interpretation und die diachrone Stadtgeschichte[25]. Um die verschiedenen bis 1993 untersuchten Bereiche in ein umfassendes chronologisches System integrieren zu können, wurde in den vergangenen Jahren organisches Material soweit in den Depots auffindbar und bezüglich der Herkunft ausreichend lokalisierbar für Radiokarbondatierungen ausgewählt und analysiert[26].
22Zwei dieser Proben wurden bisher nicht in die Diskussion eingeführt (Abb. 25). Eine von ihnen stammt aus dem Tempel 8 in der Oberstadt, während eine zweite in der Höhle unter Ambarlıkaya geborgen wurde. Tempel 8 liegt auf der Ostseite des zentralen Tempelviertels und stellt einen der typologisch vermutlich älteren Grundrisse dar[27]. Die Probe aus Tempel 8 (Abb. 25. 26; MAMS-27039), die sehr wahrscheinlich von Bauholz des Gebäudes stammt, unterstreicht, dass die Errichtung des zentralen Tempelviertels im 16. Jh. v. Chr. erfolgte[28].
23Die zweite Probe (Abb. 25. 27; MAMS-27040) wurde bei Begehungen der Höhle von Ambarlıkaya 2014 aus oberflächennahen Zusammenhängen genommen[29]. Die Datierung in die hellenistisch-galatische Zeit verwundert insofern nicht, als während dieser Surveys neben hethitischem Material auch Beispiele der bemalten Kızılırmak Keramik gefunden wurden. Da durch die diesjährigen Arbeiten auf dem Nordwesthang klar wird, dass wahrscheinlich zumindest dessen mittlerer Teil in die Siedlung der hellenistisch-galatischen Zeit einbezogen war, ist es angesichts der Datierung der Probe möglich, dass auch die Höhle genutzt wurde.
A. Sch.
Büyükkale: Arbeiten am oberen Burghof
242022 wurden die Arbeiten am oberen Burghof der Büyükkale mit drei Zielen fortgesetzt[30]: 1. sollte der Verlauf des Durchgangsbaus im Westen entlang des Hofs nach Norden verfolgt werden; 2. galt es die Bauphasen der späten Eisenzeit im Bereich der Südkuppe (ehemals südliche ›Schutthalde‹) zu dokumentieren, um der Frage darunterliegender, älterer hethitischer Baustrukturen nachzugehen; 3. wurden parallel dazu die Restaurierungen an Gebäude E fortgesetzt. Um diese Ziele zu erreichen, wurde die Grabungsfläche nach Süden, Osten und Norden erweitert.
Befunde der späten Eisenzeit
252022 konnten auf der südlichen Kuppe großflächig Befunde aller Phasen der späteisenzeitlichen Bebauung (BK Ia–c) dokumentiert werden (Abb. 28). Die bedeutendste Bauphase der späten Eisenzeit wird durch das ›palatiale‹ Gebäude repräsentiert, das nach P. Neve den Bauphasen BK Ic/Ib zugewiesen wird (Abb. 28. 29)[31]. Ursprünglich bestand der Westtrakt des Bauwerks aus einer SW-NO orientierten Raumkette von mindestens vier Räumen (Abb. 28, Räume 1–4). Diese wurden zusammen mit dem Südtrakt geplant und errichtet. Sie weisen so auf ein planerisches Gesamtkonzept hin, das für diese Zeitstufe in Zentralanatolien ohne Parallele ist[32]. Während nach Osten zum oberen Burghof hin eine geschlossene Fassade zu bestehen scheint, wurden die Räume wohl von NW her betreten[33]. Im Raum 1 wurde ein mit Steinen gepflasterter Fußboden erfasst[34]. In den Räumen 3 und 4 wurden entlang mehrerer Wände und partiell auf begrenzter Fläche Reste dünner, weicher Kalkfußböden erfasst, die teils mehrfach erneuert wurden.
26In Relation zu den darunterliegenden Mauern der mittleren Eisenzeit (BK II, s. u.) sowie im Abgleich mit den unterschiedlichen Raumverfüllungen lassen sich die einzelnen Bauphasen stratigraphisch recht gut voneinander trennen. In der jüngeren Bauphase (BK Ib) wurden acht weitere Räumlichkeiten (5‒12) nach NW hinzugefügt, wobei die Ausrichtung der Mauern jetzt vielfach um rund 10° im Uhrzeigersinn gedreht ist (Abb. 28. 29). Die Mehrzahl der Räume besitzt aufgrund der geringen Größe den Charakter von Wirtschaftsräumen, deren Innenfläche zwischen 1,4 bis maximal 11,4 m2 rangiert. Ganz im NW und damit in prominenter Lage schließen sich mit Blick auf die Altstadt/Unterstadt mehrere größere Zimmer (9–12) an, von denen ein Bereich mit Plattenpflaster (Raum 11 in Abb. 28) aus größeren Kalksteinen vielleicht als (Innen)Hof aufzufassen ist.
27Die prominente Lage des Gebäudeteils wird durch den Abgleich mit den Niveaus umliegender Bauten auf der NW-Terrasse sowie im Südwesten und Süden des ›palatialen‹ Gebäudes bestärkt. Denn diese durch die Altgrabungen erfassten Gebäude lagen nachweislich auf tiefer liegenden Geländestufen, so dass in der späten Eisenzeit eine gestufte, hangaufwärts ansteigende Bebauung vorlag. Durch diese Anlage muss sich das ›palatiale‹ Gebäude von der umgebenden Bebauung auf der NW-Terrasse abgehoben haben[35]. Damit scheint sich auch für die späte Eisenzeit eine hierarchisch strukturierte Bebauung als Produkt einer ebenso gegliederten Gesellschaft bis in die Zeit achämenidischer Vorherrschaft in ihren architektonischen Ausdrucksformen zu spiegeln[36].
28Nach NW dürften vom Westtrakt des ›palatialen‹ Gebäudes allenfalls rund 3–4 Meter durch Erosion verloren sein (Abb. 28). Dabei erscheint es niveaumäßig möglich, dass ein T-förmiges Mauersegment der Altgrabungen in PQ 345/347, einst am Rande der Nordkuppe gelegen (Abb. 28), vielleicht noch zum ›palatialen‹ Gebäude gehört und dass dessen Flucht in etwa den Verlauf der NW-Kante des ›palatialen‹ Gebäudes markiert; beweisen lässt es sich indessen bislang nicht[37].
29Die jüngste Bauphase (BK Ia) hat keinen Bezug mehr zu den älteren Strukturen (Abb. 28). Jedoch scheinen sich, ergänzend zu den letztjährigen Befunden, direkt östlich des Westtraktes des ›palatialen‹ Gebäudes auf der Südkuppe weiterhin größere Räumlichkeiten befunden zu haben, die sich in prominenter Lage zur Talseite hin öffneten. Vor allem im Ostteil der Südkuppe lässt sich ein größerer, rechteckiger Raum fassen, dessen Westmauer annähernd mittig auf der Innenseite eine rechteckige Plattform aufweist, von der jedoch nur Teile des aus kleinen Bruchsteinen gefertigten Unterbaus erhalten blieben.
30Die Mauertechnik ist durch alle Bauphasen hinweg als Schalenmauer in Trockenmauertechnik ausgeführt, wobei aufgrund des hochanstehenden Steinversturzes weite Teile des aufgehenden Mauerwerks aus Stein bestanden haben könnten. Die Mauerbreite beträgt meist ca. 60–80 cm, kann in Einzelfällen auch etwa 1 m erreichen. Bevorzugt wurden mittel- bis kleinformatige Bruchsteine, vereinzelt aber auch größere Steinblöcke verbaut. Dabei ist davon auszugehen, dass die eisenzeitlichen Bewohner auch in größerem Umfang Steine der hethitischen Bauruine wiederverwendeten. Gerade im Bereich des hethitischen Durchgangsbaus reichen die eisenzeitlichen Eingriffe mehrfach bis auf das Niveau der hethitischen çorak-Fundamentierungen.
31Gerade in diesem Bereich haben zudem ‒ nachgewiesen durch eine Radiokarbondatierung (s. u.) – auch in osmanischer Zeit, d. h. im 16. – frühen 17. Jh. n. Chr., Aktivitäten stattgefunden, die wohl weniger auf Steinraub, als vielmehr auf ein Lagerfeuer oder auf einen Unterstand von Hirten hindeuten. Sie verlaufen als unterschiedlich breite Steinsetzungen in Abständen quer zum hethitischen Durchgangsbau.
Funde der späten Eisenzeit
32Die Mehrzahl der eisenzeitlichen Kleinfunde wird von Alltagsgegenständen repräsentiert; gut vertreten sind Reibsteine, Läufer, Reibschalen und Spinnwirtel. Neben der mehrheitlich unbemalten Keramik sind auch bemalte Gattungen gut belegt. Bemerkenswert ist vor allem eine bichrom bemalte Wandscherbe (Abb. 30; Bo22-8046-8116), die auf der Außenseite das weit aufgerissene Maul eines nach rechts gewandten Feliden mit herausgestreckter Zunge und gepunktetem Fell zeigt. Die Darstellung findet gute Parallelen in der antithetischen Löwendarstellung auf der Außenseite eines kugelbauchigen Gefäßes (dinos) bzw. auf der Außenseite einer weiteren Wandscherbe. Beide werden den späteisenzeitlichen Stufen BK Ib bzw. BK Ia zugewiesen[38]. Bei den wenigen Metallfunden aus Bronze oder Eisen sind mehrfach Teile der Trachtausstattung, wie z. B. Fragmente von Gewandnadeln oder Ringe belegt. Genannt sei hier eine kleine, fast vollständige Fibel aus Bronze (Abb. 31; Bo22-8041-8115), von der lediglich die Nadel fehlt. Sie wurde auf dem Steinversturz oberhalb des Plattenpflasters von Raum 11 (Abb. 28) sowie umgebender Mauern der Schicht BK Ib gefunden. Typologisch handelt es sich um eine Bogenfibel mit unverziertem, gerundetem Querschnitt und profiliertem Nadelhalter. An den Bügelenden befinden sich breite, runde Verdickungen, teils auch schmale, runde Scheiben oder rechteckige, einfache oder doppelte Querstege. Vergleichbare Fibeln finden sich vereinzelt auf Büyükkale in der Stufe BK I[39], wurden aber auch – ohne Schichtzuweisung – in der Unterstadt gefunden[40]. Die Fibel entspricht dem Typ XII 2 nach O. W. Muscarella[41] und wird nach Funden aus Gordion und Ephesos dem ausgehenden 8. und 7. Jh. v. Chr. zugeordnet. Nach E. Caner entspricht sie dem Typ F 1[42], der im Hinblick auf die Funde aus Boğazköy eine Datierung bis in die zweite Hälfte des 7. Jhs. oder in das 6. Jh. v. Chr. nicht ausschließt[43]. Dies würde sich teils mit dem naturwissenschaftlich belegten Zeitansatz für das ›palatiale‹ Gebäude der Phasen BK Ic und Ib decken[44].
33Unter den vereinzelten Waffen der Büyükkale sei eine zweiflügelige, lanzettförmige Tüllenpfeilspitze (Abb. 32; Bo22-8079-8208) mit Seitendorn genannt. Die ca. 4 cm lange Pfeilspitze aus Bronze wurde zwar im oberflächennahen Steinversturz unweit nördlich der hethitischen Audienzhalle (Gebäude D) gefunden, findet aber gute Parallelen in späteisenzeitlich datierten Vergleichsfunden der Stufe BK I[45].
Befunde der mittleren Eisenzeit
34Bereits 2021 war im Südwesten der Südkuppe eine Geländestufe deutlich sichtbar. Aufgrund der Tatsache, dass die umliegenden Bereiche höher lagen, wurde dort zunächst nur die Oberfläche gesäubert[46]. In der Kampagne 2022 wurde deutlich, dass die westliche Verlängerung der Südmauer des ›palatialen‹ Gebäudes der Stufe BK Ic/Ib zweiphasig ist und auf einer etwas breiteren Mauer der mittleren Eisenzeit (BK II) aufsitzt. Diese wurde ihrerseits auf den Ruinen eines darunterliegenden, neu festgestellten hethitischen Gebäudes gegründet (Abb. 28. 29. 33).
35Die südöstliche Mauer ist dabei im unteren Abschnitt nur einschalig in die hethitische Bauruine hineingesetzt; der Zwischenraum zum Hang ist mit kleineren Bruchsteinen und Schotter aufgefüllt. Erst in höheren Lagen, d. h. oberhalb der Geländestufe, wurde diese Mauer zweischalig ausgeführt[47]. Letztlich ergibt sich ein NW-SO orientiertes Grubenhaus mit einer Innenlänge von ca. 5,80 m, während sich infolge der Hangerosion die Schmalseite nur auf einer inneren Breite von 2,80 m erhalten hat (Abb. 28). Aufgrund eines Mauerstumpfes entlang der nordöstlichen Langmauer ist das kleine Gebäude wohl in einen kleineren Vorraum sowie einen hangaufwärts gelegenen Hauptraum zu unterteilen. Im Südwesten haben sich auf begrenzter Fläche Ansätze eines mit kleinen Steinen gepflasterten Fußbodens erhalten. Installationen lassen sich im dürftig erhaltenen Rauminneren nicht nachweisen (Abb. 28. 29).
36Durch diese Befunde wird deutlich, dass rechteckige Mauerstrukturen unter den Räumen 1 und 2 (Abb. 28. 29), die zunächst der ältesten Bauphase der späten Eisenzeit (BK Ic) zugewiesen wurden[48], ein weiteres östlich anschließendes Grubenhaus der mittleren Eisenzeit (BK II) repräsentieren. Damit erklärt sich, dass auch hier die hangaufwärts gelegene Schmalseite nicht weggebrochen ist, sondern intentionell – wie auch beim zuvor genannten Grubenhaus – gegen eine Geländestufe sowie in die Bauruine hethitischer Zeit gesetzt ist. Im Unterschied dazu sind die Mauern hangabwärts zweischalig errichtet. Das scheinbar einräumige Gebäude besitzt Innenmaße von ca. 5,65 m × 4,00 m, wobei der Eingang hangabwärts mittig an der Schmalseite nachgewiesen ist[49].
37Damit entsprechen diese Gebäude im Grundtypus den Grubenhäusern, wie sie auf der Büyükkale als Wohnhäuser der mittleren Eisenzeit (ca. 8. – frühes 7. Jh. v. Chr.) am unteren und mittleren Burghof nachgewiesen wurden[50]. Dass sie am oberen Burghof bislang nicht vertreten zu sein schienen, ist einzig dem Forschungsstand geschuldet, da man es seinerzeit in diesem Bereich dabei beließ, primär Schichten der späten Eisenzeit (BK I – spätes 7.–5. Jh. v. Chr.) freizulegen[51].
Befunde hethitischer Zeit
38Bereits 2021 wurden zwischen der Südmauer des ›palatialen‹ Gebäudes und dem Südwestprofil in den Planquadraten 345–346/343–344 Fundamentierungen hethitischer Zeit erfasst, die aufgrund ihrer monumentalen Struktur allgemein der hethitischen Stufe BK III zugewiesen werden[52]. Erhalten hatte sich nur die unterste Lage der Fundamentierung aus çorak-Erde, einem natürlichen Serpentinit-Mergel-Lehm-Gemisch[53], das von den hethitischen Bauleuten regelmäßig als unterste Lage in die Fundamentgräben eingebracht wurde und den Baugrund einstiger Steinfundamente bildete. 2022 wurde in nördlicher Fortsetzung der Verlauf dieser Fundamentgräben weiterverfolgt, wobei sich stellenweise die unteren Lagen der Steinfundamentierung erhalten haben (Abb. 33. 34). Damit ist ein Durchgangsbau zwischen dem oberen Hof im Osten und dem Gebäude E bzw. dem Bereich der Südkuppe erfasst[54]. Im nicht mehr erhaltenen aufgehenden Mauerwerk dürfte dieser Bau vielleicht als Pfeilerhalle bzw. Kolonnade zu rekonstruieren sein, wie sie auf der Ostseite des oberen Burghofes für Gebäude L erschlossen werden[55].
39Die Breite der Fundamentierungen, die zwischen 1,50–1,80 m rangiert, lässt auf Mauerbreiten von min. 1,50 m schließen, wie sie vielfach an den Palastbauten hethitischer Zeit auf Büyükkale zu verzeichnen ist. Berücksichtigt man das leicht von SO nach NW abfallende Hofniveau[56], bedeutet dies, dass die hethitischen Fundamente oberhalb der çorak-Lage, dem leicht ansteigenden Gelände folgend, einst wohl bis zu rund 2,50–3,00 m hoch gewesen sein dürften[57].
40Wie auch das hethitische aufgehende Sockelmauerwerk waren die Fundamente in der Regel in Schalenbauweise errichtet. Auf typisch hethitische Weise wurden vielfach bei den Fundamenten anstehende Felskuppen in die Architektur integriert, die gegebenenfalls als Auflager für weitere Steine abgearbeitet wurden. Bei größeren Steinblöcken wurde – wo nötig – die nach innen ziehende Unterseite mit zugerichteten Steinen unterfüttert, um eine möglichst gerade Flucht zu erreichen. An einzelnen Felskuppen lassen sich leichte Mulden nachweisen, um ein Verschieben der auf der Kante liegenden Blöcke zu verhindern (Abb. 34)[58].
41Anders als seinerzeit zeichnerisch rekonstruiert liegt der Verlauf der Fundamentierung nicht exakt in der Flucht der Audienzhalle (Gebäude D), sondern knickt zweifach ab, so dass sich die Halle polygonal um den oberen Burghof legt. Zudem belegen nordwestlich des Durchgangsbaus abgehende Mauerfundamente, dass sich in Richtung der Nordkuppe weitere Gebäude anschließen könnten (Abb. 33. 34).
42In Richtung Audienzhalle (Gebäude D) konnte die Breite des parallel zu ihr verlaufenden Fundamentgrabens aus çorak, der den Verbindungsbau im SW begrenzt, aufgrund jüngerer Störungen nicht klar erfasst werden. Entlang des SO-Profils in PQ 345/343 ist dieser ca. 1,60 m breite Fundamentgraben, derzeit max. 15 cm hoch anstehend, gut sichtbar.
43Von größter Bedeutung stellten sich am Westhang der südlichen Kuppe zwei hethitische Steinreihen sowie Felsabarbeitungen heraus, die bereits 2021 als Indizien auf ein bislang nicht ausgegrabenes hethitisches Gebäude unter der südlichen Kuppe gedeutet wurden[59]. Diese Hinweise fanden in der Kampagne 2022 ihre Bestätigung, konnten doch auf der Spitze der südlichen Kuppe, direkt unter eisenzeitlichen Steinpflasterungen und Mauern, verbrannte hethitische Lehmziegel in ihrem verkippten Verband, Lehmziegelschutt sowie umfangreiche Ascheschichten erfasst werden (Abb. 35. 36). Zu den Fundamenten der Nordwestmauer des neuen Gebäudes dürfte auch eine größere Felsabarbeitung südlich von Gebäude E zu rechnen sein. Die südwestliche Mauer, annähernd im rechten Winkel zu den zuvor genannten Steinreihen verlaufend, scheint sich durch oberflächig sichtbare Steine und Felsabarbeitungen anzudeuten, die im Abstand von rund 3 m weitgehend parallel zur Audienzhalle (Gebäude D) verlaufen. Nordost- und Südostgrenze des neuen Gebäudes lassen sich derzeit noch nicht näher ermitteln, doch dürfte die Südostmauer etwa in der Flucht der späteren Geländestufe, d. h. der Südostmauer des Grubenhauses der Stufe BK II (Abb. 28) verlaufen, während ein vermuteter Zugang vom oberen Burghof zu Gebäude E im Bereich des späteren Makridi-Grabens in etwa die Ostgrenze beschreiben dürfte. Obwohl noch keine klaren Mauerverläufe fassbar sind, lässt die räumliche Verteilung der hethitischen Befunde ein annähernd quadratisches, möglicherweise ca. 18 m × 18 m großes Gebäude vermuten[60], das bei Höhenunterschieden zwischen Kuppe und Hangfuß von ca. 3 Metern noch substantiell anstehen könnte (Abb. 33. 35. 36)[61]. Damit kann die bisherige Lücke zwischen den Gebäuden E und F auf der Nordwestterrasse und dem oberen Burghof geschlossen werden, so dass die Bebauung im O-W-Profil des Burgbergs vorläufig als dreifach gestuft zu rekonstruieren ist (Abb. 37).
Geomagnetische und geoelektrische Prospektionen im Nordwesten des oberen Burghofes
44Vor Beginn der Ausgrabungen wurden 2022 südöstlich von Gebäude F und im Norden des oberen Burghofes geomagnetische und geoelektrische Prospektionen durchgeführt (Abb. 38)[62]. Die Ergebnisse beider Methoden sind, wie in Boğazköy üblich, nicht mit Resultaten anderer Fundorte vergleichbar. Trotzdem sind in der Geomagnetik einzelne und in 90°-Winkeln verlaufende Anomalien erkennbar, die auf Räumlichkeiten hinweisen könnten. In den Profilen der Erdwiderstandsmessungen deutet sich an, dass diese Befunde dicht unter der rezenten Oberfläche anstehen. Vereinzelte Anomalien könnten dabei als Indizien auf verbrannte Lehmziegel gedeutet werden[63].
Funde hethitischer Zeit
45Da in weiten Teilen der neuen Ausgrabungen am oberen Burghof – mit Ausnahme des neuen Durchgangsbaus – hethitische Befunde nur an der Oberfläche ›angekratzt‹ wurden, hält sich der Umfang hethitischer Funde bislang in einem überschaubaren Rahmen. Die bedeutendsten Funde hethitischer Zeit repräsentieren zweifellos Fragmente von Keilschrifttafeln, wobei in der Kampagne 2022 14 neue Bruchstücke entdeckt wurden[64]. Die Gesamtzahl der Funde der Kampagne 2014, 2021 und 2022 auf der Büyükkale summiert sich damit auf 18 Keilschriftfragmente (Abb. 39). Zwar stammen sie sämtlich aus umgelagerten Zusammenhängen des östlichen Makridi-Grabens oder aus eisenzeitlichen Befunden. Da aber die Fundstellen alle mehrere Meter über dem Niveau des Gebäudes E liegen, ist es unwahrscheinlich, dass die Fragmente von dort stammen[65].
Radiokarbondatierungen von der Büyükkale
46Wesentliche Charakteristika der durch die neuen Ausgrabungen am oberen Burghof der Büyükkale erfassten Baustrukturen und ihrer Phasenzuordnung sind dem bestehenden Chronologieschema entsprechend in Abb. 40 dargestellt. Deutlich wird, wie sich Lücken am oberen Burghof sowohl für die hethitische Ära als auch für die mittlere und späte Eisenzeit füllen.
47Von der Büyükkale liegen aktuell insgesamt 18 Radiokarbon-Datierungen vor; die neuesten Daten sind in Abb. 41 zusammengestellt. Die Umrechnung und Modellierung in kalibrierte 14C-Daten erfolgte mittels OxCal v.4.4.4[66] unter Verwendung von InCal20[67]. Neben Daten der ausgehenden Frühbronzezeit (Stufe BK Vc) sowie der kārum-Zeit (Stufe BK IVd)[68], wurden bereits 2016 an in Berlin lagernden Tierknochen der Altgrabungen am Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie GmbH in Mannheim Datierungen für die Stufe BK IVb (MAMS 29130–29134) und die Stufe BK Vc (MAMS 29135) gewonnen (Abb. 41). Während die Probe MAMS 29135 derzeit das älteste Datum der ausgehenden Frühbronzezeit zwischen ca. 2206–2034 v. Chr. erbrachte, fügen sich die anderen Proben (MAMS 29130–29134) mit kalibrierten Daten von 1774–1504 v. Chr. in den Zeitraum der alt- bis mittelhethitischen Zeit ein (Abb. 42). Anders als von den früheren Ausgräbern angenommen weisen sie darauf hin, dass die Zeitstufe BK IVb nicht der frühen Großreichszeit bzw. der Wende vom 15. zum 14. Jh. v. Chr. sowie dem 14. Jh. v. Chr. zuzuweisen ist[69], sondern dass sie bereits den Zeitraum der zweiten Hälfte des 17. und 16. Jhs. v. Chr., also die alt- bis mittelhethitische Zeit repräsentieren.
48Stratigraphisch lässt sich daran für Gebäude E der Stufe BK III auf der Nordwestterrasse die Probe TÜBITAK-2092 mit einem kal. Datum um ca. 1752–1535 v. Chr. anschließen, und deutet auf einen Ausbau der Königsburg bereits im 16. Jh. v. Chr. und damit parallel zum Ausbau der Oberstadt hin[70]. Die zeitliche Überlappung mit Proben der Stufe BK IVb mag darauf zurückzuführen sein, dass die Proben der Stufe BK IVb die Nutzungsphase dieser Schicht repräsentieren, die Probe aus Gebäude E hingegen der Gründungsphase der Stufe BK III angehört. Im Kontext dynamischer Prozesse könnte daraus abgeleitet werden, dass am unteren und mittleren Burghof noch Gebäude der älteren Stufe BK IVb genutzt wurden, während am oberen Burghof bereits der Ausbau zur großköniglichen Burg (Stufe BK III) einsetzte.
49Zwei neue Radiokarbon-Daten wurden 2022 im AMS-Labor der türkischen Akademie der Wissenschaften (TÜBITAK)[71] analysiert (Abb. 41). Eine Probe (Bo22-8089-8289) entstammt aus einem verbrannten Lehmziegel von der Oberkante der hethitischen Bauruine (Gebäude O, s. o. § 43) bzw. deutlich unterhalb einer Mauer vom Westflügel des ›palatialen‹ Gebäudes der späten Eisenzeit (BK Ib). Das Niveau der Probe liegt somit zugleich im Höhenbereich der mitteleisenzeitlichen Stufe BK II und fällt mit einem Zeitraum von ca. 800–550 v. Chr. sowohl in den Bereich der Stufe BK II als auch der frühen Stufe BK I; die stratigraphische Position der Probe macht indessen einen Zeitansatz für die Stufe BK II (ca. 8. – frühes 7. Jh. v. Chr.) wahrscheinlicher (Abb. 42).
50Eine weitere Probe (Bo22‒8101‒8272) wurde unterhalb einer Steinsetzung entnommen, die – zusammen mit anderen Steinkonzentrationen – östlich des hethitischen Durchgangsbaus (Abb. 33. 41. 42) verlief, aber konstruktiv wenig sinnvoll erschien. Dicht unter der rezenten Oberfläche gelegen, erweist sich dieses Datum mit einem Zeitraum von 1488–1640 n. Chr. als (früh-)osmanisch.
Zusammenfassung und Ausblick
51Die Ausgrabungen auf der Büyükkale eröffnen – eingebettet in das Gesamtprojekt der Ausgrabungen in Boğazköy-Ḫattuša – grundlegend neue Perspektiven. Deutlich wurde, dass große Teile des oberen Burghofs bisher weitgehend unerforscht geblieben sind. Der Befund, dass das sogenannte palatiale Gebäude deutlich größer war, eröffnet einen neuen Blick auf die späte Eisenzeit des 6.–5. Jhs. v. Chr., die in Zentralanatolien noch weitgehend unbekannt ist. Dabei werden in Fortsetzung der mittleren Eisenzeit (BK II), wie sie auf Kesikkaya[72] nachgewiesen ist, auch für die späte Eisenzeit (BK I) hierarchische Gesellschaftsstrukturen sichtbar.
52Neue Perspektiven ergeben sich aber insbesondere für die hethitische Zeit. Deutlich wird dabei eine wesentliche dichtere Bebauung des oberen Burgplateaus, so dass aus den bislang seltsam separat stehenden Bauwerken E und F auf der Nordwestterrasse jetzt integrale Bestandteile des Palastgefüges werden. Damit verändert sich das Erscheinungsbild des Palastes grundlegend. Im Zusammenspiel mit den letztjährigen Arbeiten[73] ist dabei wahrscheinlich, dass die hethitische Palastanlage wohl parallel zum Ausbau der Oberstadt ab dem ausgehenden 16. Jh. v. Chr. und somit mit Um- und Neubauten über einen längeren Zeitraum entstand.
J. B. – A. Sch.
Die Ausgrabungen auf dem Westhang der Oberstadt
53Der breite Geländerücken des sogenannten Westhangs trennt die ausgedehnte Senke der westlichen Oberstadt vor Sarıkale vom weiter westlich außerhalb des Stadtgebietes gelegenen Tal des Yazır Deresi und bildet damit eine natürliche Begrenzung des Stadtgebietes (Abb. 43). Vom tiefsten Punkt im Norden in der Senke des Kızlarkayası Deresi, südlich bzw. südwestlich an der Poternenmauer, steigt der Westhang nach Süden mehr oder weniger gleichmäßig bis zum flachen Plateau von Taanıkkaya an. Entlang seiner westlichen Kante deutet ein heute noch sichtbarer Wall den Verlauf der hethitischen Stadtmauer an, die von der Unterstadt in Richtung Taanıkkaya hochführte und sich südlich davon bis ans Löwentor fortsetzte, um schließlich in einem weiten Bogen die Oberstadt zu umschließen.
54Zwischen Poternenmauer und Taanıkkaya führten zwei Tore, das Untere und Obere Westtor, in die Stadt. Beide Tore waren bereits 1907 von O. Puchstein und H. Kohl[74] freigelegt worden – die bis heute letzte archäologische Maßnahme am Westhang (einschließlich Taanıkkaya). Das zurückhaltende Interesse an diesem Stadtgebiet dürfte auf das weitgehende Fehlen obertägig sichtbarer Spuren einer Bebauung sowie auf die zu erwartende Zerstörung durch die Hangerosion zurückzuführen sein, deren Wirkung sich an den mehrfach zutage tretenden Felsenkuppen zeigt. 2004 südlich und südöstlich des Oberen Westtores durchgeführte Erdwiderstandsmessungen erbrachten dennoch vielversprechende Ergebnisse[75]. Besonders hervorzuheben ist ein dort festgestellter Gebäudegrundriss auf einer Geländekuppe rund 80 m südöstlich des Oberen Westtores (Planquadrate 271–273/337–338). Er wurde nach Ausweis der oberflächlich aufgelesenen Keramik vorläufig in die hethitische Zeit datiert.
55Der damals prospektierte Baubefund diente als Ausgangspunkt für die in diesem Jahr begonnenen Ausgrabungen, deren Hauptaugenmerk auf einer möglichst weiträumigen Erfassung der Bebauung und räumlichen Nutzung des Westhanges in hethitischer Zeit liegt, um langfristig dieses bislang weitgehend unbekannte Stadtgebiet in die Besiedlungsgeschichte von Ḫattuša einfügen zu können[76]. Im Vorfeld der jeweiligen Grabungskampagnen werden sukzessive geophysikalische Prospektionen durchgeführt[77]. Auf diese Weise sollen weitere Strukturen und Verdachtsflächen lokalisiert und anschließend gezielt archäologisch überprüft werden.
56Vor diesem Hintergrund erwies sich der durch Erosion geringe Umfang der Ablagerungen auf dem gewachsenen Boden als vorteilhaft, da die archäologischen Befunde nahe unter der Oberfläche lagen und so mit vergleichsweise geringem Aufwand große Flächen untersucht werden konnten. Hinzu kommt, dass es bislang weder in den Grabungsschnitten noch im Fundmaterial an der Oberfläche Hinweise auf eine Nutzung des Westhanges nach der hethitischen Zeit gibt, weshalb auch die nicht sicher datierbaren Befunde und prospektierten Strukturen zumindest unter Vorbehalt der hethitischen Periode zuzurechnen sind. Die hethitische Bebauung gründet ihrerseits – soweit sich dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt feststellen lässt – in aller Regel auf dem gewachsenen Boden.
57In der Kampagne 2022 wurden drei Areale untersucht (Abb. 44), wobei der Schwerpunkt der Ausgrabungen auf dem 2004 lokalisierten Gebäude lag (Areal A), das inzwischen als Tempel anzusprechen ist. Weiter nördlich hiervon, auf Höhe des Oberen Westtores, wurde ein Suchschnitt angelegt (Areal B), um dort auffällige Anomalien im Magnetogramm der diesjährigen Prospektion archäologisch zu klären. Zuletzt wurde am oberen Ende der vom Oberen Westtor nach Süden geradlinig ansteigenden Stadtmauer eine Fläche eröffnet (Areal C), um ihren Verlauf, den Erhaltungszustand und ihre chronologische Relation zum Stadtmauersystem von Ḫattuša zu untersuchen.
Ein hethitischer Tempel in Areal A
58In den Planquadraten 270–273/335–338 wurde eine Fläche von fast 500 m2 geöffnet, die in erster Linie den 2004 prospektierten Grundriss aufdecken sollte. Dieser stellte sich anhand der typologischen Vergleiche mit dem Zentralen Tempelviertel als Kellergeschoss eines Tempelgebäudes der hethitischen Zeit dar (Abb. 45), dessen Hauptgeschoss in den südwestlich ansteigenden Hang gebaut war.
59Darüber hinaus konnte die in der Erdwiderstandsmessung nördlich am Kellergeschoss vorbeilaufende, gebogene Anomalie geklärt werden. Entgegen der anfänglichen Annahme, es könnte sich um eine befestigte Wegtrasse in Richtung auf das Obere Westtor handeln[78], stellte sie sich als natürliche Gesteinsschicht aus gelblichem Muschelkalk heraus, die sich für die Stabilität des dort steiler abfallenden Hanges verantwortlich zeichnet.
60Der Tempelgrundriss war, dem Verlauf des Hanggefälles folgend, nach SSW-NNO ausgerichtet. Für das Kellergeschoss war eine flache Stufe aus dem gewachsenen Boden gearbeitet worden, in die anschließend die Fundamentgräben für die Mauern eingeschnitten worden waren. Das Niveau der Stufe entsprach jenem der Fußböden.
61Der nördliche Teil des Kellergeschosses lag näher an der Oberfläche und war vollständig der Erosion bzw. teilweise rezentem Steinraub zum Opfer gefallen. Letzterem dürfte zudem eine punktuelle Entnahme von Steinen aus der nördlichen Außenmauer geschuldet sein, die sich als 1,3 m lange Lücke nördlich von Raum 1 abzeichnete (Abb. 45).
62Der erhaltene Grundriss des Kellergeschosses lässt einen annähernd symmetrischen Aufbau erkennen, dessen Mittelachse zwischen den Räumen 3 und 4 verläuft. Die dort ehemals vorhandene, offenbar ohne Sockel und Fundament auf dem eingeebneten Boden errichtete Trennmauer war vollständig zerstört und zeichnete sich im archäologischen Befund lediglich als geradlinige Schuttanhäufung aus rötlich verbrannten Lehmziegelresten und Steinschutt ab (Abb. 46). Zusammen nahmen die Räume 3 und 4 eine Grundfläche von 5,5 m × 7 m ein. Die südliche Fläche von Raum 4 wies Ablagerungen mit Brandspuren auf, in deren Zusammenhang zwei anpassende Randfragmente einer Zinnenvase (Abb. 47; Bo22-5015-5019/1-2) sowie das Bruchstück eines Architekturmodells (Bo22-5015-5019/3) gefunden wurden.
63Die Zinnenvase war aus weißer Ware gefertigt und dürfte in Anlehnung an vergleichbare Funde formenkundlich den Trichterrandtöpfen zuzuordnen sein[79]. Der Zinnenkranz sitzt auf der äußersten Kante einer horizontal abstehenden Randlippe, die knapp unterhalb der inneren Gefäßmündung ansetzt. Damit steht das Fragment vom Westhang typologisch vor allem der Zinnenvase aus der Unterstadt Schicht 2 nahe[80], ohne hieraus einen chronologischen Ansatz ableiten zu können[81].
64Vom Architekturmodell ist nur ein kleines Bruchstück erhalten, das eine Fassadengliederung mit vertikalen und horizontalen Balkenlagen sowie Teile einer Fensteröffnung und sich diagonal kreuzender Bauelemente aufweist[82].
65Im Südwesten waren die Räume 3 und 4 durch eine noch bis zu 1 m hoch anstehende Mauer abgeschlossen, die weiter nach Westen laufend auch die Rückwand von Raum 5 bildete. Sie war in den Hang gesetzt und markiert den Übergang zwischen Kellergeschoss und höher liegenden Bereichen des Hauptgeschosses im Südwesten. Ihre Funktion als Stützmauer unterstreicht die im Vergleich zu den Binnenmauern (0,5–0,8 m) breitere Ausführung (1 m) mit zugleich größeren und sorgfältiger gesetzten Bruchsteinen.
66An der Ostseite der beiden Mittelräume lagen zwei annähernd gleich groß dimensionierte Räume (Raum 1: 3 m × 2,5 m; Raum 2: 3 m × 2,2 m), die im Südwesten nicht die volle Länge von Raum 3 einnahmen, sondern versetzt dazu abschlossen (Abb. 45). Raum 2 war mit einem Kieselsteinfußboden ausgestattet, der gut zwei Drittel der Raumfläche einnahm (Abb. 48). Zerscherbt auf dem Fußboden konnten Fragmente von Schalen, darunter ein nahezu vollständiges Exemplar, in situ geborgen werden.
67Türöffnungen konnten in diesem Kellerbereich nicht lokalisiert werden. Allerdings machen die geringen Sockelhöhen zwischen Raum 1 und 3 eine Erschließung über diese Seite wahrscheinlich[83]. Sicherlich keine Türöffnung besaß der noch bis zur originalen Oberkante ca. 30 cm über dem Fußboden erhaltene Mauersockel zwischen den Räumen 2 und 3. An dessen Oberseite war noch die Mittelrippe aus Steinen zu erkennen, die als Verfüllung zwischen die beiden horizontal aufgelegten Schwellhölzer eingebracht worden war[84].
68Die Räume 1 und 2 waren beide mit einer bis zu 70 cm dicken Schicht aus rötlich verbranntem Schutt und Lehmziegelbruch verfüllt, so dass in Anlehnung an den Befund in Raum 4 von einem Brand als Ursache für die Zerstörung des Gebäudes bzw. dieses Gebäudeteils auszugehen ist. Die oberflächennahe Fundstelle bewirkte allerdings, dass trotz des Brandes das Lehmziegelmauerwerk weitgehend zu einer strukturlosen Masse zerfallen war, in der sich nur mehr einzelne größere Lehmziegelbruchstücke (teilweise mit Abdrücken von Rundhölzern des Holzrahmenwerkes) fanden. Verstreut im Füllschutt beider Räume kamen außerdem Fragmente mehrerer Krüge sowie Pithosscherben zum Vorschein. In Raum 2 konnten überdies zwei fast identische Bolzenverbindungen (Abb. 49; Bo22-5006-5009; Bo22-5006-5015) mit beiderseits angenieteten Sicherungsscheiben und ein großer Nagel aus Bronze (Abb. 49; Bo22-5006-5016)[85] geborgen werden. Alle drei Bronzeobjekte stehen wahrscheinlich in Zusammenhang mit Holzkonstruktionen[86].
69Raum 1 grenzte im Nordosten an die Außenmauer, die mit 1 m ähnlich breit war wie die Stützmauern des Kellergeschosses, jedoch aus kleinteiligem Bruchsteinmauerwerk bestand. Sie setzte sich über die Ausdehnung des Kellergeschosses um ca. 3,5 m weiter nach Südosten fort und stützt den dort höher anstehenden Boden, was auf weitere, nicht unterkellerte Räume des Hauptgeschosses hindeutet.
70Die Räume 5–7 im Nordwesten waren schlechter erhalten. Es fällt zudem auf, dass für die Binnenmauern ähnlich wie bei der Trennmauer zwischen Raum 3 und 4 keine Fundamente angelegt worden waren und die Sockel direkt auf dem gewachsenen Boden gründen. Im Unterschied zur südöstlichen Raumreihe nahm dieser Trakt die volle Länge der Mittelräume ein. Raum 5 war mit 3,5 m × 1,3 m der kleinste Raum und war von Raum 6 durch eine schmale und kurze Wand getrennt, durch die eine auffallend breite Tür mit 1,5 m lichter Weite führte. Im Abstand von ca. 90 cm vor der nordwestlichen Schmalseite von Raum 5 war eine einschalige Verblendung aus Bruchsteinen gesetzt; die Fläche dahinter war mit Stein- und Keramikschutt verfüllt worden. Der dadurch entstandene, mindestens 30 cm hohe Sockel ist nicht als Reparatur oder Verstärkung des dahinterliegenden Mauerabschnittes zu verstehen, sondern scheint ein genuiner Teil des Gebäudes zu sein. Denkbar wäre ein Zusammenhang mit einer möglichen Treppenkonstruktion, die vom Hauptgeschoss in den Raum 5 hinabführte und so den Zugang zum Kellergeschoss ermöglichte[87].
71Raum 6 nahm eine Fläche von 3,5 m × 1,8 m ein. Ein weiterer Raum (7) schloss im Norden an und dürfte in Anlehnung an die Raumgliederung im Südosten die restliche Fläche bis an die Außenmauer eingenommen haben. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich der bei Raum 5 noch erhaltene Abschnitt der Kelleraußenmauer geradlinig nach Nordosten bis an die Außenmauer fortsetzte. Ob sich analog zum Südosten das Hauptgeschoss ohne Unterkellerung weiter nach Nordwesten ausdehnte, lässt sich anhand der Befundlage augenblicklich nicht sicher feststellen – eine solche Rekonstruktion erscheint angesichts der Vergleiche mit dem Zentralen Tempelviertel dennoch sehr wahrscheinlich[88]. In diesem Fall hätte die talseitige Gebäudefront eine Länge von mindestens 22 m, wenngleich nur der 15 m breite mittlere Abschnitt unterkellert war.
72Die dreigeteilte Anordnung der Kellerräume, die in der Mitte zwei nebeneinander liegende Langräume und beiderseits daran angeschlossene Raumreihen aufweist, findet direkte typologische Entsprechungen in den Grundrissen des von P. Neve sogenannten Kleinen Tempeltyps im Zentralen Tempelviertel – insbesondere mit den Tempeln 8, 18, 22 und 26[89]. Auch die Größe der einzelnen Raumflächen und die nicht bündig mit der Rückwand der Mittelräume abschließenden Nebenräume (Räume 1 und 2) entsprechen den Baubefunden im Tempelviertel. Der dort beobachteten Raumordnung folgend, wären die zentralen Räume 3 und 4 als Unterkellerung des Kultraumes anzusprechen. Der Trennwand dazwischen käme damit nur eine nachrangige statische Funktion zu, da sie lediglich als Substruktion für den Bodenaufbau diente. Dieser Umstand mag ein Grund dafür sein, dass die Mauer nicht stärker fundamentiert worden war.
73Im Unterschied zu den regelhaft auf ganzer Breite unterkellerten Gebäudetrakten im Tempelviertel war das Kellergeschoss in Areal A auf ein Minimum reduziert. Von den zumeist aus zwei Raumreihen zusammengesetzten Eckraumgruppen war nur jeweils die innere Raumreihe unterkellert, während die äußeren Räume – wie durch die Fortsetzung der Außenmauer nach Südosten eindrücklich dargelegt – ausschließlich im Hauptgeschoss ausgeführt waren.
74Die Reduktion des Kellergeschosses auf wenige Räume hatte wahrscheinlich weitere Modifikationen zur Folge; dies betrifft vor allem den Treppenaufgang in das Hauptgeschoss, da der verfügbare Platz dafür eingeschränkt war. Die länglichen Treppenräume im Tempelviertel lagen regelhaft im rückwärtigen Teil des Untergeschosses und führten über die volle Breite einer Eckraumgruppe wahrscheinlich von innen nach außen ins Obergeschoss[90]. Im Tempel am Westhang käme dieser Lage Raum 5 am nächsten. Zwar ist der Raum nur halb so lang, aber er entspricht mit seiner geringen Breite von 1,3 m genau den Treppenräumen in den Tempeln 8, 18 und 22[91]. Die Verkürzung des Raumes fiele allerdings nicht ins Gewicht, wenn die eigentliche Raumfläche nur den unteren Abschnitt der Treppe aufnehmen müsste, während der obere Abschnitt über die nordwestliche Kelleraußenmauer hinweg weiter bis auf die Höhe der nicht unterkellerten äußeren Reihe der Eckraumgruppe geführt worden wäre.
75Dass eine solche Rekonstruktion durchaus denkbar ist, zeigt ein vergleichbares Konstruktionsprinzip beispielsweise im Treppenraum (Raum 3) des Tempels 8. Der längliche Treppenraum war durch einen Sockel zweigeteilt, der einen Teil der südlichen Raumhälfte (3b) einnahm und nach P. Neve den unteren Treppenlauf aufnahm; der obere Treppenlauf soll über die nördliche Raumhälfte (3a) an der Außenmauer ins Obergeschoss geführt haben. Der Bereich unterhalb der Treppe blieb dabei als kleiner separater Raum bestehen und konnte vom Nebenraum aus betreten werden[92]. Vor diesem Hintergrund wäre es möglich, den im Westteil von Raum 5 eingesetzten Mauerabsatz als Sockel für einen ähnlich konstruierten Treppenaufgang zu deuten, der im oberen Bereich den westlich des Kellers noch anstehenden Boden als Untergrund nutzte.
76Nur wenige Spuren geben Auskunft über die weiter hangaufwärts gelegenen Bereiche des Hauptgeschosses (Abb. 50). Ebenso spärlich waren die Funde, von denen neben einigen Reibsteinen vor allem ein oberflächennah im Steinschutt gefundenes Fragment einer stark abgeriebenen stierkopfförmigen Applikation (Bo22-5040-5065) zu nennen ist.
77Hinweise auf die mögliche innere Unterteilung und die verschiedenen Höhenstufen innerhalb des nicht unterkellerten Hauptgeschosses geben Fundamentreste und mindestens zwei Geländestufen, die offenbar als Vorbereitung der Fundamentlegung in den gewachsenen Boden geschnitten worden waren. Eine erste Stufe verlief im Abstand von ca. 3,3 m parallel zur rückwärtigen Mauer des Kellergeschosses. Sie führte auf ein Niveau ca. 2,3–2,9 m oberhalb des Fußbodens im Kellergeschoss. Von dort steigt der gewachsene Boden weiter um rund 1 m an, bis im Abstand von 16 m zum Kellergeschoss eine zweite Stufe angelegt worden war, die auf ein Niveau von ca. 3,7 m über dem Kellerfußboden führte. In diesem Fall war der Stufe eine mindestens 60 cm hohe und ebenso breite Steinpackung vorgesetzt, die wahrscheinlich als Fundament einer Mauer des Hauptgeschosses diente. Ob es sich dabei um die letzte Stufe handelt bzw. um den südwestlichen Gebäudeabschluss, ist derzeit nicht zu bestimmen. Gemessen von der nordwestlichen Außenmauer bis zu dieser Stufe müsste das Gebäude mindestens 25 m lang gewesen sein; seine Breite lässt sich unter Annahme eines symmetrischen Aufbaus des Kellergeschosses mit rund 22 m beziffern.
78Weiter südwestlich (Planquadrat 270/336), auf einem Niveau rund 1 m über dem Niveau der oben genannten Geländestufe mit vorgesetzter Steinpackung und etwa 4,5 m von dieser entfernt, konnte ein einzelner Raum freigelegt werden[93]. Die 50 cm breiten Bruchsteinmauern umschlossen einen 2 m breiten und mindestens 3 m langen Raum, dessen südwestliche Seite gegen eine Felsrippe gebaut war (Abb. 50).
79Das Fundinventar weist den Raum als Werkstatt für Knochenbearbeitung aus. Im östlichen Teil des Raumes enthielt die Ablagerung über dem Fußboden unzählige Knochensplitter und eine Vielzahl an bearbeiteten Knochen, Werkstücken sowie ein einzelnes fertiggestelltes Exemplar der offenbar dort hergestellten kleinen konischen Scheiben mit Durchlochung. Das Fundspektrum umfasst eine ganze Reihe von unfertigen und zerbrochenen Stücken, die Aufschluss über die einzelnen Arbeitsschritte geben (Abb. 51).
80Bemerkenswert sind zwei Werkzeuge, die gemeinsam mit dem Knochenabfall im Raum gefunden wurden. Es handelt sich zum einen um einen kleinen Bronzemeißel mit leicht verbreiterter Schneide (Abb. 51; Bo22-5088-5139), zum anderen um einen verbogenen Pfriem (Abb. 51; Bo22-5088-5124). Angesichts des Fundzusammenhangs dürften beide im Zusammenhang mit der Herstellung der Knochenscheiben stehen.
81Der archäologische Nachweis einer Werkstatt zur Herstellung konischer Knochenscheiben ist in Ḫattuša bislang singulär. Funde vollständiger (unverzierter) Knochenscheiben sind indessen aus verschiedenen Stadtbereichen belegt. Zu nennen sind Exemplare aus dem Zentralen Tempelviertel[94], der Unterstadt[95] sowie mehrere (unveröffentlichte) Stücke aus den Grabungen im Tal vor Sarıkale[96].
82Eine genauere Datierung der hethitischen Baubefunde erlauben fünf Radiokarbondaten (Abb. 52). Die Holzkohleproben Bo22-5024-5024, Bo22-5024-5032 und Bo22-5024-5035 stammen vom Fußboden im Kellerraum 2 und eine weitere Holzkohleprobe aus der Westecke von Raum 4 (Bo22-5041-5077). Die Probe Bo22-5088-5155 wurde einem der bearbeiteten Knochen im Werkstattraum entnommen.
83Die Radiokarbondatierungen aus dem Tempel spannen sich über das 16. und 15. Jh. v. Chr. (Abb. 52). Der beprobte Knochen aus der Werkstatt weist in denselben Zeitraum und lässt sich in die zweite Hälfte des 16. Jhs. v. Chr. bis in die erste Hälfte des 15. Jhs. v. Chr. datieren (Abb. 52). Letzterer unterliegt nicht potenziell verzerrenden Einflüssen durch Bauholz/Altholz, wie es für die Proben aus dem Tempel nicht auszuschließen ist, weshalb ihm besonderes Gewicht zugemessen werden kann. Da sich die Mauern der Werkstatt und des Tempels in ihrer Ausrichtung entsprechen und beide auf dem gewachsenen Boden gründen, kann anhand des archäologischen Befundes von einer gleichzeitigen oder zumindest zeitnahen Errichtung und Nutzung beider Bauwerke in der Zeitspanne von der zweiten Hälfte des 16. Jhs. v. Chr. bis mindestens in die erste Hälfte des 15. Jhs. v. Chr. ausgegangen werden. Ob oder inwieweit beide oder eines der Gebäude überhaupt über das 15. Jh. v. Chr. hinaus in Benutzung blieben, muss zum jetzigen Zeitpunkt offenbleiben[97].
84Mit den Radiokarbondaten aus dem Tempel vom Westhang der Oberstadt sowie der neuen Probe[98] aus Tempel 8 liegen erstmals in Ḫattuša naturwissenschaftliche Datierungen für Vertreter des sogenannten Kleinen Tempeltyps vor[99]. Demzufolge sind die Wurzeln dieses Tempeltyps – entgegen dem mitunter jüngeren Datierungsansatz[100] – bereits im 16. und 15. Jh. v. Chr. zu suchen, wodurch zugleich die eingeschränkte Aussagekraft der Grundrisstypologien hethitischer Tempel der Oberstadt für chronologische Fragestellungen unterstrichen wird.
Testschnitt östlich des Oberen Westtores (Areal B)
85Rund 50 m östlich und etwa auf gleicher Höhe des Oberen Westtores waren im Magnetogramm und in einer an selber Stelle durchgeführten Georadar-Messung (Planquadrate 273–274/345) lineare Anomalien erkennbar, deren Beschaffenheit archäologisch überprüft werden sollte (Abb. 53). Die Messergebnisse zeigten eine rund 5 m breite und 14 m lange positive Anomalie in südwestlich-nordöstlicher Richtung, die sich vom umliegenden Erdreich mit allgemein niedrigen nT/m-Werten abzeichnete. Vom Südende dieser Anomalie läuft eine schwächer ausgeprägte lineare Anomalie nach Nordwesten in Richtung auf die dort anstehende flache Felsenkuppe zu. Über der südlichen »Ecke« dieser beiden Anomalien wurde ein L-förmiger Testschnitt angelegt und bis zum gewachsenen Boden hinabgeführt, der an dieser Stelle bereits bei 50 cm unter der Oberfläche anzutreffen war.
86Der anfängliche Verdacht, es könnte sich um eine zusammenhängende Baustruktur handeln, die sich gegen die Felskuppe im Nordwesten lehnt, konnte nicht bestätigt werden. Vielmehr scheint es sich um zufällige Steinansammlungen zu handeln, die unmittelbar auf dem gewachsenen Boden aufliegen. Hethitische Keramikscherben und einige Reibsteine deuten zwar auf Siedlungsaktivitäten hin, allerdings sind offenbar jegliche strukturellen (Bau-)Befunde vollständig zerstört oder erodiert.
Ausgrabungen an der Stadtmauer (Areal C)
87Die dritte Grabungsstelle lag am südlichen (erhaltenen) Ende der vom Oberen Westtor nach Süden ansteigenden Stadtmauer (Abb. 54). Ziel der Untersuchungen war es, zum einen den Erhaltungszustand der dort durch die Hangerosion stark gefährdeten Mauersubstanz zu überprüfen, zum anderen Hinweise auf den unklaren Verlauf der Stadtmauer weiter südlich in Richtung auf Taanıkkaya sowie auf die Datierung der Stadtmauer zu finden. Zudem deuten Luftaufnahmen und Geländebegehungen an, dass von den bislang vier angenommenen Türmen im Stadtmauerabschnitt zwischen dem Oberen Westtor und Areal C wahrscheinlich nur zwei Türme vorhanden sind. Sollte sich diese Beobachtung durch zukünftige Grabungen bestätigen, würde dieser Mauerabschnitt im Vergleich zu allen bisher sicher erfassten Teilen der Stadtmauer in Ḫattuša außergewöhnlich weite Kurtinen aufweisen.
88Die Stadtmauer konnte auf einer Länge von 18 m freigelegt werden, davon ein ca. 9 m langer Abschnitt der Kastenmauer, ein nördlich daran anschließender ca. 7,5 m breiter Turm, der zwischen 3,2 und 3,8 m vor die Mauer springt, sowie ein kurzes Stück der nächsten Kurtine. Mit rund 4,7 m Gesamtbreite ist die Mauer vergleichsweise schmal (bei Mauerstärken von ca. 1,7 m). Entsprechend sind auch die Kästen lediglich ca. 1,2 m breit ausgeführt. Bemerkenswert ist der über 6 m lange Kasten an der Südseite des Turmes. Ihm folgte nach Süden noch der Rest eines weiteren Kastens unbekannter Länge, bevor die Mauer bis unter die Fundamente vollständig von der Erosion zerstört war. Der Turm bestand im Inneren aus zwei parallelen, ca. 5 m × 1,5 m messenden, langrechteckigen Kästen, die quer zur Mauerflucht verliefen. Dieser Bautyp wird gemeinhin im Vergleich zu den separat angesetzten Turmkästen an der althethitischen Poternenmauer als nachzeitig betrachtet, wenn auch zwischen diesen unterschiedlichen Formen ein nur geringer zeitlicher Abstand zu konstatieren ist, zumal beide parallel an der Poternenmauer vorkommen[101].
89Der strukturelle Aufbau des Mauerabschnittes am Westhang findet Entsprechungen einerseits im jüngst freigelegten westlichen Abschnitt der Befestigung in der nördlichen Unterstadt (Abb. 98), der aufgrund seiner formalen Ähnlichkeiten zur Poternenmauer in die althethitische Zeit datiert wird[102], andererseits in der Stadtmauer am Ostplateau[103]. In beiden Fällen waren die Gesamtstärke der Mauer und die Breite der Kästen ähnlich konzipiert worden. Die Stadtmauer am Ostplateau scheint außerdem – soweit sich dies am Befund erkennen lässt – teilweise ähnlich übermäßig lange Kästen besessen zu haben[104]. Hervorzuheben ist, dass sich darin alle genannten Mauerabschnitte, insbesondere aber diejenigen am Westhang (auch mit Blick auf die Länge der Kurtinen) und am Ostplateau vom Aufbau des südlichen Stadtmauerbogens um die Oberstadt unterscheiden. Obwohl dort an den Türmen dasselbe typologische Prinzip erkennbar ist, ist die Stadtmauer etwas breiter und vor allem mit deutlich breiter dimensionierten, aber regelhaft kürzeren Kasematten errichtet worden. Bedeutend in diesem Zusammenhang ist, dass die Stadtmauer um die Oberstadt nach diesen Befunden nicht – wie bisweilen angenommen – in einem Zuge errichtet wurde, sondern ähnlich wie im gesamten übrigen Stadtgebiet auch[105] mit (zeitlich) verschiedenen Bauetappen zu rechnen ist.
90In Ermangelung chronologisch aussagekräftiger Funde oder Keramikscherben aus den Grabungsschnitten an der Stadtmauer ist für einen Datierungsansatz vor allem die strukturelle Parallele zur nördlichen Befestigung in der Unterstadt ausschlaggebend, die eine zeitliche Einordnung der Stadtmauer am Westhang in die althethitische Zeit nahelegt. Dies wäre ein entscheidender Hinweis in der Frage, wann die Errichtung der Oberstadtmauer begonnen hat[106]. Erweist sich die vorgeschlagene Datierung in die althethitische Zeit durch die geplanten zukünftigen Arbeiten am Westhang weiterhin als tragfähig, wäre damit ein Beleg erbracht, dass die Mauer gleichzeitig zur Erweiterung des besiedelten Stadtgebietes nach Süden ab der zweiten Hälfte des 16. Jh. v. Chr. begonnen wurde.
91Hinsichtlich der Frage nach dem weiteren südlichen Verlauf der Stadtmauer ist festzuhalten, dass die gängige Rekonstruktion in den Übersichtsplänen der Stadt, wonach die Mauer unmittelbar südlich von Areal C nach Süden abknickt und der Geländekante folgend in einem leichten Bogen auf das Plateau von Taanıkkaya hochläuft (Abb. 43), augenblicklich nicht bestätigt werden kann. Vielmehr hat die Grabung gezeigt, dass die Mauer an genau dieser Stelle um rund 5,5° nach Westen abknickt, also nicht der heutigen Geländekante weiter nach Süden folgte, sondern auf das stark zerklüftete und mit herabgestürzten Steinen übersäte Gelände unterhalb der Felsabbruchkante an der Westseite von Taanıkkaya ausgerichtet ist. Zwar ist angesichts der starken Erosion in diesem Bereich eine womöglich weiter südlich von der Grabungsstelle ausgeführte Biegung der Stadtmauer in Richtung auf Taanıkkaya nicht auszuschließen, dennoch spricht der beobachtete Knick in der Mauer eher für eine vollständige oder teilweise Umfassung von Taanıkkaya[107].
92Fundmaterial war aufgrund der nur knapp unter die Oberfläche geführten Grabungen spärlich. Die wenigen Kleinfunde konzentrierten sich auffallend in dem mit Steinschutt sowie vereinzelt hethitischer Keramik und verbranntem Lehmziegelbruch durchsetzten Zwickel zwischen der südlichen Kurtine und dem vorspringenden Turm (Abb. 54). Im obersten Bereich dieses wahrscheinlich als Versturz bzw. Verfallschutt der Mauern anzusprechenden Materials waren rund 40 bis 60 cm unterhalb der rezenten Oberfläche und direkt an der Stadtmauer vier Fragmente eines Steinobjektes gefunden worden; ein fünftes anpassendes Fragment lag etwa 1 m weiter südwestlich ebenfalls direkt an der Maueraußenseite (Abb. 54)[108].
93Die Bruchstücke ließen sich zu einem ca. 40 cm hohen und 20 cm breiten Steinobjekt zusammensetzen, das oben bogenförmig abschließt (Abb. 55; Bo22-5064-5104). Der zapfenförmige Fuß legt nahe, dass der Stein ursprünglich aufrechtstehend in einen Sockel eingepasst war. Oberhalb des Zapfens war die Vorderseite sorgfältig geglättet und trug zwei nebeneinander in den Stein gearbeitete parabelförmige Linien.
94Vergleichbare Funde sind m. W. bislang nicht bekannt. Einen möglichen Interpretationsrahmen böte die luwische Hieroglyphe STELA (L.267), insbesondere die Varianten auf den beiden in die Großreichszeit datierten reliefierten Steinsockeln vom Nordwesthang (BOĞAZKÖY 1 und 2)[109] sowie auf der Stele ÇALAPVERDI 3[110]. Die dort auf einem Sockel dargestellten, jeweils paarweise stehenden, parabelförmigen Aufsätze sind in der Formgebung dem Fundstück an der Stadtmauer sehr ähnlich. Im Falle der beiden Steinsockel vom Nordwesthang kommt hinzu, dass beide an der Oberseite ein Zapfenloch besitzen, das zwar von K. Bittel als Befestigung einer Statue gedeutet wurde[111], aber eher zur Aufnahme einer Stele gedient haben könnte, was auch dem Hieroglyphenzeichen STELA näherkäme[112].
95Die Aufsätze im Hieroglyphenzeichen STELA wurden bereits verschiedentlich in Zusammenhang mit Kultstelen gebracht, den hethitischen ḫuwaši-Steinen (NA4ZI.KIN)[113]. Diesem Interpretationsansatz folgend, käme auch für den Fund an der Stadtmauer eine Identifizierung als ḫuwaši-Stein in Betracht. Ohne an dieser Stelle eingehender dieser Möglichkeit nachgehen zu können, sei zumindest auf einige Übereinstimmungen unseres Fundes mit den in Texten erwähnten Charakteristika von ḫuwaši-Steinen hingewiesen, beispielsweise auf den in der Regel fehlenden (Relief-)Dekor, die mitunter transportable Größe, der Aufstellungsort im Freien und die Nutzung der Kultstelen als Grenzsteine – ein möglicher Ansatzpunkt für die Deutung des Fundortes an der Stadtmauer[114].
96Vor diesem Hintergrund wäre es durchaus denkbar, dass es sich bei dem Steinobjekt vom Westhang um die archäologische Entsprechung einer solchen Kultstele mit zweifach dargestellten parabelförmigen Aufsätzen handelt[115].
M. G.
Überblick über die Textfunde der Kampagne 2022
97Bei den Arbeiten im Jahr 2022 wurden insgesamt 18 Keilschrifttafeln und -fragmente gefunden[116]: im Grabungsbereich Unterstadt Nord zwei altassyrische Briefe (Bo 2022/10; Bo 2022/13) sowie insgesamt 16 Fragmente hethiterzeitlicher Keilschrifttafeln, davon zwei kleine Fragmente auf dem mittleren Büyükkale-Nordwesthang (Bo 2022/14; Bo 2022/16) und 14 bei den Untersuchungen südöstlich von Gebäude E auf der Büyükkale (Bo 2022/1–9; Bo 2022/11–12; Bo 2022/15; Bo 2022/17–18).
Altassyrische Texte
98Das flüchtig geformte und in großer Schrift beschriebene Täfelchen Bo 2022/10 (KBo 71.140) ist ein Privatbrief eines gewissen Aššur-dān an einen Mann namens Ubḫakum und dessen Sohn; weder Absender noch Adressat lassen sich prosopographisch zuordnen. Bei Bo 2022/13 (KBo 71.141; Abb. 56) dagegen handelt es sich um einen vollständig erhaltenen Geschäftsbrief des bereits als Absender des Briefes KBo 71.95 bekannten Aššur-ennam, der an seine Repräsentanten und einen Mann namens Aššur-emūqī schreibt. Letzterer ist wahrscheinlich mit dem im Brief KBo 28.160 Vs. 1 gemeinsam mit Dāya als Adressat genannten Mann desselben Namens zu identifizieren, womit der Brief in den weiteren Umkreis des Archivs des Dāya gehört[117]. Wie in KBo 71.95 geben ausstehende Schulden auch den Anlass für vorliegenden Brief:
Vs. | 1 | a-na ša ki-ma | i-a-tí |
2 | ú A-šùr-e-mu-qí | a-na | |
3 | A-šùr-e-mu-qí | qí-bi₄-ma | |
4 | um-ma A-šùr-e-na-ma | |
5 | 2 GÚ 17 MA.NA URUDU | DI-ma-am | |
6 | ša A-šùr-mu-ša-ak-ší-id | |
7 | DUMU Il₅-ba-ni | ú-ša-pì-lu-kà | |
8 | a-na 5 U₄-me-e | pá-ni-ú-tim | |
9 | URUDU | i-ša-qal | ITI 1.KAM áb-ša-ra-⸢né⸣ | |
10 | li-mu-um | Am-ri-iš₈-tár | |
11 | DUMU Ma-num-ba-lúm-a-šùr | |
12 | A-zu-zi-a | ṣú-ḫa-ri | |
u. Rd. | 1 | 5 e-ma-re | ra-qú-tim |
2 | ú-šé-ṣí-am | URUDU | e-ri-iš-kà-ma | |
Rs. | 1 | lá ta-dí-šu | ur-ki-šu |
2 | 3 e-ma-re | Ú-ṣur-a-num | |
3 | ⸢DUMU Qá⸣-qá-dá-nim | |
4 | ú-šé-ṣí-am | URUDU | e-ri-iš-\kà-ma | |
5 | lá ta-dí-šu | da-am-q[á]-⸢a⸣ | |
6 | a-ni-a-tum | i-na dUTU-ši | |
7 | na-aš-pè-er-tí | ta-ša-me | |
8 | URUDU | ú sí-ba-sú | ša iš-tù | |
9 | ITI 1.KAM | áb-ša-ra-né | li-mu sic -em | |
10 | Am-ri-iš₈-tár | a-na ša ki-ma | |
11 | i-a-tí | šu-qú-ul | a-na ša ki-ma | |
12 | i-a-tí | qí-bi₄-ma | URUDU | ú ṣí-ba-sú | |
13 | ša iš-tù ITI 1.<KAM> áb-ša-ra-né | |
o. Rd. | 1 | li-me-em Am-ri-iš₈-tár | ša-áš-qí-lá-šu |
2 | šu-ma | URUDU | lá i-ša-qal | |
3 | na-aš-pè-er-tí | ša-ak-ni-kà-šu | |
lk. Rd. | 1 | radierte Zeichenspuren |
Übersetzung:
An meine Vertreter und Aššur-emūqī; folgendermaßen Aššur-ennam:
(Betreffs) 2 Talent, 17 Minen[118] …[119] Kupfer, das Aššur-mušakšid, der Sohn des Il-bāni, dich hat zu zahlen zusagen lassen: Er wird in den kommenden 5 Tagen bezahlen. Im Monat Ab-šarrānē, Eponym des Amur-Ištar, Sohn des Mannum-balum-Aššur, habe ich den Azuziya, meinen Jungen, mit 5 unbeladenen Eseln ausgeschickt. Er forderte das Kupfer von dir, du aber hast es ihm nicht gegeben. Danach habe ich den Uṣur-Anum, Sohn des Qaqqadānum, mit 3 Eseln ausgeschickt. Er forderte das Kupfer von dir, du aber hast es ihm nicht gegeben. Sind diese (Dinge) schön? Sobald du (den Inhalt) mein(es) Schreiben(s) vernimmst, bezahle das Kupfer und seinen Zins, der seit dem Eponym des Amur-Ištar angefallen ist, an meine Vertreter!
An meine Vertreter: Lasst ihn das Kupfer und seinen Zins, der seit dem Monat Ab-šarrānē, Eponym des Amur-Ištar, angefallen ist, bezahlen! Wenn er das Kupfer nicht bezahlt, lasst ihn mein Schreiben siegeln[120]!
Hethitische Texte
99Während die beiden hethitischen Fragmente, die bei den Untersuchungen auf dem Nordwesthang der Büyükkale gefunden wurden, bislang keine weiteren Schlussfolgerungen zulassen (Bo 2022/14 = KBo 71.133; Festritualfragment; junghethitische Schrift; Bo 2022/16 = KBo 71.134; hethitischer Text unklarer Gattung; junghethitische Schrift), lässt die vergleichsweise große Zahl von Fragmenten aus dem Bereich südöstlich von Gebäude E auf Büyükkale auf eine zumindest teilweise Zugehörigkeit zu einer Tafelsammlung hoffen. Ein solcher Zusammenhang lässt sich bislang jedoch weder durch die Fundlagen (sämtlich sekundär im Oberflächenbereich oder in eisenzeitlichem Kontext) noch durch die Inhalte oder Datierung der Fragmente nachweisen. Vielmehr deutet die Tatsache, dass Bo 2022/4 (KBo 71.129; hurro-hethitisches Beschwörungsritual in mittelhethitischer Schrift) wahrscheinlich zur selben Tafel gehörte wie die Fragmente KBo 24.45 + 38.196, die in Gebäude A, Raum 5, gefunden wurden (indirekter Zusammenschluss), auf eine recht weite sekundäre Streuung von Fragmenten auf der Büyükkale hin. Weitere Ritualfragmente in mittelhethitischer Schrift sind Bo 2022/8 (KBo 71.130; Geburtsritual) und Bo 2022/18 (KBo 71.131; Ritual für einen BE-LÍ, »Herr«, genannten Ritualmandanten und seine Ehefrau). Zu den inhaltlich aussagekräftigen Texten gehören weiterhin zwei Fragmente von Palastverwaltungstexten (Bo 2022/2 = KBo 71.125; Bronzeutensilien, Textilien, Häute; Bo 2022/7 = KBo 71.126; Wolle und Textilien) sowie ein kurzer Brief an den »Herrn des Lagerhauses« (EN É A-BU-US-SÍ) betreffs der Getreideverwaltung[121]. Das Fragment eines zweikolumnigen Orakelberichts (Bo 2022/9 = KBo 71.128) beschäftigt sich unter anderem mit der bevorstehenden Niederkunft der Ehefrau eines Mannes namens Alalimi, der wahrscheinlich mit dem gleichnamigen hohen Offizier aus der Zeit Tutḫaliyas IV. zu identifizieren ist.
D. Sch.
Zu den hethitischen Verwaltungstexten
Bo 2022/2 = KBo 71.125
100Das Fragment lässt sich nicht einfach einem der bekannten Typen von Palastverwaltungstexten zuordnen. Die Kombination von Verben des Nehmens (dāš: Vs. 3', 11') und des Gebens (ŠÚM-ta, Vs. 7') begegnet sonst nur in »Texte zu Verkauf, Kauf und Tausch« (CTH 240), ohne dass in dieser (bislang schlecht bezeugten) Textgruppe genaue Parallelen genannt werden könnten. Das Verb dā- bezeichnet im sogenannten Palast-Tempel-Verwaltungskorpus[122] in fast allen Fällen Personen, die Gegenstände aus den Palastmagazinen zum Gebrauch oder Verbrauch für Palastangelegenheiten mitnehmen[123]. Da das Palast-Tempel-Verwaltungskorpus sonst das Akkadogramm UNŪTUM als Kollektivbegriff verwendet, verbindet die Nennung von gezählten Ú-NU-UT ZABAR »Bronzegeräten« in Vs. 6' und 9' (jeweils 30) das Fragment mit der Gruppe »Texte zur Herstellung von Metallobjekten« (CTH 242; vgl. KUB 42.10+ Vs. 4, 6; DBH 46/2.150 Rs.!? 7; möglicherweise CHDS 4.46 6'). Bei diesen Texten handelt es sich um Auflistungen fertiggestellter Gegenstände, die abschließend die Gesamtzahl der Geräte und die Menge des verwendeten Metalls festhalten. Vergütung oder Tausch werden in dieser Textgruppe jedoch nicht erwähnt, so dass der Empfang von Rinderhäuten und Textilien im vorliegenden Fragment zunächst unerklärt bleibt. Eine Erklärung könnte in der Tatsache liegen, dass die aufgezählten Geräte aus Bronze sind. Textliche und archäologische Belege deuten darauf hin, dass der Palast in Ḫattuša Bronze (im Gegensatz zu Gold, Silber und Kupfer, die von palastabhängigen Schmieden hergestellt wurden) von indirekt geförderten Handwerkern erwarb[124]. Wenn die bronzenen Geräte hier in Vs. 6' und 9' tatsächlich gegen Rinderhäute und Textilien getauscht werden, könnte dies darauf hindeuten, dass neben dem Tribut[125] und der Produktion aus Palastmaterialien[126] der Tausch eine dritte Quelle für Bronze für den Palast bildete. Die in vorliegendem Fragment genannten Personen wären dann Bronzeschmiede außerhalb des Palastes oder deren Vertreter bzw. im Falle des »Dieners des Obersten der Zehn« (Vs. 8') Mittelsmänner des Palastes[127]. Das Szenario, dass Einzelpersonen Bronzegeräte gegen Waren tauschen, lässt KUB 31.65+(+), einen Text über scheinbare Marktkäufe durch eine Palastinstitution[128], als nächste Parallele zu vorliegendem Fragment erscheinen.
lk. Kol. | 1' | [ … ] x x x [ |
2' | [ … ] ⸢2⸣ MAR kán-⸢ga⸣-[(nu-wa)-an ?] | |
3' | [ … n KU]Š GU₄ da-a-aš | |
_______________________________ | ||
4' | [ … ] x-kán m Zu-ul-la-a[n-ni] | |
5' | [ … ](-)⸢e⸣-eš-ta | |
6' | [ … ] 30 Ú-NU-UT ZABAR | |
7' | [ … ] ŠÚM-ta | |
_______________________________ | ||
8' | [ (…) m…-w] a-za ARAD LÚUGULA 10 | |
9' | [ … ] x 30 Ú-NU-UT ZABAR | |
10' | [ … ] 2 TÚG-TUM 1 KUŠ GU₄ SA₅ | |
11' | [ … ] da-a-aš | |
_______________________________ | ||
12' | [ … ] xMEŠ | |
13' | [ … ] x BABBAR? [ | |
(Fragment bricht ab) |
Übersetzung:
[ … ] … [ … ] 2 Spaten, [ge]wog[en … ] er nahm [n] Rinder[h]aut/-[h]äute.
[ … ] … Zullan[i … ] ge-…-t. [ … ] 30 Geräte aus Bronze [ … ] gab er.
[ (…) … ] … , Diener des Obersten der Zehn, [ … ] … 30 Geräte aus Bronze [ … ] 2 Gewänder, 1 rote Rinderhaut [ … ] nahm er.
[ … ] …-en [ …] … weiß [
Philologischer Kommentar:
Vs. 2': Die ⸢2⸣ MAR kán-⸢ga⸣-[(nu-wa)-an ?] »2 Spaten, [ge]wog[en]« hat in den Verwaltungstexten keine genaue Entsprechung. Die nächstliegende Parallele findet sich in einem Inlandstributtext, KUB 42.83, wo eine Reihe von Gegenständen am Ende eines Absatzes über Bronzegegenstände abgewogen wird (Rs. VI 5': k]an-ga-nu-uš-kán). In ähnlicher Weise wird in VSNF 12.116 eine Reihe von Kultfiguren an die Schmiede zur Reparatur verteilt, wobei sie an einer Stelle als [k]arū kangan »[s]chon gewogen« (Rs. 9) beschrieben werden.
Vs. 4': Für den Personennamen Zullanni vgl. KBo 53.110 Rs. III 27 (junghethitisch).
Vs. 5': Ergänze wahrscheinlich pé]-e-eš-ta (vgl. ŠÚM-ta in Vs. 7').
Vs. 8': Da bisher kein auf -waza endender hethitischer Personenname bezeugt ist (der Name des mittanischen Prinzen Šattiwaza ist hier sicher fernzuhalten), handelt es sich wohl um einen auf -wa ausgehenden Namen mit Reflexivpartikel.
Bo 2022/7 = KBo 71.126
101Bo 2022/7 = KBo 71.126 ist das Fragment einer zweikolumnigen Tafel, die Textilien und gewogene Mengen gefärbter Wolle aufzeichnet. Der Text enthält zumindest einen Ortsnamen und wahrscheinlich auch mindestens einen Personennamen. Die Kombination von Textilien, Wolle sowie Personen- und Ortsnamen in demselben Abschnitt ordnet den Text der Gruppe CTH 244.II zu (»Inventare von Inlandstribut [MADDATTU]: Wolle und Kleidungsstücke«); NBC 3842 und KUB 42.31 sind die engsten Parallelen[129]. Die Verwendung der Verben uda- »(her)bringen« (Vs. I 9') und möglicherweise pēda- »(hin)bringen, wegtragen« (Rs. IV 3') könnte auf ein komplexeres Verwaltungsszenario hinweisen, als es für die Tributtexte typisch ist, die in der Regel aus einfachen Listen von Gegenständen und verantwortlichen Personen bestehen.
Vs. I | 1' | [ … ] ⸢na⸣ [x x] x [ |
2' | [ … ] x un n[a ?] a aš [ | |
_______________________________ | ||
3' | [ … ] 4 MA.NA Ḫ[A-ŠÁR-TI | |
4' | [ … n MA.N]A SÍG [ŠÀ.BA … | |
5' | [ … ] | |
6' | [ … ] x [ | |
7' | [ … ] ⸢SA₅⸣ x [ | |
_______________________________ | ||
8' | [ … ] Ḫ[A-ŠÁR-T[I | |
9' | [ … ] ú-da-aš [ | |
10' | [(…)] unbeschrieben | |
11' | unbeschrieben | |
_______________________________ | ||
12' | [ … ] x [ | |
Rs. IV | 1' | [ … n TÚG ka-pí-ta-šà]m ?-⸢na 2? TÚG SIG 4 MA⸣.[NA … |
2' | [ … ]-me-iš 6 TÚG SIG₅ 20 TÚG maš-ši-ia-aš [ | |
3' | [ … ] x-an pé-e-da-aš 16 MA.NA 4 G[ÍN … | |
4' | [ … Š]U-ŠI MA.NA SÍG ŠÀ.BA 30 [MA.NA … | |
5' | [ … TÚ]GGÚ ḪUR-RI ḪAŠ-MAN-NI ḫa-[ | |
6' | [ … m.D10?-m]a ? -na-ad-du URU Zi-[… | |
_______________________________ | ||
(Rest des Fragments unbeschrieben) |
Übersetzung:
[ … ] 4 Minen gr[üne … n Min]en Wolle, [davon … ] … [ … ] rot [ … ].
[ … ] grü[n … ] brachte er her [ … ]
[ … ]
[… n kapitaša]mnäische [Kleider], 2 dünne Gewänder, 4 Mi[nen … ] … 6 Gewänder bester Qualität, 20 Schals [ … ] … brachte er hin. 16 Minen, 4 S[ekel …, 6]0 Minen Wolle, davon 30 [Minen … ] (rot-)purpurne hurritisch(e) Tunika/-en … [ … Tarḫunta-m]anaddu, Stadt Zi[…].
Philologischer Kommentar:
Vs. I 2': Wahrscheinlich liegt ein fragmentarisch erhaltener Name vor.
Rs. IV 2': Am Anfang der Zeile sind verschiedene Ergänzungen denkbar, etwa Textilbezeichnungen wie TÚG ki-ša]-me-iš, túg ku-ku-la-i]-me-iš, TÚG pu-uš-ša-i]-me-iš, TÚGPAD]-me-iš (u.B.) oder Adjektive wie ma-ru-ša-i]-me-iš »geschwärzt«, ba-aš-ta-i]-me-iš »verziert«, ti-it-ta-la-i]-me-iš »mit tittali- besetzt«.
Rs. IV 3': Wenn pé-e-da-aš, wie hier angenommen, als Verbalform zu verstehen ist, kann x-an als Präverb (z. B. pé-r]a-an, an-d]a-an) oder Auslaut eines Akkusativobjekts ergänzt werden. Alternativ könnte der Ausdruck dān pēdaš »zweiten Ranges« vorliegen, der sich auf die Qualität von Kleidungsstücken bezieht und wahrscheinlich den Rang des Trägers angibt[130]. Dieser Ausdruck ist in Verwaltungstexten bisher jedoch nicht belegt.
Rs. IV 6': Die Position in der letzten Zeile des Absatzes (und des Textes) und vor einem geographischen Namen legt die Ergänzung eines Personennamens nahe. Ein Mann namens Tarḫunta-manaddu ist in den Verwaltungstexten bereits bezeugt: In KBo 31.50 Rs. III 6' ist er an der Auszahlung von Gegenständen beteiligt[131]; in KUB 42.21(+) Bo 6911 Rs. 13' erscheint er ebenfalls in der letzten Zeile des Textes und trägt die Verantwortung für die im Text inventarisierten Truhen[132]. Es ist jedoch keineswegs sicher, dass es sich hier um dieselbe Person handelt. Die Nennung am Ende des Absatzes in einem Text, der wahrscheinlich Tributeinnahmen verzeichnet, lässt vermuten, dass der hier belegte [Tarḫunta]-manaddu der Vertreter der Stadt Zi[…] war, der den Tribut nach Ḫattuša überbrachte[133].
Bo 2022/12 = KBo 71.127
102Bo 2022/12 = KBo 71.127 (Abb. 57) ist ein kurzer Brief eines Mannes namens LÚ-ŠEŠ (lies wohl Ziti-nani) an seinen Vorgesetzten, den »Herrn des Lagerhauses«, der wohl die Getreideverwaltung betrifft. Briefe, die Verwaltungsangelegenheiten zwischen Beamten und ihren Untergebenen betreffen, sind außerhalb des Maşat Höyük-Archivs selten[134], ebenso wie Briefe, die landwirtschaftliche[135] Angelegenheiten betreffen. Ohne die Entdeckung eines Archivs, das zu einer Verwaltungseinrichtung wie dem »Lagerhaus« in Ḫattuša gehört, bleibt der Brief daher schwer verständlich. Er legt jedoch nahe, dass der »Herr des Lagerhauses« auch mit landwirtschaftlichen Angelegenheiten befasst war, was außerhalb des bislang bekannten Aufgabenbereichs der Institution »Lagerhaus« (É ABUSSI) als Aufbewahrungsort für wertvolle Kultgegenstände liegt[136]. Dies ist ein weiterer Beleg für die These, dass hethitische Institutionen so organisiert waren, dass Beamte und Institutionen durch zugewiesene Landgüter versorgt wurden, die sie unabhängig verwalteten (patrimonialistisch-manorialistisches Modell)[137].
Vs. | 1 | A-NA EN É A-B[U-U]S-SÍ |
2 | EN-IA ⸢QÍ⸣-BÍ-<MA> | |
3 | UM-MA mLÚ-ŠEŠ | |
4 | ARAD-KA-MA | |
_______________________________ | ||
5 | E[N]-IA-mu ku-it | |
6 | [TÀ]Š-PUR ma-aḫ-ḫa-an-wa Rasur | |
7 | [m N]a-a-ni-⸢iš⸣ x | |
8 | (Spuren) | |
9 | (Spuren) | |
u. Rd. | 1 | [ … ]-wa |
2 | [ … ] | |
Rs. | 1 | [ …-u]n |
2 | [m Na-a-n]i-iš-wa | |
3 | [ka]-ru-ú u-un-né-eš-ta | |
4 | nu-kán ka-a-aš-ma | |
5 | UN-an pa-ra-a | |
6 | ne-eḫ-ḫu-un | |
7 | nu a-pu-u-un | |
8 | A-WA-AT ḫal-ki-⸢aš⸣ | |
9 | an-da ti-it-ta-nu-wa-an-du |
Übersetzung:
Zum Herrn des Lagerhauses, meinem Herrn, sprich! So LÚ-ŠEŠ, dein Diener:
Betreffs dessen, was [du], mein [He]rr, mir schriebst: »Wenn [N]āni … . [ … ]. Ich ha[be … . Nān]i fuhr [sc]hon hierher«. Jetzt habe ich einen Mann geschickt. Sie sollen diese Angelegenheit [des] Getreide[s] regeln.
Philologischer Kommentar:
Vs. 1: Im É ABUSSI wurden wertvolle Objekte aufbewahrt, die eher kultischer Natur waren (Bilgin 2018, 315–318). Der Fundort des vorliegenden Briefes könnte darauf hindeuten, dass sich das É ABUSSI oder zumindest der Sitz des EN É ABUSSI auf der Büyükkale befand. Dies würde zum hohen Rang des EN É ABUSSI in der hethitischen Verwaltung passen[138].
Vs. 7: Nāni kann prosopographisch bisher nicht mit anderen Personen dieses Namens verbunden werden.
Rs. 5: Statt UN-an könnte man ez-za-an »Stroh, Spreu« lesen, aber der Kontext der bevorstehenden Regelung der Angelegenheit in Rs. 7–9 legt nahe, dass ein Vertreter des Absenders gemeint ist[140].
Rs. 7: Die Verwendung von apūn ist ein typisches Beispiel für die anaphorische Verwendung des Demonstrativpronomens über eine Diskursgrenze[141]. Hier wird die Verwendung von apā- durch das Überschreiten einer direkten Redegrenze ausgelöst, d. h. apūn AWĀT ḫalkiaš »diese Sache des Getreides« bezieht sich auf ein Thema, das in der vorhergehenden zitierten Rede angesprochen wurde, die irgendwo im Bruch zwischen Vs. 8 und Rs. 1 liegt. Darüber hinaus zeigt die Verwendung des Medialpronomens apā- an, dass die Angelegenheit im Kompetenz- oder Interessensbereich des Adressaten liegt.
Rs. 9: Zu anda tittanu- »regeln, lösen (eine Sache, Problem)« vgl. KUB 6.41 Vs. I 36–38: nu kiššan AQBI paimi=wa uni memian [EGIR-pa anda] tittanumi nu šarā tiyanun nu kēdani memi[ani EGIR-pa] anda tittanumanzi pāun »I spoke in this way: ›I will go set that affair [right again].‹ I arose and went to settle this affair«[142].
J. B.
Ein hethitischer Krug mit eingeritzter Hieroglypheninschrift
103Während der Kampagne 2022 wurde ein hethitischer Krug gefunden (s. o. Abb. 7; Bo22-2013-2148/2151), der auf seinem unteren Henkel eine Hieroglypheninschrift mit insgesamt drei eingeritzten Zeichen aufweist (Abb. 58. 59). Der Krug wurde in der Unterstadt im Zusammenhang eines wahrscheinlich kultisch genutzten Ensembles gefunden und kann in die althethitische Periode datiert werden[143].
104Hieroglypheninschriften auf hethitischen Gefäßen aus Ḫattuša sind relativ häufig belegt und größtenteils publiziert[144]. Meistens handelt es sich aber um Stempel, die in den noch feuchten Ton gedrückt wurden. Die hier behandelte Inschrift wurde dagegen höchstwahrscheinlich nach dem Brennen des Gefäßes wenige Millimeter tief in den Henkel eingeritzt (Abb. 58). Die Höhe der Inschrift beträgt ca. 3 cm wobei jedem Zeichen ca. 1 cm zukommt.
105Von oben nach unten lesen wir die Zeichen L. 199 (TONITRUS) – L. 312 (VIR) – L. 376 (zi/a) (Abb. 59). Während das erste und das dritte Zeichen die übliche Zeichenform aufweisen, weicht das zweite Zeichen von der herkömmlichen Form etwas ab. Das Zeichen L. 312 (VIR) besteht zwar aus zwei Teilen, nämlich aus einem waagerecht angeordneten langgezogenen Dreieck und einem daran angelegten »Zipfel«, die allerdings normaler Weise miteinander verbunden und so als ein ganzes Zeichen zu erkennen sind. Auf unserem Krug sind die genannten Komponenten hingegen nicht verbunden, sondern separat eingeritzt. Warum unser Zeichen hier von seiner herkömmlichen Form abweicht, kann nicht sicher festgestellt werden. Es kann aber sowohl an dem gewölbten Untergrund als auch an der Anwendung auf dem schon harten Ton liegen.
106Wie aus den letzten beiden Schriftzeichen zu ersehen ist, handelt es sich bei der Inschrift um einen Männernamen der von uns Tarhu(nta)-ZITIZI (bzw. Tarhu[nta]ziti) gelesen wird. Dieser Name ist sowohl aus Keilschrifttexten[145] als auch von Siegeln bzw. Siegelabdrücken bekannt. Am nächsten wäre unserer Inschrift das Siegel Bo 86/141[146], das allerdings nicht unproblematisch ist, da das letzte Zeichen von den Autoren ergänzt wurde[147]. Drei weitere Siegelabdrücke können hier erwähnt werden[148]. Bei diesen Abdrücken, die wahrscheinlich zum gleichen Siegelstock gehören, erscheint nach dem Zeichen L. 199 (TONITRUS) allerdings noch das Zeichen L. 29 (tá), womit dieser Personenname sicher als Tarhunta-ziti zu lesen ist. Interessant ist allerdings bei diesem Abdruck der Titel des Siegelinhabers, der mit dem Zeichen einer »Kanne« als URCEUS also »Mundschenk« identifiziert wird[149]. Die Ähnlichkeit des Hieroglyphenzeichens URCEUS mit dem Krug, auf dem die Inschrift sich befindet, und die Verbindung beider Personennamen (Tarhuntaziti und Tarhu[nta]ziti) sind bemerkenswert. Ob es sich dabei um die gleiche Person handelt, kann aber nicht sicher bestimmt werden, könnte aber in Bezug auf künftige Funde hier doch in Erwägung gezogen werden.
M. A.-D. – M. A.
Die Hieroglypheninschriften in der Poterne von Yerkapı ‒ erste Ergebnisse
107So ungewöhnlich ein Regentag Anfang August in Boğazköy ist, so unverhofft war die Entdeckung, die Bülent Genç bei Yerkapı, einem seit jeher bekannten Monument in der Oberstadt, gemacht hat (Abb. 60). Die künstlich aufgeschüttete bis zu 40 m hohe und fast 250 m lange, von außen pyramidal anmutende Anlage liegt gleichsam als Krone der Stadt auf deren höchstem Punkt und ist aus dem Umland von weither sichtbar. Während die über diesen Wall laufende Stadtmauer ein ursprünglich mit 4 Sphingen geschmücktes Tor aufweist, verläuft genau unter diesem Tor hindurch ein unterirdischer Tunnel ‒ eine sogenannte Poterne (Abb. 63. 65). Das aufwendige, insbesondere von Norden weithin sichtbare Bauwerk, dessen hethitischer Name bislang nicht erschlossen werden konnte, diente den bisherigen Überlegungen zufolge nicht der Verteidigung, sondern war höchstwahrscheinlich Teil kultischer Inszenierungen, die von den nördlich in der Stadt liegenden Tempeln ausgingen[150].
108Im Gegensatz zu allen anderen Monumenten und Gebäuden in der Stadt war Yerkapı immer sichtbar und der Tunnel zumindest teilweise begehbar. Bis heute ist es einer der wichtigsten Besucherpunkte in der Stadt. In diesem nicht ausgeleuchteten Tunnel bemerkte B. Genç Zeichen, die in hethitischer Zeit mit rotbrauner Farbe auf die grob bearbeiteten Steine der beiden Wände der Poterne gemalt worden waren.
109Um diese einzigartige Entdeckung möglichst genau und schnell zu dokumentieren, wurde das geplante Programm der 3D-Dokumentationen kurzfristig insofern geändert, als parallel zu einer intensiven photographischen Aufnahme die Hieroglyphen zusammen mit dem gesamten Bauwerk völlig neu dreidimensional digital dokumentiert und modelliert wurden. Es gelang so, in sehr kurzer Zeit eine millimetergenaue dreidimensionale Rekonstruktion des Bauwerks und der Lage der Inschriften zu erstellen.
A. Sch. – B. G.
Die Dokumentations- und Scanarbeiten
110Infolge der Entdeckung der auf den Wänden der Yerkapı-Poterne gemalten Hieroglypheninschriften haben sich die für das Jahr 2022 geplanten Aufnahmearbeiten auf den Yerkapı-Bereich konzentriert, um die neu entdeckten Hieroglypheninschriften möglichst genau in ihrem Verhältnis zueinander und zu der gebauten Struktur studieren zu können.
Die Arbeiten an Yerkapı
112Alle Seiten von Yerkapı wurden im Detail vermessen, einschließlich der horizontalen Wege auf den verschiedenen Höhen der schiefen Ebenen, der Treppen auf der Ost- und Westseite des Monuments, des Sphinx-Tores sowie der Süd- und Nordseite der Eingänge zur Poterne. Bei einer Entfernung von 10 m wurde eine Auflösung von 7 mm erreicht. Alle Scanpositionen wurden durch Marker miteinander verbunden, wobei der Gesamtfehler weniger als 3 mm betrug. Die Punktwolken wurden mit Bildern texturiert, die mit einer Nikon D600-Kamera (14-mm-Optik) aufgenommen wurden, die in den Scanner integriert ist (Abb. 64).
Arbeiten in der Poterne
113Der Schwerpunkt der Arbeiten lag auf der Poterne, die mehreren spezifischen Vermessungsverfahren unterzogen wurde. Eine erste Aufnahmephase umfasste 13 Scanpositionen, bei denen besonderes Augenmerk auf die Ausrichtungsverfahren der Daten im Zusammenhang mit den Mauerstrukturen und dem Sphinx-Tor gelegt wurde, um den Tunnel in seiner Position zu ihnen und den zugehörigen Hieroglypheninschriften genau zu bestimmen. Eine zweite, dichtere Erfassungsphase in der Poterne (Abb. 65), mit einer Aufnahmesequenz in Abständen von 1–1,5 m, ermöglichte eine Dokumentation der einzelnen Blöcke beider Wände der Poterne und ihrer Hieroglyphen in einem einzigen hochauflösenden Modell. Dabei konnten die Schattenbereiche, die aufgrund der starken Unregelmäßigkeit der Felsblöcke entstanden, weitgehend reduziert werden. Aufgrund der großen Anzahl von Aufnahmen mussten diese automatisch durchgeführt werden, indem die Parameter direkt auf dem in das Gerät integrierten Desktop eingestellt wurden. Die korrekte Ausrichtung erfolgte dann im Labor durch eine erste automatische Registrierung, ein anschließendes Multi-Station-Adjustment-Verfahren und eine Überprüfung mit dem Global-Registration-Algorithmus.
114Da die meisten Aufnahmen innerhalb der Poterne durchgeführt wurden, war es nicht möglich, GPS-Daten zu erfassen. Da auch keine Markierungen verwendet wurden, erfolgte die Ausrichtung der Punktwolken an das zuvor erstellte Modell der externen Gebäudestrukturen durch homologe Punkte unter Verwendung einer speziellen Verarbeitungssoftware. Dieses Verfahren umfasst den Export eines Teils der bereits referenzierten Wolken der externen Aufnahmen, den anschließenden Export eines reduzierten Modells der Punkte innerhalb der Poterne und schließlich die Ausrichtung aller Scans.
Identifizierung, Kartierung und Aufnahme der Hieroglypheninschriften
115Die Entdeckung der gemalten Hieroglypheninschriften in der Yerkapı-Poterne erforderte die Entwicklung eines spezifischen Digitalisierungsplans. Dieser hatte zum Ziel, die Geometrien und Farben der Zeichen ebenso zu dokumentieren wie die Formen der Felsen, auf die sie aufgetragen wurden. Es galt, die Oberflächenmerkmale der Blöcke möglichst detailliert zu dokumentieren, um mögliche Bearbeitungsstufen der natürlichen Oberflächen zu überprüfen. Besonders wichtig sind natürlich die Reihenfolge und die Lage der Inschriften im architektonischen Raum.
116Vor den Scan-Aufnahmen wurde jede Inschrift durch das Anbringen von nummerierten Schildchen in der Reihenfolge von Norden nach Süden markiert. Die Wände der Poterne wurden orthophotogrammetrisch mit einer Canon EOS aufgenommen, wobei die progressiv aufgenommenen Wandbereiche durch 50 cm lange Aluminium-Maßstäbe abgegrenzt wurden. Die Areale der beschrifteten Wandflächen der Poterne wurden dann zusätzlich durch ein Strukturiertes-Licht-Scan-Verfahren aufgenommen.
Postprocessing Arbeiten
117Für die Nachbearbeitung der Daten wurden zwei spezielle Datensätze verwendet, die mit Hilfe des Laserscanners Riscan VZ400 Time-of-Flight (TOF) gewonnen wurden: eine Serie von 89 Scans, aus denen texturierte Punktwolken des Sphinx-Tors und des gesamten Yerkapı gewonnen wurden, und eine Serie von 49 Scans der Poterne. Diese 49 Punktwolken wurden zu einer einzigen Punktwolke verdichtet, die mit Octree 10 mm diskretisiert wurde, um redundante Reflexionen zu entfernen, und anschließend in ein Textdateiformat exportiert.
118Die Scans der Poterne wurden nach dem Import in zwei Teile unterteilt, und zwar in einen Ost- und einen Westteil, die an zwei identischen Abschnitten der Wolke des Sphinx-Tores ausgerichtet wurden, wobei ein durchschnittlicher Abstand von 2,5 cm ermittelt wurde. Nach Abschluss der Ausrichtung der Punktwolken der Poterne wurden die Mesh erstellt.
119Die orthophotogrammetrischen Modelle, die aus den zuvor bearbeiteten photographischen Aufnahmen gewonnen wurden, wurden anschließend an den polygonalen Modellen ausgerichtet (Abb. 66). Eine zusätzliche manuelle Ausrichtung diente dazu, ein hohes Maß an Texturdefinition für eine bessere Charakterisierung der Hieroglyphen im Inneren der Poterne zu erhalten (s. u. Abb. 88). Die dreidimensionalen Modelle bilden zusammen mit den orthophotogrammetrischen Modellen die Basis für die zukünftige Implementierung der hochauflösenden 3D-Modelle der hieroglyphischen Inschriften, die mittels eines Scannings mit strukturiertem Licht bei einer Fehlergrenze von 0,2 mm erstellt wurden. Das gleiche Verfahren wurde für die Punktwolke aus der Projektdatei »Sphinxes« angewandt; dabei wurden neue Punktwolken erzeugt, indem die 89 Scans in einem neuen Datensatz in der Reihenfolge GATE, EAST, WEST ausgerichtet wurden. Diese wurden wiederum in die Hauptunterschichten GATE_Hill, GATE_Architecture, EAST_Hill, EAST_Architecture, WEST_Hill, WEST_Architecture unterteilt. Die Vegetationsschichten, die sich auf die Orographie und die Architektur beziehen, wurden ebenfalls getrennt behandelt.
120Alle Unterschichten wurden einzeln mit demselben Arbeitsablauf bearbeitet. Nach sorgfältiger manueller Rauschunterdrückung wurden die Punktwolken mit einem Octree 10 mm-Filter diskretisiert und die Dateien im .txt-Format exportiert. Um ein hohes Maß an architektonischen Details zu erhalten, die für die Erstellung von hochauflösenden Mesh nützlich sind, wurden die östlichen und westlichen Teile von Yerkapı weiter in ihre Hauptebenen segmentiert (d. h. Ebene 0, Ebene 1, Ebene 2, Außenmauern, Mauern), mit einem Octree-Filter von 1 mm diskretisiert und schließlich in das Textdateiformat exportiert (Abb. 67).
121Die Verarbeitung der jeweiligen Punktwolke erfolgte zunächst durch eine sorgfältige Segmentierung und manuelle Entfernung des Restrauschens. Anschließend wurden auf der Grundlage der spezifischen Punktdichte im Verhältnis zum analysierten Pegelanteil Filter eingesetzt, um den Grad des Rauschens, der nicht manuell entfernt werden konnte, zu verringern und die Outliers zu reduzieren. In einigen Fällen war es notwendig, die Punktwolken bei 3 mm und 8 mm weiter zu diskretisieren, um eine gute Auflösung zu erreichen.
122Nach Abschluss der Mesh-Erstellungsphasen, die sich auf die Architektur von Yerkapı beziehen, wurden die Schichten in das .obj-Format für das Rendering exportiert, um anschließend in einer CAD-Umgebung mit der Software Rhinoceros für die Erstellung der notwendigen Zeichnungen und analytischen Modelle verwendet zu werden (Abb. 68. 69. 70. 71. 72. 73 a; 74 a; 88). Die abschließende Bearbeitung umfasste ein weiteres Verfahren zur Diskretisierung und Segmentierung der Modelle mit dem Ziel, sie in einer einzigen Visualisierungsdatei zu verwalten, in die die polygonalen Modelle von Yerkapı, der Poterne und der Hieroglypheninschriften importiert wurden.
L. R.
Die epigraphische Dokumentation und die Analyse der Hieroglypheninschriften
123Die vorliegende, vorläufige Analyse der gemalten Hieroglypheninschriften fußt auf der während der Kampagne 2022 aufgenommenen digitalen, photographischen und orthophotographischen Dokumentation. Die epigraphischen Analysen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen.
Die Bearbeitung der Orthofotos der Ost- und Westwand der Poterne
124Die Lage der Inschriften wurde mit Orthofotos der Felswände dokumentiert. Um diese verarbeiten zu können, wurden die West- und Ostwand der Poterne in Abschnitten dokumentiert. Auf jedem Orthofoto sind die Positionen der vorhandenen Inschriften markiert und jeweils durch O (Ostwand) und W (Westwand) + Nr. gekennzeichnet (s. hier die beiden Beispiele in Abb. 73 a; 74 a). Zusätzlich wurde die im Verlauf der Arbeit festgestellte typologische Bestimmung (Typ A–F) jeder Inschrift eingetragen. Zahl und Nummerierung der Orthofotos, Nummerierung der jeweiligen Inschriften und Richtung der aufgenommenen Inschriftensequenzen sind in Abb. 75 schematisch dargestellt. In Abb. 76 a. b findet sich die typologische Bestimmung.
Die photographische Dokumentation
125Zu der ersten photographischen Serie, die zum Zeitpunkt der Entdeckung produziert wurde, ist eine detaillierte photographische Dokumentation hinzugekommen, die parallel zur Durchführung der orthophotographischen Aufnahmen angefertigt wurde. Für jede Inschrift wurden mindestens drei Aufnahmen gemacht, so dass auf jedem Foto das Areal der Inschrift mit Maßstab und dem Schildchen mit der Inschriftennummerierung vorhanden ist. Diese sind auch auf den Orthofotos zu sehen. Diese Schildchen dienen als Basis für die Identifizierung der einzelnen Inschriften auf den jeweiligen Orthofotos und für den Vergleich zwischen den auf den Orthofotos vorhandenen und den auf den digitalen Fotos im Detail aufgenommenen Inschriften.
Die Inschriften
126Auf den Wänden der Poterne wurden bisher sechs unterschiedliche Inschriftentypen identifiziert. Die Identifizierungs- und Interpretationsarbeit ist noch nicht abgeschlossen, aber die vorläufigen Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen (Abb. 77).
Typologische Bestimmung der einzelnen Inschriften
127Der Analyse der Inschriften seien einige wichtige Punkte vorangestellt: Die Inschriftentypologie, mit der wir uns hier befassen, stellt einen völlig neuen Bereich der anatolischen Hieroglyphen-Epigraphik dar. Die Verwendung von Farbe zum Anbringen und die Oberflächen, auf denen die Zeichen aufgetragen wurden, beeinflussen sowohl deren Formen als auch deren räumliche Beziehungen zueinander stark. Dies impliziert nicht nur einen gewissen Unsicherheitsfaktor bei der Bestimmung der Zeichen, deren formalen Eigenschaften sich zudem stark von denen unterscheiden, die in der Glyptik oder durch Steininschriften bekannt sind, sondern auch bei der Bestimmung möglicher Varianten. Die Kompositionen tendieren außerdem zu einer gewissen »Inklusion« der Zeichen zueinander, die oft dazu führt, dass sich die Zeichenkonturen überschneiden. Gleichzeitig verursachen die unebenen Schriftflächen, auf denen sie angebracht wurden, oft das gegenteilige Phänomen, nämlich die Verschiebung eines Zeichens von der Stelle, an der man es erwarten würde. All diese Merkmale in Verbindung mit dem besonderen und in vielerlei Hinsicht einzigartigen Kontext des Fundes verleihen den Vorschlägen zur Identifizierung der Zeichen (und ihrer Varianten) auf der Grundlage der konventionellen Zeichenlisten[151] einen vorläufigen Charakter, insbesondere im Hinblick auf mögliche chronologische Implikationen.
128Nach gründlicher Analyse der photographischen Dokumentation ist klar, dass die Inschrift aus 3 Zeichen besteht: L. 66*-104-325/89 (Abb. 78):
- Das erste Zeichen ist eindeutig L. 66* MANDARE (=DARE.DARE). Wie im Falle anderer, nicht in der kanonisierten Form genutzter Hieroglypheninschriften ist auch hier die Tendenz festzustellen, die Zeichen neben einem etwas ›kursiven‹ Duktus in einer ›inklusiven‹ Komposition darzustellen (Abb. 79)[152]. In diesem Falle umschließen die unteren Teile der beiden gegenüberstehenden Hände, die das Zeichen *66* bilden, rechts und links die beiden weiter unten dargestellten Zeichen, die die Inschrift bilden. Dies führt in einigen Fällen auch zu Überschneidungen in der Gestaltung der verschiedenen Zeichen.
- Das zweite Zeichen lässt sich ohne Probleme als L. 104 CAPRA/sà bestimmen.
- Komplexer ist die Bestimmung des dritten Zeichens (Abb. 80). Die Variante auf den Fotos S8477 und S8478 lässt eher zu einer Deutung als L. 325 tú neigen, obwohl die auf S8084 mehr viereckige belegte Form eine Deutung als L. 89 tu wahrscheinlicher macht. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass die beiden Zeichen für /tu/ gleichzeitig verwendet wurden.
129Wie oben angedeutet, sind die Zeichen, aus denen sich die Inschrift zusammensetzt, in ›ikonographischen Kompositionen‹ angeordnet, die je nach der (mehr oder weniger regelmäßigen) Oberfläche, auf der sie gemalt sind, variieren können. Bei der Inschrift des Typs A wurden drei Hauptvarianten identifiziert (A1–A3, Abb. 81).
130Die Lesung der identifizierten Zeichen weist auf einen Personennamen (PN) hin, der MANDARE-sà-tu(/tú) lautet und aus der wohlbekannten Zusammensetzung »gegeben/geschenkt« (MANDARE) + GN (Sadu) besteht.
131Theophore Personennamen, die mit demselben Theonym Sadu (immer mit L. *104, sà, als erstem Zeichen) gebildet sind, erscheinen auf verschiedenen Siegeln/Siegelungen:
a. Saduha
b. In der erweiterten Form Sà-tú-ha-za/i erscheint er außerdem auf einem bikonvexen Siegel der Borowski-Sammlung[156].
c. Noch interessanter ist das Vorhandensein des Namens m Šādu-LÀL-ya in einem hurrisch-kizuwatnäischen Ritual in hethitischer Sprache (mittelhethitisch) aus dem Gebäude A von Kayalıpınar[157]. Dieser epigraphische Fund stammt aus demselben chronologischen und architektonischen Kontext der vor kurzem entdeckten hieroglyphischen, ebenfalls gemalten Inschriften, die nach A. Müller-Karpe einen direkten Bezug zu dem Baumeister zu haben und »spontanen« Charakters zu sein scheinen[158].
132Was das erste Glied des Personennamens betrifft, könnte man hier (auch in Anbetracht des PN mŠādu-LÀL-ya im erwähnten Ritual aus Kayalıpınar) MANDARE als Logogramm für hurritisch Ari- erfassen und den Namen als Ari-Šadu lesen[159].
Inschrift Typ B (Abb. 82)
133Die Inschrift besteht nur aus einem Zeichen, das eindeutig als L. 103+383 = CERVUS3+RA/I zu lesen ist. Die Lesung in der vorliegenden Zusammensetzung wäre dann »In(n)ara«[160]. Da das Zeichen ohne DEUS als Determinativ erscheint, kann man es mit einer gewissen Sicherheit als Personennamen auffassen.
134Inschrift Typ C wurde zuerst als MONS+VIA gelesen (Abb. 83). Durch ein weiteres Foto (S8545) (Abb. 83) ist festzustellen, dass in vielen Fällen ein deutliches TU unter MONS zu lesen ist. Dessen linker Umriss überschneidet sich teilweise mit dem rechten Teil des Zeichens für VIA. Hat man es hier mit zwei unterschiedlichen, aber gleichzeitigen Varianten der Schreibungen zu tun (MONS+VIA bzw. MONS.TU+VIA)? Nicht auszuschließen wäre jedoch auch die Möglichkeit, dass der Maler/Schreiber, um eine solche Überschneidung zu vermeiden oder um die Zeichen auf die Steinflächen besser anzupassen, in einigen Fällen das TU nach rechts verschoben hat, wodurch die traditionelle vertikale Ausrichtung von MONS.TU aufgehoben wurde (Abb. 83). Das wird auch durch die unterschiedlichen Positionen bestätigt, die VIA annehmen kann – gewöhnlich unter MONS und neben TU, manchmal jedoch auch links von MONS. Die für 2023 geplanten Kontrollen vor Ort werden dieses Problem lösen können.
135Wie im Falle der Inschrift A variiert die Komposition der Zeichen, die Inschrift C bilden. Die identifizierten drei Varianten sind auf der Abb. 84 im Detail dargestellt.
Inschrift Typ D (Abb. 85)
136Die Interpretation dieser aus nur einem Zeichen bestehenden Inschrift (Abb. 85) ist nicht ohne Probleme. Eine direkte formale Parallele lässt sich mit dem Zeichen L. 409, Var. 3 feststellen[161], das als Logogramm auf zwei Siegelungen aus Boğazköy, die ihrer Dekoration zufolge relativ früh zu datieren sind[162], und auf zwei Exemplaren aus Korucutepe[163] belegt ist. Dass dieses Zeichen auch syllabographisch gebraucht wird, bezeugen ein Siegel aus dem Adana-Museum[164] und eine Siegelung aus Boğazköy[165]. Da das Zeichen immer allein auf den Blöcken der Poterne erscheint, sollte man es höchstwahrscheinlich als Logogramm auffassen; zu seiner möglichen Deutung s. weiter unten.
Inschrift Typ E (Abb. 86)
137Das Zeichen (Abb. 86) lässt sich nach dem heutigen Stand unserer Untersuchungen als L. 330, CAPERE+SCALPRUM deuten, obwohl bei diesem an sich schon komplexen Zeichen der ›piktographische‹ Duktus und der Erhaltungszustand des Bildes eine genaue Bestimmung des Strichverlaufs erschweren – insbesondere der Beleg W55 (Abb. 86), der gewisse Ähnlichkeiten mit Inschrift F aufweist.
138Dieses Logogramm, das die Aktion des »Bearbeitens/Gravierens« des Steins kennzeichnet, erscheint sowohl als CAPERE+SCALPRUM, d. h. in Form einer Ligatur, als auch als CAPERE.SCALPRUM, d. h. durch zwei untereinander oder nebeneinander gestellten Zeichen in einer Reihe von Inschriften des 11.–10. Jhs. v. Chr. In diesen bezieht sich das Zeichen direkt auf die Arbeit des Steinhauers/Steinmetzes, der, da es sich um die Anfertigung von Steininschriften handelt, als SCRIBA bezeichnet wird[166]. In unserem Fall könnte sich CAPERE+SCALPRUM ebenfalls direkt auf das Steinwerk beziehen, auf dessen Wänden sich die Inschrift befindet; zu seiner möglichen Deutung s. die Diskussion weiter unten.
Inschrift Typ F
139Die Analyse der Fotos und der Vergleich mit der orthophotographischen Dokumentation haben zur möglichen Identifizierung einer sechsten Inschrift geführt. Wie weiter unten im Detail ausgeführt, nimmt sie, zusammen mit Inschrift C, eine besondere Stellung in der Sequenz der Inschriften auf der Westwand ein. Ihre Lesung muss beim gegenwärtigen Stand offenbleiben, da es während der Kampagne 2023 weiterer Autopsien vor Ort bedarf[167] .
Verteilung und Sequenz der Inschriften auf den Poterne-Wänden
Allgemeine Bemerkungen
140Wie aus Abb. 76 a. b zu entnehmen ist, verteilen sich die bis jetzt sechs identifizierten Inschriftentypen auf den jeweiligen Blöcken, die die Ost- und Westwand der Poterne bilden. Die Verteilung scheint auch angesichts der Tatsache, dass die meisten Inschriften nur aus einem Zeichen bestehen, gewissen Kriterien zu folgen und mit ihrer Funktion/Bedeutung verbunden zu sein. Obwohl die epigraphische Arbeit vor Ort noch nicht als abgeschlossen gilt, lassen sich schon jetzt mehrere wichtige Punkte herausstellen:
- Abgesehen von drei Fällen, bei denen derselbe Inschriftentyp auf demselben Steinblock zweimal erscheint, enthält jeder Steinblock immer nur eine Inschrift.
- Die Inschriften auf den beiden Wänden sind nicht austauschbar, d. h. die Inschriften, die auf der Ostwand vorhanden sind, erscheinen nicht auf der Westwand und umgekehrt.
- Auf der Ostwand erscheinen nur A und D, d. h. ein PN und ein mit ihm (irgendwie) verbundenes Logogramm.
- Komplexer ist die Situation auf der Westwand: Hier erscheinen nur B, C, E und F, d. h. ein PN und ein Verbum, das das Meißeln ausdrückt (B und E), eine toponymische Bezeichnung (C) und eine Zeichenkombination (F), deren Bedeutung noch nicht klar ist.
- Sowohl auf der Ost- als auch auf der Westwand konzentrieren sich die Inschriften auf die mittlere Strecke der Poterne, wobei – wie weiter unten gezeigt wird – die Positionierung der einzelnen Inschriftentypen (in der Mitte oder an den beiden Enden der Poterne) eine Rolle zu spielen und auf unterschiedlichen Kriterien zu beruhen scheint (s. die Skizze in Abb. 87. 88).
- Es muss schließlich betont werden, dass die Inschriften auf den beiden Wänden dieselbe Orientierung haben. Beide Inschriften, sowohl die auf der West- als auch die auf der Ostwand, sind von Norden nach Süden orientiert – d. h. für einen ›Leser‹, der die Poterne von der Stadt kommend betritt und nach außen durchschreitet (Abb. 87. 88).
141Wir beginnen mit der Ostwand, da hier das Vorkommen von nur zwei Inschriften das Verständnis ihrer Verteilung erleichtert.
Die Ostwand
142Wie aus der Abb. 76 und der Abb. 87. 88 zu entnehmen ist, scheint Inschrift A (PN Ari-Šadu) ubiquitär zu sein. Sie öffnet die Inschriftensequenz sowohl von der nördlichen als auch von der südlichen Seite der östlichen Poternenwand. In der Mitte der Strecke erscheint sie jedoch zusammen mit Inschrift D. In der Regel positioniert sich Inschrift A hier auf Blöcken, die direkt auf den Blöcken mit Inschrift D liegen. Abb. 73 b zeigt deutlich die Verteilung der beiden Inschriftentypen auf dem Orthofoto 5. Diese ›Komposition‹ kann nicht zufällig sein. Es handelt sich um eine vertikale Sequenz PN+Berufsbezeichnung/Titel, die auch auf den oben besprochenen Boğazköy und Korucutepe-Siegeln vorhanden ist.
Die Westwand
143Komplexer ist die Verteilung der Inschriften auf der Westwand. Hier scheint die Positionierung der unterschiedlichen Inschriften auf zwei Kriterien zu basieren. Einerseits nimmt jede Inschrift eine bestimmte Strecke der Wand in Anspruch, wo sie allein erscheint. Andererseits erscheinen auch auf der Westwand, wie schon auf der Ostwand beobachtet wurde, Kompositionen von Inschriften auf benachbarten Blockflächen (Abb. 76 b. 88). Von Süden nach Norden fortschreitend ist folgende Situation zu beobachten:
- Auf dem ersten Teil der Wand (von Süden aus) ist nur die Inschrift F belegt.
- Danach folgt Inschrift C allein.
- Ihre Grenze zur darauffolgenden Inschrift B ist nicht so klar gezogen wie zwischen F und C, so dass auf einer kurzen Wandstrecke C und B zusammen erscheinen.
- Nach einer kurzen Strecke, in der nur B auftaucht, fängt eine lange Sequenz (von Inschrift W63 bis Inschrift W17) an, die durch das Alternieren von B und E auf benachbarten Blöcken gekennzeichnet ist, wobei B meistens auf dem oberen, E dagegen auf dem unteren Block belegt ist. Abb. 74 b zeigt die Verteilung der beiden Inschriftentypen auf dem Orthofoto 21. Eine Ausnahme bildet die Inschrift W55, deren Interpretation als E unsicher bleiben muss, da sie gewisse Ähnlichkeiten mit F aufweist.
- Die Komposition B (PN, (In[n]ara)+E (Verbum, CAPERE+SCALPRUM?, »Stein bearbeiten«) gilt als Pendant zur Komposition A (PN, Ari-Šadu)+D (Berufsbezeichnung/Titel?) auf der Ostwand.
- Die letzte nördliche Strecke der Westwand ist wieder durch die Präsenz einer einzigen Inschrift, nämlich E, charakterisiert.
Offene Fragen und vorläufige Ergebnisse
144Die festgestellten Kompositionen auf der Ost- (A+D) und Westwand (B+E) können einen indirekten Hinweis auf den logogrammatischen Wert von Inschrift D (L. 409.3) bieten. Es muss zunächst darauf hingewiesen werden, dass das Zeichen, das gewöhnlich als SCALPRUM (Meißel) gekennzeichnet wird (L. 268) und auch in Verbindung mit CAPUT und LAPIS erscheint (jeweils L. 10* und 267), anders als das Zeichen SCALPRUM aussieht, das in der Zusammensetzung CAPERE+SCALPRUM erscheint. Beim letzten Zeichen ist die konventionelle Abbildung des Meißels klar erkennbar, während sowohl die Darstellung von SCALPRUM allein (d. h. L. 268) als auch in der Zusammensetzung mit CAPUT (L. 10*) und LAPIS (L. 267) in keiner Weise der Darstellung eines Meißels ähnelt, so dass man sich fragen kann, ob das Zeichen tatsächlich auf einen Meißel bezogen werden kann. Aufgrund seiner direkten Beziehung zum PN A auf der Ostwand und der Zeichenform, die sich mit manchen Exemplaren von Meißeln des Typs 7 von Müller-Karpe vergleichen lässt[168], wäre die Möglichkeit zu erwägen, unser Logogramm als SCALPRUMx zu interpretieren und ihm die Bedeutung eines mit dem Bau der Poterne eng verbundenen Berufes zuzuweisen.
145Eine genaue Charakterisierung des Zeichens, das die Inschrift vom Typ F bildet, ist wie beschrieben erst nach einer weiteren Autopsie möglich.
146Die Lage am Anfang des südlichen Abschnitts der Poterne wirft ebenfalls zahlreiche Interpretationsprobleme auf. Von Bedeutung ist der wahrscheinliche Bezug zur Inschrift C (VIA.MONS.TU), die in der Abfolge der Inschriften von Süden nach Norden unmittelbar folgt und höchstwahrscheinlich mit der Poterne selbst in Verbindung zu bringen ist.
147Es ist daher zu hoffen, dass die für den Sommer 2023 geplante Fortsetzung der Forschung die möglichen semantischen Beziehungen der räumlichen Verteilung der Inschriften besser klären wird.
148Die bis jetzt durchgeführte Analyse der Inschriften und ihrer Verteilung auf den beiden Wänden der Poterne erlaubt einige vorläufige Ergebnisse, die in den nachfolgenden Stichpunkten zusammengefasst werden können.
Ostwand
149Die epigraphischen Befunde auf der Ostwand scheinen einen direkten und ausschließlichen Bezug zu einer bestimmten Persönlichkeit herzustellen, die höchstwahrscheinlich in direktem Zusammenhang mit dem Bau des architektonischen Artefakts (in diesem Fall der Poterne) steht. Die epigraphische Abfolge der Zeichen, die im zentralen Abschnitt der Poterne zu erkennen ist (A+D: Ari-Šadu + TITEL/BERUFSBEZEICHNUNG), würde diese Interpretation bestätigen, auch wenn die Unsicherheit der Interpretation des Logogramms, das durch Inschrift D ausgedrückt wird, es uns nicht erlaubt, seine Funktion genau zu definieren. Sollte sich die oben vorgeschlagene Interpretation von D (L. 409, Var. 3) als ein mit der Steinbearbeitung verbundenes Werkzeug bestätigen, hätten wir einen Hinweis auf einen Handwerker, der direkt mit der Herstellung/Legung der Steinelemente, die die Struktur des Monuments bilden, verbunden ist.
Westwand
150Einige der Inschriften im mittleren Trakt der Westwand beziehen sich auf die gleichen Informationen. Auch hier haben wir die Zusammensetzung der Inschriften B+E, d. h. einen Personennamen (B: In[n]ara) in Verbindung mit einem Verb (ausgedrückt durch Inschrift E: CAPERE+SCALPRUM?), das ebenfalls eng mit der Steinbearbeitung verbunden ist. Wie genau sich die Berufe der beiden Persönlichkeiten, Ari-Šadu und In(n)ara, unterscheiden, ist derzeit schwer zu bestimmen. Die uns vorliegenden epigraphischen Zeugnisse beziehen sich auf einen Bereich, nämlich den der Bauhandwerker, der in den bisher bekannten Hieroglypheninschriften des 2. Jts. v. Chr. völlig fehlt. Es ist kein Zufall, dass das einzige einigermaßen aussagekräftige Zeugnis in dieser Hinsicht gerade eine kurze, ebenfalls gemalte Inschrift aus Kayalıpınar darstellt[169].
151Die Interpretation der Inschriften F und C, die den südlichen Teil der Westwand kennzeichnen, bleibt problematisch.
152Dass die Inschrift C auf die Poterne selbst als »Durchgang/Weg durch/zum Berg Tuthalija« zu beziehen ist, scheint sehr wahrscheinlich zu sein. Aber welche Bedeutung sollen wir der Inschrift F beimessen? Ihre Position deutet auf zwei Aspekte hin: Zum einen steht sie in enger räumlicher Verbindung zu C, zum anderen ist ihre Position am Anfang der Inschriften, wenn man die Poterne von Süden betritt, unabhängig von der allgemeinen Leserichtung von Bedeutung. Eine genaue formale Analyse der Bestandteile von F wird daher entscheidend sein. Es ist nicht völlig auszuschließen, dass sich diese Inschrift in irgendeiner Weise auf den Bauprozess und/oder die Funktion des Denkmals selbst bezieht, ähnlich wie es bei den anderen Poterne-Inschriften und im Falle der Kayalıpınar-Inschrift der Fall ist. Bis zu den geplanten Kontrollen vor Ort kann deshalb unser Vorschlag nur als vorläufige Hypothese gelten. Ähnliches gilt für eine Datierung der Inschriften. Diese ist momentan nicht möglich, da die Zeichenformen zu stark von den als chronologisch gesichert angesehenen Beispielen der Glyptik abweichen. Aus den Inschriften selbst ergeben sich keine datierenden Hinweise.
153Schließlich sollte erwähnt werden, dass die Entdeckung gemalter Inschriften sowohl in Ḫattuša als auch in Kayalıpınar /Šamuha das Wissen um die Verwendung und Ausführungstechniken der anatolischen Hieroglyphenschrift erheblich erweitert. Obwohl sich die Inschriften in der Poterne in ihrem Aufbau nicht von den ab der ersten Hälfte des 16. Jhs. v. Chr. belegten Siegelinschriften unterscheiden[170], zeugen sie von einer viel weiter verbreiteten Verwendung dieses Schriftsystems, als die bisher in der Hauptstadt bekannten, ephemeren Hieroglypheninschriften vermuten ließen[171].
M. M. – N. B. G. – M. A. – A. Sch. – B. G.
Preliminary Insights in the Archaeofaunal Remains at Boğazköy-Ḫattuša (2015–2022)
154The faunal analysis focused on material recovered over the course of the 2015–2022 excavation campaigns. This analysis is part of an ongoing research agenda to understand diachronic and intra-site variability in human-animal interactions and economic strategies at Boğazköy-Ḫattuša during the 2nd millennium B.C., as well in the longue durée. The analysis focused largely on material dating to the Bronze Age, the majority of which was excavated from the Northern Lower Town. Bronze Age faunal material from a building complex on the Western Slope of the Upper City is also recorded. Additionally, a smaller sample of faunal material from the Roman occupation of the Northern Lower Town and the Late Iron Age occupation of Büyükkale was also selected for analysis.
155A total of 20,209 bone specimens were recorded (Abb. 89). Analyses of the faunal material recovered from the Northern Lower Town yielded 1,716 specimens from the kārum period occupation, 14,867 from the Old Hittite occupation, and 655 from the Roman occupation. An additional 1,276 specimens were recorded from the Late Iron Age deposits on Büyükkale, and 1,695 specimens were recorded from the Hittite deposits on the Western Slope of the Upper City. While most of these faunal assemblages were collected by hand selection, the Hittite assemblage from the Western Slope of the Upper City is an exception. These data include bone that was recovered during flotation due to the nature of the context, which included worked bone and extremely fragmented debitage material (Abb. 90).
156All assemblages are dominated by domestic mammals by NISP[172] (91.3–97.0 %, Abb. 89), specifically sheep (Ovis aries), goat (Capra hircus), cattle (Bos taurus), and pig (Sus scrofa domesticus). Future work will include biometric analyses to determine if some of these specimens represent wild counterparts of domestic varieties (i.e., Ovis orientalis, Capra aegagrus, Bos primigenius, Sus scrofa), as several specimens are noticeably larger than the majority[173]. Similarly, while several horse (Equus caballus), donkey (Equus asinus), domestic dog (Canis familiaris), and fox (Vulpes vulpes) specimens were identifiable to the species-level based on morphology, additional species-level identifications of equids (e.g., horse, donkey, mule, hemione) and canids (i.e., domestic dog, fox, wolf) will be facilitated by biometric analyses. Finally, several small felids (e.g., domestic cat, lynx, wildcat, caracal) were identified. Due to the large number of wild felid species native to Anatolia, these specimens have been listed under wild mammals in Abb. 89, though they may be categorized as domestic cat (Felis catus) in the future. Species-level identification of these specimens will also be facilitated by future comparative work, as well as biometric analyses.
157Wild species are also present in smaller frequencies (3–8.7 %, Abb. 89). Deer (i.e., Capreolus capreolus, Dama dama, Cervus elaphus) are the most common wild mammal, but hare (Lepus europaeus), fox (Vulpes vulpes), badger (Meles meles), bear (Ursus arctos), and large felid, likely leopard (Panthera pardus) or lion (Panthera leo), are also present. Bird (Aves), fish, and land tortoise (Testudo graeca) were also identified in small numbers, while oyster (Ostreidae) and conch (Strombidae) shells were identified in Bronze Age assemblages. These specimens are of particular significance, as they were likely transported from either the Black Sea or the Mediterranean Sea, a distance of several hundred kilometers from Boğazköy-Ḫattuša.
158Species frequencies, as well as the presence/absence of species, vary between assemblages (Abb. 89). Ovicaprids dominate most of the assemblages by NISP, making up 34–89 % of the assemblages when unidentified specimens and mammals categorized by body size are removed (Abb. 92). Though sheep to goat ratios vary across time and space, they are noticeably low in all periods of analysis compared to those of other areas of the site[174]. The sheep to goat ratio of the Western Slope of the Upper City Hittite assemblage is particularly low (0.2 : 1), as are numbers of identifiable sheep and goat overall, but the sample size of identifiable specimens is also small. This is due to the fragmentary nature of the assemblage, in which 97.7 % of the material is 0–25 % complete, though it may also have to do with the functionality of the space itself. Specifically, numerous bone spindle whorls and the debitage resulting from their production were identified in one of the rooms of the Western Slope of the Upper City building complex. Based on the size of the worked bones, as well as morphologically distinct features of some of the unfinished spindle whorls, cattle metapodials appear to be the preferred bone from which to craft these tools. Consequently, bones related to consumption are few.
159Sheep to goat ratios are also low in assemblages from the Northern Lower Town. However, sheep to goat ratios increase between the kārum (1.4 : 1) and Old Hittite (2.0 : 1) occupations (Abb. 89), suggesting a slow but steady intensification of sheep husbandry with the development of the Hittite state. These data support similar patterns observed in previous studies, wherein caprine husbandry becomes more pronounced in the Hittite period[175] and sheep husbandry, specifically, intensifies between the Old Hittite and Empire periods[176]. This intensification was likely motivated by overlapping factors, including increased emphasis on wool production and taxation or tribute collection, as well as proliferating temple requirements. The sheep to goat ratios decline in the Late Iron Age Büyükkale (1.3 : 1) and Roman Northern Lower Town (1.3 : 1) assemblages, returning to the level of the earlier kārum occupation of the Northern Lower Town.
160Cattle are also well represented in the assemblages by NISP, and even more so when taxonomic abundance is calculated by bone weight. Cattle make up approximately 20–24 % of the Northern Lower Town assemblages by NISP when unidentified specimens are removed (Abb. 92). When body-size and bone weight calculations are considered, these data support previous assertions that cattle heavily contributed to the city’s meat supply during both the kārum and Hittite phases[177]. Cattle would have also served as important resources for traction (e.g., plowing and transportation of agricultural goods and construction material), as well as material and symbolic power[178]. Though there is a slight increase in cattle frequency from the kārum to Old Hittite period by NISP, overall, these frequencies indicate continuity in cattle husbandry between periods in the Northern Lower Town. This continuity is significant in that it suggests Boğazköy-Ḫattuša and its surrounding landscapes were conducive to resource-expensive cattle husbandry prior to the implementation of large-scale Hittite infrastructure, such as artificial water reservoirs and large-scale granaries that may have served as fodder storage, in addition to other uses[179]. In constructing these types of infrastructure, the Hittite state may have therefore been seeking to elaborate upon, and augment, existing local husbandry strategies rather than introduce entirely new pastoral regimes.
161The overall dominance of cattle in the Late Iron Age Büyükkale assemblage is also worth noting. Cattle make up 45 % of the assemblage by NISP when unidentified specimens are removed, which is considerably higher than even Early and Middle Iron Age frequencies from other areas of the site[180]. These patterns will be further investigated in future work.
162Unlike assemblages from other areas of the site, pigs make up a substantial portion of the Northern Lower Town assemblages. When unidentified specimens are removed from the calculations, pigs make up 14.2 % of the Northern Lower Town kārum assemblage and 11.6 % of the Northern Lower Town Old Hittite assemblage (Abb. 92). While there is a decrease in pig from the kārum to the Old Hittite period in this area of the site, both frequencies are high compared to those in other areas of the site[181]. Similarly, pigs are also heavily represented in the Late Iron Age assemblage from Büyükkale, where they make up 16.4 % of the assemblage when unidentified specimens are removed. Though pig frequencies are often noted to be particularly low at Boğazköy-Ḫattuša when assemblages are aggregated by period and compared to neighboring sites[182], these data and unaggregated frequencies from previous archaeofaunal studies[183] suggest that Boğazköy-Ḫattuša’s pig economies vary substantially across different areas of the site and between periods. This variability will also be explored further in future work.
163Diachronic and intra-site variability between assemblages is also supported by statistical analyses, including the Shannon Diversity Index[184] and chi-squared tests. Shannon Diversity Indices (Abb. 89) indicate that the assemblages from the Northern Lower Town are all more diverse than those from Büyükkale and the Western Slope of the Upper City, while diversity in wild fauna is most pronounced in the Northern Lower Town Old Hittite assemblage, specifically. Differences in species frequencies are also evidenced by chi-squared tests comparing the entire assemblages (Abb. 90) and focusing specifically on the frequencies of the common livestock species (i.e., sheep, goat, cattle, and pig; Abb. 91). When all specimens are considered, all the assemblages are statistically different (p < 0.05; Abb. 90). These differences are less pronounced when only livestock are considered, wherein all assemblages except the Northern Lower Town Roman and kārum assemblages and the Northern Lower Town Roman and Hittite assemblages are statistically different from one another (p < 0.05; Abb. 90).
164The Western Slope of the Upper City assemblage is expected to exhibit marked differences compared to the other assemblages due to its heavy fragmentation, which is likely associated with craft industry. While evidence of craft industry was identified in only one room of the building complexes excavated in this area of the site, animal bones were almost completely absent from all other contexts in this area. Therefore, the animal remains presented here are largely representative of the room associated with craft industry.
165On the other hand, the statistical differences between the Northern Lower Town kārum and Old Hittite assemblages are noteworthy in that they signal changes in animal economy and human-animal interactions beginning early in the development of the Hittite state. These statistical differences are observed in the comparison of frequencies for all species and livestock specifically, though the latter yield a less extreme result than the former. These results support the hypothesis that livestock economies began a slow but demonstrable shift between the kārum and Hittite periods, including intensification of husbandry strategies focused on high-value species like sheep and cattle[185] and the decline[186], or perhaps diversification as suggested here, of pig husbandry strategies. The observed differences between assemblages will be further investigated in future work, including context-specific analyses in which faunal material is compared between building complexes and rooms. Interactions between humans and wild fauna may also represent a key source of difference between the kārum and Old Hittite periods in the Northern Lower Town, a result which is also supported by Shannon Diversity Indices that indicate the Northern Lower Town Old Hittite assemblage is the most diverse.
166Several unique finds necessitate further description. The first assemblage of note is the room associated with craft industry identified in the Western Slope of the Upper City building complex, which has been described above[187]. In addition, a red deer (Cervus elaphus) antler was recovered from a room in the Northern Lower Town, situated amongst several Hittite ritual vessels (cf. above Abb. 8)[188]. Cutmarks on the pedicle indicate that the antler was removed from the skull, and additional chopmarks indicate that at least one tine was also intentionally removed. The antler, or portions of it, may have been used in craft industry or ritual, the latter of which may be suggested by its association with ritual vessels.
167Finally, an almost complete piglet (Sus scrofa, NISP = 96, including several unidentifiable fragments) was recovered from inside a vessel that was located immediately aside a water canal of a Hittite building complex on the Upper Terrace of the Northwest Slope (Abb. 93 a–c)[189]. This specimen may represent an example of the well-documented practice of pig sacrifice in Bronze Age Anatolia. Hittite sources indicate that piglets were sacrificed for a myriad of reasons, including substitution (ex., illness or transgression), fertility, and protection rituals[190]. While archaeological evidence of these practices is limited, one possible example includes piglet that was buried adjacent to Chamber B at nearby Yazılıkaya[191], though this specimen dates to the 3rd millennium B.C. Textual sources suggest that these rituals often involved the use of pits[192], such as that associated with the Yazılıkaya piglet, but KBo 20.89 describes a ritual in which a piglet is to be cooked in a pot following its dedication to the goddess Hannahanna (NIN.TU)[193]. This reference provides a potential parallel to the context in which the piglet was discovered. The piglet bones are not included in the calculations of Abb. 89, as they were identified late in the campaign and were therefore the only faunal material analyzed from this trench. Future work will include analyses of additional material from this area of the site.
Ch. M.
Ein Helm des Typs »Montefortino« und eine Schöpfkelle aus Tilkilitepe, nahe Boğazköy
168Westlich von Boğazköy wird die Tal-Ebene des Yazır Çay und des Budaközü durch die von Süden nach Norden abfallende, schmale Hügelkette des Tilkitepe (auch Tilkili Tepe) begrenzt. Auf dessen westlichem Hang wurden 1963 östlich des durch das Tal laufenden Karakeçili Bachs, im Umfeld von Gebäuderesten, aber ohne weiteren konkreten archäologischen Zusammenhang ein Bronzehelm (Abb. 94. 95; sowie der 3D-Scan https://arachne.dainst.org/entity/7361153 ) und und eine Schöpfkelle (Abb. 96. 97; sowie der 3D-Scan https://arachne.dainst.org/entity/7361156 ) gefunden. Trotz ihrer Bedeutung blieben diese Stücke lange Zeit unbekannt und wurden schließlich von Kurt Bittel in einer kaum zugänglichen Publikation vorgelegt[194]. Dies führte dazu, dass beide Stücke von der Forschung bisher praktisch unbemerkt blieben[195]. Vor diesem Hintergrund und der gleichzeitig seit mehreren Jahren erfolgreichen Erforschung römischer Kulturschichten in Boğazköy erschien es wünschenswert, diese beiden Objekte neu zu dokumentieren und ihre kulturhistorische Bedeutung zu skizzieren[196].
169Der Helm [197] hat die für diesen Typ charakteristische Kalotten- oder Glocken-Form einer Jockey-Kappe, wobei die Form nicht hochgewölbt, sondern annähernd halbkugelig ist; in der Horizontalen hat er eine leicht ovale Form. Der innen hohle Knauf auf der Spitze ist oben waagerecht abgeflacht (Abb. 94). Er wurde nicht – wie bei den keltischen Beispielen – separat gefertigt und sekundär angesetzt, sondern besteht aus dem gleichen Stück Bronze wie der Helm[198]. Am unteren Rand kragt der Nackenschutz nach hinten nahezu waagerecht – etwa 2,8 cm – aus und weist ein senkrechtes Loch auf. Dieses diente der Befestigung der Riemen, die mit den Wangenklappen verbunden waren. Der schwach abgesetzte, leicht nach innen verdickte Rand weist umlaufend diagonale feine Kerben auf. Die heute fehlenden Wangenklappen wurden auf beiden Seiten jeweils von Schlaufen, ebenfalls aus Bronze, gehalten, die mit je zwei Nieten seitlich unten am Helmkörper befestigt wurden. Die Nietstifte der Wangenklappen waren allerdings wahrscheinlich aus Eisen, wie Reste von Rost auf der Innenseite der Befestigungsschlaufen nahelegen.
170Die Außenseite des Helms ist sehr gut geglättet, so dass letztlich nicht zu klären ist, ob der Rohling des Helms gegossen oder eventuell getrieben wurde. Auf der Innenseite weisen leichte Drehspuren in horizontalen Linien darauf hin, dass der Helm wahrscheinlich von innen auf einer Drehbank nachgearbeitet wurde[199]. Die Wandstärke variiert leicht (Abb. 94), was die Vermutung der Nachbearbeitung unterstützt.
171Auf der vom Betrachter aus gesehen rechten Seite, etwa auf Höhe der Schläfe, aber etwas weiter hinten, weist der Helm eine leicht nach innen gewölbte Delle auf (Abb. 95). Möglicherweise rührt diese von einem Schlag. Weiter hinten, ebenfalls auf der rechten Seite, befindet sich ein Riss, dessen Ränder im Gegensatz zu der Delle von innen nach außen gebogen sind. Möglicherweise handelt es sich um eine rezente Beschädigung mit einem spitzen Gegenstand – eventuell bei der Bergung? Weitere kleine Beulen befinden sich auf der rechten Seite. Sie rühren unserer Meinung nach nicht von einem Kampf her, sondern sind auf die Lagerung im Boden zurückzuführen.
172Im Gegensatz vor allem zu den frühen Beispielen ähnlicher Helme unterscheidet sich der von Tilkitepe dadurch, dass er keinerlei Verzierung, Inschrift oder Markierung aufweist. Die einfache Form, die Gestalt des Knaufs, die Art des Nackenschutzes, die Kerbleiste am unteren Rand sowie die Ausfertigung des Helms ohne weitere Verzierungen weisen diesen als Beispiel des am häufigsten belegten Subtyps »Buggenum« nach M. Junkelmann aus, der in die Zeit vom »2. Drittel des 1. Jahrhunderts v. Chr. bis ins 1. Viertel des 1. Jahrhunderts n. Chr.« datiert[200].
173Helme des Typs »Montefortino« sind über das gesamte römische Reich von Iberien, Gallien und Italien bis Südosteuropa als Ausrüstungsgegenstände und wahrscheinlich als Kriegsbeute bis in den nordpontischen Raum verbreitet[201]. Ursprünglich wahrscheinlich im 4. Jh. v. Chr. aus der Ausrüstung gallischer und keltischer Stämme in die römische Armee übernommen[202], verbreiteten sich die Varianten dieser Helmform im Laufe der Zeit als Standardausrüstungsgegenstand mit der römischen Infanterie in deren gesamten Einsatzgebieten[203]. Bemerkenswert ist allerdings, dass der Helm aus Tilkitepe/Boğazköy bisher der einzige dieser Form ist, der sicher in Anatolien gefunden wurde[204].
174Zusammen mit dem Helm wurde an der gleichen Stelle eine Schöpfkelle (cyathus bzw. simpulum) ebenfalls aus Bronze gefunden[205]. Das etwa halbkugelige Schöpfgefäß geht in einen leicht S-förmig geschwungenen Griff über, dessen Kanten profiliert sind (Abb. 96. 97). Auf dem oberen Rand des Schöpfgefäßes befinden sich einander symmetrisch gegenüberliegend zwei Haken. Der taillierte Stiel weist am Übergang zu einem in Form eines Schwanenkopfs zurückgebogenen Griff zwei Spitzen auf, während der Griff der Kelle deutlich schmaler ist. Der nach unten blickende Schwanenkopf ist mit leicht angedeuteten Augen und einer Punktreihe auf beiden Seiten hinter den Augen verziert ist.
175An der Schöpfkelle sind keine Ansatzstellen erkennbar, so dass diese wahrscheinlich in einem Stück gegossen wurde. Die filigrane Ausführung des Schwanenhalses sowie des -kopfs und der Haken auf dem Rand der Kelle könnte auf ein Wachsausschmelzverfahren hinweisen. Auf der Innenseite der Kelle sind leichte Treibspuren erkennbar, was möglicherweise auf das Nacharbeiten zurückzuführen ist. Am Rand der Kelle, rechts des Ansatzes des Stiels, befindet sich eine antike Reparaturstelle.
176Eine kursorische Durchsicht der vergleichbaren Stücke zeigt nicht nur, dass diese im gesamten Imperium Romanum vorkommen, sondern offenbart zudem unabhängig von den verwendeten Metallen – Silber vs. Bronze – eine bemerkenswerte typologische Einheitlichkeit; diese wird insbesondere an der Gestaltung und Verzierung des Griffs und des Gefäßes deutlich und spricht dafür, dass das Stück von Tilkitepe einem standardisierten Typ angehört[206]. Entsprechende Stücke werden allgemein von der späthellenistischen bzw. römisch-republikanischen Zeit bis in die frühe römische Kaiserzeit datiert.
177Das weite Verbreitungsgebiet beider Stücke erschwert eine kulturgeschichtliche und chronologische Interpretation beider Funde. Auch wenn die Helmform ursprünglich in Norditalien von gallischen oder keltischen Stämmen übernommen wurde und in Boğazköy seit dem 3. Jh. v. Chr. mit der Anwesenheit einer galatischen Elite zu rechnen ist, dürfte dieser Helm des deutlich jüngeren Subtyps »Buggenum« frühestens in der Mitte oder in der zweiten Hälfte des 1. Jhs. v. Chr. mit der römischen Infanterie nach Galatien gekommen sein. Einerseits unterscheidet er sich durch den mit dem Helm in einem Stück gegossenen Knauf und andere Merkmale deutlich von den älteren keltischen Vorgängern[207]. Andererseits sprechen die historischen Zusammenhänge im nördlichen Teil Kleinasiens für diese chronologische Einordnung.
178Ein typologisch sehr gut vergleichbarer Helm, der im Oblast Krasnodar , im Nordosten des Schwarzen Meers, gefunden wurde, stützt diesen Ansatz. Der Helm weist am unteren Rand ein eingeschlagenes Monogramm auf, das auf Deiotaros, den Tetrachen der Tolistobogier in West-Galatien (zwischen Bolu und Ankara) bezogen werden kann[208]. Dieser kämpfte mit den Truppen Caesars 48–47 v. Chr. gegen Pharnakes II., den von Pompeius als Regent über das bosporanische Reich eingesetzten Sohn von Mitridates Eupator[209]. Offenbar gelangte dieser Helm, wahrscheinlich zusammen mit anderen des gleichen Typs, als Kriegsbeute sarmatischer(?) Kämpfer in die Regionen nördlich und nordöstlich des Schwarzen Meeres[210].
179Die Fundstelle des Helms in Tilkitepe/Boğazköy liegt zwar in relativer Nähe zu einem der denkbaren Aufmarsch- und Rückwege der römischen Legionen, die von Caesar für die Schlacht bei Zela (modern Zile, ca. 130 km östlich von Boğazköy) zusammengezogen wurden. Da die Helmform jedoch noch bis in das 1. Jh. n. Chr. nachweisbar ist[211], ist nicht abschließend gesichert, dass der Helm mit diesem historischen Ereignis zu verbinden ist; zumal hinsichtlich der Vergesellschaftung mit der Schöpfkelle, die in dieser Form ebenfalls bis in die römische Kaiserzeit belegt ist.
180In jedem Fall sind der Helm und die Kelle die bisher ältesten Hinweise auf die Anwesenheit römischen Militärs in der Region Boğazköy. Beide sind deutlich älter als die ebenfalls bereits von K. Bittel beschriebene und 2012 bzw. 2013 geophysikalisch untersuchte, nur wenig nördlich gelegene Siedlung, die eher in die entwickelte(?) römische Kaiserzeit, aber vor allem die spätantike und die byzantinische Periode datiert[212].
181K. Bittel hielt als ursprünglichen Fundkontext für die beiden Stücke eine Vergesellschaftung in einem gestörten Brandgrab oder die Deponierung als Hort »wertvoller Gegenstände« für möglich[213]. R. Czichon sah dagegen eine Verbindung zu der nahe vorbeiführenden Straße[214]. Deren Existenz – im 1. Jh. n. Chr. – wird durch Meilensteine bestätigt, deren ältester für das Jahr 97 n. Chr. bereits eine Reparatur nennt[215]. Ein in der nördlichen Unterstadt von Boğazköy nachgewiesenes Militärlager, das spätestens seit der Mitte des 1. Jhs. n. Chr. existierte, ist ein deutlicher Hinweis darauf, wie das römische Militär diese entlegene Region Zentralanatoliens nach der Übernahme des östlichen Galatiens (nach 25 v. Chr.) gestaltet hat[216]. Vor diesen geographischen und historischen Hintergründen ergibt sich eine Datierung der beiden Stücke entweder im Zusammenhang mit dem Feldzug Caesars gegen Pharnakes II. um 48–47 v. Chr. oder bis in die Zeit des (frühen) 1. Jhs. n. Chr.[217].
A. Sch. – E. S.
Strukturen und Befunde der römischen Kaiserzeit im bronze- und eisenzeitlichen Stadtgebiet von Boğazköy
182Auf den Terrassen der nördlichen Unterstadt wurden in den letzten Jahren in verschiedenen Zusammenhängen großflächig Befunde der römischen Kaiserzeit untersucht (Abb. 1)[218]. Die Arbeiten in der Kampagne 2022 ermöglichten den Abschluss der Erforschung der nördlichen Befestigungsanlage eines Militärlagers des 1. Jhs. n. Chr. und haben darüber hinaus zu einer Verfeinerung der Chronologie sowie neuen Erkenntnissen zu Aufbau und Funktion der bisher bekannten Strukturen einer kaiserzeitlichen Therme geführt.
Die Befestigungsanlage des 1. Jhs. n. Chr. im Norden der Unterstadt und Befunde einer hethitischen Stadtmauer
183Die Untersuchungen der Befestigungsanlage des 1. Jhs. n. Chr. konzentrierten sich auf eine noch unausgegrabene, etwa dreieckige Fläche zwischen den bisherigen Schnitten (Abb. 1)[219]. Die Planquadrate 299–300/420–423 umfassen dabei vor allem die Lagermauer aus dem 1. Jh. n. Chr. und die Umbauphase des 2. Jhs. n. Chr. Der Baubefund lässt sich erneut in zwei Hauptbauschichten unterscheiden – eine hethitische und eine römische mit drei Bauphasen (Abb. 98).
184Im Bereich der hethitischen Befestigung haben sich keine neuen Erkenntnisse ergeben. Hier konnten lediglich wenige Mauerstrukturen vervollständigt werden (Abb. 98). Es zeigen sich zwei Türme, die sich durch zwei große, parallele, rechteckige Räume auszeichnen und an der Innenseite der Kastenmauer beginnend nach außen vorspringen. Diese sind verbunden durch einen Mauerteil mit ehemals wohl vier schmalen rechteckigen Kästen. Türme und Kurtinen ähneln in ihrer Bauweise der Poternenmauer im Süden, so dass diese Mauer wohl bereits vor der Abschnittsmauer errichtet worden sein muss[220].
185Die mittleren Kästen wurden im nördlichen Teil von einer schmalen und weiter südlich einer breiten Bruchsteinmauer überbaut (Abb. 98). Bautechnik und Stratigraphie lassen auf eine spätere Ergänzung im Zuge der Nutzung des römischen Militärlagers schließen, die wahrscheinlich in das 3./4. Jh. n. Chr. datiert.
186Im Zuge der Grabungen wurden keine neuen Befunde der Gründungsphase der Befestigung des römischen Militärlagers freigelegt. Die Bruchsteinmauern im Kalkmörtelverbund des 2. Jhs. n. Chr. repräsentieren eine kaiserzeitliche Umbauphase des Lagers und wurden durchgängig in der Verlängerung der bisher freigelegten Teile[221] nachgewiesen (Abb. 98). Mittlerweile lässt sich die Mauer über eine Länge von mehr als 40 m nachweisen. An deren Innenseite ist die Mauer in etwa gleichmäßigen Abständen von 3 m mit dicken Strebepfeilern verstärkt[222]. Auch in diesem Jahr fanden sich weitere Fragmente eines mehrfarbigen Wandverputzes[223] in Versturzlage sowie große Mengen von Dachziegeln. Hervorzuheben ist der Fund eines an einer Seite der jüngeren Bruchsteinmauer aus der Nachnutzungsphase gelegenen Architravs (Abb. 99), der in seiner Einfachheit einem 2020 ebenfalls an der Befestigungsanlage gefundenen ähnelt[224].
Die kaiserzeitlichen Badstrukturen in der nördlichen Unterstadt
187Die Grabungen in der Thermenanlage[225] wurden in diesem Jahr nach Süden erweitert (Abb. 100) und dienten der Klärung einiger bereits 2018 freigelegter Strukturen[226] sowie der Suche nach der Fortsetzung der Befestigungsmauer des 1. Jhs. n. Chr. Gleichzeitig bot sich die Möglichkeit, nicht beendete Bereiche von 2020 und 2021 im Norden des Gebäudes abschließend zu untersuchen. Es konnten erneut zwei Nutzungsperioden nachgewiesen werden – eine hethitische und eine römische mit mehreren Phasen (Abb. 101).
Die hethitischen Mauern
188Zwei Bruchsteinmauern in den alten Schnittbereichen lassen sich aufgrund der Stratigraphie, ihrer Orientierung und ihres Aufbaus in die hethitische Zeit datieren (Abb. 101). Sie ergeben zusammen eine Mauer, die wahrscheinlich als Teil der sogenannten Abschnittsmauer zu interpretieren ist. Beide Mauerteile sind in der Kaiserzeit zweimal überbaut worden: zum einen durch einen großen Mörtelfußboden, zum anderen durch eine Mauer der Nachnutzungsphase (Abb. 102).
Strukturen des 1. Jhs. n. Chr.
189Von besonderer Bedeutung ist der Nachweis der Verlängerung der Lagermauer und der potenziellen Südostecke des Militärlagers. Gleichzeitig vermitteln weitere Mauern der gleichen Zeit (Abb. 101) einen Einblick in die an die Innenschale der Lagermauer angesetzten Raumstrukturen.
190Im Planquadrat 301/410 wurde ein neuer Abschnitt der Innenschale der Befestigungsmauer aus großen hethitischen Spolien mit Bohrlöchern freigelegt (Abb. 103). Die Steinreihe läuft nach Südwesten bis unter eine Mörtelmauer und verliert sich dort. Die Außenschale der Lagermauer ließ sich allerdings nicht nachweisen. Möglicherweise liegt diese unter dem diesjährigen Grabungsniveau oder war für die anschließende Bauphase mit Mörtelmauern entfernt worden.
191Überraschend war der Fund weiterer Mauern, die aufgrund ihrer Bautechnik und Lage sowie der Stratigraphie ebenfalls in das 1. Jh. n. Chr. datiert werden können. Die Bruchsteinmauern verlaufen parallel oder rechtwinklig zur Lagermauer und damit verdreht zu den Mörtelmauern des 2. Jhs. n. Chr., von denen sie teilweise überlagert werden (Abb. 101. 104). Zwei dieser Mauern verlaufen parallel zur Lagermauer im Planquadrat 300–301/410 – sie sind jedoch bisher ohne Zusammenhang. Drei weitere Mauern südwestlich auf der Innenseite der Befestigungsmauer bilden dagegen einen Raum. Die Tatsache, dass diese teilweise unter den Mörtelmauern versetzt verlaufen (Abb. 104) und eine der Mauern eine vorkragende untere Lage zeigt, wie sie bereits von anderen Mauern des Militärlagers bekannt sind[227], sprechen für einen direkten Zusammenhang mit der Befestigungsanlage. Vielleicht befand sich an dieser Stelle ein weiterer innen angesetzter Turm, der auf die Ecke des Lagers hinweisen würde. Bei einer Steinansammlung am südlichen Rand dieses Raumes scheint es sich ebenfalls um den Teil einer Mauer zu handeln. Dies ist dahingehend interessant, dass diese in Lage und Orientierung die Verlängerung einer Mauer von 2020 im Norden darstellen würde, die bisher der Nachnutzungsphase zugeordnet worden war[228] (Abb. 101). Beide Mauern zusammen könnten möglicherweise die Ecke in der Lagermauer nach Norden anzeigen und damit einen ersten Hinweis auf die noch fehlende westliche Begrenzung der Befestigungsanlage liefern.
Die Bruchsteinmauern im Kalkmörtelverbund
192Die Bruchsteinmauern in Kalkmörtelverbund des 2. Jhs. n. Chr. bilden im Süden des Areals mehrere regelmäßige Räume (Abb. 101). Die Funde geben keine Hinweise auf deren Funktion, doch lässt sich aufgrund der Lage und der Abwesenheit von rosa Mörtel, der regelmäßig in Verbindung mit Wasser auftritt, vermuten, dass es sich hier eher um so etwas wie Umkleide- und Aufenthaltsräume handelt. Ungewöhnlich sind in diesem Bereich vorkragende tiefer liegende ›Leisten‹ aus Mörtel an einigen Mauern sowie die auffällige Verwendung von mindestens einer Lage aus Bauziegeln. Damit unterscheiden sich die Mauern von den anderen der gleichen Zeitstufe. Dies in Verbindung mit ihrer offensichtlich unterschiedlichen Orientierung zu den weiteren Mörtelmauern lässt vermuten, dass es sich hierbei um Mauern einer zweiten Phase der kaiserzeitlichen Bebauung des 2. Jhs. n. Chr. handelt (Abb. 101). Zu dieser gehören wahrscheinlich auch die Apsiden, die teilweise das opus reticulatum-Mauerwerk verdecken[229]. Mehrere der Mauern zeigen Spuren von Reparaturmaßmaßen (Abb. 105), die als weiterer Hinweis auf ein zerstörerisches Ereignis gelten dürfen.
193Die südwestlichste der Mörtelmauern hebt sich deutlich von den anderen ab. Sie ist höher erhalten und zeigt in Teilen noch eine gut ausgearbeitete, mit Putz verkleidete Nordseite (Abb. 106). Außerdem ist sie breiter als die anderen Mauern derselben Zeitstufe und scheint eine Verlängerung eines Mauerstückes an der bisher am höchsten erhaltenen Stelle des Gebäudes im Schnittbereich von 2020[230] zu sein (Abb. 101). Dies lässt vermuten, dass es sich hierbei um eine Außenmauer des Gebäudes handelt – möglicherweise um die bisher fehlende Westbegrenzung.
194Ungewöhnlich sind zwei Konstruktionen im südlichsten Raum (Abb. 101). Eine etwa rechteckige Struktur, deren Rand aus Mörtel und einem großen Ziegel gebildet wird, erweckt den Eindruck eines Beckens. Westlich daran schließt eine deutliche größere, ebenfalls rechteckige Konstruktion an (Abb. 107). Ihre nördliche Begrenzung wird durch eine Bruchsteinmauer gebildet, die anderen drei Seiten bestehen aus einem Boden aus quadratischen Ziegeln. Auf den und im Umfeld der gebrochenen Ziegel haben sich große Mengen an Dachziegeln gefunden. Dies alles lässt darauf schließen, dass es sich in diesem Fall um einen überdachten Raum gehandelt hat, der jedoch über dem größeren Wasserbecken eine Öffnung besaß. Eine Interpretation als ›impluvium‹ wäre hier denkbar. Radiokarbondatierungen aus diesem Bereich deuten auf eine Errichtung Anfang 2. Jh. n. Chr. hin (Abb. 108).
195Im Bereich der älteren Grabungen (2020 und 2021) fand sich im Planquadrat 300/412 eine weitere Apsis (Abb. 109), die mit der Apsis mit Marmorfußboden und der westlich daran anschließenden in einer Reihe angeordnet ist (Abb. 101). Sie ist ebenfalls vor ein opus reticulatum-Mauerwerk gesetzt. Die Westbegrenzung dieser Apsis bildete einmal ein kleiner Mörtelfußboden, der durch starke Krafteinwirkung (vielleicht ein Erdbeben) um mehrere Zentimeter verrutscht ist. Getrennt wird dieser kleine vom großen Mörtelfußboden durch einen bereits bekannten Kanal[231], der nach SO abfällt. Neu ist eine unter dem Kanal verdreht verlaufende Tonrohrleitung, die ihre Fortsetzung nach Norden in mehreren zusammengesteckten Tonrohren findet (Abb. 110), die das Wasser von NW nach SO leiten. Im Planquadrat 299/411 wurde der südliche Teil eines großen Fußbodens weiter freigelegt (Abb. 101). Der große Fußboden ist, wie an mehreren Stellen erkennbar, in drei Schichten errichtet worden und an der Westseite leicht nach oben gebogen (Abb. 111). Das weist auf mehrere Ausbesserungen hin. Es wirkt so, als sei die originale Mauer mit Mörtel an der Westkante zerstört und durch eine Bruchsteinmauer ersetzt worden.
Die Nachnutzungsphase
196Einfache Bruchsteinmauern der Nachnutzungsphasen aus dem 3./4. Jh. n. Chr. wurden auch in diesem Jahr freigelegt (Abb. 101). Zwar wurde die Verlängerung der langen Mauer quer über den Mörtelfußboden[232] ausgegraben, doch ist diese für weitere Aussagen zu stark zerstört. Gleiches trifft auf weitere Verlängerungen bereits bekannter Mauern zu. Interessant sind lediglich die Mauern im Süden beim großen Raum mit ›impluvium‹. Dazu zählen die Reparaturmaßnahmen am Nordende des Raumes. Nördlich davon ist eine weitere Mauer etwa parallel zu den Mörtelmauern errichtet worden, deren südliche Schale weggebrochen ist. Sie scheint einen Raum aus Mörtelmauern in zwei Teile zu trennen – etwas Genaueres lässt sich jedoch ohne weitere Grabungen nicht sagen (Abb. 101).
Abschließende Betrachtungen
197Die diesjährigen Funde und Befunde ergänzen die Ergebnisse der letzten Jahre. Die Befunde an der Befestigungsanlage des Militärlagers sprechen für eine reiche Ausstattung in der jüngeren Nutzungsphase im 2. Jh. n. Chr. Ein Vergleich mit gleichzeitigen, ähnlich aussehenden Militärlagern lässt vermuten, dass das Lager nach dem Umbau im 2. Jh. n. Chr. noch als solches von Soldaten genutzt wurde. Das bietet einen weiteren Hinweis darauf, dass auch die Thermenanlage vom Militär errichtet wurde[233].
198Im Bereich des Bades ist besonders der Fund mehrerer einfacher Bruchsteinmauern interessant, die aufgrund ihrer Lage, der Stratigraphie und ihres Aufbaus dem 1. Jh. n. Chr. zugerechnet werden können. Sie sind an die Innenschale des römischen Militärlagers angesetzt und könnten analog zur NO-Ecke einen nach innen gerichteten Turm eventuell in der Südwestecke des Lagers darstellen.
199Die Bruchsteinmauern in Kalkmörtelverbund des 2. Jhs. n. Chr. bilden mehrere Räume, die versetzt zu den Mauern des 1. Jhs. n. Chr. errichtet worden sind. Offenbar wurde die ältere Struktur des Militärlagers im frühen 2. Jh. n. Chr. aufgegeben. Die Funde geben keinerlei Hinweise auf deren Funktion, doch lassen sich aufgrund ihrer Lage Umkleide- und/oder Aufenthaltsräume vermuten. Da diese neu entdeckten Räume außerdem anders orientiert sind als diejenigen mit hydraulischem Mörtel, könnte eine weitere Bauphase im 2. Jh. n. Chr. nachweisbar sein. In die Nachnutzungsphase gehören nur wenige Mauern, von denen zumindest zwei den Anschein einer Reparatur erwecken. Das ließe sich mit den Erkenntnissen der letzten Jahre vergleichen, die Spuren eines zerstörerischen Ereignisses erkennen ließen. Diese strukturellen Zerstörungen deuten auf Erdbebenschäden hin, die möglicherweise in das 3. und/oder 4. Jh. n. Chr. datiert werden können[234]. Für diese Zeit sind in Anatolien zwei Erdbeben nachgewiesen[235], deren Auswirkungen möglicherweise bis nach Boğazköy reichten. Ihre Datierung könnte den erkannten Wechsel in den Bautechniken (vom Mörtel zurück zu Bruchsteinmauern) und Reparaturmaßnahmen sowie die Aufgabe des Gebäudes begründet haben.
D. K.
Ergebnisse der Kampagne 2022
200Die Arbeiten haben in verschiedensten Bereichen des bronzezeitlichen Stadtgebiets erneut neue Daten und Ergebnisse erbracht, die nicht nur für die verschiedenen historischen Entwicklungsstufen des Siedlungsraums Boğazköy bedeutsam sind, sondern auch Beiträge zur vergleichenden diachronen Interpretation liefern und eindrucksvoll das andauernde Forschungspotenzial aufzeigen. Die Arbeiten am hethitischen Stadtmauersystem lassen für die althethitische Zeit überraschende Rückschlüsse nicht nur auf die dynamische Entwicklung der Altstadt (Abb. 98), sondern auch für den Beginn der Aufsiedlung der Oberstadt zu, die auch unter Berücksichtigung eines Radiokarbondatums aus Tempel 8 (Abb. 25) und den Daten vom Westhang der Oberstadt (Abb. 52) eine fließende Stadtentwicklung im 17. und 16. Jh. v. Chr. dokumentieren[236]. Der Nachweis eines potenziellen Kultgeschehens in einem nicht repräsentativen Rahmen in der nördlichen Unterstadt erlaubt Einblicke in einen weiteren, archäologisch bisher unbekannten Aspekt der hethitischen Religionspraxis (Abb. 5. 6. 7. 8. 9). Dagegen bestätigt der Nachweis eines Tempels auf dem Westhang der Oberstadt die offizielle und repräsentative Nutzung dieses Stadtbereichs (Abb. 44. 49).
201Ähnlich wie die Arbeiten auf dem Westhang der Oberstadt eröffnen auch die Ausgrabungen auf dem mittleren Büyükkale-Nordwesthang neue Aspekte der Gesamtsiedlung (Abb. 16. 19). Nicht nur, dass dieser Bereich über die hethitische Zeit hinaus auch in der mittleren Eisenzeit und in der hellenistisch-galatischen Epoche besiedelt war, ist von Bedeutung, sondern auch, dass anhand der Befunde die funktionale Entwicklung in ersten Ansätzen greifbar wird. Bemerkenswert ist unter anderem, dass die ›galatische‹ Siedlung offenbar deutlich größer und komplexer war als bisher angenommen.
202Die Fortführung der Ausgrabungen auf der Büyükkale, auf der Nordwestseite des hethitischen Palasts, haben die früheren Ergebnisse noch übertroffen. Einerseits werden die Ausdehnung und planerische Struktur eines möglicherweise ›palatialen‹ Gebäudes der späten Eisenzeit sichtbar (Abb. 28), dessen Aufgabe und Überbauung Rückschlüsse auf das Ende der Eisenzeit – und im Vergleich zum Ende der hethitischen Zeit auch zum Niedergang staatlicher Systeme allgemein – ermöglicht. Andererseits zeigen die Befunde, dass neben einer Halle, die den oberen Hof polygonal umfasst, auch die Existenz eines noch unbekannten Gebäudes der hethitischen Epoche möglich ist (Abb. 33).
203Eine besondere Überraschung stellt die Entdeckung aufgemalter Hieroglyphen-Inschriften auf beiden Seiten der Yerkapı-Poterne dar (Abb. 61–88). Zwar haben die meisten der Inschriften (A, B, D, E) einen klaren Bezug zu den Bauleuten und der Errichtung des Bauwerks und folgen damit einer Beobachtung, die bereits früher in Kayalıpınar gemacht wurde, aber eine weist unter Umständen auf die hethitische Bezeichnung des Tunnels und des künstlich aufgeschütteten Hügels hin (Inschrift C). Darüber hinaus wird deutlich, dass die anatolischen Hieroglyphen über Siegel- und öffentliche Monumentalinschriften hinaus auch im Alltag eine Rolle spielten.
204Die Ausgrabungen in der nördlichen Unterstadt haben die Befundsituation für die römische Zeit weiterverdichtet. Im Norden wurden die Arbeiten an der Befestigungsanlage des Militärlagers (Abb. 98) so weit abgeschlossen, dass ab 2023 mit Restaurierungsarbeiten begonnen werden kann. Gleichzeitig wurde mit einiger Wahrscheinlichkeit die Südostecke des Lagers erfasst, so dass durch die kommenden Arbeiten die Ausdehnung der militärischen Struktur des 1. Jhs. n. Chr. rekonstruiert werden kann. Eben jene Südostecke wurde im späten 1. und vor allem im 2. Jh. n. Chr. durch ein großangelegtes Bad überbaut (Abb. 101), das die strukturellen Veränderungen der Siedlung bis in das 4. Jh. n. Chr. aufzeigt. Diese Entwicklung zeigt eindrücklich wie die in den ersten Jahrhunderten n. Chr. unter deutlichem römischen Einfluss stehende Region im Laufe des 3. Jahrhunderts deutlich nach lokalen Kriterien gestaltet wurde.
A. Sch.
Supplement
205Ergänzend zu dem Kapitel » Ein Helm des Typs »Montefortino« und eine Schöpfkelle aus Tilkilitepe, nahe Boğazköy« sind unter folgendem Link 3D-Modelle abrufbar: https://doi.org/10.34780/e12d-4ac2
Dank
2062022 wurde in Boğazköy vom 27. Juni bis 19. Oktober gearbeitet. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt unsere Arbeiten im Rahmen einer Auslauffinanzierung des Teilprojekts A sowie mit Restmitteln der DFG-Forschungsgruppe 2757 (Universität Würzburg, LoSAM, < https://www.uni-wuerzburg.de/for2757/losam/ >). Gleichzeitig ermöglichte eine Förderung durch die Gerda Henkel Stiftung den Abschluss der Arbeiten im Bereich der bronzezeitlichen Schichten in der nördlichen Unterstadt. Seit 2022 unterstützt die Fritz Thyssen Stiftung unsere Arbeiten auf dem mittleren Büyükkale-Nordwesthang. Die GRH-Stiftung ermöglichte ausgedehnte geophysikalische Untersuchungen auf dem Oberstadt-Westhang und auf der Büyükkale zur Vorbereitung zukünftiger Forschungen. Eine Kooperation mit der Universität Würzburg ermöglicht Dank der Förderung durch die Volkswagen Stiftung den Beginn von Ausgrabungen auf dem Westhang der Oberstadt im Rahmen des Projekts »Eine interdisziplinäre Strategie für die innovative Weiterentwicklung und langfristige Stärkung des Fachs Altorientalistik an der Universität Würzburg«. Das italienische Außenministerium ermöglicht dank einer Unterstützung den Einsatz modernster Scanmethoden zur Dokumentation insbesondere der komplexen epigraphischen Befunde. Mein Dank gilt all unseren Förderern und Kooperationspartnern, die einen wesentlichen Teil der Forschungen ermöglichen.
207Danken möchte ich ebenso der diesjährigen Vertreterin des Ministeriums für Kultur und Tourismus, Frau H. Aydoğan Güven (Museum Sivas), die durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit unsere Arbeiten wesentlich gefördert hat, sowie allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (s. u.), die die Kampagne durch ihren unermüdlichen Einsatz zu einem Erfolg geführt haben.
208Weitere Informationen über Boğazköy-Ḫattuša im Internet: < https://www.dainst.org/.../-/project-display/48178 >; < https://www.ava.phil.uni-wuerzburg.de/...westhang/ >.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Boğazköy-Expedition 2022
209D. B. Aluçlu, E. Arnold, G. Arslan, N. Atila, S. Baskın, J. Becker, M. Cabalar, M. Can, S. Durdemir, M. Fernandez Poza, B. Genç, A. V. Gorelik, M. Gruber, T. Haller, D. Krüger, T. Örnek, G. Özel, D. C. Özgü, Y. Pekzeren, Y. F. Piraloğlu, Ş. Schachner, N. Yıldız (archäologische Arbeiten); E. Çetinkaya, S. Işık, R. Kahraman, M. Piepenburg (Restaurierung); Ch. Mikeska (Archäozoologie); R. Pasternak (Archäobotanik); M. Ubben (Aufarbeitung römischer Keramik); M. Alparslan, D. Schwemer (Bearbeitung der Keilschriftfunde); L. Repola, D. di Martire, S. Vitale (3D-Dokumentation und geologische Arbeiten); Ö. Sümer (Geologie); M. Drahor, C. Öztürk, M. S. Yağlıdere, B. Kaya (Geophysik).
Kooperationspartner
210T. C. Kültür ve Turizm Bakanlığı, Kültür Varlıkları ve Müzeler Genel Müdürlüğü (Türkei); Museum Çorum; Institut für Hethitologie (Universität Istanbul); Institut für Altertumswissenschaften, Lehrstuhl für Altorientalistik und Vorderasiatische Archäologie (Universität Würzburg); Università degli Studi Suor Orsola Benincasa, Centro Interistituzionale Euromediterraneo (Neapel, Italien); Università Frederico II (Neapel, Italien); Restaurierung und Konservierung FH Erfurt; Dokuz Eylül Üniversitesi Izmir (Department of Geology); Geoim, Izmir.
Abstracts
Zusammenfassung
Die Ausgrabungen in Boğazköy-Ḫattuša 2022
Die Kampagne 2022 markiert einen Übergang zu neuen Bereichen der Erforschung von Boğazköy. Einerseits konnten die Ausgrabungen in der nördlichen Unterstadt in den bronzezeitlichen Zusammenhängen weitestgehend abgeschlossen werden (Beitrag A. Schachner). Das gleiche gilt für die nördliche Befestigungsanlage des römischen Militärlagers (Beitrag D. Krüger). Andererseits wurden neue Forschungsfragen mit Ausgrabungen auf dem mittleren Büyükkale-Nordwesthang (Beitrag A. Schachner), der Büyükkale (Beitrag J. Becker – A. Schachner) und dem Westhang der Oberstadt (Beitrag M. Gruber) in Angriff genommen. Eine unerwartete Überraschung war die Entdeckung von Inschriften anatolischer Hieroglyphen, die auf die Wände der Poterne unter Yerkapı gemalt waren (Beitrag L. Repola – M. Marazzi – N. Bolatti Guzzo – M. Alparslan – A. Schachner – B. Genç). Die Restaurierungsmaßnahmen konzentrierten sich auf den Abschluss der Arbeiten am südlichen Tor der Abschnittsmauer, die Wohnbebauung in der Unterstadt, die Pithoi in den nordwestlichen Depots des Großen Tempels und auf das Gebäude E auf Büyükkale.
Schlagwörter
Ḫattuša, Unterstadt, Büyükkale, Nordwesthang, Oberstadt, Yerkapı, hethitische Zeit, römische Kaiserzeit, Bad, Hieroglypheninschriften
Abstract
The Excavations at Boğazköy-Ḫattuša in 2022
The 2022 campaign marks a transition to new areas of exploration in Boğazköy. On the one hand, the excavations of Bronze Age contexts in the northern Lower City were largely completed (contribution A. Schachner). The same applies to the northern fortifications of the Roman military camp (contribution D. Krüger). On the other hand, new research questions are addressed with excavations on the middle Büyükkale northwest slope (contribution A. Schachner), the Büyükkale (contribution J. Becker – A. Schachner) and the west slope of the Upper City (contribution M. Gruber). An unexpected surprise was the discovery of inscriptions of Anatolian hieroglyphs painted on the walls of the postern under Yerkapı (contribution L. Repola – M. Marazzi – N. Bolatti Guzzo – M. Alparslan – A. Schachner – B. Genç). Restoration activities focused on the completion of the work on the southern gate of the so-called Abschnittsmauer, the residential buildings in the Lower City, the pithoi in the northwestern depots of the Great Temple, and Building E on Büyükkale.
Keywords
Ḫattuša, Lower Town, Büyükkale, Northwest Slope, Upper City, Yerkapı, Hittite period, Roman imperial period, bath, hieroglyphic inscriptions

Grabungen in der nördlichen Unterstadt
Grabungen auf dem mittleren Büyükkale-Nordwesthang
Radiokarbondatierungen aus weiteren Bereichen der Stadt
Büyükkale: Arbeiten am oberen Burghof
Befunde der späten Eisenzeit
Funde der späten Eisenzeit
Befunde der mittleren Eisenzeit
Befunde hethitischer Zeit
Geomagnetische und geoelektrische Prospektionen im Nordwesten des oberen Burghofes
Funde hethitischer Zeit
Radiokarbondatierungen von der Büyükkale
Zusammenfassung und Ausblick
Die Ausgrabungen auf dem Westhang der Oberstadt
Ein hethitischer Tempel in Areal A
Testschnitt östlich des Oberen Westtores (Areal B)
Ausgrabungen an der Stadtmauer (Areal C)
Überblick über die Textfunde der Kampagne 2022
Altassyrische Texte
Hethitische Texte
Zu den hethitischen Verwaltungstexten
Bo 2022/2 = KBo 71.125
Bo 2022/7 = KBo 71.126
Bo 2022/12 = KBo 71.127
Ein hethitischer Krug mit eingeritzter Hieroglypheninschrift
Die Hieroglypheninschriften in der Poterne von Yerkapı ‒ erste Ergebnisse
Die Dokumentations- und Scanarbeiten
Die Arbeiten an Yerkapı
Arbeiten in der Poterne
Identifizierung, Kartierung und Aufnahme der Hieroglypheninschriften
Postprocessing Arbeiten
Die epigraphische Dokumentation und die Analyse der Hieroglypheninschriften
Die Bearbeitung der Orthofotos der Ost- und Westwand der Poterne
Die photographische Dokumentation
Die Inschriften
Typologische Bestimmung der einzelnen Inschriften
Verteilung und Sequenz der Inschriften auf den Poterne-Wänden
Allgemeine Bemerkungen
Die Ostwand
Die Westwand
Offene Fragen und vorläufige Ergebnisse
Preliminary Insights in the Archaeofaunal Remains at Boğazköy-Ḫattuša (2015–2022)
Ein Helm des Typs »Montefortino« und eine Schöpfkelle aus Tilkilitepe, nahe Boğazköy
Strukturen und Befunde der römischen Kaiserzeit im bronze- und eisenzeitlichen Stadtgebiet von Boğazköy
Die Befestigungsanlage des 1. Jhs. n. Chr. im Norden der Unterstadt und Befunde einer hethitischen Stadtmauer
Die kaiserzeitlichen Badstrukturen in der nördlichen Unterstadt
Die hethitischen Mauern
Strukturen des 1. Jhs. n. Chr.
Die Bruchsteinmauern im Kalkmörtelverbund
Die Nachnutzungsphase
Abschließende Betrachtungen
Ergebnisse der Kampagne 2022
Supplement
Dank
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Boğazköy-Expedition 2022
Kooperationspartner
Abstracts