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Eine verbrannte Statue des Odysseus
1Am 12. August 1762 sind neun Porträts, sechs Statuen und einige Reliefs der Uffizien in Florenz verbrannt, die im Osten des ersten »corridoio« der Galleria aufgestellt waren[1]. Zu ihnen gehörte auch eine Statue[2], die in mehreren Zeichnungen (Abb. 1. 2. 3) und einer rundplastischen Nachbildung (Abb. 4) überliefert ist. Sie erlauben eine nähere Auseinandersetzung mit diesem verlorenen Werk und mit der Identität des Dargestellten.
Die bildlichen Nachweise
2Antonio Francesco Gori ließ die Statue 1734 von Michael Sorello nach einer Zeichnung von Giovanni Domenico Campiglia (Abb. 1) stechen, wies auf moderne Ergänzungen hin und benannte sie als einen militärischen Speerschleuderer (»Miles Funditor«), erwog daneben auch die Wiedergabe eines Jägers[3].
3Etwa gleichzeitig ist die Rötelzeichnung eines unbekannten Künstlers im Codex R. Topham der Bibliothek von Eton College (Abb. 2)[4]. Von der Darstellung Campiglias weicht die hier als »Cacciatore« bezeichnete Statue nicht unerheblich ab. Bei geringerer Schattierung ist die Rötelzeichnung flächiger angelegt, worauf aber auch die frontalere Ansicht einwirkte. Der Körper wirkt breiter, fast ungeschlacht kräftig, der Kopf noch kleiner als bei Campiglia und blickt mit stärker gelocktem Kopf- und Barthaar abweichend nach r. unten. Trotz etwas zu kurz geratenem l. Bein ist die ausgreifende Schrittstellung weiter. Die im Stich nur angedeuteten Stiefel sind hier mit gekreuzter Verschnürung ausgeführt. Unter der r. Hüfte hat die r. Hand einen fehlenden Speer umfasst, der geringfügig nach oben gerichtet war, weil ihn die geöffnete l. Hand über der anderen Hüfte hielt. Beides entspricht dem Stich. Die Kleidung ist hier wie dort die gleiche, bei weitgehend übereinstimmenden Falten von der weicheren Kreide aber weniger präzis untergliedert. Schon sie allein beweist die Identität der abgebildeten Statue.
4Die Tracht besteht aus einem von r. Schulter und Arm gefallenem chiton heteromaschalos, der die r. Brust unbedeckt lässt, daneben aus einem Mantel. Er ist auf der r. Schulter gefibelt und über den Rücken zurückgeworfen. Ein Ende des Chitons ist von hinten zum linken Arm vorgezogen, wird in der Armbeuge etwas emporgehoben und fällt dann über den gewinkelten Unterarm nach unten. Hierin stimmen Stich und Zeichnung (Abb. 1. 2) überein. Nur die Rötelzeichnung (Abb. 2) deutet die herabgesunkene kurze Stoffpartie an, welche den Chiton eigentlich auf der linken Schulter halten sollte.
5Einen Gruppenzusammenhang legten die ausgreifenden Bewegungen der verbrannten Statue grundsätzlich nahe. Die wenig nach l. erhobene Waffe begründet vermutlich, warum sie in Renaissance und Barock als Soldat oder als Landmann (»contadino« bzw. »villino«) galt, obgleich ihre Haltung auch stets an einen Jäger erinnerte und sie spätestens seit 1594 neben der sehr qualitätvollen Statue eines Ebers[5] aufgestellt war. 1588 wird sie zu den Statuen, dem Eber und den beiden berühmten Molosserhunden gehört haben, die aus dem Antiquarium des Palazzo Pitti in die Uffizien gelangten. Ihr vorausgehendes Schicksal haben Herbert Keutner[6] und besonders Margaret Daly Davis[7] erschlossen. Unter den stets zumindest normal großen Statuen des Palazzo Pitti beschrieb G. Vasari 1568 eine »altra figura col manto regio in atto di affrontare«, was die Haltung des verbrannten Werks trifft, insofern es bereits ergänzt war, aber auch seine Kleidung, da die Inventare ihre Chlamys noch später einen »manto reale« nannten[8]. Als »contadino« benannt hatte Papst Pius IV. die Statue, den Eber und die beiden Molosserhunde Cosimo I. 1560 in Rom geschenkt. Seinerseits hatte der Papst zumindest die Tierskulpturen in Rom von Paulo Ponti erhalten, von dem sie mit zahlreichen anderen Statuen und Torsen auf dem Esquilin ausgegraben und in seinem Haus an der Strada del Popolo aufgestellt worden waren. Das überliefert Pirro Ligorio[9] und bekräftigt Ulisse Aldrovandi hinsichtlich des Ebers für das Jahr 1550, wobei er aber einen anderen Fundort überliefert[10]. Doch erwähnen weder Ligorio noch Aldrovandi eine Statue oder ihren Rest, der unter den vielen Skulpturen aus Pontis großem Fund mit der verbrannten Statue zu verbinden wäre. Da sie zu dieser Zeit noch nicht ergänzt war, ist das allerdings auch kaum zu erwarten.
61969 erkannte Carl van de Velde die Statue bei seiner Publikation des Frans Floris zugeschriebenen römischen Skizzenbuchs im Baseler Kunstmuseum auf der Zeichnung eines Unbekannten (Abb. 3) wieder, die kurz vor oder um 1540 entstand[11]. In einem kopflosen Torso mit Resten von Armen und Beinen hält sie den antiken Ausgangsbestand ohne spätere Zufügungen fest, bei Beinen und r. Arm allerdings recht vage. Die Beischrift »antich by Campedolie« nennt den seinerzeitigen Aufbewahrungsort in Rom. Einen Zusammenhang mit Pontis Antikensammlung in der Via del Popolo schließt er aus. Wie die Gewandpartie des Chitons vergegenwärtigt, die r. der Hüfte locker herabfällt, war die Studie um eine lebensvolle und bewegte Darstellung bemüht, die den Reichtum der Gewänder besonders betont. Dennoch stimmen die Details der Kleidung so eng mit dem Stich und der Zeichnung des 17. Jahrhunderts (Abb. 1. 2) überein, dass die Rückführung auf ein gemeinsames Vorbild nicht zu bezweifeln ist. Für eine Statue ist der skizzierte r. Arm zu weit nach hinten ausgestreckt. Auch lässt sich die Stoffbahn der Kleidung nicht zuordnen, die von der Hüfte zu ihm emporsteigt. Beachtung verdient der sorgfältiger gezeichnete l. Arm, soweit er erhalten war. Oben hängt der Oberarm neben dem Körper herab. Der verlorene Unterarm war im Ellbogen angewinkelt und wenig erhoben, entsprach den barocken Darstellungen (Abb. 1. 2) also weitgehend. Wie bei ihnen trägt vor allem das weit vor schreitende l. Bein die Last des Körpers. Doch vermag das diagonal gestellte Linke sie ebenfalls abzusichern.
7Etwa ein halbes Jahrhundert älter ist eine rundplastische Wiedergabe. Wie Keutner 1962 sah[12], hat Pier Jacopo Alari Bonacolsi, genannt Antico, das Vorbild Campiglias und der Baseler Zeichnung (Abb. 1. 3) um 1500 bei einer Bronzestatuette aufgegriffen, die das Viktoria- und Albertmuseum in London kurz zuvor erworben hatte (Abb. 4. 5)[13]. Die knapp 31 cm hohe Preziose beansprucht die gesteigerte Aufmerksamkeit des Betrachters, da Haare und Zähne, Gewänder und Sandalen mit ihrem reichen Riemenwerk feuervergoldet sind, die Augen mit Silber eingelegt wurden. Haar und Bart sind der Rötelzeichnung in Eton (Abb. 2) ähnlich, auch der Blick des gesenkten Kopfes, dem Antico aber angemessenere Maße verlieh. Selbst die Sandalen sind einander gut vergleichbar. Eher dem Stich bei Gori (Abb. 1) entspricht der Elan von Körper und Gliedern. Hier ist fast jede Falte von Chiton und Chlamys ebenso wiederholt wie bei dem Torso der Baseler Zeichnung (Abb. 3). Dagegen weichen die Arme der Bronze (Abb. 4) von den Darstellungen des 17. Jahrhunderts (Abb. 1. 2) entscheidend ab. Bei stärker angewinkeltem r. Arm vermag die Faust den hinzugefügten Speer über der r. Hüfte zu fassen. Auf der anderen Seite ist der l. Arm der Bronze unter die Hüfte hinabgesenkt. Die Hand lenkt die Richtung des Stoßes nach unten, wodurch sich ein stimmiges Jagdmotiv ergibt. Die Kopienrezension weist es indessen als Erfindung des Mantuaner Künstlers aus. Der Stich und beide Zeichnungen bezeugen, dass das Ende der Chlamys vom l. Unterarm etwas emporgehoben wurde, um dann steil herabzufallen. Gegenüber der Bronze war die Entfernung zwischen angehobenem Unterarm und Schulter kleiner. Antico vergrößerte sie, indem er einen kurzen Ärmel des Chitons unter dem Überwurf der Chlamys einführte. Er hat r. keine Entsprechung. Unter dem Ärmel begradigte er den Verlauf des vorgezogenen Stoffes, was ein Absenken des l. Unterarms ermöglichte.
8Für das antike Original ist das Thema der Jagd mit nach unten gerichteter Waffe auszuschließen. Sie war so angehoben, wie die im Auftrag Pius IV. oder Cosimo I. erfolgten Ergänzungen es andeuten. Diese orientierten sich am antiken Befund des Torsos, sahen eine direkte Gruppenbildung mit dem Eber aber nicht vor und fügten daher auch keinen Speer hinzu.
Meleager ist es nicht
9Seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert bildeten die verbrannte Statue und der Florentiner Eber eine Gruppe. Zuvor haben bereits Ulisse Aldrovandi und Pirro Ligorio[14] den Eber als das Tier der Kalydonischen Jagd gedeutet, was die Identifikation des Gruppenpartners als Meleager nach sich ziehen konnte. Sie ist vor dem 20. Jahrhundert aber nicht nachzuweisen, zuerst wohl 1960 von Keutner ausgesprochen und angesichts der Londoner Bronze (Abb. 4. 5) von Jennifer Montagu, Anthony Radcliffe, Dieter Blome, Ann Hersey Allison, Phyllis Pray Bober und Ruth O. Rubinstein bestätigt worden[15], wobei Meleagers ähnliche Tat bei Jagddarstellungen auf römischen Sarkophagen einen zusätzlichen Anhalt bot. Doch, wie bereits Allison erkannte[16], ist der Heros auf ihnen und bei Statuen stets nur mit der Chlamys bekleidet, sonst aber nackt. An der Identifikation hielt sie dennoch fest, berief sich aber auf die Beschreibung der Jagd bei dem jüngeren Philostrat[17]. In ihr trägt Meleager einen weißen Chiton, eine rote Chlamys und bis zu den Knien reichendes Schuhwerk. Das entspricht der Statuette gut und erübrigt die kaum zu beantwortende Frage, wen sonst Antico habe darstellen wollen. Da die Ikonographie des Meleagermythos seit dem 15. Jahrhundert relativ gut bekannt war[18], verwundert es dennoch, dass gerade Antico sie nicht berücksichtigte, als er daran ging, einen antiken Torso weitgehend minutiös zu kopieren und zu dem kalydonischen Heros zu ergänzen. Wie dem auch sei, das antike Vorbild kann Meleager nicht wiedergegeben haben.
Die Odysseus-Statue einer Polyphem-Gruppe
10Dennoch lohnt sich ein näherer Blick auf die Sarkophage mit der Darstellung der Kalydonischen Jagd. Hierbei reicht es, die Beispiele zu berücksichtigen, die bereits der Renaissance bekannt gewesen sind[19]. Die jugendlichen Heroen, vor allem Meleager und die Dioskuren, sind bis auf die in den Rücken zurückgeworfene Chlamys nackt. Andere Beteiligte an der Jagd, wie etwa der Steinwerfer, sind mit dem gleichen Mantel und einem Chiton bekleidet, der beide Schultern bedeckt. Als stets wiederkehrende Gestalt trägt nur der bei der Jagd Gestürzte die Chlamys und den gegürteten chiton heteromaschalos, welcher die r. Brust frei lässt, also die Kleidung der verbrannten Florentiner Statue (Abb. 1. 2. 3. 4)[20]. Offensichtlich folgt die jeweilige Tracht einer ethischen Bewertung. Sie erkannte weitgehend Nackten den höchsten Rang zu, den niedrigsten aber den Trägern des Chiton, der von der r. Schulter geglitten ist. Denn diese Tracht bot dem r. Arm größere Bewegungsfreiheit und entsprach hierin dem Arbeitskittel der Hirten, Bauern und Fischer in der Exomis[21]. Von ihnen heben sich die Gestürzten der Sarkophage durch die Chlamys ab, die sie auf ein gehobenes soziales Niveau erhebt.
11In der Rundplastik kommt die Tracht aus chiton heteromaschalos bzw. Exomis und gefibeltem Mantel nur äußert selten vor und, wo zu benennen, regelmäßig wenn auch wieder in sehr geringer Zahl nur bei Odysseus[22]. In der weiteren Kunst ist sie seit dem Hellenismus aber so häufig für ihn belegt[23], dass sie als seine kennzeichnende Kleidung aufzufassen ist, die ihn neben der Filzkappe – auch sie das eigentliche Attribut eines Handwerkers und daher auch des Hephaistos – und neben dem vollen Bart als den vielgewandten, erfindungsreichen und mit Mühen beladenen Helden der Odyssee ausweist. Das berechtigte etwa dazu, die weitgehend zerstörte Front des Helden in der Polyphemgruppe von Sperlonga (Abb. 6)[24] in einer Kleidung zu ergänzen, die der der verbrannten Florentiner Statue (Abb. 1. 2. 3. 4) nahekommt. Eine besser erhaltene und nähere Parallele erbringt der Odysseus des claudischen Nymphäums in Baiae (Abb. 7. 8)[25]. Die Statue zeigt den Helden, wie er Polyphem Wein offeriert. Ihre Ausrichtung, ihre weite Schrittstellung und die Kleidung sind ähnlich. Manche Übereinstimmungen reichen bis in das Detail. So die Art, wie der niedergesunkene Chiton in zwei Zipfeln herabhängt und wie er sich darunter in vor- und zurückgeschlagenen Bahnen über dem l. Oberschenkel öffnet. Hier und da steigen die Falten zum Oberkörper l. steiler auf als r., und im Schritt bilden sich unter dem Gürtel dreieckige Faltensysteme. Da der halbkreisförmige Muschelfraß an den Schultern und die Rückansicht eine gefibelte Chlamys für die Statue in Baiae verbürgen, sichern diese Verbindungen die Identifikation der verlorenen Statue (Abb. 1. 2. 3) mit Odysseus zusätzlich. Darüber hinaus zeichnen sich Verbindungen ab, die sich auch auf das chronologische und künstlerische Umfeld der Polyphemgruppe in Baiae bzw. ihres einstigen Vorbilds erstrecken.
12Starke Abweichungen sind jedoch nicht zu übersehen. Der l. Unterarm der verbrannten Statue (Abb. 1. 2. 3) war nicht vorgestreckt, dem Kyklopen das Weingefäß entgegen zu bieten. Der Mantel ist in Baiae (Abb. 8) über beide Schultern zurückgeworfen und fällt in breiter, in der künstlerischen Ausformung vereinfachter Masse in den Rücken hinab. Die Rückansicht der verlorenen Statue überliefert Antico (Abb. 5). Hier senkt sich die Chlamys nicht bis zu den Knien herab, sondern endet in der Höhe des Chitonsaums. Nach l. ist er in großem Bogen zu dem Ende aufgenommen, das vorne zum Ellbogen vorgezogen ist und in Baiae fehlt. Noch stärker weicht die Rückansicht des Odysseus der Blendungsgruppe in Sperlonga ab[26]. Hier ist die Chlamys in singulärer Weise nur über die r. Schulter nach hinten geworfen, wo sie bis auf den Boden reicht. Sie lässt die l. Körperhälfte unbedeckt. Dazu weichen beide campanischen Statuen in einem nicht unwichtigen Detail ab. Der Kyklop liegt auf ansteigendem Terrain in einer Höhle. Zu ihr schreitet sein Bezwinger in Sperlonga mit angehobenem l. Bein empor. Im Chiton entstehen so Zugfalten zwischen den Beinen, die nach l. ansteigen[27]. Sie kehren bei dem Verführer zum Weintrinken in Baiae wieder (Abb. 7), da seine Plinthe ansteigenden Boden nachahmt. Solche Zugfalten fehlen sowohl der einst Florentiner Statue wie einer Odysseus-Statuette im Vatikan, die die Tracht und die Ausrichtung der zuvor betrachteten Bildwerke in allgemeinen Zügen vereinfachend wiederholt (Abb. 9)[28]. Beide agieren daher auf ebener Erde. Dem verbrannten Werk sehr gut vergleichbar ist gerade die Gewandpartie unter der Gürtung der vatikanischen Statuette. R. und l. fast symmetrisch von gekräuselten Falten flankiert, hängt sie in der Mitte nach unten.
13Die Ausrichtung und die weite Schrittstellung der verlorenen Statue werden von allen Zeugnissen (Abb. 1. 2. 3. 4. 5) bestätigt. Sie sichern die einstige Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Die Kleidung identifiziert den Dargestellten als Odysseus und weist zusätzlich ein Thema der homerischen Odyssee nach. Auf das Abenteuer mit Polyphem weisen die Parallelen hin. Denn auch die Statuette im Vatikan (Abb. 9) streckt dem Kyklopen ein Weingefäß entgegen, in ihrem heutigen Zustand aber nur mit dem l. Arm. Doch sind ihre beiden Arme ergänzt. Wie die Statue in Baiae (Abb. 7. 8) muss sie das Gefäß mit beiden Händen angeboten haben, wenn an diesem Thema festzuhalten ist. Das sah bereits W. Amelung unter Berücksichtigung themengleicher Darstellungen der Flächenkunst[29]. Alle späteren Autoren sind ihm gefolgt[30]. Denn die erhoffte Trunkenheit Polyphems setzt ja ein besonders großes und schweres Gefäß voraus. Bis zum Rand mit Wein gefüllt war es von einer Hand nicht zu halten. Die verlorene Florentiner Statue war hingegen nicht mit einer Gruppe des Weinreichens verbunden. Den l. Arm streckte sie wegen des gesenkten Oberarms nicht vor, und der überlieferte Ansatz ihres r. Oberarms (Abb. 1. 2. 3) ist nicht zur Brust vorgezogen, daher nicht mit einem über den Körper gelegten Arm zu verbinden.
14Nach den Bildzeugnissen (Abb. 1. 2. 3. 4) hielt die verbrannte Statue einen Gegenstand von der Art eines Speeres[31]. Er war in der Richtung ihrer Bewegung nach l. angehoben. Hierin haben die Ergänzungen des 16. Jahrhunderts das Richtige getroffen, die der Stich bei Gori und die Rötelzeichnung in Basel belegen (Abb. 1. 2). Die r. Hand war um den Schaft geschlossen und stieß ihn vorwärts. Die l. Hand am gewinkelt vorgestreckten Unterarm war so nach oben geöffnet, wie die barocken Zeichnungen und Antico es angeben (Abb. 1. 2. 4). Bei dieser Stellung des Arms vermochte sie eine Last mit nach unten gerichteten Fingern nur schlecht zu tragen und nicht zuzustoßen. Die nach oben geöffnete Hand hob die Waffe und richtete sie auf das Ziel aus. Solche Ergänzungen sind von einer Statue des Odysseus zu erwarten, der im Begriff ist, das einzige Auge Polyphems mit dem vorderen Teil und der glühenden Spitze eines Ölbaum-Pfahls zu blenden, auch wenn sie der Aktion bei Homer[32] nicht völlig entspricht. Vor allem ist nicht zu klären, wie die Gefährten des Helden an der Tat zu beteiligen sind. Ihre Statuen sind auf tieferem Gelände beiderseits des sich verdickenden Stammes vorstellbar. Einer besseren Vorstellung steht auch entgegen, dass über die Maße der verbrannten Statue wenig bekannt ist, die Gruppe möglicherweise aus kleinfigurigen Teilnehmern aufgebaut war. Wahrscheinlich ist das nicht, denn dann hätten das die Beschreibungen, insbesondere Gori, angegeben und die vorübergehende Zusammenstellung mit dem großen Eber hätte sich verboten. Auch Vasari scheint zumindest normale Maße zu sichern. Da die Odysseus-Statue in Sperlonga (Abb. 6) nur in Trümmern erhalten ist, fehlt schließlich der Vergleich mit weiteren statuarischen Parallelen aus einer Blendungsgruppe[33]. Eine Replik der Gruppe in Sperlonga hat einst die Villa Hadriana in Tivoli geschmückt, wie erhaltene und z. T. nach Rom gelangte Köpfe der Gefährten beweisen[34]. Dass die verlorene Statue ihnen hinzuzuzählen ist, ist wenig wahrscheinlich, weil sie von ihrem Pendant in Sperlonga zu weit abweicht. Aber die hadrianische Replik weist das Gruppenthema als mehr oder weniger verbreiteten Schmuck eines Tricliniums aus. Trotz relativ guter Überlieferung ist es nicht möglich, die verlorene Statue chronologisch zu bestimmen. Kopf, Körper und Glieder richten sich einheitlich nach l. aus, als bewege sich die Statue vor einem flächigen Hintergrund. Die späthellenistische Einansichtigkeit entspricht den verglichenen Werken der berühmten Bildhauerwerkstatt von Sperlonga.
Abstracts
Zusammenfassung
Eine verbrannte Statue des Odysseus
Henning Wrede
Ein Stich und Zeichnungen des 16. und 17. Jahrhunderts sowie eine Bronzestatuette Anticos überliefern eine ergänzte Statue der Uffizien, die 1762 verbrannt ist. Antik war nur der Torso mit Resten von Armen und Beinen. Die Kleidung identifiziert den Dargestellten mit Odysseus. Ikonographisch nahe verwandt sind Statuen des Odysseus in Baiae, Sperlonga und im Vatikanischen Museum, die ihn in den Szenen des Weinreichens und der Blendung mit Polyphem verbinden. Von beiden Möglichkeiten entscheiden die Reste der Arme, die verlorene Statue auf eine Gruppe zurückzuführen, welche die Blendung des Kyklopen wiedergab.
Schlagwörter
Odysseus, Polyphem, Uffizien, Ikonographie, Skulptur
Abstract
A Burnt Statue of Odysseus
Henning Wrede
An etching and drawings belonging to the 16th and 17th century as well as a bronze statuette with modern restorations by Antico testify to a statue once kept in the Uffizi and destroyed by fire in 1762. The torso and parts of the arms and legs constituted her ancient components. The clothing is enough to identify the torso as Odysseus. Regarding iconography the best comparisons are statues of Odysseus in Baia, Sperlonga and in the Vatican Museums showing the hero offering wine to Polyphemos or blinding his only eye. The remains of the arms indicate that the lost statue belonged to a group depicting the last-named adventure.
Keywords
Odysseus, Polyphemus, Uffizi, iconography, sculpture
Die bildlichen Nachweise
Meleager ist es nicht
Die Odysseus-Statue einer Polyphem-Gruppe
Abstracts