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Zur Chronologie des antiken Thera
Sondagen am Apollon Karneios-Heiligtum und in der Straße 11
Einleitung
1Die Entwicklung der antiken Stadt Thera hat in der Forschung lange Zeit relativ wenig Aufmerksamkeit erfahren. Die Stadt wurde zwar zwischen 1896 und 1902 unter Leitung von Friedrich Hiller von Gaertringen umfassend freigelegt, aber dies erfolgte weitgehend ohne Berücksichtigung der Stratigraphie und ohne Sondagen zur Erforschung der Geschichte.
2Die historische Entwicklung der Stadt wurde stattdessen wesentlich anhand schriftlicher Quellen rekonstruiert, in groben Zügen mit folgenden Eckdaten[1]. Die Stadt wurde im 8. Jh. v. Chr. durch Dorer gegründet. Seit 430/429 v. Chr. war sie Mitglied im Attisch-Delischen Seebund und im 4. Jh. v. Chr. möglicherweise auch Mitglied im zweiten Attischen Seebund. Die Ptolemäer mögen schon zu Beginn des 3. Jhs. v. Chr. auf Thera präsent gewesen sein, als Ptolemaios I. 288/287 v. Chr. den Nesiotenbund übernahm, dem Thera eng verbunden war. In jedem Fall stationierten die Ptolemäer ab 265 v. Chr. auf Thera eine ständige Besatzung mit Garnison und Beamten und bis 146/145 v. Chr. war die Insel einer ihrer wichtigsten Flottenstützpunkte. Ab 145 v. Chr. liegen für rund 120 Jahre kaum historische Quellen vor, aber einige Inschriften werden in diese Zeit datiert, die zumindest die Existenz von Proxenoi und einer wohlhabenden städtischen Elite nahelegen. Am Ende des 1. Jhs. v. Chr. dürfte die Stadt schon in das römische Reich integriert gewesen sein, weil Octavian/Augustus 31/30 v. Chr. mit einem Altar und einer Statue geehrt wurde. Obwohl Thera in der Kaiserzeit zur Provinz Asia gehörte, ist keine dauerhafte oder temporäre Präsenz römischer Beamter inschriftlich oder literarisch nachgewiesen. Inschriften belegen aber weiterhin die Existenz einer finanzkräftigen lokalen Elite, die vor allem im 1./2. Jh. n. Chr. in der Stadt aktiv war und geehrt wurde. Die Ehrung und Verehrung der kaiserlichen Familie ist von der julisch-claudischen bis zur severischen Dynastie inschriftlich bezeugt. Für das 3. Jh. n. Chr. liegen deutlich weniger Zeugnisse vor, aber Thera wurde bis in mittelbyzantinische Zeit in Schriftquellen erwähnt und war sogar Bischofssitz.
3Die meisten freigelegten Bauten und Monumente (Abb. 1) wurden sicher in der hellenistischen oder römischen Zeit errichtet, d. h. in einem Zeitraum von ca. 300/250 v. Chr. bis 200/250 n. Chr. Ferner gab es auch umfangreiche Bautätigkeiten in byzantinischer Zeit. Dagegen lassen sich nur sehr wenige Befunde sicher der archaischen oder klassischen Zeit zuweisen, allen voran Inschriften. Eine differenzierte Datierung und Kontextualisierung innerhalb der großen urbanistischen Ausbauphasen, also etwa innerhalb der archaischen oder hellenistisch-römischen Zeit, ist bislang für kaum einen Bau möglich[2]. Ebenso wenig ist zu rekonstruieren, wie die Stadt in historischen Umbruchphasen transformiert wurde, wie etwa die Ptolemäer den Ort vorfanden, wie sie mit den existierenden älteren Bauten umgingen und welches urbanistische Konzept sie hatten und implementierten. Wann das heute sichtbare Straßennetz angelegt wurde oder wie umfassend Veränderungen in der römischen Kaiserzeit waren, kann allenfalls anhand punktueller Untersuchungen, d. h. anhand stratigraphischer Sondagen, geklärt werden.
4Ziel dieses Artikels ist es, drei Sondagen an zwei zentralen Stellen im antiken Thera zu publizieren, die einen signifikanten Beitrag zur Rekonstruktion der urbanistischen Entwicklung liefern und das Potential selbst punktueller Untersuchungen veranschaulichen. Alle drei Sondagen gehen auf ein Projekt zurück, in dessen Rahmen von 1990 bis 1994 unter der Leitung Wolfram Hoepfners archäologische und architektonisch-urbanistische Grundlagenforschungen im antiken Thera durchgeführt wurden. Den Ausgangspunkt bildete die Überprüfung der verschiedentlich geäußerten These, dass sich das Stadtbild von der archaischen Zeit bis in die Spätantike kaum verändert habe[3]. Zu diesem Zweck wurde ein neuer Plan der Stadt erstellt, zudem wurden mehrere öffentliche und kultische Bauten umfassend untersucht und erstmals auch an verschiedenen Stellen systematisch stratigraphische Sondagen zur Klärung der Chronologie angelegt. Zu den detailliert untersuchten Bauten zählen u. a. die Basilike Stoa (Abb. 1; Nr. 25) an der Agora und das Apollon Karneios-Heiligtum an der »Agora der Götter« (Abb. 1; Nr. 48), die Arno Kose im Rahmen eines von Monika Trümper initiierten und von der Fritz Thyssen Stiftung sowie der Freien Universität Berlin großzügig finanzierten Projekts aufgearbeitet hat. Aus diesem Projekt, das im Folgenden »FU-Projekt« genannt wird, sollen vier Artikel hervorgehen, in denen jeweils die Sondagen an diesen Bauten und die Architektur diskutiert werden. Der vorliegende Beitrag ist der zweite Artikel in dieser Reihe, in dem die Sondagen am Apollon Karneios-Heiligtum sowie in der Straße 11 publiziert werden[4].
5Der erste Teil dieses Beitrags ist dem Apollon Karneios-Heiligtum gewidmet, für das zunächst Forschungsgeschichte, urbaner Kontext, Plan, Identifizierung und Probleme der Chronologie zusammengefasst werden, bevor die Sondage und die in ihr gefundene Keramik ausführlicher analysiert werden. Im zweiten Teil stehen die Sondagen in der Straße 11 im Vordergrund, die nach einer knappen Einleitung zu Straßen in Thera diskutiert werden. Jeder Teil endet mit einer Auswertung, und die wichtigsten Erkenntnisse beider Teile sowie Perspektiven für zukünftige Forschungen werden im abschließenden Fazit mit Blick auf ihren Beitrag zur Rekonstruktion der urbanistischen Entwicklung Theras resümiert.
Apollon Karneios-Heiligtum
Forschungsgeschichte
6Das Heiligtum wurde direkt zu Beginn der großen Grabungen im Jahr 1896 freigelegt und im ersten Band der Thera-Reihe mit einem Plan und mehreren Fotos publiziert[5]. Die Inschriften, die man im Bereich des Komplexes fand bzw. diesem zuwies, wurden in den Inscriptiones Graecae vorgelegt, aber die Inschriftenträger bzw. Monumente wurden nicht detailliert mit Zeichnungen und Fotos erfasst[6]. Auch die Skulpturenfunde, die im Heiligtum und in seinem Umfeld zutage traten, wurden nur summarisch beschrieben und nirgendwo abgebildet.
7Nach der Freilegung wurden für lange Zeit keine weiteren Feldforschungen und Untersuchungen durchgeführt, und das Heiligtum fand insgesamt nur erstaunlich wenig Aufmerksamkeit in der Forschung[7].
8Im Rahmen des FU-Projekts wurde das Heiligtum 1992–1994 sukzessive oberflächig gereinigt, um umfassende Bauforschungen und Vermessungen durchführen zu können. Die Befunde wurden beschrieben sowie zeichnerisch und photographisch dokumentiert. Ferner wurde erstmals ein Steinplan mit Niveauangaben erstellt (Abb. 2) und 1994 ebenfalls erstmals zur Klärung der Chronologie eine Sondage angelegt. Die Ergebnisse sollten ursprünglich zeitnah von Rainer Komp im Rahmen einer Dissertation aufgearbeitet und publiziert werden, was aber aus verschiedenen Gründen nicht realisiert werden konnte.
9Zwischen 2000 und 2006 wurde das »Peripheral Corporate Program (PCP) of South Aegean« durchgeführt, in dessen Rahmen das 21. Ephorat für Prähistorische und Klassische Altertümer ein Projekt zu »Configuration and Emergence of the Archaeological Site of Ancient Thera« realisiert hat. Dabei fanden unter der Leitung von Maya Eustathiou auch umfangreiche und teilweise tiefgreifende Reinigungs- und Aufräumarbeiten im Heiligtum des Apollon Karneios statt[8]. Der Architekt Ioannis Bitis erstellte mit Hilfe der Zeichnerinnen Safiria Gouli und Konstantina Antziletou einen Steinplan des Tempels im Maßstab 1 : 50. Dieser wurde 2006 verkleinert publiziert, zusammen mit einigen Fotos von Antziletou und einem Text, der die vielfältigen neuen detaillierten Beobachtungen kontrastierend der alten Überblicksbeschreibung von Wilhelm Dörpfeld gegenüberstellte[9]. Im Vergleich zu dem Steinplan von 1992–1994 ergeben sich nur wenige Änderungen, die hier in den rekonstruierten Plänen (Abb. 3. 16) und im Text berücksichtigt werden[10].
10Trotz dieser neuen Arbeiten wurde das Heiligtum in jüngeren Untersuchungen und Handbuchbeiträgen zu frühen griechischen Heiligtümern auf den Kykladen oder in Griechenland generell nicht erwähnt[11].
Urbaner Kontext
11Das Apollon Karneios-Heiligtum liegt an der Südspitze der antiken Stadt Thera, die sich als Sporn mit an drei Seiten steil abfallenden Hängen über dem Meer erhebt (Abb. 1). Auf der dem Wind abgewandten Südwestflanke des Berggrates flacht sich der Felsen ab, so dass hier ein ca. 23 m breiter und 90 m langer Platz angelegt werden konnte. Diese »Festplatz« genannte Fläche war von Nordwesten über die Hauptstraße der Stadt zugänglich und präsentiert sich heute folgendermaßen[12]: Der Platz wird im Nordwesten von dem sog. Polygonalmauerbau (Abb. 1; Nr. 47), im Norden vom Heiligtum des Apollon Karneios (Nr. 48) und im Nordosten vom Altar des Heiligtums (Nr. 50) flankiert sowie im Südwesten von einer mächtigen Terrassenmauer (Nr. 52) abgestützt. Auf der Terrasse unterhalb dieser Mauer befindet sich das Gymnasion der Epheben (Nr. 53–57). Die verschiedenen Bauten werden zwar unterschiedlichen Ausbauphasen der Stadt zugewiesen, aber die Chronologie ist bislang nicht in allen Details zu klären und Phasenpläne sind nicht vorgelegt worden.
12In groben Zügen ist folgende Abfolge zu rekonstruieren[13]: Zu den frühesten Resten gehören zahlreiche in den Fels gravierte Inschriften mit Namen von Göttern und Personen, die in die Zeit vom 7. Jh. bis ins 6. Jh. v. Chr. datiert werden, sowie in den Fels gehauene Votivnischen. Wegen dieser Inschriften wird der Platz als »Agora der Götter« bezeichnet. Zahlreiche Inschriften und Nischen wurden aber überbaut, als man den Polygonalmauerbau errichtete und den Festplatz mit der hohen Terrassenmauer (Nr. 52) im Südwesten begrenzte und partiell durch Aufschüttungen nivellierte. Beide Maßnahmen werden, wie auch der Bau des Apollon Karneios-Heiligtums, gewöhnlich in die archaische Zeit datiert, ohne dass sich der Zeitraum aber sicher präziser eingrenzen ließe; für den Polygonalmauerbau und die Terrassenmauer ist eine spätere Datierung in die klassische Zeit durchaus denkbar, wenn nicht sogar wahrscheinlicher. Das Ephebengymnasion wurde wohl erst in der hellenistischen Zeit errichtet und in der römischen Kaiserzeit aus- und umgebaut.
Plan
13Das Apollon Karneios-Heiligtum besteht aus einem langrechteckigen Komplex von 34,45 m × 9,15–12,80 m (Abb. 2. 3)[14]. Die beiden langen Außenmauern des Baus laufen nicht geradlinig durch, sondern verspringen partiell im Nordwesten und Südosten, um zusätzliche Räume (Abb. 2; Nr. 2. 3) und breitere Räume (8) zu integrieren. Der Komplex ist von der südlich gelegenen »Agora der Götter« über einen breiten Eingang mit erhaltener Schwelle zugänglich, der in einen großen Hof (6) führt. An der Nordostseite des Hofs befindet sich eine 6,10 m × 1,55 m große und ca. 3 m tiefe rechteckige Zisterne, die mit Steinbalken bedeckt war. Der Hof fungierte als Verteilerraum mit Türen nach Südosten und Nordwesten. So führten zwei Türen nach Nordwesten zu Raum 4, der mit einem nach Nordosten geneigten Marmorsplitterboden ausgestattet war (Abb. 4. 5). Die Ausstattung und das Wassermanagement des gesamten Komplexes (s. u.) legen nahe, dass dieser Raum nicht überdacht war. Von Raum 4 gelangte man einerseits zum wichtigsten Teil des Heiligtums, Raum 1a/b, der wohl durch eine kaum erhaltene Mauer in einen Vorraum (Pronaos 1b) und Hauptraum (Naos 1a) unterteilt war (Abb. 4). Der Hauptraum war vermutlich mit vier im Quadrat aufgestellten Stützen versehen, die das Dach gestützt haben mögen. Andererseits gelangte man in der Nordecke von Raum 4 zu einem ca. 1 m engen Gang (5), der um den Pronaos und den Naos im Nordosten und -westen herumführte. Zwei enge Türen verbanden den Naos 1a mit zwei kleinen, höher gelegenen Räumen im Südwesten (2 und 3). Schließlich gelangte man von Hof 6 nach Südosten in Raum 7 und über diesen in Raum 8 (Abb. 5). Nordöstlich der Ostfassade (M1a, M1aa, M1b, M1c) sind auf der Höhe des Hofs 6 Reste einer weiteren parallel verlaufenden Mauer (M2) dokumentiert worden, die eine ca. 2,80 m breite Terrasse begrenzte und stützte. Weiter nördlich sind die Reste einer stark verstürzten Stützmauer (M3) erhalten, deren Zusammenhang mit M2 aber nicht mehr zu ermitteln ist.
14Raum 6 wurde einhellig als Hof gedeutet[15]. Während Raum 4 ursprünglich als Pronaos und Raum 1a/b als Naos identifiziert wurde[16], haben Eustathiou und Bitis für Raum 1 überzeugend eine Unterteilung in Pronaos (1a) und Naos (1b) vorgeschlagen, in dem vermutlich eine Kultstatue stand[17]; Raum 4 wurde als unüberdachter Raum gedeutet[18], aber warum es zwischen dem Hof 6 und dem Pronaos 1a einen weiteren abgeschlossenen Hof gab, muss offenbleiben, zumal in keinem der beiden Höfe ein Altar gefunden wurde, also keiner der beiden nachweisbar für spezifische kultische Aktivitäten wie Opfer genutzt wurde. Für die Räume 7 und 8 wurde eine Nutzung als Wohnung der Priesterschaft, als Magazinräume oder als Schrein für Asklepios vorgeschlagen[19], und für die kleinen Räume 2 und 3 die Funktion als Schatzkammern[20].
15Man kann vorsichtig festhalten, dass der Komplex durch den Verteilerhof in zwei unterschiedliche Bereiche unterteilt wurde – den »inneren sakralen« Bereich mit Vorhof 4, Pronaos 1b und Naos 1a sowie den vielleicht eher funktionalen, profaneren Bereich mit der Raumgruppe 7–8. Beide Bereiche waren aber durch das Wassermanagement des Baus konzeptionell und funktional verbunden[21]. Das Wasser vom Dach des Pronaos und Naos wurde in ein in den Felsen gehauenes Becken geleitet, das direkt westlich der Südecke des Pronaos lag (Abb. 2. 3). Von diesem Becken führte eine in den Felsen eingetiefte Rinne zu einem Setzbecken in der Westecke des Hofes 6, und von dort über einen unterirdischen Kanal direkt in die Zisterne.
16Ein Altar, der für ein griechisches Heiligtum zentral ist, wurde nur außerhalb des Komplexes identifiziert, südöstlich von Raum 7 (Abb. 3). Anhand des erhaltenen Fundaments und der dem Altar zugewiesenen Quader kann er als ein Antenaltar von 3,85 m × 6,20 m Größe rekonstruiert werden, dessen Zugangstreppe sich auf die »Agora der Götter« öffnete. Der Altar ist auffällig abweichend vom Heiligtum des Apollon Karneios orientiert, aber ungefähr parallel zur Großen Terrassenmauer angelegt. Er könnte für zwei Heiligtümer verwendet worden sein: das Heiligtum des Apollon Karneios und den Polygonalmauerbau, der möglicherweise als Tempel für Zeus fungierte[22].
Identifizierung
17Die Verehrung des Apollon Karneios in Thera ist über literarische und epigraphische Quellen belegt[23]. Eine berühmte Passage im hellenistischen Apollonhymnos des Kallimachos[24] besagt, dass Karneios zuerst in Sparta beheimatet war und dann zur Gründung nach Thera und von dort schließlich nach Kyrene übertragen wurde, als Thera wiederum diese Stadt 631 v. Chr. gründete. Daraus müsste man folgern, dass dieser Kult eigentlich schon vor 631 v. Chr. in Thera implementiert war.
18Das älteste direkte Zeugnis für die Existenz des Karneiosfestes und damit auch des Apollon Karneios überhaupt auf Thera stammt aber erst aus der ersten Hälfte des 5. Jhs. v. Chr. Es handelt sich um die sog. Aglotelesinschrift[25], die jedoch nicht auf dem Stadtberg selbst, sondern jenseits der Sellada an der Zoodochos Pege in den Felsen geschrieben worden ist. Verschiedene Inschriften, die Statuenweihungen an Apollon Karneios dokumentieren und die Existenz eines Priesters des Apollon Karneios belegen, werden alle erst in die späthellenistische Zeit oder frühe Kaiserzeit datiert[26].
19In einer neuzeitlichen Tenne, die sich noch bis 1896 über dem Marmorsplitterboden des Raumes 4 des Apollon Karneios-Heiligtums erstreckt hatte, wurde eine Inschrift aus dem 1. Jh. v. Chr. verbaut gefunden, die die Weihung der Statue eines Neokoros an die Götter durch den Priester des Apollon (Karneios) Theokleidas (Sohn des Admetos) dokumentiert[27]. Weitere Inschriften wurden sowohl in der Tenne als auch in der Zisterne in Hof 6 freigelegt, die öffentliche Dokumente sowie Votive und private Weihungen umfassen[28].
20Drei Basen wohl von Statuen wurden schon im 19. Jh. in einer Schlucht östlich unterhalb des Apollon Karneios-Heiligtums entdeckt; es handelt sich um die Schlucht Tu Kywukliu unterhalb der Evangelismos-Kapelle (Abb. 1; Nr. 39). Es wurde angenommen, dass diese Basen ursprünglich im Apollon Karneios-Heiligtum aufgestellt waren und irgendwann nach der Auflassung des Heiligtums den Hang hinabgerollt sind[29]. Diese These erhärtet sich, weil dieselbe Person, Asklepias, Tochter des Dorotheos, sowohl eine der Statuenbasen aus der Schlucht als auch eine Statuenbasis aus der Zisterne zusammen mit anderen aufgestellt hat[30].
21Alle genannten beschrifteten Objekte könnten ursprünglich im Apollon Karneios-Heiligtum aufgestellt worden sein, etwa in den Höfen 4 und 6 oder auch in einem der geschlossenen Räume (etwa 7 oder 8). Sie belegen, dass das Heiligtum bis in die Kaiserzeit frequentiert wurde und eine gewisse Bedeutung hatte, weil hier möglicherweise öffentliche Dokumente aufbewahrt und präsentiert und Statuen von privaten Personen wie vom Demos geweiht wurden.
Chronologie
22Obwohl die gerade erwähnten Inschriften die Nutzung des Heiligtums bis in die Kaiserzeit bezeugen, fehlen bislang eindeutige Belege für die Bauzeit des Heiligtums. Ein Gewichtsstein, der in der Zisterne gefunden und paläographisch ins 6. Jh. v. Chr. datiert wurde[31], könnte zwar durchaus im Heiligtum genutzt, aber auch zu einem späteren Zeitpunkt dorthin gebracht worden sein.
23Für die Bauzeit des Heiligtums fehlen sichere archäologische und schriftliche Belege. In der Forschungsliteratur ist das Heiligtum gewöhnlich wegen der Typologie und des Mauerwerks in die archaische Zeit datiert worden, aber eine präzisere chronologische Einordnung ist derzeit nicht möglich. Es ist nicht zu klären, ob das Heiligtum bereits vor der Gründung Kyrenes , d. h. spätestens um die Mitte des 7. Jhs. v. Chr. errichtet wurde[32]; oder erst im 6. Jh. v. Chr.[33]; oder erst zu Beginn des 5. Jhs. v. Chr., kurz bevor die Aglotelesinschrift (IG XII 3 Suppl., 1324) graviert wurde, als vermutlich der Festplatz nivelliert und der Polygonalmauerbau über älteren Inschriften gebaut wurde; oder zu einem noch späteren Zeitpunkt.
24Der Kern des Heiligtums mit den Räumen 1a/1b kann mit den sog. Oikos-Tempeln verglichen werden, die in der griechischen Welt von der Mitte des 8. Jhs. v. Chr. bis zum 6. Jh. v. Chr. besonders populär waren, aber auch noch deutlich später errichtet wurden[34]. Die an der Front geschlossenen Oikos-Tempel waren bevorzugt langrechteckig und wiesen ein bis drei Räume auf. Das gewöhnlich flache Dach konnte von Stützen getragen werden. Im 6. Jh. v. Chr. häuften sich Satteldächer.
25Typologische Vergleiche legen folglich nahe, dass das Apollon Karneios-Heiligtum durchaus schon im 7. Jh. v. Chr. entstanden sein könnte, aber sie können diese Datierung nicht sicher erhärten. Oikos-Tempel sind gewöhnlich freistehende Bauten und nicht integriert in Komplexe mit Höfen und mehreren Räumen, wie es das Apollon Karneios-Heiligtum darstellt[35]. Kleine Räume seitlich am Oikos-Tempel sind ebenfalls sehr selten[36], auch wenn ihr Vorhandensein im Karneios-Heiligtum mit der spezifischen topographischen Situation, d. h. der Nutzung von Restterrain zwischen Felsen und Naos, erklärt werden kann. Eine hypothetische Rekonstruktion des Heiligtums veranschaulicht, wie ungewöhnlich es sich in seinem letzten fassbaren Zustand präsentierte, gerade auch im Vergleich zum benachbarten Polygonalmauerbau sowie im Verhältnis zum Antenaltar, dessen Zugänglichkeit und Sichtbarkeit durch den südlichen Teil des Apollon Karneios-Heiligtums maßgeblich beeinträchtigt wurden (Abb. 6).
26Einzelne Elemente am Bau sind als spätere Ergänzungen identifiziert worden, allen voran der Marmorsplitterboden in Raum 4, der einhellig in die hellenistische Zeit datiert wurde[37]. Aber darüber hinaus ist die Baugeschichte des Komplexes nicht näher untersucht worden, obwohl etwa auch die große, mit Steinbalken gedeckte Zisterne in Hof 6 eindeutig in die hellenistische Zeit oder später zu datieren ist. Vergleichbare Zisternen wurden in verschiedenen Bauten des hellenistischen und römischen Thera gefunden[38].
27Eine zentrale Rolle bei der Datierung spielt das Mauerwerk, das sich besonders gut im Bereich der östlichen Umfassungsmauer (Abb. 2; Nr. M1a. M1aa. M1b. M1c) sowie der Westmauer der Räume 1a/1b erhalten hat. Die Datierung antiker Mauern basierend auf Material und Technik ist umstritten, allen voran für vermeintlich ›altertümliche‹ Typen wie Polygonalmauerwerk. Markant unterschiedliche Typen an demselben Bau können dennoch zumindest auf unterschiedliche Zeitstufen bzw. Phasen hinweisen. Die Mauern des Apollon Karneios-Heiligtums können hier nicht detailliert diskutiert werden[39], aber auffällige Unterschiede in der Machart der östlichen Umfassungsmauer haben Anlass zu der weiter unten diskutierten Sondage gegeben. Sie sind auch bereits von Eustathiou und Bitis erwähnt worden, die diese Unterschiede auf Unebenheiten im Terrain, unterschiedliche statische Anforderungen im Bereich der Zisterne oder allenfalls auf Reparaturen, nicht aber auf verschiedene Bauphasen zurückführten[40].
28Die östliche Umfassungsmauer fungierte von Norden nach Süden als Ost-Mauer des Gangs 5, des Raums 4 und des Hofs 6 sowie dann mit Versprung nach Osten als Begrenzung des Raums 8 (Abb. 2. 3). Nur auf der Höhe von Raum 8 hat diese Mauer sicher ein Dach gestützt und muss entsprechend hoch gewesen sein; in allen anderen Teilen ist sie als Brüstungs- oder Begrenzungsmauer ungewisser, aber potentiell niedriger Höhe denkbar (Abb. 6). Von Norden nach Süden umfasst diese Mauer folgende Macharten (Abb. 7. 8):
  • M1a: Der nördlichste Abschnitt der Umfassungsmauer besteht auf ca. 5,80 m Länge aus drei großen Blöcken, die auf einem kleinteiligen Bruchsteinfundament (Oberkante bei +326,33 m ü. M.) ruhen, das auf den anstehenden Felsen gegründet ist.
  • M1aa: Auf einer Länge von ca. 10,50 m, bis etwa zur Nordecke von Raum 4, besteht die Mauer aus mittelgroßen polygonalen Bruchsteinen, die auf den Felsen gesetzt sind. Dieser Teil war bereits bei der Freilegung gestört bzw. partiell verstürzt (Abb. 8. 9).
  • M1b: Auf der Höhe des Raums 4 schließt sich ein 6,50 m langes Mauerstück aus grob rechteckig geschlagenen mittelgroßen Bruchsteinblöcken an, die in Lagen unterschiedlicher Schichthöhe versetzt worden sind (Abb. 9. 10). Es endet auf Höhe der nordwestlichen Schmalseite der Zisterne in Hof 6. Der anstehende Fels wurde in diesem Abschnitt nicht freigelegt.
  • M1c: Die Mauer setzt sich auf einer Länge von ca. 6,90 m geradlinig fort, springt dann um 1,30–1,60 m nach Osten vor und läuft auf einer Länge von ca. 6,50 m bis zur Südost-Ecke des Heiligtums fort (Abb. 10. 11). Die Mauer ist aus deutlich größeren, polygonal zugeschnittenen Rohbossenblöcken gemacht, die mit engem Fugenschluss sorgfältig gefügt sind[41]. Die größeren Blöcke ruhen auf einem Fundament aus kleinteiligen Bruchsteinen (Oberkante +325,55–325,70 m ü. M.), das tiefer als das Bruchsteinfundament von M1a liegt. Zwischen den Abschnitten M1b und M1c gibt es keine klare vertikale Fuge, sondern M1c greift abgetreppt auf M1b über (Abb. 10). Im Bereich von M1c wurde der anstehende Fels im 19. Jh. nicht freigelegt. An der Nord- und Ostecke von Raum 8 sind an den Blöcken der aufgehenden Mauer M1c Ecklehren in Form von Randschlägen angebracht (Abb. 11).
29M1a ist eindeutig als Eckmauerwerk zu identifizieren, dessen massive sichtbare Blöcke vermutlich eine repräsentative Wirkung hatten. Die Abschnitte M1aa und M1b sind deutlich kleinteiliger gestaltet und unterscheiden sich durch die polygonale versus rechteckige Form der Blöcke. Der auffälligste Wechsel im Mauerwerk ist zwischen den Abschnitten M1b und M1c zu beobachten, der etwa an der Nordecke von Hof 6 liegt. Die solidere Bauweise könnte man im Bereich des Hofs mit dem Wasserdruck in der unmittelbar benachbarten Zisterne[42] und im Bereich von Raum 8 mit der Existenz eines Dachs begründen; die Mauern M1a, M1aa und M1b mussten dagegen allenfalls Aufschüttungen für Hof 4 und Gang 5 abstützen. Da das FU-Projekt die Zisterne aber als hellenistisch identifiziert hat, stellte sich die Frage, ob die markante Differenz zwischen M1b und M1c chronologische Gründe hat und auf unterschiedliche Bauphasen zurückzuführen ist. Deshalb wurde gegen die Außenseite von Abschnitt M1c auf der Höhe der Zisterne eine Sondage angelegt.
Sondage 1994 A
30Im Bereich der Vorterrasse, die von den Mauern M1c und M2 begrenzt wird, wurde 1994 auf der Höhe der Zisterne eine Sondage (1 m NW-SO × 2,80 m NO-SW) angelegt (Abb. 12. 13). Die Stützmauer M2 ist aus Bruchsteinen gemacht und nur auf einer Länge von ca. 8,20 m zu verfolgen[43]. In diesem Bereich war auf eine ungestörte Stratigraphie mit antiken Schichten zu hoffen, während die Vorterrasse weiter nördlich und weiter südlich deutlich mehr von Erosion betroffen war (Abb. 8).
31Die Sondage erreichte eine Tiefe zwischen 90 und 150 cm von der Geländeoberfläche, die größte zu Füßen der Mauer M1c, bei der die Unterkante des Fundaments auf dem Felsen erreicht wurde (Abb. 13). Die Sondage wurde von Rainer Komp durchgeführt[44]. Gegraben wurde in künstlichen horizontalen Abhüben von 2–9 cm Stärke, wobei versucht wurde, mit den jeweiligen Abhüben nicht verschiedene Straten gleichzeitig zu schneiden. Das ist leider nicht immer gelungen, was bei der chronologischen Auswertung der Funde berücksichtigt wurde.
32Das Fundamentmauerwerk der Mauer M1c setzte bei +323,99 bis +324,15 m ü. M. auf dem anstehenden Felsen auf. Das Fundament besteht aus einfachem, kleinformatigem Bruchsteinmauerwerk mit großen Lücken in den Fugen. Es ist nicht auf Sicht gearbeitet und reicht an dieser Stelle bis ca. +325,55–325,66 m ü. M. hinauf. Erst auf diesem Niveau setzt das sorgfältig gefügte aufgehende Polygonalmauerwerk ein (Abb. 13).
33Fast alle ausgegrabenen Schichten (II–VII, IX, X) lehnen gegen das Fundamentmauerwerk und müssen deshalb zum Verfüllungsprozess der Vorterrasse gehören. Von unten nach oben wurden folgende Schichten identifiziert, die hier in der Reihenfolge aufgeführt werden, in der sie eingebracht wurden (Abb. 14. 15):
  • XI: Eine Schicht aus roter fester Erde mit einer Konzentration von Steinen im unteren Teil wurde nur im westlichen Teil freigelegt, wo die Sondage am tiefsten angelegt war. Die Schicht bedeckte den Felsboden und reichte nur bis zur Unterkante des Fundaments von M1c hinauf. Im Stratum wurden Keramikfragmente gefunden, die einen deutlichen Schwerpunkt im 4./3. Jh. v. Chr. haben und einen Terminus post quem im frühen 3. Jh. v. Chr. liefern.
  • Bau der Mauer M1c.
  • VI: Eine Schicht aus Bims und Schotter wurde gegen den untersten Teil des Fundaments von M1c geschüttet. Sie enthielt Keramikfragmente, die von ca. 650 bis 550 v. Chr. zu datieren sind.
  • X: Ein fundleeres Stratum aus Sand mit Steinen wurde nur im östlichen Teil gefunden und wohl von der Schicht VIII geschnitten (deutlicher beobachtet im Südprofil als im Nordprofil). Es bedeckte vermutlich die Schicht XI und wurde gegen Stratum VI geschüttet.
  • IX: Eine Steinpackung bedeckte im Nordprofil vollständig das Stratum X, während sie im Südprofil nur noch eine Linse bildete; in dieser wurde nur wenig Keramik gefunden, darunter ein Wandfragment, das in den Zeitraum vom späten 7. bis in die erste Hälfte des 6. Jhs. v. Chr. datiert wird.
  • VII: Eine Schicht aus Sand mit kleinen Steinen, die Ähnlichkeit mit den Straten VI und II hat, wurde über Schicht IX eingebracht und schloss oben ungefähr bündig mit Schicht VI ab. Die Keramik dieser Schicht konnte nicht berücksichtigt werden, weil die Schicht in Abhub 7 nicht sauber von anderen Straten getrennt wurde.
  • IV/V: Eine Schicht aus Steinen mit Sand im westlichen Teil (IV) und mit deutlich mehr Steinen im östlichen Teil (V) bedeckte die Schichten VI und VII. Beide Schichten wurden beim Graben mit Abhüben (4 und 5) nicht klar erkannt und die Keramik wurde entsprechend nicht separiert; sie kann deshalb für eine chronologische Auswertung nicht berücksichtigt werden.
  • Bau der Mauer M2/VIII: Eine Schicht (VIII) aus festem hellen Sand mit Steinen füllte den Fundamentgraben, der für den Bau der Mauer M2 nachträglich angelegt wurde, wobei er dann die Schichten X, IX, VII und V durchschnitt; die Grabenfüllung VIII schließt oben bündig mit der Schicht V ab. Es wurde nur wenig Keramik gefunden, darunter wohl ein geometrisches Wandfragment und ein archaisches Randfragment.
  • II/III: Eine Schicht aus Sand mit mittelgroßen (II) und kleinen (III) Bimssteinen erstreckte sich von M1c bis M2 und bedeckte die Schichten IV, V und VIII. Während in Stratum II spätarchaische Scherben gefunden wurden, enthielt Stratum III hellenistische Scherben.
  • I: Humus.
34Es ist deutlich, dass die Schichten VI, X, IX, VII, IV und V wohl gleichzeitig eingebracht worden sind. Es handelt sich um sandige Schichten, bei denen jeweils die Zahl und Dichte der Steine variierte; so bestanden V und IX wesentlich aus Steinen. Da in der untersten Schicht XI hellenistische Keramik gefunden wurde, sind die Keramikfragmente des 7./6. Jhs. v. Chr. aus den darüber liegenden Schichten IX, VI und II als residuale Stücke zu deuten, die durch die Verlagerung von altem Siedlungsschutt in die Auffüllung der hellenistischen Vorterrasse gelangten.
35Das antike Laufniveau über den Straten IV und V dürfte wegerodiert sein. Die Schichten liegen nämlich 70–80 cm unter dem auf Sicht gearbeiteten aufgehenden Polygonalmauerwerk von M1c. Am heute sichtbaren Teil von M1c ist deutlich eine durchgehende, leicht nach Norden hin abfallende Lagerfuge zwischen dem Bruchsteinmauerwerk des Fundamentes und dem Polygonalmauerwerk des Aufgehenden von M1c zu sehen; entsprechend wäre das antike Laufniveau bei ca. +325,66 m ü. M. im Süden und mindestens +325,50 m ü. M. weiter nördlich zu rekonstruieren (Abb. 7).
36Wann die Mauer M2 im Verhältnis zu M1c errichtet wurde, ist unklar, weil die Fundamentgrabenverfüllung ebenfalls nur residuale archaische Keramik enthielt. Die Stratigraphie legt nahe, dass zwischen der Errichtung der Mauern einige Zeit verstrichen ist, weil der Fundamentgraben für M2 in die Füllschichten VI, X, IX, VII, IV und V einzuschneiden scheint. Da diese Füllschichten aber keine ersichtliche Neigung von Westen nach Osten zeigen, die auf Erosion hinweisen würde, müssen sie von Anfang an eine Begrenzung im Osten gehabt haben. Der Befund ist folglich am ehesten so zu erklären, dass M2 schon existierte, als man die Füllschichten VI, X, IX, VII, IV und V einbrachte, und dass M2 dann repariert wurde, bevor man die Schichten II und III einfüllte. Der heutige Zustand von M2 und vor allem von M3 belegt, dass diese in den steilen Hang gebauten Stützmauern besonders von Erosion betroffen waren und möglicherweise schon in der Antike mehrfach repariert werden mussten. Die Sohle von M2 wurde bei einer Tiefe von +324,00 m ü. M. noch nicht erreicht, mag aber der Form des Fundamentgrabens nach bei ca. +323,60 m ü. M. gelegen haben.
37Die Straten II und III mit residualer archaischer und hellenistischer Keramik liegen noch ca. 20–30 cm unterhalb des aufgehenden Mauerwerks von M1c. Weitere antike Füllschichten der Terrasse dürften erodiert sein, über M2 hinunter, dessen erhaltene Oberkante heute ungefähr bündig mit den Schichten II und III abschließt (Abb. 12).
Auswertung
38Die Sondage 1994 A hat signifikante Bedeutung für die Baugeschichte des Apollon Karneios-Heiligtums. Sie belegt, dass die Mauer M1c und mit dieser der Hof 6 sowie die Räume 7 und 8 nicht vor der hellenistischen Zeit errichtet worden sind. Die aussagekräftige Keramik aus der Schicht XI liefert einen Terminus post quem im frühen 3. Jh. v. Chr., d. h. Baumaßnahmen im Heiligtum könnten erfolgt sein, nachdem die Ptolemäer in Thera eine Flottenbasis eingerichtet hatten.
39Die offiziellen Inschriften, die im Heiligtum gefunden bzw. diesem zugewiesen wurden, sprechen eher für eine hellenistische Datierung, vielleicht um die Mitte oder in der zweiten Hälfte des 3. Jhs. v. Chr.[45]. Aber die verschiedenen Ehrenstatuen, die hier möglicherweise im 1. Jh. v. Chr. bis 1. Jh. n. Chr. aufgestellt wurden, belegen zumindest die Popularität des Heiligtums im späten Hellenismus und in der frühen Kaiserzeit. Elemente wie der Marmorsplitterboden in Raum 4 und die Zisterne in Hof 6 sind mit beiden Datierungen kompatibel.
40Da die Differenz zwischen den Mauertechniken von M1b und M1c im FU-Projekt als Ergebnis unterschiedlicher Bauphasen gedeutet wurde (Abb. 7. 10), wobei das Mauerwerk M1b älter als das deutlich sorgfältigere und aufwendigere Mauerwerk von M1c ist, stellt die hellenistische oder frühkaiserzeitliche Datierung zugleich einen Terminus ante quem für die erste Bauphase des Heiligtums dar. Folglich lassen sich Überlegungen zum ursprünglichen Plan desselben anstellen. Dies kann hier nicht in der gebotenen Ausführlichkeit erfolgen, weshalb einige wenige vorläufige Bemerkungen genügen müssen[46].
41Wenn die Mauerabschnitte M1a, M1aa und M1b der östlichen Umfassungsmauer zur ersten Bauphase gehörten, dann kann das Heiligtum als Komplex mit Pronaos und Naos (1a/b), kleinem Vorhof (4) und Haupteingang im Süden (Abb. 16) rekonstruiert werden. Der Gang 5 wäre bereits vorhanden gewesen und hätte möglicherweise als Nebeneingang von der Hauptstraße im Nordwesten dienen können. Die Räume 2 und 3 wurden von Anfang an auf verfügbarem Restterrain errichtet und mit dem Raum 1a über Türen verbunden, auch wenn ihre Trennmauern an die Südwestmauer von 1a anstoßen. Der Antenaltar an der »Agora der Götter« hätte zwar nicht dieselbe Orientierung wie der Oikos-Tempel aufgewiesen, aber in einer Achse mit diesem gelegen; ferner hätte es zwischen Altar und Oikos-Tempel eine deutlich bessere Sichtverbindung gegeben als nach dem erweiternden Umbau in Phase 2 (Abb. 17). Die Frage, wann genau das ursprüngliche Heiligtum errichtet wurde, lässt sich auf diese Weise allerdings nicht klären, weil dies weitere stratigraphische Grabungen in dem hier rekonstruierten Bereich des ersten Heiligtums erfordert[47].
42Für die hellenistische Aus- und Umbauphase ergeben sich zahlreiche interessante Perspektiven, die in Zukunft weiter erforscht und kontextualisiert werden können[48]. Die Erweiterung des Heiligtums um einen großen Hof mit Nebenräumen bot Raum für neue Aktivitäten, wie etwa die Aufstellung von Dokumenten und Statuen, oder auch für die Bedürfnisse der – zumindest ab dem 1. Jh. v. Chr. sicher nachgewiesenen – Priester. Die nobilitierende Pflasterung von Raum 4 differenzierte visuell zwischen Hof 6 und Hof 4 und wurde vielleicht bewusst eingesetzt, um die Übergangszone zum Oikos-Tempel, die auch vom Vorgängerbau übernommen worden war, zu markieren. Die Wasserversorgung wurde entscheidend verbessert, wenn sie nicht überhaupt jetzt erst für das Heiligtum eigens installiert wurde, um Wasser für vielfältige (kultische wie profane) Zwecke innerhalb des sakralen Bezirks zur Verfügung zu stellen[49]. Opfer fanden allerdings offenbar weiterhin außerhalb des heiligen Bezirks statt, wenn nicht ein marmorner Rundaltar mit Girlanden und Bukranien, der sich heute in der Schlucht Tu Kywukliu befindet, zusammen mit den Statuenbasen vom Heiligtum herabgerutscht ist (Abb. 18)[50]. Er hätte aber nur für kleinere Opfer verwendet werden können und nicht für umfangreiche Brandopfer, wie sie etwa bei großen öffentlichen Festen wie den Karneen zu erwarten sind. Ob der altehrwürdige Oikos-Tempel vom Umbau unberührt blieb oder seine Ausstattung im Innern modernisiert wurde, ist anhand der spärlichen Befunde nicht mehr zu klären. Die Zugänglichkeit und Visibilität im urbanen Raum (vgl. Abb. 6 und Abb. 17) waren jetzt deutlich verändert: Das Heiligtum war von außen als langer geschlossener Komplex wahrzunehmen, der von einer Langseite aus zugänglich war[51]. Die direkte Sichtverbindung zwischen Altar und Heiligtum wurde blockiert, aber die Türen der zentralen Räume (4, 1b, 1a) lagen weiterhin in einer Achse und gewährten damit ein geradliniges Durchschreiten. Ob die nordöstliche Vorterrasse nur zum Schutz vor Erosion angelegt wurde oder aber bewusst für Zirkulation konzipiert war, bleibt noch zu klären. Man hätte sie im Rahmen von Ritualen (etwa Prozessionen) nutzen können oder, um den spektakulären Blick auf die Landschaft und das Meer zu genießen – ein Phänomen, das in hellenistischen Städten zunehmend an Bedeutung gewann und mit Terrassierungen gezielt ermöglicht und inszeniert wurde.
Straße 11
Straßenbeläge in Thera
43Die Straßen und Plätze von Thera, die Hiller von Gaertringen bei seinen Grabungen freilegte, sind über weite Strecken mit kleinen unregelmäßig geformten Kalksteinen gepflastert[52]. Zusätzlich wurden die stark abschüssigen schmalen Hangstraßen (Stenopoi) mit Stufensetzungen bequemer gangbar gemacht[53]. Von der von Süd nach Nord verlaufenden Straße F entlang der Westseite der Basilike Stoa (Abb. 1; Nr. 25), die mit etwa 3,2 m für die örtlichen Verhältnisse sehr breit war, führt ein Entwässerungskanal über die abschüssige, von West nach Ost verlaufende Hangstraße 6 zur südlichen Agora; dort biegt der Kanal rechtwinklig um die Nordostecke der Basilike Stoa nach Süden und setzt sich auf dem Platz mindestens bis zu dem Komplex südlich der Stoa fort (Abb. 1; Nr. 26). Auf der Agora ist der aus Kalkbruchsteinen gemauerte Kanal mit mehr oder minder rechteckig geschlagenen Kalksteinen abgedeckt, die vom kleinsteinigen Pflaster ausgespart sind (Abb. 19)[54]. Hiller von Gaertringen war bemüht, bei seinen Ausgrabungen all diese Pflasterungen und Kanäle zu erhalten[55], weshalb damals Sondierungen unterblieben, die über die Konstruktion und Datierung Anhaltspunkte hätten liefern können.
44Im Jahr 1992 wurden bei drei Sondagen an den Außenmauern der Basilike Stoa erstmals die Beläge der Straße F und der Agora untersucht[56]. In der Straße F befand sich (bei +353,47–60 m ü. M.) der erste sicher identifizierbare Straßenbelag über einer anthropogenen, mindestens 80 cm mächtigen fundleeren Bimssteinschicht, die zur Nivellierung des Terrains diente, aber nicht vollständig (bis zum Felsen bzw. ihrer Unterkante) ausgegraben wurde. Dieser Straßenbelag wurde beim Bau der Stoa wohl in der 1. Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. angelegt. Danach wurde das Straßenniveau bis ca. 50/25 v. Chr., vermutlich vor der römischen Kaiserzeit, dreimal angehoben, wobei der oberste Belag aus kleinen Pflastersteinen bestand. Zusätzlich wurde in der Folgezeit, zu einem ungewissen Zeitpunkt, der oben erwähnte große Entwässerungskanal installiert. Obwohl die Basilike Stoa nach dem Bau des Kanals noch mindestens dreimal umgebaut wurde (in der frühen Kaiserzeit, in trajanischer Zeit und in antoninischer Zeit), waren davon kaum Spuren in der Straße zu identifizieren und man hat die Straße in jedem Fall nicht nochmals sichtbar erhöht oder neu gepflastert.
45In den zwei Schnitten auf der Agora wurde die anthropogene, mindestens 40 cm starke fundleere Bimssteinschicht ebenfalls nur in ihren oberen Bereichen freigelegt und erst bei +351,31–351,43 m bzw. +351,60 m ü. M. erreicht. Hier waren die Laufniveaus deutlich schlechter erhalten. Es konnten aber zwei einfache Schotterschichten über der Bimssteinauffüllung identifiziert werden, die dem Bau der Stoa vorausgingen, und eine Steinpflasterung, die mit bzw. nach dem Bau der Stoa verlegt wurde. Aussagekräftiges datierendes Fundmaterial kam aber in keiner dieser Schichten zutage.
46Alle drei Sondagen haben gezeigt, dass der lokal bequem und umfangreich verfügbare Bimsstein zur Aufschüttung und Nivellierung des Terrains unter Laufniveaus verwendet wurde. Aber ob diese Nivellierungsmaßnahmen erst in hellenistischer Zeit oder schon früher durchgeführt wurden und in welchem Umfang, konnte nicht bestimmt werden. Mitten auf der Freifläche der sog. südlichen Agora hat Charalambos Sigalas 1995 einen Schnitt angelegt und dabei unter einer mehr als 1 m starken, intentional aufgefüllten Aufschüttung aus Bimssteinen Kulturschichten mit Keramik des 8. und frühen 7. Jhs. v. Chr. gefunden[57]. Damit war ein Terminus post quem für die Bimssteinschicht in diesem noch unpublizierten Schnitt gewonnen; es ist aber keineswegs sicher, wann genau die Aufschüttung erfolgte.
47Zwei im Jahr 1991 und 1992 angelegte Sondagen in der Straße 11 lieferten wichtige Erkenntnisse für die Frage nach dem Verhältnis von Straßenbelägen und Bimssteinfüllungen und der Datierung.
Sondagen 1991 C und 1992 G in der Straße 11
48In diesen Sondagen trat unter dem nur fragmentarisch erhaltenen Straßenbelag aus Schottersteinen eine bis auf den Felsen hinabreichende Bimssteinschicht zu Tage, die archaische Scherben enthielt und erneut belegte, dass Bimsstein für intentionelle Straßenauffüllungen bzw. die Unterkonstruktion von Straßen benutzt wurde.
49Die Straße 11 verläuft in Ost-West-Richtung von der Hauptstraße E bis zum Heiligtum der ägyptischen Götter (Abb. 1; Nr. 33). Zwischen dem Heiligtum und einer Biegung mit Versprung nach Süden wird die Straße 11 nördlich von einer Mauer (M1) aus großen trapezoidal behauenen Kalksteinblöcken begrenzt (Abb. 20. 21). Diese Mauer gehört zu einem großen Haus, das in den Planquadraten A 6 und A 7 von Wilskis Stadtplan liegt[58]. Dort ist im Nordflügel ein philosophisches Gedicht, IG XII 3, 1656, aus der Zeit um 200 v. Chr. gefunden worden, nach dem der Bau auch »Haus mit der philosophischen Inschrift« genannt wurde[59]. Die Fassade (M1) am Südflügel des Hauses identifizierte Hiller von Gaertringen aufgrund ihrer Bautechnik als frühe Mauer des 7. oder 6. Jhs. v. Chr.[60].
50Um diese Datierung zu überprüfen, wurde am 11.9.1991 in der Straße in 2,70 m Entfernung von der Südostecke des Hauses die 1,60 m NS × 1,4 m OW große Sondage 1991 C angelegt und nach ihrer Dokumentierung umgehend wieder zugeschüttet (Abb. 20. 21. 22. 23. 24)[61].
51Der Schnitt wurde in vier aufeinander folgenden horizontalen und willkürlichen Abhüben bis zum anstehenden Felsen abgetieft. Da die Funde aus diesem Schnitt nicht dokumentiert wurden, können sie hier nicht vorgelegt werden. Es kann nur auf vage Angaben zu Funden aus dem Grabungstagebuch verwiesen werden.
52Nachfolgend werden die Schichten von unten nach oben aufgelistet in der Reihenfolge, in der sie vermutlich eingebracht wurden.
  • Der anstehende Felsen wurde bei +359,42 m ü. M. an der höchsten und +359,11 m ü. M. an der tiefsten Stelle erreicht.
  • II: Darüber wurde eine ca. 62–80 cm mächtige feste Schicht aus Bimssteinchen gefunden, in die archaische Keramikscherben integriert waren (Abhub 4).
  • Bau der Mauer M1 mit Fundamentgraben, Schicht I/III: In die Bimssteinschicht II wurde der Fundamentgraben C2 für M1 eingegraben und mit einer Schicht aus Bimssteinen, Steinen und Keramikfragmenten gefüllt. Die gut gefügte Mauer wurde direkt auf den Felsen (+359,37 m ü. M.) gegründet und mit einem 25 cm vorspringenden Fundament aus zwei Bruchsteinlagen (Oberkante +359,84 m ü. M.) errichtet, das aber unterhalb der Oberkante des Fundamentgrabens liegt und folglich nicht als Auflager für einen Straßenbelag gedient haben kann.
  • Bau der Mauer M2 mit Fundamentgraben C1, Schicht V: Vermutlich gleichzeitig mit dem Bau von M1 wurde auf analoge Weise M2 errichtet, mit einem 75 cm hohen Vorfundament aus etwa sechs Bruchsteinlagen (Oberkante +360,00 m ü. M.). Die Baugrube wurde mit lockerer grauer Erde gefüllt, die Keramikfragmente der hellenistischen Zeit und möglicherweise Kaiserzeit enthielt.
  • IV: Eine Schicht aus grauer Erde und Schotter könnte als Straßenbelag gedient haben, der nach dem Bau der beiden Mauern eingebracht wurde. Ob die Schotterpflasterung M3 zusammen mit dieser Schicht oder später verlegt wurde, konnte nicht geklärt werden.
  • VI: Rezente Oberflächenschicht (Abhub 1).
53Das Westprofil wurde im unteren Teil zwar begradigt, aber auf den verschatteten Fotos dieses Profils (Abb. 21. 22. 23) sind die beiden Fundamentgräben C1 und C2 kaum zu erkennen. Vom Ostprofil wurden weder eine Zeichnung noch Fotos gemacht, die den Befund verifizieren ließen. Eine gewisse Klärung in dieser zentralen Frage brachte erst der Schnitt 1992 G (s. u.).
54Mit Abhub 2, der bis +359,95 m hinabreichte, wurden die Pflasterbettung IV, der obere Teil der Baugrubenverfüllungen III und V, aber auch schon die oberen 15 cm der Bimsschicht II abgegraben. Dabei kam die Oberkante des Vorfundamentes von M2 zum Vorschein. Die hellenistischen Scherben aus Abhub 2 können höchstens als Terminus post quem für Schicht IV dienen. Der dann folgende Abhub 3 erfasste fast nur noch Material der Bimssteinschicht II, aber auch noch die unteren, kleinen Restpartien der Schichten III und V; nun wurde auch der Absatz des Vorfundamentes von M1 freigelegt. Schließlich wurde mit Abhub 4 der anstehende Felsen erreicht. Die vorwiegend archaischen Scherben dieses Abhubs stammten wohl ausschließlich aus der Bimssteinschicht II.
55Weil aus dem Keramikbefund von 1991 nicht eindeutig hervorging, ob die Bimssteinschicht tatsächlich älter als die beiden Mauern und möglicherweise sogar archaisch ist, wurde im folgenden Jahr die Rückverfüllung der Sondage erneut ausgehoben und der Schnitt um 1,4 m nach Osten erweitert, in der Hoffnung, aussagekräftigere Keramik zu gewinnen[62]. Die Erweiterung erhielt die Bezeichnung Sondage 1992 G (Abb. 25). Auf einem Foto des Ostprofils der Sondage 1992 G (Abb. 26) ist von der Mauer M1 das vorspringende Fundament zu sehen und darüber eine Akkumulation von kleinen Steinen, die sich deutlich von der südlich anschließenden Schicht mit kleinen Bimssteinen unterscheidet; dies könnte folglich die Verfüllung eines Fundamentgrabens sein, dessen Tiefe allerdings nicht zu erkennen ist. Auf diesem Befund basierend wird hier für beide Schnitte davon ausgegangen, dass die Bimssteinschicht II die älteste Schicht ist, in die Fundamentgräben für beide Mauern eingegraben wurden. Der Befund wurde so auch weitgehend 1992 auf der Zeichnung des Ostprofils (Abb. 25) eingetragen. Von unten nach oben ergibt sich wiederum folgende Abfolge:
  • II: Über dem Felsen wurde im südlichen Teil eine feste Bimssteinverfüllung gefunden, die im nördlichen Teil etwas lockerer war und auch Schotter und Scherben enthielt. Für diese Schicht wurden aber keine weiteren Funde vermerkt, die eine Datierung in archaische Zeit erhärten würden.
  • Bau der Mauer M1 mit Baugrube C2 und Verfüllung I: Die Baugrube ist hier breiter als im Schnitt 1991 C. Die Verfüllung bestand aus lockerer grauer Erde mit Schotter und hellenistischen Scherben, darunter eine rote Lampenschnauze.
  • Bau der Mauer M2 mit Baugrube C1 und Verfüllung V, gleichzeitig mit dem Bau von M1: Die Baugrube ist deutlich schmaler als für M1, deren Fundament auch weiter vorspringt als das von M2. Die Verfüllung bestand aus lockerer grauer Erde.
  • IV: Die Schicht zog über beide Fundamentgräben und bestand aus grauer Erde, Schotter und viel Keramik, u. a. Fragmente von feinen Megarischen Bechern mit metallischem Glanz, Tellern und Schalen. Das Pflaster M3 wurde hier nicht angetroffen.
  • VI: In dieser 10 cm starken Lage dunkler Erde wurde eine vielleicht augusteische Lampenscherbe gefunden.
Auswertung
56Die beiden Schnitte in der Straße 11 lassen sich zwar nicht vollständig bewerten, weil die Keramik nicht analysiert werden konnte, aber einige wichtige Erkenntnisse können dennoch festgehalten werden. Die Mauer M1, die Hiller von Gaertringen wegen ihrer Machart für archaisch hielt, ist sicher nicht vor der hellenistischen Zeit errichtet worden. Sie ist aus großen Blöcken sorgfältig gefügt (Abb. 21. 27). Die nördliche Schale im Innenraum des Hauses, dessen Fußboden unter dem Straßenniveau lag, ist aus kleinen Bruchsteinen gemacht und weist Putzreste auf (Abb. 28).
57Wann genau in der hellenistischen Zeit die Mauern M1 und M2 errichtet wurden, ist nicht festzustellen. Die megarischen Becher aus der Straßenschicht IV mögen auf die Zeit der Ptolemäerherrschaft hindeuten. Diese Schicht liefert einen Terminus ante quem für die beiden Fundamentgräben und Mauern, aber da sie der einzige fassbare Straßenbelag ist, dürfte zwischen dem Bau der Mauern und der Einbringung von Schicht IV nicht viel Zeit vergangen sein. Ob M3 ein separates Steinpflaster war und ob dieses gleichzeitig mit Schicht IV oder zu einem späteren Zeitpunkt als mögliche Erneuerung der Straße verlegt wurde, ist ebenfalls nicht mehr sicher zu bestimmen.
58Die feste Bimssteinschicht wird hier als älteste anthropogene Schicht gedeutet, aber ob sie wirklich schon in archaischer Zeit, wie nur der unterste Abhub von 1991 nahelegt, oder irgendwann später aufgefüllt wurde, muss offenbleiben. Während die Bimssteinschichten in den Schnitten an der Basilike Stoa fundleer waren, wurden hier Scherben gefunden; aber ihre Zahl und Datierung kann nicht mehr ermittelt werden.
59Es ist durchaus naheliegend, dass Bimsstein in verschiedenen Phasen der Stadtentwicklung zur Terrassierung und Nivellierung verwendet wurde, etwa in archaischer Zeit und beim hellenistischen Ausbau der Stadt. Das ungefähr regelmäßige Straßennetz im Zentrum der Stadt dürfte auf die hellenistische Stadtplanung zurückgehen und die Sondagen in der Straße 11 belegen dies deutlicher als die Sondagen an der Basilike Stoa: Nur hier wurde der Felsen unter der Bimssteinschicht erreicht und kein Straßenbelag unter oder über der Bimssteinschicht gefunden, der aus archaischer Zeit stammen könnte. Die Tatsache, dass in der Straße 11 nur ein einziger Belag sicher zu identifizieren ist, dürfte auf den Charakter der Straße zurückgehen, die als Nebenstraße fungierte. Dagegen scheint die Straße F zwischen der Basilike Stoa und den westlich gelegenen Bauten, die vermutlich zumindest partiell öffentliche Funktion hatten, deutlich frequentierter gewesen zu sein, weshalb hier der Straßenbelag mehrfach erneuert werden musste und auch ein großer Abwasserkanal gebaut wurde.
Fazit
60Trotz ihres begrenzten Umfangs haben die hier vorgestellten Sondagen zentrale Erkenntnisse für die urbanistische Entwicklung der antiken Stadt Thera geliefert.
61Das vermutlich in archaischer Zeit errichtete Apollon Karneios-Heiligtum wurde in hellenistischer Zeit nicht nur weiter frequentiert, sondern sogar maßgeblich ausgebaut und modernisiert. Es war mindestens bis in die frühe Kaiserzeit ein zentrales städtisches Heiligtum, das unter anderem vom Demos für Statuenweihungen genutzt wurde. Maßnahmen und Intentionen der Umbauten in hellenistisch-römischer Zeit sollten künftig näher analysiert werden und können einen wichtigen Beitrag zu aktuellen Forschungsdebatten liefern, die verstärkt die Transformation und Nutzung älterer griechischer Heiligtümer in hellenistischer und römischer Zeit untersuchen[63]. Darüber hinaus würde eine Kontextualisierung der Nutzungsgeschichte im weiteren urbanen Raum das Bild sicher weiter differenzieren lassen; dies kann hier aber nicht geleistet werden. Erwähnt sei nur, dass etwa das benachbarte Ephebengymasion (Abb. 1; Nr. 54–57) in der Kaiserzeit erweitert und ausgebaut wurde, u. a. mit einer modernen Badeanlage, die mit einem Hypokaustensystem ausgestattet war (Abb. 1; Nr. 52. 53). Eine holistische diachrone Untersuchung der sakralen Topographie des antiken Thera würde signifikant dazu beitragen, die Entwicklung und Bedeutung des Apollon Karneios-Heiligtums im lokalen Kontext zu bewerten.
62Die Anlage der Straße 11 sowie ihre Randbebauung gehen sicher erst auf die hellenistische Phase der Stadt zurück. Die hier und an anderen Stellen angetroffene Nivellierung mit mächtigen Bimssteinschichten spricht für konzertierte Planungen durch öffentliche Institutionen oder Gruppen, aber wann dies jeweils genau erfolgte, muss derzeit offenbleiben.
63Eine flächendeckende Aufschüttung im Stadtzentrum in der archaischen Zeit wäre eine bemerkenswerte Maßnahme und Leistung, deren Ziel man genauer analysieren und erklären müsste. Hoepfner rekonstruierte die archaische Stadt als eine kleine Höhensiedlung mit Einraumhäusern, die auf Terrassen geringer Tiefe verteilt waren, wobei nur ein etwa 100 m × 100 m großes Gebiet ausreichend Schutz vor Winden geboten habe. Die Wohnterrassen seien von Heiligtümern im Norden und Südosten flankiert worden. In der Stadtmitte habe es möglicherweise damals schon eine als Agora konzipierte größere Freifläche gegeben[64]. Bislang ist aber keine einzige Terrassenmauer im Stadtzentrum sicher in die archaische Zeit zu datieren[65] und es sind auch keine Reste von Wohnhäusern oder öffentlichen Bauten aus dieser Zeit unbestritten identifiziert worden. Keiner der Straßenbeläge, die in den Sondagen an der Basilike Stoa und in der Straße 11 freigelegt wurden, kann sicher in die archaische Zeit datiert werden; vielmehr sind die meisten nachweislich nicht vor der hellenistischen Zeit verlegt worden. In der Straße F westlich der Basilike Stoa nutzte man auch die Bimsschichten zweifellos erst in der hellenistischen Zeit, um erhebliche Niveaudifferenzen im Terrain auszugleichen.
64Die Sondagen an der Basilike Stoa sowie die hier vorgestellten Schnitte haben gezeigt, dass in der antiken Stadt Thera dringend weitere stratigraphische Grabungen durchgeführt werden sollten, um die angeschnittenen Fragen klären und die Geschichte der Stadt auf einem solideren Fundament rekonstruieren zu können.
Die Keramik aus der Sondage 1994 A
65Die Keramik wurde erstmals 1995 von Rainer Komp bearbeitet und vorläufig ausgewertet. Die detaillierte Bearbeitung der Keramikfunde für die vorliegende Publikation durch Benjamin Engels erfolgte ohne Autopsie des Materials allein auf Grundlage der Dokumentation in Zeichnungen und wenigen Schwarzweiß-Sammelaufnahmen. Sämtliche Farb- und Fabrikatbeschreibungen sowie die Maße wurden unverändert aus der Grabungsdatenbank übernommen. Das darin liegende Fehlerpotential ist dem Bearbeiter bewusst und äußert sich in einer im Zweifelsfall zurückhaltenden Datierung und Bestimmung der Warenarten und Typen.
Stratum I
Die wenigen diagnostischen Profile, insbesondere der Amphorenrand K 2, deuten auf einen Datierungsrahmen vom 1. Jh. v. Chr. bis ins 1. Jh. n. Chr. hin.
Stratum II
Beide Randscherben sprechen für eine spätarchaische Datierung, die Amphora K 5 gibt einen Terminus post quem in der zweiten Hälfte des 6. Jhs. v. Chr.
Stratum III
Die Laufzeiten der beiden Randscherben ergeben einen Datierungsrahmen vom 4. bis ins 2. Jh. v. Chr., der Becher K 6 gibt einen Terminus post quem im 3. Jh. v. Chr.
Stratum IV
Da Stratum IV Teil des Abhubs 4 ist, der sich über mehrere Schichten verteilt, kann die Keramik nicht mehr sicher zugeordnet werden.
Stratum V
Da Stratum V Teil der Abhübe 4 und 5 ist, die sich über mehrere Schichten verteilen, kann die Keramik nicht mehr sicher zugeordnet werden.
Stratum VI
Das älteste Stück aus diesem Stratum ist die Kotyle K 9, die in die zweite Hälfte des 7. Jhs. v. Chr. datiert werden kann. Die jüngsten Stücke sind die mittel- bis spätkorinthischen Salbgefäße K 10, K 11, K 12 und K 13. Insgesamt ergibt sich damit ein Datierungsrahmen von der Mitte des 7. bis zur Mitte des 6. Jhs. v. Chr.
Stratum VII
Da Stratum VII Teil des Abhubs 7 ist, der sich über mehrere Schichten verteilt, kann die Keramik nicht mehr sicher zugeordnet werden.
Stratum VIII
Fundleer.
Stratum IX
Das mit geritztem Schuppenmuster verzierte Wandfragment K 19 weist ins späte 7. bis in die erste Hälfte des 6. Jhs. v. Chr.
Stratum X
Fundleer.
Stratum XI
Dieses Stratum hat einen sehr deutlichen chronologischen Schwerpunkt im 4. und frühen 3. Jh. v. Chr., was durch eine Reihe von Trinkgefäßfragmenten (K 22; K 23; K 25; K 26; K 27; K 28; K 29; K 30), aber auch durch den Amphorenrand K 36 belegt wird. Außerdem finden sich einige deutlich ältere Stücke: Der Krug K 32 kann ins späte 6./frühe 5. Jh. v. Chr. datiert werden, die Laufzeit des Skyphos K 24 beginnt noch im späten 5. Jh. und die Schüssel K 31 sowie der Amphorenfuß K 38 können um 400 v. Chr. datiert werden. Angesichts der jüngeren Trinkgefäßtypen ist von einem Terminus post quem im frühen 3. Jh. auszugehen.
66Katalog
Alle Maße in cm
Abkürzungen:
R: Radius
Wst: Wandstärke
erhH: erhaltene Höhe
Dm: Durchmesser
Stratum I
K 1 Teller – Abb. 29
Abhub 1 – Inv. K94-5
R – 26; Wst – 0,2; erhH – 2
Feinkeramik – Ton: körnig, blassorange. – Oberfläche: außen orangefarbener Überzug mit beigefarbenem Streifen am Rand; innen orangefarbener Überzug
Ein Randfragment. Schräge Wandung mit kräftig nach innen verdicktem und außen scharfkantig abgesetztem Rand
Dat.: späthellenistisch?
K 2 Amphora – Abb. 29
Abhub 1 – Inv. K94-4
R – 11,8; Wst – 0,7; erhH – 4,2
Gebrauchskeramik – Ton: körnig, dunkelrot; mäßig mittelgrober Kalk. – Oberfläche: außen graubrauner Überzug; innen brauner Überzug
Ein Randfragment. Steile Wandung mit rundlich verdicktem und außen scharf abgesetztem Rand
Vgl.: Bezeczky 2013, 56–61 (Type 4); Peacock – Williams 1986, 102–106 (Class 9/10)
Dat.: 1. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr.
K 3 Krug – Abb. 29
Abhub 1 – Inv. K94-6
F – 3,8; Wst – 0,1; erhH – 1
Feinkeramik – Ton: braun-orange; mäßig mittelgrober Kalk, mäßig mittelgrober Glimmer. – Oberfläche: außen braunroter Überzug, Bodenunterseite tongrundig; innen tongrundig
Ein Bodenfragment. Flacher Boden mit schräg aufsteigender Wandung
Stratum II
K 4 Knickrandschale – Abb. 29
Abhub 2 – Inv. K94-11
R – 12; Wst – 0,3; erhH – 2,5
Feinkeramik – Ton: blassorange; wenig mittelgrober Kalk, wenig mittelgrober Glimmer. – Oberfläche: außen/innen tongrundig
Zwei anpassende Randfragmente. Bauchiger Gefäßkörper mit langem, schräg nach außen geknicktem, geradem Rand
Dat.: 6. Jh. v. Chr.
K 5 Amphora – Abb. 29
Abhub 2 – Inv. K94-13
R – 19; Wst – 1; erhH – 3,4
Gebrauchskeramik – Oberfläche: außen braungrauer Überzug, auf dem Rand unregelmäßig abgesetzte dichte beigefarbene Schlämme; innen dichte beigefarbene Schlämme
Zwei anpassende Randfragmente. Schräg nach außen geneigter Hals mit spitzoval verdicktem, nach außen abgesetztem Rand
Vgl.: Johnston 1990, 42 Kat. 42; Monachov 2003, Taf. 19, 3
Dat.: 2. Hälfte 6. Jh. v. Chr.
Stratum III
K 6 Becher – Abb. 29
Abhub 3 – Inv. K94-18
R – 19; Wst – 0,4; erhH – 2,9
Feinkeramik – Ton: feinporig, grau. – Oberfläche: außen/innen sandig mit mattem schwarzem Überzug. – Dekor: außen zwei horizontale Kehlen
Ein Randfragment. Gleichmäßig einbiegender Rand mit breiten, klar akzentuierten Kehlen auf der Außenseite
Vgl.: Behr 1988, 149 f. Kat. 55–59 Abb. 13. 14; Edwards 1975, 93 Kat. 551 Taf. 17. 56; Mitsopoulos-Leon 1991, 48 f. Kat. B 68. 71 Taf. 40. 41; Rotroff 1997, 275 Kat. 311. 315 Taf. 32 Abb. 20; Smetana-Scherrer 1982, 72 Kat. 523 Taf. 40 (1. Hälfte 3. Jh. v. Chr.)
Dat.: 3.–2. Jh. v. Chr.
K 7 Miniaturkrug – Abb. 29
Abhub 3 – Inv. K94-17
R – 5,8; Wst – 0,7; erhH – 1,85
Feinkeramik – Oberfläche: außen/innen grauschwarzer Überzug
Ein Randfragment. Bauchiger Körper mit stark ausbiegendem Rand
Vgl.: Berlin 2002, 149 Kat. 22 Taf. 5; Edwards 1975, 101 Kat. 591. 596 Taf. 20. 58; Rotroff 1997, 300 Kat. 552 Abb. 40 Taf. 52
Dat.: 4.–2. Jh. v. Chr.
Stratum VI
K 8 Knickrandschale – Abb. 30
Abhub 6 – Inv. K94-53
R – 10,8; Wst – 0,3 bis 0,4; erhH – 2,4
Feinkeramik – Ton: beigebraun; mäßig mittelgrober Kalk. – Oberfläche: außen tongrundig mit Horizontalstreifen
Ein Randfragment. Bauchiger Gefäßkörper mit geradem, schräg nach außen geknicktem Rand
Dat.: archaisch
K 9 Kotyle – Abb. 30
Abhub 6 – Inv. K94-56
R – 6,6; Wst – 0,2 bis 0,3; erhH – 3,5
Feinkeramik – Ton: beigebraun; mäßig mittelgrober Glimmer. – Oberfläche: tongrundig mit Bemalung (zwei jeweils von Horizontalstreifen gerahmte Friese: oben: Gruppen aus je vier Vertikalstreifen; unten: Tierfries) in rotbraun changierendem Überzug; innen rotbraun changierender Überzug
Ein Randfragment mit Ansatzstelle eines Vertikalhenkels. Konischer Gefäßkörper mit leicht einbiegendem, spitz zulaufendem Rand
Vgl.: Weinberg 1943, 47 Kat. 160 Taf. 23
Dat.: 2. Hälfte 7. Jh. v. Chr.
K 10 Alabastron – Abb. 30
Abhub 6 – Inv.-Nr.: K94-58
R – 3,6; Wst – 0,35; erhH – 4,3
Feinkeramik – Ton: beige-grau. – Oberfläche: außen geglättet mit Bemalung (Horizontalstreifen und Schachbrettmuster auf dem Körper und am Rand; Vertikalstreifen in der Henkelzone) in schwarzem, braunem und dunkelrotem Überzug; innen tongrundig mit Wischspuren
Ein Randfragment mit vertikalem Ösenhenkel. Straffer, leicht bauchiger Gefäßkörper mit kurzem Hals und kantig ausbiegendem Rand mit rechteckigem Querschnitt
Vgl. Gasser 1990, 19 Kat. K14 Taf. 8; Payne 1931, 283 f. Nr. 376. 377 Abb. 121. 121 bis
Dat.: letztes Viertel 7. Jh. v. Chr.
K 11 Alabastron – Abb. 30
Abhub 6 – Inv. K94-54
R – 1,6; Wst – 0,2 bis 0,3; erhH – 4
Feinkeramik – Ton: porös, beige-gräulich. – Oberfläche: außen poliert; innen Schlickerreste. – Dekor: außen Bemalung (unterschiedlich breite Horizontalstreifen auf dem Gefäßkörper, Vertikalstreifen am Hals) in schwarzem Überzug
Ein Wandfragment mit vertikalem Ösenhenkel. Straffer, leicht bauchiger Körper mit schmalem, nach oben trichterförmig ausbiegendem Hals
Dat.: letztes Viertel 7. Jh. v. Chr. – 1. Hälfte 6. Jh. v. Chr.
K 12 Aryballos – Abb. 30
Abhub 6 – Inv. K94-55
F – 1,4; BH – 0,3; Wst – 0,2; erhH – 1,9
Feinkeramik – Ton: porös, beige-gräulich. – Oberfläche: außen poliert; innen tongrundig. – Dekor: außen ein Horizontalstreifen in schwarzem Überzug
Ein Bodenfragment. Recht steil aufsteigende Wandung auf einem auf der Unterseite konkav eingezogenen und außen mit zwei Wülsten profilierten Boden
Dat.: letztes Viertel 7. Jh. v. Chr. – 1. Hälfte 6. Jh. v. Chr.
K 13 Aryballos – Abb. 30
Abhub 6 – Inv. K94-57
R – 3,2; Wst – 0,3; erhH – 1,7
Feinkeramik – Ton: dunkelbeige. – Oberfläche: außen tongrundig mit Bemalung (Radmuster mit zwei konzentrischen Streifen und vier Verbindungslinien auf der Randoberseite) in schwarzem Überzug; innen tongrundig
Ein Randfragment. Schmaler vertikaler Hals mit dreieckig ausgezogenem, weit ausladendem Horizontalrand
Dat.: letztes Viertel 7. Jh. v. Chr. – 1. Hälfte 6. Jh. v. Chr.
K 14 Schüssel – Abb. 30
Abhub 6 – Inv. K94-47
R – 16; Wst – 0,6; erhH – 2
Gebrauchskeramik – Ton: braunrot; mäßig mittelgrober Kalk, mäßig mittelgrober Quarz, mäßig mittelgrober Glimmer. – Oberfläche: außen/innen braungrauer Überzug
Ein Randfragment. Spitz zulaufender, gerader Rand mit einem tropfenförmig verdickten und durch eine Kehle abgesetzten Kragen auf der Außenseite
K 15 Krug – Abb. 30
Abhub 6 – Inv. K94-51
F – 5; BH – 0,4; Wst – 0,4 bis 0,5,; erhH – 3,6
Feinkeramik – Oberfläche: außen schwarzer bis rotbrauner Überzug; innen rotbrauner Überzug
Ein Fußfragment. Straffer, leicht bauchiger Gefäßkörper auf niedrigem, außen durch eine flache Kehle abgesetztem, unten spitz zulaufendem Standring
Stratum IX
K 16 Krug/Amphora – Abb. 30
Abhub 8 – Inv. K94-69
R – 9; Wst – 0,4; erhH – 2,4
Gebrauchskeramik – Ton: braun; mäßig mittelgrober Kalk, wenig mittelgrober Quarz, wenig mittelgrober Glimmer. – Oberfläche: außen/innen tongrundig
Ein Randfragment. Gerader Hals mit ausbiegendem, leicht verdicktem Rand
K 17 Krug – Abb. 30
Abhub 8 – Inv. K94-70
R – 5,9; Wst – 0,3; erhH – 2
Gebrauchskeramik – Ton: blassorange; mäßig mittelgrober Kalk, mäßig mittelgrober Glimmer – Oberfläche: außen/innen tongrundig
Ein Randfragment. Leicht konvex gewölbter Hals mit ausbiegendem, innen dreieckig verdicktem Rand
K 18 – Abb. 30
Abhub 8 – Inv. K94-73
Wst – 0,4; erhDm – 24; erhH – 1,8
Feinkeramik – Oberfläche: außen glänzend schwarzer und rotbrauner Überzug; innen tongrundig. – Dekor: außen Ritzung (Schuppenmuster)
Ein Wandfragment
Dat.: spätes 7. – 1. Hälfte 6. Jh. v. Chr.
Stratum XI
K 19 Skyphos – Abb. 31
Abhub 10 – Inv. K94-82
R – 18; Wst – 0,4 bis 0,5; erhH – 4,1
Feinkeramik – Ton: braunrot. Oberfläche: außen/innen dichter, glänzend schwarzer Überzug
Ein Randfragment. Steile, unten leicht bauchige Wandung mit ausbiegendem Rand
Vgl.: Edwards 1975, 69 Kat. 323 Taf. 13. 50; Rotroff 1997, 258 Kat. 152. 153 Abb. 12 Taf. 14; Smetana-Scherrer 1982, 66 Kat. 455 Abb. 50; Sparkes – Talcott 1970, 260 Kat. 349 Abb. 4; 279 Kat. 608 Taf. 26. 55 Abb. 6
Dat.: 4. – frühes 3. Jh. v. Chr.
K 20 Skyphos – Abb. 31
Abhub 11 – Inv. K94-96
R – 9; Wst – 0,3; erhH – 2,3
Feinkeramik – Ton: braungrau. – Oberfläche: außen/innen matt, tongrundig; innen mit Wischspuren
Ein Randfragment. Steile Wandung mit ausbiegendem Rand
Vgl.: Berlin 2002, 148 Kat. 19 Taf. 4; Edwards 1975, 69 Kat. 313 Taf. 13. 50; Smetana-Scherrer 1982, 66 Kat. 454 Abb. 49
Dat.: 4. Jh. v. Chr.
K 21 Skyphos – Abb. 31
Abhub 10 – Inv. K94-83
R – 9; Wst – 0,35; erhH – 2,2
Feinkeramik – Ton: feinporig, grau. – Oberfläche: außen/innen dichter, glänzend schwarzer Überzug
Ein Randfragment. Steile Wandung mit leicht ausbiegendem, spitz zulaufendem Rand
Vgl.: Berlin 2002, 149 Kat. 22 Taf. 5; Edwards 1975, 71 Kat. 367 Taf. 14. 50; Sparkes – Talcott 1970, 260 Kat. 359 Abb. 4; 277 Kat. 588 Taf. 54 Abb. 6
Dat.: spätes 5. – 4. Jh. v. Chr.
K 22 Skyphos – Abb. 31
Abhub 11 – Inv. K94-92
F – 9; BH – 0,9; Wst – 0,4; erhH – 2,6
Feinkeramik – Ton: grau; mäßig feiner Kalk. – Oberfläche: außen/innen dichter, glänzend dunkelgrauer Überzug
Ein Fußfragment. Steil aufsteigende Wandung auf einem weit ausgestellten, rundlich verdickten Standring
Dat.: 4. – frühes 3. Jh. v. Chr.
K 23 Kantharos – Abb. 31
Abhub 11 – Inv. K94-98
R – 7; Wst – 0,5; erhH – 2,2
Feinkeramik – Ton: grau-blassorange. – Oberfläche: außen/innen dichter, glänzend schwarzer Überzug
Ein Randfragment mit Henkelansatz. Ausbiegender, spitz zulaufender Rand
Vgl.: Rotroff 1997, 248 f. Kat. 70. 72 Abb. 7. 8 Taf. 7; 252 Kat. 102. 103 Abb. 10 Taf. 10
Dat.: Mitte 4. – frühes 3. Jh. v. Chr.
K 24 Kantharos
Abhub 10 – Inv. K94-85
H – 1,1; B – 1,7
Feinkeramik – Ton: hellbraun-blassorange. – Oberfläche: außen silbrig glänzend schwarzer Überzug
Ein Henkelfragment mit Daumenplatte
Dat.: 4. Jh. v. Chr.?
K 25 Kantharos
Abhub 11 – Inv. K94-99
Ohne Maße
Feinkeramik – Ton: beigebraun. – Oberfläche: glänzend schwarzer Überzug
Ein Henkel mit dreieckiger Daumenplatte
Dat.: 4. – frühes 3. Jh. v. Chr.
K 26 Kantharos
Abhub 11 – Inv. K94-100
Ohne Maße
Feinkeramik – Oberfläche: glänzend schwarzer Überzug
Ein Henkel mit dreieckiger Daumenplatte
Dat.: 4. – frühes 3. Jh. v. Chr.
K 27 Kantharos
Abhub 11 – Inv. K94-101
Ohne Maße
Feinkeramik – Ton: orangebraun. – Oberfläche: außen silbrig glänzend schwarzer Überzug
Ein Henkel mit dreieckiger Daumenplatte
Dat.: 4. – frühes 3. Jh. v. Chr.
K 28 Schüssel – Abb. 31
Abhub 11 – Inv. K94-91
R – 13; Wst – 0,3; erhH – 2,3
Feinkeramik – Ton: blassorange. – Oberfläche: außen/innen changierend roter bis schwarzer Überzug
Ein Randfragment. Halbrunder Gefäßkörper mit leicht nach außen ausgezogenem Steilrand
Vgl.: Sparkes – Talcott 1970, 290 Kat. 754 Abb. 8; s. aber für einen ähnlichen späthellenistischen Typus Engels 2021, 55–59 (Typ B1.2)
Dat.: spätes 5. Jh. v. Chr.
K 29 Krug – Abb. 31
Abhub 11 – Inv. K94-88
R – 21; Wst – 0,9; erhH – 3,8
Feinkeramik – Ton: orangebraun; mäßig mittelgrober Kalk, mäßig mittelgrober Quarz. – Oberfläche: außen beigefarbene Schlämme mit einem rotbraunen Streifen unter dem Rand; innen tongrundig
Ein Randfragment. Konischer Gefäßkörper mit leicht ausbiegendem, nach innen dreieckig verdicktem Rand
Vgl.: Sparkes – Talcott 1970, 246 Kat. 144 Taf. 8 Abb. 3; 351 Kat. 1633 Taf. 75 Abb. 17
Dat.: spätes 6./frühes 5. Jh. v. Chr.
K 30 Krug/Amphora – Abb. 31
Abhub 11 – Inv. K94-90
Dm max. – 13; Wst – 0,5 bis 0,7; erhH – 8,9
Feinkeramik – Ton: hellbraun; mäßig mittelgrober Kalk. – Oberfläche: außen beigefarbene Schlämme mit rotbraunen Horizontalstreifen; innen tongrundig
Ein Wandfragment mit Horizontalhenkel mit rundem Querschnitt. Bauchiger Gefäßkörper
K 31 Deckel – Abb. 31
Abhub 10 – Inv. K94-84
R – 14; Wst – 0,5; erhH – 1,8
Feinkeramik – Ton: feinporig, braun; mäßig mittelgrober Kalk, mäßig mittelgrober Glimmer. – Oberfläche: außen/innen matter schwarzer Firnis
Ein Randfragment. Leicht gewölbte Wandung mit tropfenförmig verdicktem, durch eine tiefe Kehle abgesetztem Rand
K 32 Schüssel – Abb. 31
Abhub 10 – Inv. K94-78
R – 22; Wst – 0,6; erhH – 2,6
Gebrauchskeramik – Ton: geschichtet, beigebraun; mäßig mittelgrober Kalk, mäßig mittelgrober Quarz, mäßig mittelgrober Glimmer. – Oberfläche: außen/innen tongrundig
Ein Randfragment. Schräge Wandung mit leicht nach oben geknicktem Horizontalrand
Vgl.: Jones 1950, 228 Kat. 209 Abb. 185; Kose 1997, 114 Kat. 181; Rotroff 2006, 277 Kat. 301 Abb. 51
Dat.: hellenistisch
K 33 Schüssel – Abb. 31
Abhub 11 – Inv. K94-97
R – 5; Wst – 0,4; erhH – 2,2
Gebrauchskeramik – Ton: rotbraun; mäßig feiner Kalk. – Oberfläche: außen/innen sandig, matt, tongrundig
Ein Randfragment. Halbkugelförmiger Körper mit leicht nach außen ausgezogenem Rand
K 34 Amphora – Abb. 31
Abhub 10 – Inv. K94-79
gDm – 20; R – 17,6; Wst – 0,5; erhH – 2,6
Gebrauchskeramik – Ton: orangebraun; mäßig mittelgrober Kalk, mäßig mittelgrober Quarz, wenig mittelgrober Glimmer. – Oberfläche: außen/innen tongrundig
Ein Randfragment. Weit ausladender dreieckig verdickter Rand (mushroom rim)
Vgl.: Peacock – Williams 1986, 84 f.; Monachov 2003, Taf. 71. 72; Lawall 2002, 224 Kat. 79 Abb. 12. – Zum Typ: Will 1982 (»Greco-Italic Amphora«)
Dat.: 4.–2. Jh. v. Chr.
K 35 Amphora – Abb. 31
Abhub 10 – Inv. K94-86
F – 16; BH – 2,8; erhH – 3,6
Feinkeramik – Ton: hellbraun; mäßig mittelgrober Kalk, wenig mittelgrober Glimmer. – Oberfläche: außen dichter, glänzend schwarzer Überzug
Ein Fußfragment. Kräftiger, schräg ausgestellter, oben mehrfach profilierter und unten rundlich ausgezogener Standring
Vgl.: Isler 1978, 108 f. Kat. 234 Beil. 7
Dat.: um 400 v. Chr.
K 36 – Abb. 31
Abhub 10 – Inv. K94-77
F – 15; BH – 1,8; erhH – 2,4
Gebrauchskeramik – Ton: braunrot; mäßig mittelgrober Quarz, mäßig mittelgrober Glimmer. – Oberfläche: außen/innen tongrundig
Ein Fußfragment. Schräg ausgestellter Standring
K 37 – Abb. 31
Abhub 10 – Inv. K94-76
F – 12; BH – 1,4; erhH – 2,7
Gebrauchskeramik – Ton: orange; mäßig mittelgrober Kalk, mäßig mittelgrober Glimmer. – Oberfläche: außen/innen beigefarbene Schlämme
Ein Fußfragment. Massiver, unten horizontal weit ausgezogener Standfuß mit vertikalem Schaft
Danksagung
67Dieses Projekt hätte ohne die großzügige Unterstützung verschiedener Personen und Institutionen nicht durchgeführt werden können, denen hier allen herzlich gedankt sei. Wolfram Hoepfner hat das Projekt seinerzeit in Thera durchgeführt und uns großzügig das Material zur Publikation überlassen. Rainer Komp hat mit viel Engagement die Schnitte am Apollon Karneios-Heiligtum und der Basilike Stoa angelegt und vorläufig ausgewertet sowie uns großzügig die unpublizierte Dokumentation zu den Schnitten überlassen. Die Schnitte in der Straße 11 hat Hoepfner angelegt.
68Die Fritz Thyssen Stiftung hatte nicht nur Hoepfners Projekt in den 1990ern finanziert, sondern hat jetzt auch die Fertigstellung mit generöser Förderung ermöglicht. Personelle und finanzielle Unterstützung verdanken wir ebenfalls der Freien Universität Berlin. Das Deutsche Archäologische Institut in Athen hat dankenswerter Weise Fotos aus den alten Thera-Archiven gescannt und die Druckgenehmigung erteilt. Jana Skundrič-Rummel hat die zahlreichen Bleistiftzeichnungen des Projekts digitalisiert. Kristina Bolz und Marie Theres Wittmann haben die Forschungsarbeiten und die Endredaktion tatkräftig unterstützt. Dem anonymen Peer-Review verdanken wir wichtige Kommentare.
Abstracts
Zusammenfassung
Zur Chronologie des antiken Thera
Sondagen am Apollon Karneios-Heiligtum und in der Straße 11
Arno Kose – Benjamin Engels – Monika Trümper
Die antike Stadt Thera wurde zwischen 1896 und 1902 unter der Leitung von Friedrich Hiller von Gaertringen umfassend freigelegt, aber systematische archäologische Untersuchungen zur Erforschung der Stadtgeschichte fanden erst unter der Leitung von Wolfram Hoepfner in den 1990ern statt. Hoepfners Team führte Bauforschungen durch und legte erstmals stratigraphische Sondagen in verschiedenen Bereichen der Stadt an, die aber nicht alle publiziert wurden. Ziel dieses Beitrags ist es, anhand der alten Grabungsdokumentation die Sondagen an zwei Stellen zu publizieren, die exemplarisch Aufschluss über die Entwicklung der Stadt von der archaischen Zeit bis in die römische Kaiserzeit liefern. Die 1994 durchgeführte Sondage am Apollon Karneios-Heiligtum belegt erstmals, dass für den Komplex zwei große Bauphasen zu rekonstruieren sind. Das Heiligtum wurde vermutlich in der archaischen Zeit als Oikos-Tempel mit Vorhof errichtet und in der hellenistischen Zeit um einen großen Hof mit Zisterne und Nebenräumen erweitert. Die 1991 und 1992 angelegten Sondagen in der Straße 11 zeigen, dass diese Straße und ihre Randbebauung nicht vor der hellenistischen Zeit zu datieren sind. In dieser Sondage wurde erstmals eine mächtige Schicht aus Bimssteinen in vollem Umfang freigelegt, die direkt über dem anstehenden Felsen aufgeschüttet wurde und zur Unterfütterung der Straße diente. Solche Nivellierungsschichten aus Bimssteinen wurden seit den frühesten Grabungen an verschiedenen Stellen in der Stadt angetroffen, aber gewöhnlich nicht bis zu ihrer Unterkante ausgegraben und bislang auch nicht systematisch im Hinblick auf ihre Datierung und Funktion ausgewertet. In diesem Beitrag wird abschließend argumentiert, dass selbst punktuelle Untersuchungen wertvolle Ergebnisse und Erkenntnisse liefern und dass solche Sondagen im antiken Thera dringend fortgesetzt werden sollten, um zahlreiche nach wie vor offene Fragen zu klären.
Schlagwörter
Thera, Apollon Karneios, Heiligtum, Straße, Sondage, stratigraphische Grabung
Abstract
On the Chronology of Ancient Thera
Trenches at the Sanctuary Apollon Karneios and in Street 11
Arno Kose – Benjamin Engels – Monika Trümper
Large parts of the ancient city of Thera were excavated between 1896 and 1902 under the direction of Friedrich Hiller von Gaertringen, but systematic archaeological investigations that would examine the city’s development were only carried out under Wolfram Hoepfner in the 1990s. Hoepfner’s team studied the architecture and made stratigraphic soundings in several areas of the city, which were, however, not all published. The aim of this paper is to publish, based on the old documentation, trenches at two points which provide exemplary insight into the city’s development from the Archaic period to the Roman Imperial period. The trench that was made in the sanctuary of Apollon Karneios in 1994 allows, for the first time, two large phases to be reconstructed for this complex. The sanctuary was probably built in the Archaic period and remodelled in the Hellenistic period when a large courtyard with a cistern and two secondary rooms were added. Two trenches dug in Street 11 in 1991 and 1992 show that the street and bordering buildings were not constructed before the Hellenistic period. A thick layer of pumice was fully exposed, which had been deposited on the bedrock and served as fill to support the street. Similar levelling layers of pumice have been found since the earliest excavations in several areas of the city, but they were usually not explored to the bottom and have not yet been systematically investigated to assess their date and function. At the end, it is argued that even confined investigations provide important results and insights and that further stratigraphic trenches should be dug in Thera in order to answer the many still open questions.
Keywords
Thera, Apollo Karneios, sanctuary, street, trenches, stratigraphic excavation
Einleitung
Apollon Karneios-Heiligtum
Forschungsgeschichte
Urbaner Kontext
Plan
Identifizierung
Chronologie
Sondage 1994 A
Auswertung
Straße 11
Straßenbeläge in Thera
Sondagen 1991 C und 1992 G in der Straße 11
Auswertung
Fazit
Die Keramik aus der Sondage 1994 A
Stratum I
Stratum II
Stratum III
Stratum IV
Stratum V
Stratum VI
Stratum VII
Stratum VIII
Stratum IX
Stratum X
Stratum XI
Katalog
Stratum I
Stratum II
Stratum III
Stratum VI
Stratum IX
Stratum XI
Danksagung
Abstracts
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