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Der lange Schatten der Palastzeit
Die nördliche Unterstadt von Tiryns: ein Großbauprojekt palast- und nachpalastzeitlicher Entscheidungsträger
Thomas Birndorfer, Hans-Rudolf Bork, Stefan Hecht, Svetlana Khamnueva-Wendt, Susanne Prillwitz, Ingmar Unkel
Einleitung
1Lange Zeit betrachtete die Forschung zur mykenischen Kultur die Zerstörung der mykenischen Paläste und Burgen um 1200 v. Chr. als eine historische Wasserscheide, die nicht nur das Verschwinden von Schrift, Bürokratie und Palästen, sondern auch die Schrumpfung oder gar Aufgabe zentraler Orte bewirkt und die ›Dunklen Jahrhunderte‹ eingeleitet habe. Das Beispiel Tiryns zeigt, dass die Vorstellung einer scharfen Zäsur in Teilen korrekturbedürftig ist und die Rede von ›Dunklen Jahrhunderten‹ den Besonderheiten der archäologischen Hinterlassenschaften gerade des 12. Jhs. v. Chr. an diesem Ort nicht gerecht wird: Die Jahrzehnte vor und nach dem Untergang der Paläste müssen als ein durch Traditionslinien verbundener historischer Zeitraum des Wandels gemeinsam betrachtet werden. Anlass zu der Neubewertung der Jahrzehnte nach der Katastrophe gibt, neben dem Antenbau in der Palastruine auf der Oberburg , vor allem die nördliche Unterstadt , wo nach der Umleitung eines Flusses, der zuvor unmittelbar nördlich von der Akropolis von Tiryns vorbeigeflossen war, nach 1200 v. Chr. ein neuer Siedlungsteil entstand. Die zwischen 2013 und 2018 in deutsch-griechischer Zusammenarbeit durchgeführten Ausgrabungen im nordwestlichen Teil dieser Unterstadt haben dazu beigetragen, die bisher angenommene Schärfe der Transformation von der mykenischen Palast- zur Nachpalastzeit weiter zu relativieren und in Frage zu stellen.
2In Zusammenarbeit zwischen der Direktorin der Ephorie für Altertümer der Argolis, Dr. Alkestis Papadimitriou, und dem Leiter der Ausgrabungen des Deutschen Archäologischen Instituts in Tiryns, Prof. Dr. Joseph Maran (Universität Heidelberg), wurde jeweils im Sommer und Frühherbst der Jahre 2017 und 2018 die im Jahre 2013 begonnene Ausgrabung der nordwestlichen Unterstadt fortgesetzt und zum Abschluss gebracht (Abb. 1. 2). Über Ergebnisse der Ausgrabungen 2013–2015 wurde bereits ausführlich berichtet[1], so dass der folgende Beitrag dazu dienen soll, über diejenigen der Ausgrabungen in den Jahren 2017 und 2018 zu informieren. Die Ausgrabung befindet sich rund 35 m nordwestlich jener Grabungsflächen, die Klaus Kilian 1976 im Vorbereich des Grabungsmagazins angelegt hat und durch die erstmalig die besondere Bedeutung der nördlichen Unterstadt während der Phase Späthelladisch (SH) IIIC erkannt wurde[2].
3Die Ausgrabung zielte darauf ab, die sich im Anschluss an die Flussumleitung vollziehende Dynamik der Nutzung des trocken gefallenen Areals zwischen der ausgehenden Palastzeit des späten 13. Jhs. v. Chr. und der frühen Eisenzeit besser zu verstehen. Die im Grabungsareal vorliegenden Spuren vergangener Aktivitäten sollten dabei als Archiv zur Analyse der Kultur- und Sozialgeschichte vor allem jenes Zeitabschnitts der mykenischen Nachpalastzeit erschlossen werden, während dem die Geschichte der mykenischen Gemeinschaft von Tiryns einen von allen anderen mykenischen Zentren so auffällig abweichenden Verlauf nahm. Der große Vorzug des nördlichen Teils der Unterstadt liegt darin, dass die bisherigen Untersuchungen übereinstimmend darauf hinweisen, dass in dieser Zone unmittelbar unter der heutigen Oberfläche ganze Sequenzen übereinanderliegender und von späteren Störungen weitgehend unbeeinträchtigter Befunde der Phase SH IIIC vorliegen, deren früheste auf einer Neukonzeption im frühen 12. Jh. v. Chr. auf sterilen Flussablagerungen fußen. In der Ausgrabung wurden die bisher in Tiryns erfolgreich angewandten Methoden der Befund- und Fundanalyse durch ein breites Spektrum mikroarchäologischer Untersuchungsmethoden ergänzt, welche helfen, die Aktivitäten und die soziale Stellung der das Areal bewohnenden Gruppen in zeitlicher Tiefe zu charakterisieren.
J. M.
Die Ausgrabungen 2017–2018 in der nordwestlichen Unterstadt
4Im Jahre 2017 wurden im nördlichen Anschluss an die 2013–2015 untersuchten vier Schnitte zwei neue geöffnet (Quadranten LI24 und LII24) und darüber hinaus in Schnitten der vorangegangenen Jahre weitere Erkenntnisse zu den frühesten Siedlungsspuren auf den trocken gefallenen Sedimenten des umgeleiteten Flusses gewonnen (Abb. 1). Im Jahre 2018, der letzten Ausgrabungskampagne in der nordwestlichen Unterstadt, lag der Schwerpunkt auf der Fertigstellung der Untersuchungen in den Quadranten LI24 und LII24, während in den in den vorangegangenen Jahren erforschten Quadranten nur punktuell ergänzende Ausgrabungen vorgenommen wurden. Dabei wurde der Profilsteg zwischen den Quadranten LI25 und LII25 abgetragen und Quadrant LII25 im Südosten leicht erweitert, um einen früheisenzeitlichen Grabfund zu untersuchen. Am Ende der Ausgrabung war in LI25 eine Tiefe von ca. 3,12–3,24 m ü. NN, in LII25 eine Tiefe von ca. 3,14–3,26 m ü. NN, in LI24 eine Tiefe von ca. 3,22–3,40 m ü. NN und in LII24 eine Tiefe von ca. 3,33–3,39 m ü. NN erreicht worden. Veranlasst durch die geophysikalischen Untersuchungsergebnisse, die auf eine W-O orientierte Anomalie rund 70–80 m nördlich der Flächengrabung hindeuteten (vgl. Beitrag Hecht), wurde durch die Ephorie für Altertümer der Argolis in den Quadranten LI17 und LII17 eine bis zu 6,0 m lange und bis zu 1,50 m breite Sondage angelegt, um Hinweise zur Interpretation dieser Anomalie zu erhalten (Abb. 1. 140).
Ausgrabung in den Quadranten LI24–26, LII24–26
Mykenische Zeit
5Eine der zentralen Fragen, die das Projekt von Anfang an geleitet haben, war die, zu welchem Zeitpunkt nach der Flussumleitung das durch die Ausgrabung untersuchte Areal erschlossen und genutzt wurde. Die ersten drei Ausgrabungskampagnen (2013–2015) hatten keine Befunde erbracht, die eindeutig belegt hätten, dass nach der Flussumleitung bereits am Ende der Palastzeit Aktivitäten zur Erschließung und Nutzung des untersuchten Areals stattgefunden haben. Dies änderte sich in den Kampagnen 2017 und 2018, als Spuren spätpalastzeitlicher Aktivitäten zum Vorschein kamen, die dazu beitragen, die Art der Nutzung des Areals vor der Errichtung der SH IIIC-zeitlichen nördlichen Unterstadt in einem neuen Licht erscheinen zu lassen. Auch wenn sich keine Hinweise auf fertiggestellte SH IIIB2-zeitliche Steingebäude eingestellt haben, gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass bereits während der Palastzeit damit begonnen wurde, das Areal für eine Bebauung vorzubereiten und auf den trocken gefallenen Sedimenten bestimmte Tätigkeiten auszuführen. Überraschenderweise waren es dabei vor allem für den Palast arbeitende Kunsthandwerker, die in dem Areal ihre Spuren hinterlassen haben.
Befunde und Funde der späten Palastzeit (SH IIIB2)
6Vor der Ausgrabungskampagne 2017 war angenommen worden, dass die Gebäude des ersten SH IIIC-zeitlichen Bauhorizonts auf dem einplanierten oberen Abschnitt der Fluss-Sedimente erbaut worden waren. Bei den 2017 und 2018 durchgeführten geoarchäologisch-sedimentologischen Untersuchungen wurde diese Ansicht aber widerlegt, denn über den eigentlichen Flussablagerungen befinden sich die anthropogenen Aufschüttungen Y2 und Y3 (Abb. 137; vgl. Beitrag Birndorfer u. a.). Die durchschnittlich ca. 0,25 m starke und weitgehend sterile obere Aufschüttung Y3, auf der die Bebauung des ersten Bauhorizonts gegründet wurde, war flächig aufgetragen und einplaniert worden, wohl um einen stabilen Untergrund für geplante Baumaßnahmen zu schaffen (Abb. 3. 137). Eingeschlossen in diese damit als Planierschicht zu bezeichnende Aufschüttung fanden sich zahlreiche Beispiele von leicht gebogenen oder gerade verlaufenden verhärteten Wülsten aus Sand, die manchmal eine knotenartige Verdickung aufweisen (Abb. 4). Es handelt sich hierbei sicher nicht um Artefakte, sondern um natürlich entstandene Objekte. Die derzeitige Deutung ist, dass die Sandwülste dadurch entstanden sind, dass das am Ende der Palastzeit für die Bebauung vorbereitete Gelände von Schilfrohr bestanden war, das anlässlich der baulichen Erschließung bis zu einer bestimmten Höhe abgeschnitten wurde[3]. Als dann die Planierschicht großflächig aufgetragen wurde, füllten sich die angeschnittenen Hohlräume der Stengel und der Nodien (Knoten) des Schilfs mit Sand, was zur Bildung der zylindrischen Wülste mit knotenartiger Verdickung als Sandabdrücke der Schilf-Innenseiten führte.
7Die Maßnahme des Auftragens einer Planierschicht muss in der späten Palastzeit erfolgt sein, da in die Aufschüttung Befunde dieser Zeit einschnitten. Im Norden von Quadrant LII25 wurde ein West-Ost orientierter flacher Graben (Befund-Nr. 140/17; Sohle bei 3,10–3,21 m ü. NN; Abb. 5) freigelegt, der über mehrere Meter verfolgt werden konnte und von den Befunden des ersten nachpalastzeitlichen Bauhorizonts überlagert wurde. Da der Graben auffällig parallel zu den Mauern verlief, die kurz danach am Beginn der Nachpalastzeit in dem Areal entstanden, könnte es sich um die Spur einer geplanten Baumaßnahme und möglicherweise sogar um einen begonnenen Fundamentgraben eines Gebäudes handeln. Im Unterschied zu den Gebäudemauern der Nachpalastzeit, die man auf ebener Erde gründete, wurden die der Palastzeit nämlich in der Regel in einen eigens hierfür ausgehobenen Fundamentgraben hineingesetzt[4]. Das keramische Fundmaterial aus der Verfüllung des Grabens datiert überwiegend in SH IIIB2 und enthält zahlreiche Beispiele für Importe z. B. von kanaanitischen Amphoren und Gefäßen aus Kreta sowie wahrscheinlich auch aus dem Dodekanes und Zypern (Abb. 6. 7)[5]. Des Weiteren wurde in dem Graben ein Fragment eines leicht gebogenen, einseitig gerippten Objekts aus blauem Glas gefunden (Abb. 8)[6]. Aus Befunden der beiden SH IIIC-zeitlichen Bauhorizonte ist eine solche Dichte von Importen und besonders von kanaanitischen Amphoren unbekannt. Im obersten Abschnitt des Grabens fand sich auch ein Langknochen eines männlichen oder weiblichen Individuums mit einem Alter zwischen 18 und 25 Jahren (Befund-Nr. 127/17; Qu. LII25/8), einer der ganz wenigen menschlichen Skelettreste aus mykenischem Kontext in der Ausgrabung in der nordwestlichen Unterstadt[7].
8Von ganz anderer Art als dieser flache Graben sind die anderen in die Planierschicht einschneidenden Befunde, die zu Behausungen und anderen Strukturen aus sehr leichtem Material gehört zu haben scheinen. Hierzu zählen geradlinig verlaufende, schmale Streifen (Breite zwischen ca. 4 und 10 cm) mit einer Füllung aus grauem Sand (Abb. 9. 10), die vor allem in den Quadranten LI25 und LII24 beobachtet wurden. In Profilaufschlüssen erwiesen sich diese linear verlaufenden Streifen als Spuren sandgefüllter Hohlformen mit rundlichem Querschnitt, die außen mit einer dünnen ›Haut‹ aus Lehm umgeben waren (Abb. 10. 11). Im SO-Teil des Quadranten LI25 und dem angrenzenden O-Profil des Quadranten wurde beobachtet, dass eine mit einem maximalen Durchmesser von ca. 24 cm besonders große sandgefüllte Hohlform (Befund-Nr. 253/17) zu einem Streifen gehörte, der schräg ins Profil hineinlief und deshalb im Querschnitt breit-oval erschien (Abb. 10). Rund 17 cm nördlich davon befand sich ein weiterer vom Profil geschnittener Streifen, der jedoch in einem weniger spitzen Winkel auf das Profil traf und sich deshalb im Querschnitt eher rundlich abzeichnete (Abb. 10. 12). Die beiden Streifen, die sich kurz vor Erreichen des Profils kreuzten, waren umgeben von sandigem Sediment grünlichgelber Verfärbung, das sich auch über den angrenzenden südöstlichen Teil von Quadrant LI25 erstreckte. Die derzeitige Interpretation ist, dass wir es mit Spuren von mit Sand gefüllten und mit Lehm ummantelten Schläuchen aus Leder oder Stoff zu tun haben, die waagerecht verlegt und mit Sediment überschüttet wurden (siehe unten).
9Im Süden von Quadrant LI25 fanden sich die sandgefüllten linearen Streifen in nächster Nachbarschaft von einer Konzentration von Pfostengruben (Abb. 13. 14). Eine der geschnittenen Pfostengruben (Befund-Nr. 189/17) zeichnete sich als schmale, senkrechte und tief in den Boden reichende Verfärbung mit einem maximalen Durchmesser von 10 cm ab. In einem anderen Fall fand sich an der Sohle der sich bei 3,18 m ü. NN abzeichnenden Pfostengrube (max. Durchmesser 16 cm) ein waagerechter liegender Stein als Unterlage (Befund-Nr. 157/17; Abb. 15). All diese Spuren sind stratigraphisch älter als der erste SH IIIC-zeitliche Bauhorizont. Da einige der Streifen miteinander in Ecken zusammenliefen, sich kreuzten oder sogar Y-förmig gabelten dürfte es sich um Reste sehr leichter, ephemerer Strukturen handeln, die in Kombination mit den zu Zelten oder kleinen Hütten aus organischem Material gehörenden Pfostengruben verwendet wurden. Die im Boden verlegten sandgefüllten Schläuche könnten als Verstärkung im Inneren von Bodenwellen gedient haben, die aufgehäuft wurden, um bei Starkregenereignissen Oberflächenwasser von den Zelten bzw. Unterständen abzuleiten. Derartige leichte Behausungen und die vielleicht zu ihrem Schutz verlegten sandgefüllten Schläuche sind bisher unseres Wissens noch nie in Tiryns oder einem anderen Ort der mykenischen Zeit beobachtet worden.
10Um die Pfostengruben und schmalen Streifen herum fanden sich in Quadrant LI25/78 nahe beieinander und vielleicht in einer nicht erkannten Grube liegend Überreste der Verarbeitung von Elfenbein, darunter mehrere Werkstücke, die für Möbel palatialen Charakters vorgesehen waren (Abb. 16. 17. 18)[8]. Hierzu gehören langgestreckt-keilförmige Werkstücke mit deutlichen Schnittspuren (Abb. 18) und das 3,3 cm hohe Halbkapitell einer Halbsäule, deren Schaft aus Holz bestanden haben muss (Abb. 16). Die abgeflachten Seiten des Halbkapitells sind mit einem Netz aus feinen, sich rechtwinklig kreuzenden Linien überzogen. Mittels dieses Liniennetzes wurde auf geometrische Weise die Position rechteckiger Zapflöcher exakt konstruiert, die zur Verbindung der aus Elfenbein und Holz bestehenden Teile von Möbelstücken dienten. Zwei der drei auf diese Weise konstruierten Zapflöcher waren bereits ausgehöhlt worden, während ein drittes Zapfloch, mit dem die flache Hinterseite des Halbkapitells an den Körper des mutmaßlich aus Holz bestehenden Möbelstücks angefügt werden sollte, zwar in seinen Umrissen bestimmt, aber noch nicht ausgehöhlt wurde.
11Auch die Seiten eines flachen, quaderförmigen Werkstücks (Abb. 17) waren mit einem ähnlichen Liniennetz überzogen, mit dem in diesem Fall aber keine Zapflöcher, sondern die Position von Nuten konstruiert wurde. Bei einer dieser rechteckigen, als Nut vorgesehenen Flächen wurde bereits begonnen, sie mit einem zugespitzten Gerät auszuhöhlen, dessen Spuren deutlich zu erkennen sind. Eine Seite des quaderförmigen Werkstücks zeigt darüber hinaus an einem seiner Enden eine Reihe von vier, in regelmäßigem Abstand angeordneten kleinen Bohrungen, die vermutlich ebenfalls als Hilfspunkte für die exakte Bearbeitung des Objekts angelegt wurden. Die auf der Nutfläche des Werkstücks erkennbaren Bearbeitungsspuren könnten mittels eines in der Nähe der Elfenbein-Objekte gefundenen Bronzegeräts erzeugt worden sein. Zwar ähnelt das Objekt von seiner Form einem Meißel, aber im Unterschied zu diesem hat es keine Schneide, sondern eine Spitze (Abb. 19).
12Weitere Elfenbein-Objekte fanden sich in Sedimenten des ersten SH IIIC-zeitlichen Bauhorizonts. Hierzu gehören das Werkstück einer kleinen Halbsäule mit Zapfen (Qu. LII25/36; Abb. 20), das Fragment des Werkstücks eines weiteren, aber kleineren Halbkapitells (Abb. 21) und ein in Quadrant LI24/57.68 gefundener, ca. 12,4 cm langer, aus zwei auf der Rückseite miteinander verzapften Teilen bestehender achtförmiger Schild (Abb. 22) mit ausgeschnittenen Feldern zum Einlegen von dunklem Material, um die Flecken eines Rinderfells wiederzugeben. Die auf der Rückseite vorhandenen eingeschnittenen Öffnungen zeigen, dass auch dieses Objekt als Applikation für ein Möbelstück aus Holz hergestellt wurde. Hinzuzurechnen zu dieser Gruppe sind ferner die beiden, schon 2014 im Nordwesten von Quadrant LI26 gefundenen, Lilien- bzw. Papyrus-förmigen Elfenbein-Applikationen[9], die seinerzeit aufgrund ihrer Fundlage dem älteren Abschnitt des ersten SH IIIC-zeitlichen Bauhorizonts zugerechnet worden waren, jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit der spätpalastzeitlichen Elfenbeinbearbeitung entstammen. Der gemeinsame Nenner all dieser Elfenbein-Objekte besteht darin, dass es sich um Werkstücke von Möbel-Applikationen handelt, die in dieser Form und Qualität eigentlich nur für die Palastzeit denkbar sind[10]. Deshalb ist es sehr wahrscheinlich, dass die in SH IIIC-zeitlichen Sedimenten gefundenen Stücke den gleichen kunsthandwerklichen Aktivitäten wie die palastzeitlichen entstammen und durch Verlagerungsprozesse in die etwas jüngeren Schichten hineingelangt sind.
13Ebenfalls dem Kontext palastzeitlicher kunsthandwerklicher Tätigkeiten zuzuordnen ist ein in Quadrant LI25/65 gefundener kleiner Gesteinsblock aus einem rötlichen, silbrig glänzenden Steinmaterial, der an mehreren Seiten durch Sägeschnitte in Form gebracht wurde (Abb. 23). Auf der glatt geschliffenen Oberseite befindet sich eine sorgfältig in die Oberfläche eingearbeitete, kleine, ovale Vertiefung, um die herum mehrere Bohrlöcher angeordnet sind. Die ovale Vertiefung entspricht in ihrer Größe und Form den Ringschilden mancher Goldsiegelringe. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich um die Unterlage einer mehrteiligen Gussform für die Herstellung von Goldsiegelringen, bei der eine zweischalige Gussform mit dem Negativ der senkrecht zum Ringschild stehenden Ringschiene auf die Unterlage aufgesetzt und durch Stifte mit ihr befestigt wurde. Anschließend erfolgte der Einguss des Goldes von oben in die zweischalige Gussform[11].
14Unter den in der Planierschicht gefundenen Beispielen SH IIIB2-zeitlicher Keramik sind ein großes Fragment eines Skyphos A ohne Innenfirnis (Befund-Nr. 36/17), das sich in der Nähe der Konzentration von Elfenbein-Werkstücken in Quadrant LI25 fand, sowie Fragmente mindestens eines Kraters des bekannten ›Painter of the Shield Bearers‹[12] (Abb. 24. 25. 26) aus den Quadranten LI24 und LII24, dessen Gefäße nachweislich in Tiryns hergestellt wurden[13]. Des Weiteren gab es Fragmente von Vorratsgefäßen mutmaßlich zyprischer Provenienz (Abb. 27. 28).
15Von anderer Art als die relativ schmalen Pfosten in dem Quadrant LI25 ist eine Pfostengrube (Befund-Nr. 155/18), die in Quadrant LII24/67 beobachtet wurde. Sie fand sich unmittelbar an der Innenseite von Mauer 2/18 (Unterkante 3,48–3,49 m ü. NN), war aber älter als diese, da sie von der Mauer überlagert wurde, und setzte bei ca. 3,45 m ü. NN an. Die Grube war in die Planierschicht eingetieft und hatte einen Durchmesser von ca. 0,25 m. Als sie geschnitten wurde, zeigte sich, dass sie sehr tief herabreicht, denn auch bei einer Tiefe von 1,10 m war ihre Sohle noch nicht erreicht worden. Da der Schnitt durch die Grube aus Zeitgründen nicht erweitert werden konnte, konnte ihre Tiefe nicht festgestellt werden. In einer Entfernung von ca. 0,84 m südöstlich (Befund-Nr. 154/18) bzw. 1,38 m östlich (Befund Nr. 153/18) dieses Befundes wurden zwei weitere potentielle Pfostengruben festgestellt, die aber keinen vergleichbaren Befund ergaben. Die erstaunliche Tiefe, in die man die Pfostengrube in den Boden trieb, und ihre Breite deuten darauf hin, dass der Pfosten, der in dem Befund-Nr. 155/18 stand, nicht für ein Gebäude oder eine leichte Behausung gedacht war, sondern als ein Hilfsmittel bei der Vermessung des Areals vor Beginn der Bebauung gedient haben könnte (siehe unten). Eine solche Vermessung des Areals könnte noch am Ende der Palastzeit oder aber ganz am Beginn der Nachpalastzeit vorgenommen worden sein.
Erster SH IIIC-zeitlicher Bauhorizont, älterer Abschnitt
16Die systematische Bebauung des Areals scheint erst in der Zeit nach der Palastzerstörung begonnen zu haben. Die Neubebauung folgte einem in rechteckige Module aus gleich gerichteten Höfen und Häusern bestehenden Bebauungsschema (Abb. 29), das in den Grundzügen in beiden Bauhorizonten des 12. Jhs. v. Chr. beibehalten wurde. Der erste Bauhorizont datiert in SH IIIC Früh und lässt sich in einen älteren (Abb. 30) und jüngeren Abschnitt (Abb. 31) unterteilen[14].
17Ergänzende Beobachtungen zu SH IIIC-zeitlichen Befunden wurden in Quadrant LI25 in Raum 1/15 gemacht. In Quadrant LI25/72 fanden sich unter der zu Raum 1/15 gehörenden ältesten Lauffläche des ersten SH IIIC-zeitlichen Bauhorizonts zwei kleine Bronzebleche, von denen das eine zylindrisch eingerollt und das andere rechteckig zurechtgeschnitten ist. Auf dem eingerollten Blech sind Spuren möglicherweise einer Verzierung zu erkennen, während die Verzierung des geschnittenen Bleches besser zu erkennen ist: Sie besteht aus dem Rest eines gerundeten, von drei konzentrisch angeordneten Punktbuckelreihen eingefassten Zierfeldes mit einer Füllung aus kleinen Buckeln, um die sich Punktbuckelreihen schleifenförmig herumlegen (Abb. 32). Zwei Punktbuckelreihen laufen speichenartig von der Innenseite des Zierfeldes nach Innen. Die Art und Ausführung der Verzierung des Blechs deutet darauf hin, dass es sich um das Fragment einer Beinschiene handeln dürfte, wie sie, inspiriert von urnenfelderzeitlichen Vorbildern aus Italien und dem Balkanraum, vor allem aus Kriegergräbern der Abschnitte SH IIIC Mitte bis Spät vorliegen. Vom Kontext her muss die Deponierung des Blechs in dem frühesten Abschnitt von SH IIIC oder sogar am Ende der Palastzeit erfolgt sein. Sofern die Zuweisung zu einer Beinschiene zutrifft, wäre es einer der frühesten Nachweise für derart verzierte Schutzwaffen im Ostmittelmeerraum[15].
18Ferner stellte sich heraus, dass die 2015 im Süden von Raum 1/15 leicht schräg liegend angetroffene steinerne Gussform für Bronzesicheln (Befund-Nr. 338/15; Oberkante 3,45 m ü. NN; Unterkante 3,27 m ü. NN)[16] in der Verfüllung einer Grube annähernd rechteckigen Grundrisses gelegen haben muss, die erst ab ca. 3,13 m ü. NN in der Fläche erkannt wurde (Grube 9/17) und mit metallurgischen Tätigkeiten in Verbindung gestanden haben könnte. Im Inneren der Grube fand sich der Rest einer Installation mit Spuren von Feuereinwirkung (Abb. 153. 154. 155; vgl. Beitrag Prillwitz). Zwar kann die Oberkante der Grube nicht sicher gefasst werden, doch spricht der Sachverhalt, dass die im Inneren der Grube freigelegte Rotlehmstruktur in Teilen erhalten war und dass es oberhalb der Gussform keine weiteren Funde oder Befunde gab, die mit der Grube in Zusammenhang stehen könnten, dafür, dass die Grube in den älteren Abschnitt des ersten Bauhorizonts datiert.
19In Quadrant LII25 zeigte sich, dass der am Ende der Kampagne 2015 angeschnittene Hof 1/15 eine etwas geringere Größe als der darüberliegende Hof 2/15 des jüngeren Abschnitts des ersten SH IIIC-zeitlichen Bauhorizonts gehabt hatte, weil der östlich und nordöstlich an ihn angrenzende Raumkomplex zu jener Zeit noch über eine in den Hof vorspringende Vorhalle verfügt hatte (Raum 7/17). Im ältesten Zustand von Hof 1/15 wurde die einplanierte, aber recht unebene Oberfläche der palastzeitlichen Nivellierschicht als Lauffläche (Oberkante 3,36–3,55 m ü. NN) sowie als Auflager für viele der in dieser Zeit erbauten Mauern genutzt. Auf die älteste Lauffläche folgte in dem Hof eine dichte Sequenz immer wieder erneuerter und durch dünne Aschebänder getrennter Laufflächen, die im Laufe des älteren Abschnitts des ersten Bauhorizonts angelegt wurden. Die Laufflächen korrespondierten mit der zentralen Herdstelle in dem Hof, die mehrmals an der gleichen Stelle erneuert worden war (Abb. 33), und zwar von unten nach oben: Befund-Nr. 187/17 (Oberkante etwa bei 3,23–3,30 m ü. NN), Befund-Nr. 143A/17 (Oberkante 3,45–3,46 m ü. NN), Befund-Nr. 142/17 (Oberkante 3,47 m ü. NN), was das hohe Maß an Kontinuität in der Nutzung unterstreicht. Alle diese Herdstellen waren durch die Anlage des etwas jüngeren Herdes (Befund-Nr. 15/17; siehe unten) schwer gestört worden, so dass ihre Scherbenlagen nur noch reliktisch erhalten blieben.
20Im Jahre 2017 wurde festgestellt, dass die am Ende der Kampagne 2015 teilweise freigelegten und als Mauern 13/15 und 14/15 bezeichneten Befunde anders zu interpretieren sind als seinerzeit angenommen wurde[17]. Die in Teilen einhäuptig ausgeführte Mauer 13/15 war keine tragende Mauer, sondern eine Steinsetzung, die als Abgrenzung und Schwelle zwischen dem Hof 1/15 und einer in der nordöstlichen Ecke dieses Hofes abgegrenzten Vorhalle (Raum 7/17) diente. Durch die sich zum Hof öffnende Vorhalle gelangte man zu dem als Raumkomplex 8/17.5/15.6/15.7/17 bezeichneten Baukörper, welcher der Vorgänger von Raumkomplex 4/15.5/15.6/15 war[18]. Die vorgezogene Mauer 14/15 war errichtet worden, um das Dach der Vorhalle zu stützen und das Gebäude vor Wind zu schützen (Abb. 34. 35). Die Mauer war gegenüber den anderen W-O orientierten Mauern im Bereich des Hofes 1/15 leicht nach Norden verschwenkt, was damit zusammenhängen dürfte, dass sie entlang der nördlichen Kante eines zuvor angelegten Plattenpflasters (Befund-Nr. 18/17; siehe unten) gegründet wurde. Über die mit Steinen vorgesetzte Schwellkonstruktion (Mauer 13/15) betrat man die von einer Doppelpfostenstellung getragene Vorhalle. Die beiden Pfosten lagen mittig im Verhältnis zur westlich von ihnen gelegenen Schwelle, jedoch leicht nach Norden verschoben im Verhältnis zur Mittelachse des östlich angrenzenden Hauseingangs. Der nördliche der beiden Pfosten war einmal erneuert worden. In dem älteren Zustand, bei dem die Lauffläche der Vorhalle etwa bei 3,36 m ü. NN lag, war der Pfosten in eine Grube gesetzt worden (Befund-Nr. 129/17), während man in dem jüngeren Zustand den Pfosten auf eine steinerne Unterlagsplatte stellte (Oberkante 3,58 m ü. NN). Der südliche der beiden Pfosten (Befund-Nr. 128/17) war in den Boden eingetieft und seitlich mit kleinen Bruchsteinen gefestigt worden (Oberkante 3,48 m ü. NN). Von der Vorhalle gelangte man nach Osten in die weiteren Räume des Raumkomplexes durch einen ca. 1,20 m breiten Eingang mit einer aus zwei dicken Kalksteinplatten bestehenden Schwelle (Oberkante 3,58–3,61 m ü. NN). Direkt seitlich am Eingang zu Raumkomplex 8/17.5/15.6/15.7/17 sprang die steinerne Schwelle des Eingangs an ihrem nördlichen Ende dreieckig nach Westen vor (Oberkante 3,57 m ü. NN; Abb. 34. 35) und zeigte in ihrer Mitte eine rundliche Vertiefung, die als Auflager für einen hölzernen Pfosten vielleicht einer Türkonstruktion gedient haben könnte. In der NO-Ecke der Vorhalle (Qu. LII25/36) fand sich eingetieft in die Lauffläche eine Reihe von kleinen Öffnungen, in denen schmale Pfosten aus Zweigen oder ähnlichen Materialien gestanden haben dürften. Vermutlich befand sich an dieser Stelle ein kleiner Verschlag, der aus senkrecht in den Boden gesteckten Ästen und einer Ausfachung aus Zweigen bestand.
21In der südöstlichen Ecke des Hofes 1/15 befand sich ein sorgfältig mit Steinplatten gepflasterter Bereich (Befund-Nr. 18/17; Oberkante 3,51–3,62 m ü. NN), auf dessen nördlichen Rand die Mauer 14/15 gesetzt wurde. Das Pflaster war dementsprechend vor der Anlage der Vorhalle (Raum 7/17) verlegt worden. Ebenfalls in dem Hof gab es einen im Boden eingelassenen ovalen Behälter (Befund-Nr. 114/17; Qu. LII25/32.33.42.43), als dessen Boden man ein Bodenstück einer keramischen Wanne wiederverwendete (Oberkante 3,33 m ü. NN) und dessen Wand aus Lehm bestand, der sich mantelartig um den Boden herumlegte und noch bis zu einer Höhe von 3,41 m ü. NN anstand (Abb. 36). In Quadrant LII25/65 kam bei 3,33 m ü. NN der obere Abschluss des Rückenteils einer Wandapplik zum Vorschein (Abb. 37). Im Süden des Hofes wurde in Quadrant LII25/73.74 eine aus Steinplatten bestehende Pflasterung geringen Ausmaßes festgestellt (Befund-Nr. 20/17; Oberkante 3,51–3,55 m ü. NN). Nach Wegnahme der Platten zeigte sich, dass mit ihnen eine kleine Grube verschlossen worden war, in der sich Grobsand grauer Farbe befand. Auf der Sohle der Grube lag horizontal eine steinerne Schleifplatte (Abb. 38). Der Sinn dieser Deponierung ist unklar.
22Nördlich von Hof 1/15 hatte man, nach dem Auftrag der Planierschicht, aber vor dem Beginn der Bebauung, als oberen Abschluss der Verfüllung des Grabens der späten Palastzeit eine Lage gelben Lehms aufgetragen (Oberkante ca. 3,34–3,45 m ü. NN; Abb. 39), um in diesem Areal einen einheitlichen Baugrund zu schaffen, auf dem Raumkomplex 8/17.5/15.6/15.7/17 errichtet wurde. Auf der Lehmlage wurde die Mauer 10/14 als nördlicher Abschluss dieses Raumkomplexes und als S-Wand des nördlich angrenzenden Raumes 1/18 erbaut. Parallel zu dieser Mauer wurde Mauer 8A/14 errichtet, welche den südlichen Abschluss von Raum 8/17 bildete und außerhalb der Grabenverfüllung gegründet worden war (Abb. 40). Als westliche Begrenzung des Raumes diente Mauer 8/17, die unter Mauer 12/15 zum Vorschein kam. Im Inneren von Raum 8/17 wurde die gelbe Lehmlage als Fußboden verwendet (Oberkante 3,39–3,46 m ü. NN), in den in Quadrant LII25/25 an der Innenseite von Mauer 8A/14 eine Steinplatte integriert war. Auf dem Fußboden lagen in Quadrant LII25/5.6.15.16 ein Kochtopf (Befund-Nr. 10/17; Abb. 41) und, weiter im Osten desselben Raumes, dort, wo sich in Raum 4/15 des darauffolgenden jüngeren Abschnitts des ersten Bauhorizonts eine Lehmplattform befand (Qu. LII35/9.10.19.20.29.30)[19], zahlreiche Gefäßteile (Befund-Nr. 95/17–98/17) sowie eine Konzentration von spulenförmigen Webgewichten (Befund-Nr. 13/17; Abb. 42).
23Unter den Funden des älteren Abschnitts des ersten Bauhorizonts sticht ein in Teilen erhaltener Krater hervor, dessen meiste Fragmente sich im Jahre 2017 in Quadrant LII25/21.22 in Ablagerungen im Hinterhof westlich von Raum 8/17 fanden (Abb. 43. 44. 45). Weitere Fragmente des Gefäßes kamen 2018 bei der Abtragung des Profilstegs zwischen den Quadranten LI25 und LII25 zutage (Abb. 46. 47). Der Erhaltungsgrad des Kraters ist dennoch leider sehr fragmentarisch, was die Rekonstruktion der auf ihm wiedergegebenen Szenen erheblich erschwert. Durch die bei der Abtragung des Profilstegs gemachten Schichtbeobachtungen konnte bestätigt werden, dass der ›Handschlag-Krater‹[20] zu dem älteren Abschnitt des ersten SH IIIC-zeitlichen Bauhorizonts gehört haben muss. Das Gefäß zeigt die einzigartige Darstellung von sich gegenüberstehenden Kriegern, die sich die Hand reichen. Ein mit einem Schachbrettmuster gefülltes senkrechtes Zierfeld scheint bei diesem Gefäß im Sinne der Angabe von Architektur verstanden worden zu sein, da aus dem oberen Abschluss des Zierfeldes Kriegerköpfe herausragen, die offenbar das Geschehen von oben herab betrachten. Eine Parallele für eine solche Verwendung eines Schachbrettfeldes im Sinne einer Architekturfassade findet sich auf einem in SH IIIC-Mitte datierten Krater aus Kalapodi [21]. Die Darstellung aus Tiryns wirft die Frage auf, ob hier ein konkretes historisches Ereignis der Begegnung zwischen den Anführern von Gruppen z. B. anlässlich der Besieglung eines Bündnisses, eines Friedensschlusses oder einer anderen Art von Übereinkunft gemeint gewesen sein könnte.
24Die Ausgrabung in den Quadranten LI24 und LII24 führte zur Freilegung einer nicht nur besonders intensiven, sondern auch von der Größe und Struktur der Gebäude außergewöhnlichen Bebauung während des ersten SH IIIC-zeitlichen Bauhorizonts. In keiner der bisherigen Ausgrabungen in Tiryns konnte der durch den älteren Abschnitt dieses Bauhorizonts repräsentierte früheste Abschnitt der Nachpalastzeit (SH IIIC Früh 1) in einer derart dichten Abfolge von Befunden nachgewiesen werden wie in diesem Areal der nordwestlichen Unterstadt.
25Am Beginn des ersten SH IIIC-zeitlichen Bauhorizonts, der mit dem von SH IIIC etwa übereinstimmt, entstand in dem durch die Quadranten LI24 und LII24 umgrenzten Areal der aus mindestens sechs Räumen bestehende Raumkomplex 3/14.1/17.3/17.1/18.2/18.3/18, der nördlich an den Hinterhof und den Raumkomplex 8/17.5/15.6/15.7/17 angrenzte, ohne dass sich allerdings in unserer Ausgrabung Durchgänge zu diesen Bereichen nachweisen ließen. Aufgrund bestimmter Beobachtungen kann davon ausgegangen werden, dass vor Errichtung dieses Raumkomplexes geplant war, in diesem Bereich ein etwas anders gestaltetes Gebäude entstehen zu lassen. Die N-Mauer des Raumes 2/18 nämlich (Mauer 5/18) scheint sich ursprünglich nach Westen fortgesetzt und vermutlich mit Mauer 1/17 in Quadrant LI24 eine Einheit gebildet zu haben. Zu dieser allerfrühesten Planung gehört darüber hinaus ein ehemaliger Durchgang in Mauer 2/18 in Quadrant LII24/46.56. Es scheint aber nie zur Vollendung dieser Planung gekommen zu sein, da der Durchgang mit einer Packung aus waagerecht verlegten Steinplatten zugesetzt (Abb. 48. 49) und Mauer 5/18 nach Westen abgebrochen und durch den Korridor (Raum 1/17) ersetzt wurde (Abb. 50). Es fanden sich auch sonst keine Hinweise für ein fertiggestelltes älteres Gebäude als Raumkomplex 3/14.1/17.3/17.1/18.2/18.3/18, so dass wir es mit einem Planungswechsel ganz am Beginn der Inangriffnahme der Bebauung des Areals zu tun haben müssen.
26Der Raumkomplex 3/14.1/17.3/17.1/18.2/18.3/18 ist das bisher am komplexesten strukturierte Gebäude der SH IIIC-Zeit in Tiryns und das einzige, das über einen Korridor (Raum 1/17) verfügte. Da sich keine Hinweise darauf fanden, dass der Korridor zur Aufnahme einer Treppe gedient hat, muss seine Funktion darin bestanden haben, die einzelnen Bereiche des Raumkomplexes miteinander zu verbinden. Der größte und zentralste der Räume des Raumkomplexes war Raum 1/18, der zwei steinerne Unterlagen für Stützen auf seiner Mittelachse erbrachte, die das Dach gestützt haben müssen (Abb. 51). Bei der westlichen der beiden Stützenbasen (Oberkante 3,45 m ü. NN) befand sich eine große Herdstelle mit Scherbenunterlage, die dreimal während des älteren Abschnitts des ersten Bauhorizonts erneuert wurde (Abb. 52. 53), von unten nach oben Befund-Nr. 204B/18 (Oberkante 3,37–3,39 m ü. NN), Befund-Nr. 204A/18 (Oberkante 3,41–3,43 m ü. NN) und Befund-Nr. 199/18 (Oberkante 3,44–3,45 m ü. NN; Abb. 54). Für die Scherbenlage des untersten der Herde waren Fragmente einer Wandapplik verwendet worden. Entlang der Innenseite der N-Wand des Raumes (Mauer 6/17) und in seiner SO-Ecke zeichneten sich zahlreiche Öffnungen für sehr kleine Pfosten ab, die in die Lauffläche des Raumes eingetieft waren (Oberkante bei 3,38–3,44 m ü. NN), ohne dass sich lineare Strukturen erkennen ließen (Abb. 51). Es dürfte sich um Reste von Verschlägen aus Ästen und Zweigen ähnlich dem in der Vorhalle von Raumkomplex 8/17.5/15.6/15.7/17 (siehe oben) handeln, die mehrfach in leicht veränderter Position erneuert wurden. Raum 1/18 war durch einen Durchgang an seiner NW-Ecke sowohl mit Raum 3/14 als auch mit dem Korridor verbunden. Ob es darüber hinaus auch an der O-Seite von Raum 1/18 einen Durchgang zu Raum 2/18 gegeben hat, ist unklar, da der zu dem ersten SH IIIC-zeitlichen Bauhorizont gehörende Zustand der O-Mauer des Raumes (Mauer 2/18) durch den jüngeren Mauerzustand während des zweiten Bauhorizonts verdeckt wird. Am O-Ende des Korridors gab es einen Durchgang, über den man in Raum 3/17 und dann weiter nach Osten durch einen Durchgang in Mauer 12/17 zu den Räumen 3/18 und 2/18 gelangte (Abb. 30). Beide Durchgänge wurden nach dem ersten Bauhorizont zugesetzt (Abb. 55). Im Bereich des Raums 3/17 wurden Reste einer Lauffläche bei ca. 3,40–3,43 m ü. NN festgestellt. In Quadrant LII24/31.32 fand sich eine Stelle von Rotlehm und in ihr eingebettet ein ringförmiges Webgewicht (Befund-Nr. 202/18).
27Da die Räume 2/18 und 3/18 nur angeschnitten wurden, lässt sich ihre Größe nicht bestimmen. Die S-Wand von Raum 2/18 (Mauer 4/18) endete östlich in einer in den Raum vorspringenden zangenartigen Steinsetzung (Oberkante 3,68–3,70 m ü. NN). Diese bildete die westliche Begrenzung eines Eingangs, über den man von Südosten in den Raum gelangte (Abb. 56). Zwischen der Mauer 4/18 und der südlich angrenzenden, parallelen Mauer 10/14 muss es einen Zwischenraum von ca. 0,20–0,30 m gegeben haben, der sich im Profilsockel zwischen den Quadranten LII24 und 25 befindet und nicht untersucht werden konnte. In einem Profilaufschluss unter der O-Seite der Schwelle des zweiten Bauhorizonts in Mauer 2/18 zeichnete sich eine Abfolge von drei Fußböden des ersten Bauhorizonts ab. Die beiden älteren bei ca. 3,50 und 3,58 m ü. NN dürften dem älteren Abschnitt dieses Horizonts angehören.
28Am W-Ende des Korridors (Raum 1/17) gab es sehr wahrscheinlich einen Durchgang zu dem kleinen Hof 1/18, doch lässt sich dies wegen einer großen Störung durch eine römische Grube nicht abschließend bestimmen. Hof 1/18 war nach Westen und Nordwesten offen und an einen von Norden kommenden Weg angeschlossen, der westlich an dem Raumkomplex vorbeiführte und dort eine kleinteilige Pflasterung aus Kieseln, kleinen Bruchsteinen und Scherben aufwies (Oberkante 3,32–3,46 m ü. NN). Die Ausdehnung der Pflasterung nach Westen ist unklar, da sie von der Sohle des darüberliegenden eisenzeitlichen Grabens (Befund-Nr. 201/17) gestört wurde. Unklar ist, ob ein Durchgang zwischen Raum 1/17 und Hof 1/18 überhaupt hätte regulär genutzt werden können, da sich auf dem ältesten Fußboden des Raumes (Oberkante 3,34 m ü. NN) stehend eine große Wanne fand (Befund-Nr. 193/17; Oberkante 3,73–3,78 m ü. NN), deren westliches Ende ebenfalls durch die Grube zerstört worden war (Abb. 58. 60). Die Wanne verfügte an ihren Schmalseiten über je einen waagerechten Henkel, der aber wegen der Störung nur auf einer Seite erhalten war. Die Wanne war so aufgestellt, dass man zwar nach rechts in den Korridor (Raum 1/17) einbiegen, aber den anzunehmenden Durchgang zum Hof nur unter Schwierigkeiten verwenden konnte (Abb. 59. 60). Ob die Wanne von Anbeginn an dieser Stelle aufgestellt war oder erst vor dem Umbau des Raumkomplexes 3/14.1/17.3/17.1/18.2/18.3/18 dort platziert wurde, lässt sich nicht sagen. Auffällig ist, dass in Hof 1/18 eine langgestreckte Grube mit jeweils gebogenen Enden nachgewiesen wurde (Qu. LI24/45.46.47.55.56), die in ihrer Form dem Umriss des Bodens der Wanne ähnelt (Grube 8/18; Abb. 57. 61). Möglicherweise war das der ursprüngliche Aufstellungsort der Wanne. Unklar ist die Funktion der Wanne, die vielleicht durch zukünftige Rückstandsanalysen aufgeklärt werden kann[22].
29Gut erhalten war dagegen der Durchgang zwischen Raum 1/18 und Raum 3/14, dessen Lauffläche (Oberkante 3,34–3,36 m ü. NN) man an der Innenseite von Raum 3/14 durch sorgfältig verlegte Lehmziegel besonders widerstandsfähig gemacht hat. Die Pflasterung mit Steinplatten (Befund-Nr. 271/15), die 2015 im südlichen Teil des Raumes nachgewiesen wurde, setzte sich dagegen nicht nach Norden fort. In Quadrant LI24/67.77 wurde eine langgestreckt-rechteckige Vertiefung im Fußboden, vermutlich für eine hölzerne Schwelle, festgestellt (Oberkante 3,37 m ü. NN; Abb. 62)[23]. Es fanden sich sogar noch Spuren der Türkonstruktion, denn an der Innenseite der Mauer 11/14 gab es in Quadrant LI24/67 eine senkrechte Einlassung, in der sich sehr wahrscheinlich einer der Türpfosten befunden hat. Eine an der Innenseite von Mauer 11/14 ansetzende, nach innen vorspringende schmale Mauer (Mauer 6/18) könnte ebenfalls mit der Türkonstruktion in Verbindung stehen. Vermutlich am Übergang zwischen dem älteren und jüngeren Abschnitt des ersten Bauhorizonts wurde in Raum 3/14 kurz vor der Schwelle eine kleine Grube angelegt (Grube 10/18) und dabei ein Stück des dort befindlichen Lehmziegels entnommen (Abb. 62. 63). Die Anlage der Grube und der entnommene Lehmziegel stehen in Zusammenhang mit der Ausführung metallurgischer Tätigkeiten, was durch die Auffindung eines zerbrochenen Gusstiegels und kleiner Bruchstücke von Objekten aus Kupfer/Bronze verdeutlicht wird (Abb. 151. 152; vgl. Beitrag Prillwitz).
30Zwar konnten in den Räumen des Raumkomplexes 3/14.1/17.3/17.1/18.2/18.3/18 Fußbodenniveaus des älteren Abschnitts des ersten SH IIIC-zeitlichen Bauhorizonts großflächig gefasst werden, doch gab es, abgesehen von Raum 1/18, keinen weiteren Raum, in dem sich eine Herdstelle fand, und auch sonst sind die Arten der Verwendung der einzelnen Räume wegen der relativ geringen Anzahl an Funden, die in situ angetroffen wurden, schwer zu bestimmen. An der westlichen Außenseite von Raum 3/14 verlief Mauer 14/17 in einem Abstand von nur 0,54 m parallel zur W-Wand des Raumes (Abb. 64). Da es keine Anzeichen dafür gibt, dass diese Mauer zu einem Raum gehört hat[24], und sie im Gegenteil in Quadrant LI24/62 in einem Schluss-Stein endet, könnte es sich um das Fundament für eine schmale und steile, einläufige Treppe handeln, über die man z. B. einen Dachboden oder Speicher erreichte. Als Beleg dafür, dass der Raumkomplex über ein oberes Stockwerk verfügt hat, eignet sich der Befund allerdings nicht, da in einem solchen Falle eine breitere und komfortablere Treppe zu erwarten wäre. Eine ähnlich verdoppelte Mauerkonstruktion findet sich im gleichzeitigen West House (Raum 10) der Phase 1 von Lefkandi , wobei dort der Abstand zwischen den beiden Mauern nur 0,30 m beträgt[25]. Dort wird die Verdoppelung der Mauer als Mittel zur konstruktiven Verstärkung angesehen, was aber im Falle des Gebäudes in Tiryns ausgeschlossen werden kann. In Kynos fand sich an der Außenseite von Raum XMΔ’ des Gebäudes O10 der Phase 7 (SH IIIC Mitte) ein Steinfundament, das als Substruktion für eine Treppe in ein oberes Stockwerk interpretiert wird[26]. Auch von seinem Gesamtplan her findet Raumkomplex 3/14.1/17.3/17.1/18.2/18.3/18 seine beste Entsprechung in Lefkandi, und zwar in dem nur wenige Jahrzehnte später errichteten South House der dortigen Phase 2, das ebenfalls einen verschiedene Räume miteinander verbindenden Korridor (Raum 12) aufweist[27].
31Nördlich des Raumkomplexes 3/14.1/17.3/17.1/18.2/18.3/18 schloss sich eine Freifläche an, deren Größe und Form unbekannt ist. Auch nach Westen hin gab es keine Spuren eines weiteren Gebäudes, wobei diese Zone allerdings durch den 2017 nachgewiesenen eisenzeitlichen Graben (Befund-Nr. 201/17) gestört war. Der älteste Abschnitt eines durch die Freifläche führenden, von Norden kommenden Weges, an den Hof 1/18 angeschlossen war, verfügte über eine Stückung aus kleinen Bruchsteinen und Geröllen sowie Scherben (Befund-Nr. 228/17, siehe oben; Abb. 65). Gegen die Außenseite der N-Mauer des Hofes 1/18 war die schmale (0,27–0,32 m), N-S-gerichtete Mauer 3/18 gesetzt worden, die mit der schlechter erhaltenen, ebenfalls sehr schmalen W-O-orientierten Mauer 8/18 ursprünglich einen Eckverband gebildet haben dürfte (Abb. 61. 66), wobei die Mauern spitzwinklig aufeinandergetroffen sein müssen. Nach Westen wurde die W-O-Mauer durch die Stützsteine für den Zugang zu Raum 2/17 des jüngeren Abschnitts gestört. Die beiden schmalen Mauern dürften zu einem Schuppen oder Stall gehört haben.
Erster SH IIIC-zeitlicher Bauhorizont, jüngerer Abschnitt
32Die 2015 in den Quadranten LI25 und LII25 gemachten Befunde in Hof 2/15 des jüngeren Abschnitts des ersten SH IIIC-zeitlichen Bauhorizonts wurden 2017 durch die Auffindung der zentralen Herdstelle in dem Hof ergänzt (Befund-Nr. 19/17; Abb. 67. 68), die sich an etwa der gleichen Stelle wie die der Herde des älteren Abschnitts befand. Die vollständig erhaltene Herdstelle hatte eine Lehmlage (Oberkante 3,58–3,61 m ü. NN) mit Scherbenunterlage (Abb. 68). Zur Anlage des Herdes war eine flache, tellerförmige Grube[28] angelegt worden, in der die als Unterlage dienenden Scherben in einem Lehmbett verlegt wurden. Aus den Scherben der Unterlage konnten große Teile mehrerer Kochtöpfe sowie eines bemalten Kraters und eines unbemalten Beckens zusammengesetzt werden (Abb. 69. 70. 71). Durch die Anlage der Grube für die Konstruktion des Herdes wurden die älteren, an gleicher Stelle befindlichen Herdstellen stark gestört.
33Bei der Abtragung des Profilstegs zwischen den Quadranten LI25 und LII25 wurde in Quadrant LI25/40 und LII25/31 die Schwell- bzw. Stufenkonstruktion an der nördlichen Außenseite der N-Mauern der aufeinanderfolgenden Höfe 2/15 (erster Bauhorizont, jüngerer Abschnitt) und 3/15 (zweiter Bauhorizont) geklärt. Die aus Bruchsteinen gebaute Stufe an der Außenseite der Mauer 8A/14 des ersten Bauhorizonts hatte eine Breite von ca. 0,80 m (Befund-Nr. 168/18; Oberkante 3,79–3,83 m ü. NN; Abb. 72). Ergänzt wurde ferner das Fundspektrum aus dem 2015 freigelegten Zerstörungshorizont in Hof 2/15. Beim Abtragen des Profilsteges zwischen den Quadranten LI25 und LII25 wurde nämlich in LI25/70 eine kleine Bügelkanne gefunden (Befund-Nr. 174/18), an der noch außen der Rotlehm der Brandzerstörung anhaftete (Abb. 73)[29].
34Der am Beginn des jüngeren Abschnitts des ersten Bauhorizonts errichtete Raumkomplex 4/15.5/15.6/15 hatte gegenüber seinem Vorgänger, Raumkomplex 8/17.5/15.6/15.7/17, ein leicht modifiziertes Aussehen. Der Raumkomplex verfügte über keine Vorhalle, so dass man ihn direkt über den Eingang mit Schwelle in Mauer 9/15 betrat. Im Inneren des Raumkomplexes wurde im Bereich des ehemaligen Raumes 8/17 die Mauer 8/17 abgerissen und danach die zu ihr parallele, aber 0,40 m weiter nach Osten verschobene Mauer 2/17 erbaut, die wahrscheinlich als westlicher Abschluss des neuen Raumes 4/15 vorgesehen war. Da die Mauer 2/17 teilweise außerhalb und teilweise innerhalb der an dieser Stelle anscheinend nicht genügend verfestigten Grabenverfüllung gegründet worden war, sank sie in ihrem mittleren Teil ein, was bewirkte, dass sie nicht mehr so wie ursprünglich geplant verwendet werden konnte (Abb. 40). Deshalb wurde oberhalb von Mauer 8/17, aber von ihr durch Erde getrennt, die Mauer 12/15 als neue westliche Begrenzung von Raum 4/15 errichtet. Die Mauer 12/17 diente anschließend nicht als tragende Mauer, sondern als Unterlage für eine Reihe schmaler Lehmziegel, die den kleinen Zwischenraum zu Mauer 12/15 (›Raum‹ 4A/15) begrenzten. Der Zwischenraum dürfte im jüngeren Abschnitt des ersten Bauhorizonts als Untergrund für eine Bank oder Plattform genutzt worden sein[30].
35In dem durch die Quadranten LI24 und LII24 untersuchten Ausschnitt der Bebauung wurde am Übergang zu dem jüngeren Abschnitt des ersten SH IIIC-zeitlichen Bauhorizonts der Raumkomplex 3/14.1/17.3/17.1/18.2/18.3/18 des älteren Abschnitts in einen neuen Baukörper, den Raumkomplex 3/14.1/17.2/17.3/17.4/18.5/18, umgestaltet. Die wichtigste Veränderung besteht darin, dass Raum 1/18 des älteren Abschnitts des ersten Bauhorizonts in eine Freifläche (Hof 1/17) und der kleine Hof 1/18 in einen überdachten Bereich verwandelt wurde (Raum 2/17). Umgebaut wurde ferner der Bereich der vorherigen Räume 2/18 und 3/18, wodurch zwei neue Räume mit leicht veränderter Gestaltung entstanden (Raum 4/18 und 5/18). Am Ende des jüngeren Abschnitts fiel der Raumkomplex 3/14.1/17.2/17.3/17.4/18.5/18 der gleichen Brandzerstörung zum Opfer, die schon in den vorherigen Kampagnen in verschiedenen Bereichen der Ausgrabung nachgewiesen wurde. Eine Gemeinsamkeit zu den Verhältnissen in den anderen Grabungsbereichen besteht auch darin, dass sich intensive Spuren der Brandzerstörung nur in bestimmten Bereichen nachweisen ließen und hier besonders in Hof 1/17.
36In jenem Hof 1/17, um den die Räume des neu geschaffenen Raumkomplexes angeordnet waren, wurde die Position der zentralen und sehr großen Herdstelle an der gleichen Stelle wie zuvor belassen (Abb. 53). Es konnten nicht weniger als drei sich überlagernde, annähernd rechteckige Herdstellen dieses Abschnitts nachgewiesen werden (von unten nach oben: Befund-Nr. 167/18 [Oberkante 3,53 m ü. NN], Befund-Nr. 146/18 [Oberkante 3,54–3,56 m ü. NN; Abb. 74], Befund-Nr. 10/18 [Oberkante 3,62–3,65 m ü. NN; Abb. 75. 76]). Die in die Zeit des Zerstörungshorizontes datierende jüngste Herdstelle (Befund-Nr. 10/18) war leicht konvex aus der Umgebung herausgehoben, da sich darunter die immer wieder erneuerten älteren Herdstellen befanden. Zeitgleich mit dieser jüngsten Herdstelle war entlang zumindest der SO-Seite und der W-Seite des Hofes ein bis zu 14 cm hoher Absatz aus gelbem Lehm gegen die den Hof umgebenden Mauern angelegt worden (Oberkante 3,65–3,69 m ü. NN), der zum Sitzen und Abstellen von Gegenständen gedient haben dürfte, da sich auf ihm im Schutt des Zerstörungshorizonts zerdrückte Gefäße fanden. Wahrscheinlich wurde der Lehmabsatz jeweils durch vorkragende Dächer der umgebenden Räume vor Niederschlägen geschützt. Entlang der östlichen Außenseite von Raum 3/14 zeichnete sich ebenfalls ein Lehmabsatz als NW-SO gerichteter Streifen gelben Lehms sehr deutlich ab (Oberkante 3,51 m ü. NN). An dem östlichen Abschluss dieses Streifens stießen sich abwechselnde, parallele Streifen von hellem Lehm und vermutlich Holzbrettern mit rot verbrannter Lehmauflage an (Abb. 77). Durch intensive Feuereinwirkung waren die Holz-Lehm-Teile stark verbrannt und in viele Stücke zerbrochen. Über diesen Befunden lag am westlichen Ende des Korridors eine verbrannte Lehmziegelmasse (Oberkante 3,75–3,84 m ü. NN), aus der Rotlehmstücke mit Abdrücken von Rundhölzern und parallelen Zweigen bzw. Schilfstengeln geborgen wurden. Aus dem verbrannten Material ragte ein Eimer der handgemachten geglätteten Keramik heraus, der auf der Lauffläche stand (Befund-Nr. 227/17; Abb. 78). Entlang der N-Seite und O-Seite des Hofes 1/17 konnte keine Begrenzung einer etwaigen Lehmbank erkannt werden, doch war auch hier die Nutzungsoberfläche höher (Oberkante ca. 3,59–3,67 m ü. NN) als in dessen Mitte (Oberkante ca. 3,47 m ü. NN).
37Dort, wo sich in der vorherigen Phase die Steinplatte für eine Holzstütze direkt östlich des Herdes befunden hatte, wurde in Hof 1/17 in den Nutzungsphasen des jüngeren Abschnitts des ersten SH IIIC-zeitlichen Bauhorizonts auf der Steinplatte ein kleiner Ofen (Befund-Nr. 5/18) mit einem zylindrischen, schlotartigen Mittelteil (Oberkante 3,89 m ü. NN) gegründet, der aus der umgebenden Lauffläche wie ein Kegelstumpf herausgeragt haben muss (Abb. 76. 79). Der Ofen hatte eine Lehmummantelung mit konisch abfallenden Seiten, zu deren Versteifung man eine schräg stehende Steinplatte in die Ummantelung integriert hatte. Um die Mündung des Schlots des Ofens waren einige Scherben von Vorratsgefäßen verlegt worden (Befund-Nr. 4/18; Abb. 80). Ein Schnitt durch den Ofen zeigte, dass sein zylindrischer Mittelteil separat geformt und darum herum der kegelstumpfförmige Lehmmantel gelegt worden war (Abb. 81). Öfen wie der vorliegende sind unseres Wissens bisher noch nicht in Tiryns nachgewiesen worden. Hinweise auf seine mögliche Funktion ergeben sich durch die Fundvergesellschaftungen, die in seiner unmittelbaren Umgebung auf der Lauffläche des Zerstörungshorizonts am Ende des jüngeren Abschnitts des ersten SH IIIC-zeitlichen Bauhorizonts in Hof 1/17 angetroffen wurden. In Quadrant LII24/74.75 fand sich nämlich eine bisher in Tiryns einmalige Konzentration nebeneinanderliegender ringförmiger Webgewichte[31], die anscheinend nur durch das Schadensfeuer leicht gebrannt waren (Abb. 79. 82). Weitere derartige Webgewichte fanden sich direkt bei dem Ofen. Dass es sich bei dieser Ansammlung von Webgewichten nicht um den Rest eines Webstuhls gehandelt hat, der in der Mitte des Hofes aufgestellt war, sondern wir hiermit eher den Herstellungskontext solcher Webgewichte fassen, wird nicht nur durch die Fundlage der überwiegend dicht an dicht und annähernd horizontal liegenden Webgewichte sowie deren unzureichenden Brand nahegelegt. Mindestens eines der Webgewichte nämlich hatte keine Öffnung in seiner Mitte und war somit unfertig (Abb. 83). Die derzeitige Interpretation ist, dass die Webgewichte in dem Ofen, dessen Inneres ihrer Größe entspricht, in Stapeln gebrannt werden sollten, was aber durch die Zerstörung verhindert wurde. Abgesehen von den Webgewichten fanden sich mehrere Gefäße, darunter ein noch senkrecht stehender Topf der handgemachten, geglätteten Keramik (Befund-Nr. 1/18; LII24/74.75.84.85; Abb. 84) und eine zur gleichen Keramikkategorie zählende kleine Kanne mit seitlicher Ausgusstülle und vorspringender Leiste am Innenrand (Befund-Nr. 30/18; LII24/83; Abb. 85 a. b), die verhindern sollte, dass beim Ausgießen Flüssigkeit, die nicht durch die Tülle abfloss, über den Rand herauslief. Wie die meisten Gefäßformen der handgemachten, geglätteten Keramik findet auch dieses bisher in Griechenland einzigartige Gefäß enge Entsprechungen in Italien, in diesem Fall im Nordosten des Landes[32].
38In Hof 1/17 wurden unter der jüngsten Lauffläche des ersten Bauhorizonts Reste von mindestens einem weiteren Fußboden dieses Abschnitts nachgewiesen. Er befand sich etwa bei 3,44–3,49 m ü. NN und zu ihm gehörte ein nicht sehr sorgfältig ausgeführtes Pflaster aus Steinplatten in der SO-Ecke des Hofes (3,54–3,60 m ü. NN).
39Von Hof 1/17 gelangte man nach Westen in Raum 3/14 und nach Nordwesten in den Korridor (Raum 1/17). Im Nordwesten von Raum 3/14 (Qu. LI24/64.65) fand sich neben einem zerbrochenen Kochtopf ein auf der Seite liegender Krug (Befund-Nr. 149/17; Oberkante 3,76 m ü. NN; Abb. 58). Dieser erwies sich als im Inneren mit 30 kleinen Bruchsteinen mit einem Gewicht von über 5 kg gefüllt (Abb. 86. 87. 88). Das Gefäß scheint bereits in schadhaftem Zustand niedergelegt worden zu sein, da sein Henkel alt abgebrochen war. Möglicherweise diente der mit Steinen gefüllte Unterteil des Kruges als Gegengewicht für eine bestimmte Tätigkeit. In dem gleichen Raum (Qu. LI24/65) fand sich auch eine kleine Schalenlampe[33] nahöstlichen Typs (Abb. 89).
40In dem Zwischenraum zwischen Raum 3/14 und Mauer 14/17, der für eine einläufige Treppe vorgesehen gewesen sein dürfte (vgl. oben), fand sich in Quadrant LI24/73 ein Rollsiegel des sog. zypro-ägäischen Typs (Abb. 90), das aus einem noch nicht bestimmten Gestein, vielleicht Hämatit, gefertigt wurde. Die Darstellung zeigt einen ›Herren der Tiere‹ sowie, etwas kleiner dargestellt, zwei sich gegenüberstehende weibliche Figuren in langen Gewändern, zwischen denen vermutlich ein Altar und über denen eine Flügelsonne dargestellt sind.
41Der Eingang von Hof 1/17 zum Korridor (Raum 1/17) war im jüngeren Abschnitt mit einer Schwelle aus einer Reihe kleiner Bruchsteine (Oberkante 3,65 m ü. NN) versehen worden, bei denen Kalkmörtel sowohl für die Bettung als auch für die Füllung der Zwischenräume der Steine verwendet wurde (Abb. 59. 60). Nördlich der Schwelle stand die große Wanne, welche die Durchgangsmöglichkeit zwischen dem W-Ende des Korridors und Raum 2/17 erheblich eingeschränkt haben muss. Östlich der Wanne fanden sich in Raum 1/17 in Quadrant LI24/58.59.60 verstreut im Schutt über dem hier bei ca. 3,56–3,62 m ü. NN liegenden Fußboden große Teile der Lochtenne eines aus häckselgemagertem Lehm oder Ton[34] geformten, tragbaren Ofens (Pyraunos; Abb. 91). In der Nähe (Qu. LI24/59) kam ein großes Fragment eines Gusstiegels mit anhaftenden Bronzeresten zutage (Abb. 157; vgl. Beitrag Prillwitz). Eine Verbindung zwischen dem tragbaren Ofen und dem Gusstiegel ist nach der Untersuchung von Prillwitz nicht anzunehmen.
42Der neu geschaffene Raum 2/17 war innerhalb des Raumkomplexes wegen des durch die Positionierung der Wanne erschwerten Zugangs zu Raum 1/17 und wegen der fehlenden Verbindung zu Raum 3/17 nicht gut integriert. Im Nordwesten des Raumkomplexes öffnete sich Raum 2/17 mit seinem Eingang nach außen gegenüber der Freifläche im Norden und Westen. Zur Schaffung des Raumes war eine W-Wand (Mauer 9/17) errichtet und im Inneren des Raumes eine Anhebung des Geländeniveaus vorgenommen worden. Dabei befestigte man an der Innenseite des an der NW-Ecke des Raumes befindlichen Eingangs den Untergrund durch eine kegelförmig, von West (Oberkante 3,71 m ü. NN) nach Ost (Oberkante 3,55 m ü. NN) abfallende Lage von Bruchsteinen (Befund-Nr. 55/18), um an dieser Stelle eine stabile Unterlage zu schaffen (Abb. 60. 66). In der W-Hälfte des Raumes wurden Reste von drei Laufflächenniveaus festgestellt, von denen das älteste bei 3,53–3,59 m ü. NN lag. Zu den darauffolgenden Laufflächen gehörte jeweils eine kleine, rundliche Herdstelle (Befund-Nr. 19/18 [Oberkante 3,74 m ü. NN], Befund-Nr. 19B/18 [Oberkante 3,66–3,67 m ü. NN]), die an der Innenseite der neuen W-Wand in Quadrant LI24/44.45.54.55 lag (Abb. 92). Zwischen den Scherbenlagen der beiden Herdstellen gab es Anpassungen, aus denen Teile eines bemalten Kraters zusammengesetzt werden konnten (Abb. 93). Für die Scherbenlage der älteren Herdstelle wurden Fragmente einer Wanne mit einer reichen und für Tiryns außergewöhnlichen figürlichen Bemalung aus Vögeln, Spiralen und einer in einem langen Gewand gekleideten menschlichen Figur verwendet (Abb. 94). Da die Scherben in der Herdstelle wiederverwendet wurden, muss das Gefäß entweder in den älteren Abschnitt des ersten Bauhorizonts oder den Beginn des jüngeren Abschnitts datieren. Um den Eingang zu Raum 2/17 von außen zu erreichen, wurde eine von Nord (Oberkante 3,51–3,60 m ü. NN) nach Süd (Oberkante 3,71–3,79 m ü. NN) leicht ansteigende rampenartige Konstruktion aus übereinander gelegten Steinplatten aufgeschichtet (Befund-Nr. 228/17), die auf der kleinteiligen Stückung des Weges des älteren Abschnitts gründete und zu deren östlicher Begrenzung und Befestigung man mehrere große Steinblöcke verlegt hatte (Abb. 65. 66. 95). Mit der Zeit hatte man neue Lagen von Steinplatten hinzugefügt, um an das jeweilige Fußbodenniveau im Bereich der Schwelle des Eingangs anzuschließen. Wie breit die Konstruktion aus Steinplatten war und ob sie auch, wie zu vermuten ist, entlang ihrer westlichen Seite durch Steinblöcke begrenzt war, lässt sich nicht bestimmen, da die Plattenkonstruktion nach Westen hin durch den Graben der Eisenzeit abgeschnitten wurde.
43In nördliche Richtung ging die Rampe aus Steinplatten sehr wahrscheinlich in einen von Norden kommenden Weg über. Der Weg verlief in einer Freifläche, die sich nördlich an den Raumkomplex 3/14.1/17.2/17.3/17.4/18.5/18 anschloss und deren Größe und Form unbestimmt bleiben muss, da der Rest der Fläche außerhalb der Ausgrabung liegt. Im Bereich der Freifläche ergaben sich in Quadrant LII24/5.14.15 Hinweise auf die Herstellung von Perlen aus Glasfritte. Nachdem in diesem Bereich mehrere Perlen zum Vorschein kamen, wurde die Erde vollständig geschlämmt, um keine Perlen zu übersehen. Beim Schlämmen fand sich eine große Anzahl von Schlacke-Stücken (Abb. 96), die von der Herstellung von Perlen herrühren müssen. Spritzer solcher Fritte-Schlacke, z. T. mit blauen Farbresten, befanden sich auf Scherben aus diesem Bereich (Abb. 97), wobei unklar ist, ob die Schlacke zufällig auf die Scherben gelangt war oder ob diese beim Herstellungsprozess als Unterlage gedient hatten. Weder in der Ausgrabung noch im angrenzenden Grabungsprofil zeichnete sich eine zu diesen Funden gehörende Lauffläche ab. Im Gegenteil scheinen die Funde in einer großen Grube gelegen zu haben, die sich im N-Profil von Quadrant LII24 abzeichnete und von einer Lauffläche des zweiten Bauhorizonts überlagert wurde.
44Am O-Ende des Korridors (Raum 1/17) bestand eine Durchgangsmöglichkeit zu Raum 3/17 und dann weiter nach Osten durch den Durchgang in Mauer 12/17 zu Raum 5/18. In Raum 3/17 konnte eine Lauffläche bei 3,53–3,59 m ü. NN gefasst werden, ohne dass sich Installationen oder Spuren des Zerstörungshorizonts am Ende des ersten Bauhorizonts nachweisen ließen. Zur Schaffung der neuen Räume 4/18 und 5/18 wurde die Mauer 5/18 weitgehend abgerissen und durch die Mauer 4/17 ersetzt, die in ihrem freigelegten Teil keinen Durchgang zwischen Raum 4/18 und 5/18 erkennen lässt. Ein kurzes Stück von Mauer 5/18 scheint als Bank im Inneren von Raum 4/18 stehen gelassen worden zu sein (Abb. 48. 49. 56)[35]. Begrenzt wurde Raum 4/18 nach Westen durch die neu gebaute Mauer 1/18, über deren Schwelle man entweder in einen Hof oder einen weiteren Raum gelangte. In Raum 4/18 ließ sich in dem Profilaufschluss unter der O-Seite der Schwelle des zweiten Bauhorizonts in Mauer 2/18 der Fußboden des jüngeren Abschnitts bei ca. 3,62 m ü. NN verfolgen. Infolge späterer Störungen waren im Inneren von Raum 5/18 nur geringfügige Reste des Nutzungshorizonts erhalten geblieben. In Quadrant LII24/17 fand sich eine bemalte Kanne mit Siebausguss (Befund-Nr. 11/18; Abb. 98), die man, vermutlich nachdem sie schadhaft geworden war, gegenüber ihrer ursprünglichen Formgebung umgearbeitet hatte. Den Ansatz des abgebrochenen Henkels hatte man sorgfältig abgeschliffen, und der Hals des Gefäßes wurde verkürzt und die so geschaffene neue Mündung des Gefäßes ebenfalls abgearbeitet.
Zweiter SH IIIC-zeitlicher Bauhorizont, älterer und jüngerer Abschnitt
45Durch die Funde der Kampagne 2017 wurde die Datierung des zweiten Bauhorizonts in SH IIIC Entwickelt ebenso erhärtet wie die in den vorangegangenen Jahren gewonnene Erkenntnis, dass sich am Übergang zum zweiten Bauhorizont die Dichte der Gebäude in diesem Teil der nordwestlichen Unterstadt reduziert hat (Abb. 99).
46In den Quadranten LI24 und LII24 wurde der Raumkomplex 3/14.1/17.2/17.3/17.4/18.5/18 des ersten Bauhorizonts nach der Zerstörung nicht wiederaufgebaut. Die teils umgestürzten, teils noch auf den Mauern befindlichen Reste der Lehmziegelwände wurden einplaniert (Abb. 100. 101), weshalb auf einigen der Mauern noch die untersten Lagen von Lehmziegeln und in einem Fall sogar die unterste Zone des Wandverputzes[36] einer der Wände erhalten blieben (Abb. 102). Die einplanierte, aber sehr unebene Fläche von Lehmziegelschutt diente als Lauffläche des Hofes 2/17 (Oberkante 3,89–4,09 m ü. NN), an den im Osten ein mindestens zwei Räume umfassendes Gebäude (Raumkomplex 5/17.6/17) und im Westen die Räume 3/14 und 4/17 angrenzten.
47Der Eingang zu Raumkomplex 5/17.6/17 erfolgte von Westen durch einen neuen Eingang mit Schwellkonstruktion in Mauer 2/18 (Quadrant LII24/56.57.66.67; Oberkante 3,85–3,91 m ü. NN; Abb. 103), während die im ersten Bauhorizont zwischen Raum 1/17 und 3/17 sowie zwischen Raum 3/17 und 5/18 bestehenden Durchgänge in den Mauern 7/17 und 12/17 am Übergang zum zweiten Bauhorizont zugesetzt wurden. Im Inneren von Raum 6/17 gab es zwei sich überlagernde Laufflächen, von denen sich die jüngere bei ca. 4,08 m ü. NN nur im O-Profil des Quadranten LII24 abzeichnete, während die ältere bei ca. 3,72–3,92 m ü. NN auch in der Fläche gefasst werden konnte. In den Sedimenten oberhalb der jüngeren Lauffläche lag in LII24/69 der untere Teil einer Wandapplik aus Terrakotta (Abb. 104). Ein weiteres Fragment eines Schalenteils einer Wandapplik fand sich darüber hinaus in Quadrant LII24/75 umgelagert in einem früheisenzeitlichen Pflaster aus kleinen Steinen und Keramik (Abb. 105). In Raumkomplex 5/17.6/17 und Hof 2/17 ergaben sich ebenfalls Hinweise auf eine Brandzerstörung. Im Raum 5/17 zeichnete sich im O-Profil von Quadrant LII24 ein kurzer Abschnitt einer Lauffläche bei ca. 3,81–3,83 m ü. NN ab, die von einer nach Norden ansteigenden Lauffläche bei ca. 4,10–4,20 m ü. NN überlagert wurde. Infolge zahlreicher Störungen konnten beide Laufflächen nicht in der Grabungsfläche weiterverfolgt werden. Ohne erkennbaren Bezug zu einer Lauffläche fanden sich in LII24/20 Fragmente eines Kraters mit Darstellungen ›mykenischer Blumen‹ und einer anderen Art von stehendem, hybridem Motiv (Abb. 106. 107). Dieses aus der mykenischen Vasenmalerei bisher unbekannte Motiv scheint aus einer Kombination eines Bronzedreifußständers zyprischen Typs, wie er z. B. aus dem Tiryns-Schatz bekannt ist[37], mit den Tentakeln eines Meerestieres zu bestehen. Die Tentakel wachsen aus dem oberen Abschluss des Motivs heraus, der aus einem mittels horizontaler Linien unterteilten rechteckigen Feld besteht. Bei einer der Darstellungen des Motivs ist der rechteckige Abschluss in der Seitenansicht deutlich als profiliert dargestellt. Zusammen mit der sparrenförmigen Füllung des in Frontalansicht gezeigten Beines, die an die Verzierung der Beine mancher bronzener zyprischer Dreifußständer erinnert[38], unterstreicht der profilierte obere Abschluss, dass der Maler ein solches Bronzegefäß wiedergeben wollte.
48Südlich von Raumkomplex 5/17.6/17 schloss sich vermutlich eine weitere Freifläche an (Hof 3/17), in der ebenfalls zwei sich überlagernde Laufflächen abgegrenzt werden konnten. Der Rest einer älteren Lauffläche des zweiten Bauhorizonts lag in Quadrant LII24/79.80.89.90 bei ca. 3,80 m ü. NN. Oberhalb dieser Lauffläche fand sich in Quadrant LII24/89 ein Miniaturrad aus Blei ähnlich demjenigen, das in einem Kontext des zweiten Bauhorizonts in Quadrant LI25 gefunden worden war[39]. Im Unterschied zu diesem hat es aber vier und nicht sechs Speichen, die sich jeweils an ihrem Ende gabeln (Abb. 108). Die jüngere Lauffläche in dem Hofbereich fiel von Nord (ca. 4,30 m ü. NN) nach Süd (ca. 4,00 m ü. NN) ab. Ein Topf der handgemachten, geglätteten Keramik (Befund-Nr. 3/17; Oberkante 4,37 m ü. NN) war in Quadrant LII24/79 auf dieser Lauffläche senkrecht stehengeblieben (Abb. 109. 110), was andeutet, dass sich nach der Zerstörung und Aufgabe des Gebäudes in seiner Umgebung infolge der Nivellierarbeiten schnell Sediment akkumuliert hat, wodurch das Gefäß vor Zerstörung geschützt wurde.
49Im nordöstlichen Teil von Hof 2/17 hatte man an der Außenseite des zugesetzten Durchgangs zwischen Raum 3/17 und 5/18 des vorangegangenen Bauhorizonts kurze Abschnitte des östlichen Teils der Mauern 7/17 und 10/17 der Ruine des zerstörten Raumkomplexes 3/14.1/17.2/17.3/17.4/18.5/18 wiederverwendet und dabei auch den ehemaligen Durchgang am O-Ende von Mauer 7/17 verschlossen. Die teilweise Wiederverwendung der Mauern geschah wohl, um diesen Bereich durch die vorragenden Mauern vor Wind zu schützen. Geschützt wurde dieser Bereich, der einen Laufhorizont bei ca. 3,80–3,85 m ü. NN aufwies, zusätzlich durch ein Vordach auf einer Stütze mit zwei Steinplatten als Basis (Abb. 103). Südlich der Stützenbasis fand sich in LII24/25.35 eine Ansammlung von spulenförmigen Webgewichten (Befund-Nr. 234/17 und 42/18), die den Standplatz eines Webstuhls anzeigen könnten[40]. Des Weiteren lagen auf der Lauffläche des zweiten Bauhorizonts in Quadrant LII24/14.15 (Befund-Nr. 46/18) und Quadrant LII25/25.35N (Befund-Nr. 41/18) Fragmente zweier Kratere (Abb. 111. 112) sowie in Quadrant LII24/33 ein Kochtopf (Befund Nr. 238/17; Abb. 113). In der nordöstlichen Ecke von Quadrant LI24 und der nordwestlichen Ecke von LII24 wurden im Norden von Hof 2/17 Reste vermutlich zweier unterschiedlicher Öfen festgestellt, die in Teilen aus gebrannten Lehmziegeln aufgebaut waren und sich zwischen Raum 4/17 und Raumkomplex 5/17.6/17 befunden haben (Befund-Nr. 8/17; Abb. 100). Zur Anlage dieser Öfen wurde ein aufwändiger Unterbau angelegt (Befund-Nr. 53/18), bei dem man sich eines Stücks der an dieser Stelle nicht wiederverwendeten Mauer 10/17 bediente. Man hob eine Grube aus, die tief in die Ablagerungen des ersten Bauhorizonts eingriff, und füllte diese mit Lagen von Lehmziegeln auf, so dass sich eine Plattform ergab, auf der die Öfen konstruiert wurden. Nach Westen wurde die Substruktion von einer sorgfältig gebauten, N-S gerichteten Lehmziegelmauer ohne Steinfundament (Abb. 114) begrenzt, die gegen die N-Seite von Mauer 10/17 gesetzt worden war, so dass diese Mauer gleichzeitig als südliche Begrenzung der Ofenplattform diente. Infolge der Einplanierung der Öfen bleibt ihre ursprüngliche Form unklar, doch lässt sich sagen, dass sie sich von den im Jahre 2015 im Quadrant LII25 festgestellten kleinen Öfen unterschieden und sehr wahrscheinlich eine andere Funktion gehabt haben. Im N-Profil von Quadrant LII24 zeichnete sich eine sich östlich an die Öfen anschließende Lauffläche bei ca. 3,90 m ü. NN ab, auf der Rotlehmstücke, Holzkohle und Asche als Spuren der Nutzung der Öfen lagen.
50In Quadrant LI24 waren die Befunde des zweiten Bauhorizonts wesentlich schlechter erhalten als in LII24. Westlich grenzte an Hof 2/17 der Raum 3/14 an, der an gleicher Stelle wie im vorangegangenen Bauhorizont fortbestand. Ihm gegenüber lag Raum 4/17, der eine Lauffläche und Reste einer Herdstelle (Befund-Nr. 17/17; Oberkante 4,10–4,13 m ü. NN) mit Scherbenunterlage erbrachte. Zwischen den beiden Räumen scheint sich ein Streifen freier Fläche oder ein W-O-Weg befunden zu haben, der eine Abfolge von Fußböden und Aschelagen ergab und nach Osten in Hof 2/17 überging. In diesem Bereich (Qu. LI24/65) fand sich das Fragment eines Kraters mit der Darstellung eines Kriegers, dessen Rüstung und Bewaffnung besonders detailliert gezeichnet wurden (Abb. 115).
51Entlang der westlichen Wand von Raum 3/14 verlief während des zweiten Bauhorizonts die in vorherigen Kampagnen bereits in den Quadranten LI25 und LI26 nachgewiesene, N-S gerichtete steinerne Substruktion des Entwässerungskanals (Befund-Nr. 117/14), die allerdings in Quadrant LI24 nur in geringfügigen Resten nachgewiesen werden konnte, da sie in dieser Zone etwas höher als weiter im Süden liegt und darüber hinaus nach Nordwesten von dem geometrischen Graben (Befund-Nr. 201/17) gestört wurde. Westlich der Kanalsubstruktion fand sich in der SW-Ecke des Quadranten LI24 der Rest einer Herdstelle (Befund-Nr. 106/17; Qu. LI24/92).
52In den Quadranten LI25 und LII25 wurden einige ergänzende Beobachtungen zu Befunden des zweiten Bauhorizonts gemacht. Bei der Abtragung des Profilstegs zwischen den Quadranten LI25 und LII25 zeigte sich, dass die Stufenkonstruktion an der Außenseite der N-Mauer (Mauer 8A/14) des Hofes 2/15 des ersten Bauhorizonts durch eine etwas höher gegründete und gegenüber dem älteren Zustand leicht nach Osten versetzte Stufe an der Außenseite der Mauer 8/14 ersetzt wurde, die über eine Breite von ca. 0,75 m verfügte (Befund Nr. 157/18; Oberkante 3,93–3,98 m ü. NN; Abb. 72).
53Bei der Erweiterung der Grabungsfläche zur Untersuchung des eisenzeitlichen Grabes 3/14 wurde in LII25/60.70.80 und LIII25/51.61.71 ein Befund des zweiten SH IIIC-zeitlichen Bauhorizonts angeschnitten, der durch die Anlage des Grabes gestört worden war (Abb. 116). Seinerseits hatte der Befund die Mauer 15/15 gestört, welche die Räume 5/15 und 6/15 des ersten Bauhorizonts getrennt hatte. Es handelt sich um eine Grube, deren südliche Grenze ziemlich gerade zu verlaufen scheint, die aber nur in einem kleinen Ausschnitt freigelegt und auch nicht in die Tiefe verfolgt werden konnte. Im Inneren der Grube fanden sich Reste von Strukturen aus Rotlehm und eine zerdrückte unbemalte Wanne (Befund-Nr. 51/18). Die Grube befindet sich in dem Bereich östlich der N-S gerichteten Mauer 9/15, die hier den Raumkomplex 4/15.5/15.6/15 nach Osten begrenzt hatte. Wahrscheinlich wurde diese Mauer auch noch im zweiten Bauhorizont beibehalten, aber wie der Bereich östlich von ihr in dieser Zeit genutzt wurde, ist unklar. Sicher ist, dass die Einteilung in zwei Räume 5/15 und 6/15 nicht mehr fortbestand.
SH IIIC-zeitliche Besiedlung nach dem zweiten Bauhorizont
54Auch in den Ausgrabungskampagnen 2017 und 2018 wurden keine Hinweise darauf gefunden, dass es nach dem in SH IIIC Entwickelt datierenden zweiten SH IIIC-zeitlichen Bauhorizont eine Bebauung während der zweiten Hälfte von SH IIIC (Unterphasen SH IIIC Fortgeschritten und Spät) in dem Areal gegeben hat[41]. Mehr noch: Es gibt, nach derzeitigem Bearbeitungsstand, überhaupt nur einen Befund, der als Hinweis für Aktivitäten während dieses langen Zeitraums in Frage kommen könnte, wenngleich selbst die Datierung dieses Befundes unsicher ist. In dem die Nutzung beschließenden Versturz oberhalb des jüngeren Laufhorizonts von Raum 6/17 nämlich fand sich zuoberst in Quadrant LII24/38.39.48 eingebettet in aschiges Sediment mit vielen Rotlehmstücken eine bemalte Hydria (Oberkante 4,16–4,38 m ü. NN; Befund-Nr. 48/17 und 78/17; Abb. 117. 118). Es ist unklar, ob das Gefäß noch zu der Nutzung des Raumkomplexes 5/17.6/17 gehört oder erst im Anschluss an die Zerstörung des Gebäudes deponiert wurde. Von der Fundlage her könnte das Gefäß von Planierarbeiten stammen, die nach der Zerstörung der Gebäude des zweiten Bauhorizonts vorgenommen wurden.
55Unabhängig von der Datierung dieses Gefäßes bleibt das Fehlen von klar umrissenen Befunden, die in SH IIIC Fortgeschritten oder IIIC Spät datieren würden, sehr auffällig. Dass dieses Phänomen auf die Wirkung von Erosionskräften zurückgeht, ist aus zweierlei Gründen unwahrscheinlich: Erstens erscheint es nicht plausibel, dass etwaige Mauern dieses Zeitraums vollständig durch Erosion abgetragen worden sein sollen, wo doch die Architekturreste der nur geringfügig älteren Unterphase SH IIIC Entwickelt recht gut erhalten sind. Zweitens wurden, im Unterschied zur frühen Eisenzeit, auch keine in älteres Sediment eingetiefte Befunde der Unterphasen SH IIIC Fortgeschritten und Spät nachgewiesen, die aber im Falle einer Besiedlungstätigkeit zu erwarten gewesen wären. Drittens sind auch im keramischen Fundmaterial Gefäßfragmente der zweiten Hälfte von SH IIIC stark unterrepräsentiert. Dies macht es wahrscheinlich, dass wir es tatsächlich mit einer Unterbrechung der Nutzung des Areals zu Siedlungszwecken zu tun haben.
Protogeometrische bis archaische Zeit
56Das Fehlen von Hausbefunden der zweiten Hälfte von SH IIIC bedeutet, dass eine Lücke von über 100 Jahren die mykenischen und eisenzeitlichen Befunde trennt. Auch in den Jahren 2017 und 2018 wurden nur in den Boden eingetiefte Befunde der Eisenzeit, nicht jedoch Häuser dieser Epoche gefunden. Dies lässt darauf schließen, dass das Laufniveau der Eisenzeit vermutlich etwa dem heutigen entsprach oder nur geringfügig tiefer war und durch Erosion zerstört wurde.
57Als einzige wahrscheinlich eisenzeitliche Mauer wurde beim Abbau des Profilsteges zwischen den Quadranten LI25 und LII25 die schon 2014 angeschnittene, nur ca. 0,12 m unter der heutigen Oberfläche befindliche Mauer 7/14 (Oberkante 4,01–4,19 m ü. NN; Unterkante 3,99 m ü. NN) weiter freigelegt (Abb. 29. 72), ohne dass allerdings der Rest einer zugehörigen Lauffläche nachgewiesen werden konnte. Da die Mauer deutlich höher als die mykenischen Mauern gegründet ist und auch eine von diesen verschiedene, aber mit der der beiden Mauern des eisenzeitlichen Gräberareals (Mauer 9/14) übereinstimmende Ausrichtung von WNW-SSO aufweist, darf von einer nach-mykenischen Zeitstellung ausgegangen werden. An weiteren eisenzeitlichen Siedlungsspuren wurden in LII24 mehrere der bereits aus anderen Quadranten bekannten Gruben mit einer dichten Füllung aus kleinen Bruchsteinen, Geröllen und protogeometrischer und geometrischer Keramik gefunden (Abb. 103). Am W-Rand von Quadrant LI24 wurde ein leicht gebogen verlaufender Graben der geometrischen Zeit angeschnitten, der mit mittelgroßen bis großen Bruchsteinen dicht verfüllt war (Befund-Nr. 201/17; Abb. 119). Die Funktion des Grabens ist ebenso unklar wie die der Gruben mit Stein-/Keramikfüllung. Darüber hinaus wurden in den Quadranten LI25 und LII24 mehrere tief herabreichende Gruben runden Umrisses festgestellt, bei denen es sich wahrscheinlich um Brunnen ähnlicher Art handelt, wie sie Kilian in seiner Ausgrabung in der nordwestlichen Unterstadt nachgewiesen hat.
58Die aussagekräftigsten eisenzeitlichen Befunde sind, wie in den Vorjahren, wiederum funerärer Natur. Im Osten von Quadrant LII25 wurde in dem eisenzeitlichen Gräberareal das südlich der Gräber 1/14 und 2/14 befindliche Grab 3/14 durch eine leichte Erweiterung der Grabungsfläche untersucht (Qu. LII25/80.90.100 und LIII25/81.91). Es handelt sich, wie bei den 2014 und 2015 freigelegten Gräbern um eine aus senkrechten Steinplatten gebaute und mit waagerechten Steinplatten abgedeckte Konstruktion. Im Inneren des Grabes fand sich die N-S gerichtete Bestattung (Oberkante 3,48–3,55 m ü. NN) eines jungen Mannes[42], dessen Beine sich in rechtsseitiger Hocklage befanden und dessen Oberkörper auf dem Rücken lag (Bestattung 3/18; Abb. 120). Dem Toten waren fünf Gefäße der geometrischen Zeit beigegeben worden (Abb. 121), von denen vier, eine Oinochoe und drei kleine Gefäße (Befund-Nr. 99/18–101/18), östlich des Kopfes lagen, während das fünfte Gefäß, eine Miniatur-Amphore (Befund-Nr. 102/18) sich westlich des Beckens fand. Anhand der Funde kann die Bestattung in die geometrische Zeit datiert werden.
59Im Süden von Quadrant LII24 ergaben sich keine Hinweise darauf, dass die N-S ausgerichtete Begrenzungsmauer (Mauer 6/14) des im Osten von Quadrant LII25 nachgewiesenen protogeometrischen und geometrischen Gräberareals sich nach Norden fortgesetzt hat. Allerdings fanden sich entlang des S-Profils von Quadrant LII24 weitere eisenzeitliche Bestattungen, die ungefähr in nördlicher Verlängerung der 2014 untersuchten eisenzeitlichen Steinkistengräber des Gräberareals liegen, im Unterschied zu diesen aber nicht über eine aufwändige Grabkonstruktion verfügten. Hierzu gehört ein Grubengrab mit der Bestattung eines 30–35-jährigen Mannes (Bestattung 1/17; Qu. LII24/77.87; Abb. 122). Die N-S gerichtete Bestattung (Oberkante 4,10–4,16 m ü. NN) mit Oberkörper in Rückenlage und außergewöhnlich stark angewinkelten, auf der linken Seite liegenden Beinen war auf einen großen und leicht schräg stehenden Steinblock der SH IIIC-zeitlichen Mauer 2/18 gelegt worden. Östlich der Bestattung stand ein senkrechter großer Stein, wahrscheinlich als Grabmarkierung. Die Oberkante des Steines befand sich bei 4,36 m ü. NN und damit ca. 0,15 m unter der heutigen Geländeoberfläche an dieser Stelle, ein weiterer Hinweis auf den Sachverhalt, dass das eisenzeitliche Laufniveau nicht viel tiefer als das heutige gelegen haben kann. Zu beiden Seiten des Kopfes der Bestattung lag je ein bemaltes Gefäß der geometrischen Zeit, westlich des Kopfes ein Kantharos und östlich ein Skyphos (Abb. 123). In dem Kantharos fand sich ein kleines unbemaltes Kännchen (oder Aryballos?), das mit der Mündung nach unten in das Gefäß gelegt worden war. Nördlich des Kopfes stand ein kleiner, unbearbeiteter Kalkstein grob-dreieckiger Form.
60Östlich des großen Markierungs-Steines wurden angewinkelte Beinknochen einer weiteren Bestattung festgestellt (Bestattung 3/17; Oberkante 4.07 m ü. NN; Abb. 122), die zu einem Mann oder einer Frau im Alter zwischen 30 und 35 Jahren gehören. Beigaben gab es nicht. Einige Meter westlich von Bestattung 1/17 (Qu. LII24/83) wurde ein weiteres Grubengrab, in diesem Fall mit der W-O-orientierten Bestattung eines Kleinkindes geborgen, dessen Alter anthropologisch zwischen neugeboren und 6 Monate alt bestimmt wird (Bestattung 2/17; Oberkante 4,16 m ü. NN; Abb. 124). Da sich auch hier keine Beigaben fanden, kann die eisenzeitliche Datierung nur wegen der Nähe zu der sicher geometrischen Bestattung erschlossen werden.
61Am S-Profil von Quadrant LI24 wurde eine Bestattung der geometrischen Zeit in einem auf der Seite liegenden, mit der Mündung nach Westen weisenden Pithos gefunden (Grab 1/17; Qu. LI24/85.94.95.96; Abb. 77). Die Mündung war mit Bruchsteinen verschlossen. Im Inneren des Pithos fand sich ein Skelett in rechtsseitiger Hockerlage (Bestattung 5/17, Abb. 125). Auf dem Toten lagen ein Kantharos und eine Oinochoe. An einem Finger trug der Tote einen Bronzering (Abb. 126).
Sondage in Quadrant LI–LII 17
Mykenische Zeit
62Die an der Grenze der Quadranten LI17 und LII17 befindliche Sondage wurde zwischen Reihen von Orangenbäumen so angelegt, dass man mit ihr einen Abschnitt der sich in den geophysikalischen Untersuchungen hier abzeichnenden, W-O-orientierten Anomalie hätte untersuchen können (Abb. 1. 140; vgl. Beitrag Hecht). Es war allerdings ungewiss, in welcher Tiefe die Anomalie zum Vorschein kommen würde. Leider wurde das Ziel, die Bedeutung der Anomalie zu klären, nicht erreicht, da die Ausgrabung bei Erreichen der Oberkante der Flussablagerungen in einer Tiefe von ca. 3,11–3,19 m ü. NN eingestellt wurde und zu diesem Zeitpunkt kein dem Verlauf der Anomalie entsprechender Befund zum Vorschein gekommen war. Es ist möglich, dass sich die Anomalie in größerer Tiefe abgezeichnet hätte, und zu vermuten, dass sie natürlichen Ursprungs ist (z. B. ein Gerinne des Flusses). Die Abfolge der in der Sondage angetroffenen mykenischen Befunde entsprach weitgehend derjenigen in der Flächen-Ausgrabung. Im Unterschied zu dieser wurden jedoch in der Sondage keine Befunde der Eisenzeit angetroffen.
Befunde der späten Palastzeit
63Über den eigentlichen Fluss-Sedimenten wurde auch in diesem Areal die in der späten Palastzeit aufgetragene Planierschicht nachgewiesen, die hier eine Stärke von max. 0,25 m erreichte.
Erster SH IIIC-zeitlicher Bauhorizont, älterer Abschnitt
64Auch in diesem Areal wurde eine Abfolge von zwei Bauhorizonten beobachtet, von denen der erste in SH IIIC Früh und der zweite in SH IIIC Entwickelt zu datieren ist. Die Ausrichtung der freigelegten Mauern beider Horizonte entsprach in jeder Hinsicht derjenigen in den anderen Ausgrabungsarealen. Auch die Unterteilung des ersten Bauhorizonts in einen älteren und jüngeren Abschnitt zeichnete sich ab.
65Obwohl wegen der geringen Größe der Sondage eine Aussage über die Struktur von Baukörpern unmöglich ist, lässt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit sagen, dass in der N-Hälfte der Sondage ein überdachter Raum (Raum 6/18) und südlich anschließend eine Freifläche (Hof 3/18) des ersten Bauhorizonts angeschnitten wurden. Der Raum wird nach Süden von der 0,40–0,45 m breiten W-O-Mauer 11/18 (Unterkante 3,28–3,34 m ü. NN) und nach Norden von der hierzu parallelen Mauer 10/18 (Oberkante 3,69–3,71 m ü. NN; Unterkante 3,37 m ü. NN) begrenzt, die beide auf der Planierschicht gegründet wurden. In der Oberkante der Mauer 11/18 bei ca. 3,69–3,71 m ü. NN zeichnete sich eine zweischalige Ausführung mit kleinen Bruchsteinen als Auflage des Lehmziegelaufbaus deutlich ab. Im Inneren von Raum 6/18 wurde ein älterer Lehmfußboden zwischen ca. 3,38 und 3,42 m ü. NN festgestellt, der stellenweise Spuren von Brandeinwirkung zeigte (Abb. 127). In LII17/31.41 fand sich eine kleine Fläche verbrannten Lehms unregelmäßigen Umrisses, möglicherweise eine Herdstelle (Oberkante 3,48 m ü. NN), und in Quadrant LI17/50 oberhalb des Fußbodens bei 3,51 m ü. NN eine Bronzesichel (Befund-Nr. 192/18; Abb. 129). In dem südlich an den Raum angrenzenden Hof 3/18 lag der älteste Nutzungshorizont bei ca. 3,30–3,38 m ü. NN, zu dem auch ein Pflaster aus Steinplatten (Oberkante 3,20–3,31 m ü. NN) in den Quadranten LI17/80 und LII17/71.81 gehörte (Abb. 128). Die den Hof nach Süden begrenzende Mauer liegt außerhalb der Sondage, weshalb sich seine N-S-Ausdehnung nicht bestimmen lässt.
Erster SH IIIC-zeitlicher Bauhorizont, jüngerer Abschnitt
66In Raum 6/18 zeichnete sich im W-Profil der Sondage eine Lauffläche des jüngeren Abschnitts des ersten Bauhorizonts bei ca. 3,60–3,63 m ü. NN ab. In Quadrant LI17/50.60 fand sich gegen die südliche Kante von Mauer 10/18 gesetzt eine waagerecht und parallel zur Mauer verlegte Steinplatte (Oberkante 3,59 m ü. NN), über die der Fußboden hinweg zog. Gegen die N-Seite von Mauer 11/18 war in LI17/60.70 eine aus Lehm bestehende ofenartige Struktur gesetzt worden, deren östliche Seite von einem senkrecht stehenden Lehmziegel gebildet wurde (Befund-Nr. 171/18; Abb. 130). Die verbrannte Oberfläche im Inneren der Installation lag bei ca. 3,76 m ü. NN. Anzeichen für eine Brandzerstörung wurden nicht festgestellt.
Zweiter SH IIIC-zeitlicher Bauhorizont, älterer und jüngerer Abschnitt
67Nach dem ersten Bauhorizont wurde Raum 6/18 aufgegeben. An seine Stelle trat eine leicht veränderte architektonische Konfiguration, zu der die sich ablösenden, W-O-Mauern 9A/18 (Oberkante 3,82–3,98 m ü. NN) und Mauer 9/18 (Oberkante 4,12–4,24 m ü. NN) gehörten, die am südlichen Rand der Sondage in Teilen freigelegt wurden. Von der etwas älteren Mauer 9A/18 zeichnete sich nur die nördliche Kante klar ab, während ihre südliche Begrenzung von der gegenüber Mauer 9A/18 etwas weiter nach Süden verschobenen Mauer 9/18 überlagert wurde. Weiterverwendet wurde vermutlich die Mauer 10/18 (Oberkante 4,09 m ü. NN). Es ist unklar, ob der Bereich zwischen den Mauern 9A/18 und 10/18 bzw. 9/18 und 10/18 als Freifläche oder überdachter Raum genutzt wurde. Reste einer Lauffläche zeichneten sich im W-Profil der Sondage entlang der S-Seite von Mauer 10/18 bei ca. 3,90 m ü. NN ab.
68Nach dem zweiten SH IIIC-zeitlichen Bauhorizont scheint auch der durch die Sondage erforschte Teil der nordwestlichen Unterstadt aufgegeben worden zu sein, was unterstreicht, dass es sich hierbei um ein allgemeines Phänomen in dieser Zone von Tiryns handeln muss.
Siedlungsgeschichtliche Auswertung
Spätpalastzeitliche Aktivitäten und Bauplanungen in der nördlichen Unterstadt
69Die Ausgrabungskampagnen 2017 und 2018 haben die These erhärtet, dass die Errichtung der SH IIIC-zeitlichen nördlichen Unterstadt unmittelbar nach der Zerstörung des Palastes auf einem architektonischen ›Masterplan‹ der ausgehenden Palastzeit fußte und damit eine Brücke zwischen Palast- und Nachpalastzeit schlägt[43]. Die geoarchäologisch-sedimentologischen Untersuchungsergebnisse sind diesbezüglich in zweierlei Hinsicht von besonderem Interesse: Erstens widerlegen sie endgültig die These von Zangger[44], wonach sich die mächtigen Flussablagerungen bei einem einzigen, katastrophalen Ereignis, welches eine blühende palastzeitliche Unterstadt verschüttet hat, abgelagert haben sollen. Deutlich wird vielmehr, dass die Ablagerungen sich allmählich bei einer Vielzahl von Hochwasserereignissen zwischen der Mitte des 14. Jhs. und dem Ende des 13. Jhs. v. Chr. akkumuliert haben müssen und einen Bereich betrafen, der wegen dieser Gefährdungssituation während dieses Zeitraums unbebaut belassen worden war. Zweitens gibt es auch keine Hinweise darauf, dass sich dort zu der Zeit, als der Fluss noch nicht sein Bett (oder einen Arm) dorthin verlagert hatte, Gebäude der Palastzeit befunden haben. Vielmehr spricht die Auffindung der humosen Kulturschichten Y1a und Y1b (vgl. Beitrag Birndorfer u. a.) mit kleinstückigen Fragmenten SH IIIA2-zeitlicher Keramik unter den Flussablagerungen eher für ein unbebautes Areal während der älteren Palastzeit.
70Für die Menschen der späten Palastzeit müssen Überschwemmungen, die jeweils zur Ablagerung geringer Mengen von Sediment geführt haben, ein gewohntes Ereignis gewesen sein, mit dem sie sicher gelernt hatten zu leben. Die Entscheidung, den Fluss unter großem Aufwand umzuleiten, kann somit nicht unter dem Eindruck eines plötzlichen katastrophalen Ereignisses und auch nicht allein von dem Wunsch zum Schutz des Gebiets der Unterstadt vor Überschwemmungen ausgelöst worden sein, sondern muss andere Ursachen gehabt haben. Der Nachweis des flächigen Auftrags einer rund 0,25 m starken Planierschicht (Aufschüttung Y3) über den Flussablagerungen und die in die Planierschicht eingeschlossenen mutmaßlichen Sandabdrücke der Innenseiten vermutlich von geschnittenem Schilfrohr machen dabei unmissverständlich klar, dass bereits am Ende der Palastzeit die Bebauung des dem Fluss abgewonnenen Areals vorgesehen war und man sich daran machte, es für die Bebauung vorzubereiten. Dies ist ein zusätzliches Argument dafür, dass die geradezu megalomane Maßnahme der Flussumleitung und das dadurch betriebene ›Landschafts-Engineering‹ in entscheidendem Maße von dem Wunsch geleitet wurde, neue Siedlungsareale nördlich der Tirynther Akropolis zu erschließen und durch Anlage der N-Pforte eine neue, von Norden kommende Wegeverbindung zwischen der Unterstadt und der Burg zu schaffen[45].
71Genauso wie die ganz am Ende der Palastzeit in die Unterburgmauer nachträglich eingefügte N-Pforte vermutlich nie im Sinne der palastzeitlichen Planungen fertiggestellt wurde[46], zeigen auch die in der Ausgrabung in der nordwestlichen Unterstadt angetroffenen Verhältnisse, dass man anscheinend nicht mehr dazu kam, Gebäude zu errichten. Der Befund eines möglichen Fundamentgrabens für ein palastzeitliches Gebäude deutet allerdings an, wie kurz die Bauplanungen am Ende der Palastzeit davor standen, in die Tat umgesetzt zu werden. Auch hier wurde somit die Umsetzung der eigentlichen Bauplanung unterbrochen, bevor sie in die Phase der baulichen Ausführung eingetreten war. Dies sind Hinweise darauf, dass die im Rahmen des ›Masterplans‹ vorgesehene Abfolge architektonischer und ingenieurtechnischer Maßnahmen erst ganz am Ende der Palastzeit in die Tat umgesetzt, aber wegen der endgültigen Zerstörung des Palastes letztlich nicht abgeschlossen wurde und in mancherlei Hinsicht ein Fragment blieb.
72Eine große Überraschung bildete die Erkenntnis, dass in dem zeitlichen Intervall zwischen der Fertigstellung der Flussumleitung und der Zerstörung des Palastes Aktivitäten ganz anderer Art als Großbauprojekte in dem von uns untersuchten Areal stattgefunden haben. Denn es scheinen Kunsthandwerker gewesen zu sein, die sich in dem freien Areal niedergelassen haben, um dort für den Palast Möbel aus Holz und Elfenbein, aber vermutlich auch andere Luxusgüter herzustellen. Die auf einem Teil der Elfenbein-Werkstücke zu erkennenden gitternetzartigen Konstruktionslinien sind in dieser Form unseres Wissens für das 2. Jahrtausend v. Chr. weder an Elfenbeinarbeiten aus der Ägäis noch aus Vorderasien belegt. Die einzigen vorderasiatischen Parallelen sind ähnliche Linien zur Konstruktion von Zapflöchern bzw. Nuten auf Elfenbeineinlagen aus dem frühen 1. Jahrtausend v. Chr. aus Arslan Tash (Syrien)[47]. Die Seltenheit des Systems der Konstruktionslinien auf Elfenbein könnte damit in Zusammenhang stehen, dass es sich um eine Übertragung einer handwerklichen Vorgehensweise handelt, die eigentlich in der Tischlerei angewandt und von dieser auf die Elfenbeinbearbeitung übertragen wurde. Deswegen und wegen der Art der Funde – Einlagen und Applikationen für Möbelstücke – nehmen wir an, dass in dem Areal palatiale Kunsthandwerker gearbeitet haben, die sowohl Edelhölzer als auch Elfenbein ver- und bearbeiten konnten. Die auf den Elfenbeinobjekten erhalten gebliebenen, eingeritzten Gitternetze zur Konstruktion von Zapflöchern und Nuten zeigen, dass die Spezialisten mit hoher Präzision und unter Verwendung von Prinzipien einer ›angewandten Geometrie‹ sicherstellten, dass die Möbelteile passgenau zusammengesetzt und Möbelstücke in qualitätvoller Komposittechnik und mit möglichst wenig Ausschuss an wertvollen Materialien hergestellt werden konnten. Da sämtliche hölzernen Möbelteile zerfallen sind, entsteht der fälschliche Eindruck, es sei nur Elfenbein verarbeitet worden. Die Auffindung des steinernen Blocks mit dem Negativ eines ovalen Ringschildes deutet ferner darauf hin, dass in dem Areal auch Goldschmiede tätig waren, die mittels einer mehrteiligen Gussform goldene Siegelringe herstellten. Die Zerstörung des Palastes dürfte die kunsthandwerklichen Aktivitäten beendet und zum Zurücklassen der Werkstücke und der Gussform geführt haben.
73Die Behausungen, in und um die herum die Arbeiten der für den Palast tätigen Kunsthandwerker stattfanden, scheinen aus äußerst leichten Materialien bestanden zu haben und waren sicher nicht als permanente Wohngebäude, sondern eher als vorübergehender Schutz vor Wind und Wetter gedacht. Für die erstmals in Tiryns belegten, überwiegend linear verlaufenden Streifen grauen Sands haben wir eine Deutung als Spuren von sandgefüllten Schläuchen aus organischem Material vorgeschlagen und argumentiert, dass derartige Schläuche im Boden verlegt zum Schutz der leichten Behausungen vor Starkregenereignissen gedient haben könnten. Mutmaßen lässt sich ferner, dass das Areal, in dem sich die palatialen Kunsthandwerker niederließen, für diese interessant gewesen sein könnte, weil es nur etwa 1,3 km von der von Eberhard Zangger angenommenen Küstenlinie der mykenischen Zeit entfernt war[48]. Dies erlaubte es, Elfenbein, eventuell Edelhölzer aus dem Fernhandel sowie weitere Materialien in Empfang zu nehmen, zu begutachten und zu bearbeiten sowie anschließend die fertigen Möbelstücke auf die Akropolis zu transportieren. Überdies bot das Areal ausreichend Platz, um Handwerkergruppen ein Arbeiten mit schweren und sperrigen Materialien wie Holz zu ermöglichen, was in der dicht und verwinkelt bebauten Akropolis nur in eingeschränktem Maße möglich gewesen wäre.
74Die bei der Ausgrabung freigelegten palastzeitlichen Befunde werfen allerdings nicht nur ein neues Licht auf die Frage nach den Motiven der Flussumleitung und der Art der Nutzung des dem Fluss abgewonnenen Areals, sondern helfen auch, die Errichtung des wenige Kilometer östlich von Tiryns gelegenen Damms von Nea Tiryntha/Kofini , mit dem das alte Flussbett verschlossen wurde, zeitlich genauer zu fassen, als dies bisher möglich war. Die durch keramische Funde in SH IIIB2 datierbaren Befunde der Ausgrabung sind der Beweis dafür, dass die Flussumleitung noch innerhalb der Palastzeit abgeschlossen worden ist, denn sonst hätte das zuvor von dem Fluss betroffene Areal nicht genutzt werden können. Die von Zangger[49] postulierte Datierung der Flussumleitung im Anschluss an die von ihm auf ein Erdbeben zurückgeführte Zerstörung des Palastes, d. h. in die unmittelbare Nachpalastzeit, ist damit ebenfalls widerlegt.
Die nördliche Unterstadt – Ein Großbauprojekt der älteren mykenischen Nachpalastzeit
75Die bauliche Erschließung des von uns erforschten Bereichs der nordwestlichen Unterstadt scheint zwar schon in der ausgehenden Palastzeit vorbereitet worden zu sein, aber die Umsetzung in eine Neubebauung erfolgte erst unmittelbar nach der Palastzerstörung während der keramischen Unterphase SH IIIC Früh 1. Der planmäßige und modular strukturierte Charakter der so geschaffenen Bebauung erweist die Baumaßnahme als ein Vermächtnis endpalastzeitlicher Bauplanungen und als das unseres Wissens einzige Großbauprojekt, das in SH IIIC in Griechenland verwirklicht wurde. Dass die in dem Suchschnitt festgestellte Befundsequenz in ihrer Zeitstellung und Ausrichtung genau der in der etwas weiter südlich gelegenen Flächengrabung entspricht, ist einmal mehr ein Beleg für die Planmäßigkeit und die flächenmäßige Ausdehnung der aus dem Boden gestampften ›Planstadt‹. Auffällig ist insbesondere, dass es sehr wenige Anzeichen für einen Planungswechsel ganz am Beginn der Bebauung, noch vor dem Beginn der Besiedlung, gibt. Der genannte, in Quadrant LII24 freigelegte Befund eines abgebrochenen Mauerzugs und eines zugesetzten Durchgangs sind die bisher einzigen Anzeichen, die darauf hindeuten, dass in ganz vereinzelten Fällen noch während des Vorgangs der Erstbebauung Änderungen in dem Zuschnitt der vorgegebenen modularen Struktur des Neubaugebiets vorgenommen wurden. Im Umkehrschluss spricht dies dafür, dass die ganze Baumaßnahme sehr wohl überlegt und nach festen Vorstellungen darüber, wie der zur Verfügung stehende Raum genutzt werden sollte, konzipiert wurde. Die Auffindung eines extrem tief im Untergrund verankerten Pfostens (Befund-Nr. 155/18), der nicht als Stütze in einem Gebäude fungiert zu haben scheint, könnte ein Hinweis darauf sein, dass ganz am Ende der Palastzeit oder am Beginn der Nachpalastzeit bei der Einteilung des Areals in Grundstücke und/oder bei der Vermessung des Verlaufs von Mauern Pfosten als Hilfsmittel verwendet wurden, z. B. um Schnüre an ihnen festzumachen.
76Die für die Baumaßnahme Verantwortlichen dürften von dem palastzeitlichen ›Masterplan‹ gewusst und bewusst die Planungen der endpalastzeitlichen Entscheidungsträger aufgegriffen und zu Ende geführt haben. Die Tatsache, dass die Bebauung ganz am Beginn der Palastzeit einsetzte, ist auch deshalb bemerkenswert, weil die Unterburg genau während jener ersten Jahrzehnte nach der Zerstörung des Palastes noch in einem Stadium der ›Ruinenbewohnung‹ verblieb und erst zeitgleich mit dem jüngeren Abschnitt unseres ersten Bauhorizonts, in SH IIIC Früh 2, systematisch bebaut wurde[50]. Dies lässt es möglich erscheinen, dass das Neubaugebiet der Unterstadt auch dafür vorgesehen war, Personengruppen aufzunehmen, die während der Palastzeit in der Unterburg gelebt hatten, aber vielleicht wegen des Ausmaßes der Zerstörung, der Allgegenwärtigkeit von Ruinen, aber auch der Erinnerungen an die Ereignisse, die zu der Zerstörung geführt hatten, nicht dorthin zurückkehren konnten oder wollten. Die massiven Baumaßnahmen in der nördlichen Unterstadt setzten während eines Zeitraums ein, als man sich auch daranmachte, das Areal der Ruine des Palastes auf der Oberburg wieder in Besitz zu nehmen und den Antenbau zu errichten[51]. Die nördliche Unterstadt und der Bereich des ehemaligen Palastes scheinen somit in der unmittelbar auf die Palastzerstörung folgenden Zeit Vorrang vor anderen Baumaßnahmen gehabt zu haben. Sicher ist, dass die Errichtung der neuen Gebäudegruppen nicht in allen Bereichen der nördlichen Unterstadt gleichzeitig mit derselben Intensität eingesetzt hat. In dem erforschten Bereich der nordöstlichen Unterstadt etwa scheint zwar ebenfalls in SH III Früh 1 die Bebauung begonnen zu haben, doch wurde zu dieser Zeit das dortige Areal in längst nicht der gleichen Dichte wie in der nordwestlichen Unterstadt bebaut, und erst ab SH IIIC Früh 2 lässt sich dort eine Verdichtung der Bebauung nachweisen[52].
77Auch wenn ein Teil der am Beginn der Nachpalastzeit in das Neubaugebiet der nördlichen Unterstadt einziehenden Personengruppen zuvor auf der Akropolis gewohnt haben sollte, so erklärt dies allein nicht das Ausmaß der architektonischen Neuplanungen, weshalb die von Kilian[53] geäußerte These eines Synoikismos von Bevölkerungsgruppen des Umlandes nach der Palastkatastrophe weiterhin eine sehr plausible Interpretation ist. Die Merkmale der von den Einwohnern der nordwestlichen Unterstadt verwendeten materiellen Kultur sprechen indes dafür, dass die Einwohner nicht allein aus dem Umland bzw. anderen Bereichen der Argolis oder anderer Teile der Peloponnes, sondern auch aus weiter entfernten mediterranen Regionen nach Tiryns gelangt sind (siehe unten).
78Bestätigt wurden durch die Ergebnisse der beiden letzten Ausgrabungskampagnen, dass zwei Bauhorizonte nachweisbar sind, die sich auf die erste Hälfte von SH IIIC beschränken und dass die Bebauung in rechteckige, zueinander parallele oder rechtwinklig angeordnete Module gegliedert war, auf denen überdachte und offene Einheiten entstanden. Im Vergleich zu allen anderen SH IIIC-zeitlichen Siedlungsbefunden aus Tiryns zeichnet sich die Bebauung in der nordwestlichen Unterstadt durch eine deutlich höhere Dichte und eine starke Verschränkung von Höfen und Räumen aus. Dies rührt vor allem daher, dass Räume und Höfe so dicht an dicht errichtet wurden, dass die meisten Höfe an drei oder vier Seiten von Mauern umgebender Räume begrenzt wurden und hierdurch eine viel ausgeprägter rechteckige Form erhielten als SH IIIC-zeitliche Höfe etwa der Unterburg oder der nordöstlichen Unterstadt. Eine Unterscheidung von Höfen und Räumen war dennoch anhand folgender Merkmale möglich: Die Höfe hatten in der Regel eine deutlich größere Grundfläche als Räume, und sie zeigten keine Unterteilung durch Stützen oder Quermauern, die ein Dach hätten tragen können. Dementsprechend waren die einzigen Räume in unserer Ausgrabung, die in ihrer Grundfläche an die von Höfen heranreichen, Raum 1/14 und Raum 1/18, mit steinernen Unterlagen für ein- oder zweireihig angeordnete Stützen ausgestattet, ein Merkmal, das in ähnlicher Art bereits aus SH IIIC-zeitlichen Räumen vergleichsweise großer Grundfläche wie dem Antenbau im Großen Megaron der Oberburg, Megaron W in der südöstlichen Unterstadt, Raum 115 in der Unterburg oder Raum 8/00 in der nordöstlichen Unterstadt bekannt war[54]. Dies zeigt, dass es in der Nachpalastzeit bei solchen Raumgrößen als notwendig empfunden wurde, zusätzliche Vorkehrungen zur Abstützung des Daches zu treffen. Umgekehrt entsprach Hof 1/18 von seiner Grundfläche zwar der eines Raumes, war aber an einer Seite offen und ähnelt damit dem viel größeren Hof 1/13, was eine Funktion als Hof nahelegt. Höfe unterschieden sich ferner von Räumen durch eine unebenere Lauffläche, die anders als die von Räumen vor allem durch die Nutzung und nicht durch einen flächig aufgetragenen Lehmestrich abgeflacht und verhärtet wurde. Höfe der nordwestlichen Unterstadt zeichneten sich ferner durch Gemeinsamkeiten in der Ausstattung mit Installationen, wie z. B. durch Steinplatten gepflasterte Bereiche und Öfen, aus (vgl. unten), die in Räumen nicht beobachtet werden konnten.
79Es bestätigte sich ferner der Befund, dass die einzelnen Bebauungsmodule untereinander nur unzureichend durch Wegeverbindungen integriert waren[55]. Letzterer Sachverhalt zeigt sich deutlich bei Vergleich von Raumkomplex 8/17.5/15.6/15.7/17 (bzw. Raumkomplex 4/15.5/15.6/15.7/17) jeweils mit Hinterhof und Hof 2/15 in den Quadranten LI25 und LII25 einerseits und Raumkomplex 3/14.1/17.3/17.1/18.2/18.3/18 mit Hof 1/18 (bzw. Raumkomplex 3/14.1/17.2/17.3/17.4/18.5/18 mit Hof 1/17) in den Quadranten LI24 und LII24 andererseits. Obwohl sie nebeneinanderlagen, scheinen diese Gebäudegruppen durch keinen erkennbaren Durchgang miteinander kommuniziert zu haben. Das bedeutet, dass unmittelbar benachbarte Gebäude und Höfe oft nur über Umwege erreicht werden konnten. Die für die geringe Integration der Bebauungsmodule des Neubaugebiets gegebene Erklärung als Folge des Wunsches nach sozialem Abstand zwischen Menschengruppen, die zuvor nicht miteinander gelebt hatten[56], scheint uns weiterhin die plausibelste Deutung für dieses Phänomen zu sein. Immerhin konnte im nordwestlichen Bereich des durch die Ausgrabung erfassten Areals (Hof 2/18) ein Weg nachgewiesen werden, welcher eine Verbindung zwischen dem durch die Ausgrabung freigelegten Gebäuden mit jenen, die nördlich von ihnen lagen, herstellte. Wahrscheinlich ist, dass die von uns freigelegte Architektur Teil einer allseitig von Wegen umgebenen Gebäudeinsel ist. Zukünftige Untersuchungen in der nördlichen Unterstadt werden die Struktur des Wegenetzes klarer hervortreten lassen. Erst wenn wir noch mehr über das Wegenetz und die Anordnung von Häuserinseln in der SH IIIC-zeitlichen Unterstadt nördlich der Akropolis wissen, wird sich die These Kilians bewerten lassen, ob diese ›Planstadt‹ auf ähnlichen Konzepten beruhte wie gleichzeitig errichtete Stadtanlagen Zyperns, wie z. B. Enkomi [57].
80Die Errichtung von Raumkomplex 3/14.1/17.3/17.1/18.2/18.3/18 zeigt, dass am Beginn der SH IIIC-zeitlichen nördlichen Unterstadt Baukörper entstanden, die in dieser Komplexität der miteinander verbundenen Räume bisher noch aus keinem nachpalatialen Siedlungsareal in Tiryns bekannt geworden sind[58]. Die Erschließung von Räumen durch einen Korridor und das Vorliegen einer möglichen schmalen, einläufigen Treppe, über die man vielleicht in einen Dachboden oder Speicher gelangte, sind Merkmale, welche die in Tiryns vorliegende Architektur vor allem mit jener in etwa gleichzeitigen Siedlungsphasen von Lefkandi verbindet. Die Größe und Komplexität des genannten Raumkomplexes erstaunt auch deshalb so sehr, weil man bisher in Tiryns gewohnt war, den Beginn der mykenischen Nachpalastzeit an den Verhältnissen der Unterburg zu messen und mit eher bescheiden gebauten, allenfalls lose in übergeordnete architektonische Konzepte eingebundenen Raumeinheiten in Verbindung zu bringen. Bereits die Hinweise auf die Erbauung des Antenbaus zu einem frühen Zeitpunkt innerhalb von SH IIIC deuteten darauf hin, dass die Verhältnisse in der Unterburg nicht verallgemeinert werden dürfen, was jetzt durch die Befunde in der nordwestlichen Unterstadt noch nachdrücklich bekräftigt wird. In das gleiche Bild von Bauwerken mit einem gewissen architektonischen Anspruch fügt sich vermutlich auch die Vorhalle (Raum 7/17) mit Doppelpfostenstellung des Raumkomplexes 8/17.5/15.6/15.7/17 ein, denn bei vielen Einwohnern der Zeit kurz nach 1200 v. Chr., welche die Palastzeit noch aus eigener Anschauung gekannt hatten, dürfte dieses Merkmal Erinnerungen an palatiale Bauformen evoziert haben[59]. Ähnlich der zwischen 2013 und 2015 mehrmals beobachteten Wiederverwendung palatialer Architekturspolien in SH IIIC-zeitlichen Gebäuden der nordwestlichen Unterstadt[60] und der Einbeziehung übergroßer Steinformate in den Fundamenten von Gebäuden in der nordöstlichen Unterstadt[61] dürfte auch die genannte Doppelpfostenstellung eine bewusste Bezugnahme auf die Palastzeit und ein Distinktionsmerkmal der in dem Gebäude lebenden Personengruppe gebildet haben, die sich damit als den ›alten Sitten‹ der Elite verpflichtet präsentieren konnte. Hierzu passt, dass sich in dem darauffolgenden Zustand desselben Raumkomplexes in Raum 4/15 die Verwendung der Spolie eines gesägten Steinblocks des in Tiryns einzigartigen Gesteins der Bodenplatte des ›Badezimmers‹ im Palast als Stufe oder Schwelle nachweisen lässt, der möglicherweise schon in dem älteren Zustand des Raumkomplexes verbaut worden war[62]. Die Befunde in der nordwestlichen Unterstadt erinnern somit daran, dass man kurz nach der Zerstörung des Palastes willens und in der Lage war, für die Zeit anspruchsvolle architektonische Konzepte zu verwirklichen und dabei eine materielle Bezugnahme auf die Palastzeit als wichtig erachtete.
81Nachdem das Neubaugebiet der nordwestlichen Unterstadt am Beginn von SH IIIC planmäßig errichtet wurde, blieb es jedoch nicht unverändert, sondern es lassen sich im Gegenteil Hinweise auf ständige Veränderungen nachweisen. Das modulare Bebauungssystem scheint dabei trotz der hohen Gebäudedichte flexibel genug gewesen zu sein, um den Bewohnern die Möglichkeit zu geben, bis zu einem gewissen Grade Modifikationen in der Nutzung bestimmter Bereiche vorzunehmen. Die innerhalb des ersten Bauhorizonts stattfindende Aufgabe der Vorhalle (Raum 7/17) sowie die Umwidmung eines ursprünglich als überdacht konzipierten Bereichs (Raum 1/18) in eine Freifläche (Hof 1/17) oder umgekehrt die einer Freifläche (Hof 1/18) in einen überdachten Bereich (Raum 2/17) zeigen, dass solche Veränderungen innerhalb ein und desselben Bauhorizonts vorgenommen wurden, obwohl zuvor keine Zerstörung stattgefunden hatte. Anders verhält es sich bei den ebenfalls nachweisbaren Umwandlungen von überdachten Räumen in Höfe am Übergang vom ersten zum zweiten Bauhorizont (z. B. Raumkomplex 1/14.2/14.4/14 in Hof 2/13), die auf eine Zerstörung folgten. All dies verdeutlicht die erhebliche bauliche Dynamik, die sich in den wenigen Generationen der Existenz der SH IIIC-zeitlichen Unterstadt vollzogen hat.
82Unbeantwortet bleiben muss derzeit die Frage, ob die SH IIIC-zeitliche Unterstadt von Tiryns über eine Befestigungsmauer verfügt hat. Die Ausdehnung der nördlich des Burgfelsens neu errichteten ›Planstadt‹ zusammen mit dem unruhigen Charakter des frühen 12. Jhs. v. Chr. im gesamten Ostmittelmeerraum und der Anfälligkeit des Ortes gegenüber Überraschungsangriffen besonders über das Meer würden es merkwürdig erscheinen lassen, wenn man darauf verzichtet hätte, die Unterstadt mittels einer Befestigung zu schützen. Sicher ist, dass keine in kyklopischer Bautechnik errichtete Unterstadtbefestigung existiert haben kann, denn diese wäre als Monument sicher zumindest in Teilen ebenso erhalten geblieben wie die Befestigung der Akropolis. Denkbar wäre aber eine in Bruchsteintechnik errichtete Befestigung, deren Bauqualität mit den technischen Möglichkeiten der Nachpalastzeit in Einklang stehen würde und deren Spuren durch Steinraub so sehr verwischt worden sein können, dass sie oberirdisch nicht mehr zu erkennen sind. Feststeht ferner, dass sich die Nordgrenze der nordwestlichen Unterstadt nördlich des durch Ausgrabung und Geophysik von uns erforschten Grundstücks befinden muss. Mittels großflächig angewandter geowissenschaftlicher Untersuchungsverfahren (Geomagnetik, LIDAR-Scan etc.) sollte zukünftig der Frage nach der möglichen Existenz einer Unterstadtbefestigung ebenso nachgegangen werden wie der nach der Ausdehnung der SH IIIC-zeitlichen Unterstadt während ihrer Blütezeit.
Kulturelle Praxis und Lebenswelt in der nördlichen Unterstadt
83Das Ausgrabungsprojekt in der nordwestlichen Unterstadt zielte von Anbeginn darauf ab, aus der Analyse der Architektur und ihrer Einrichtung Informationen darüber zu erhalten, wie die Bewohner in verorteten kulturellen Praktiken die in der ›gebauten Umwelt‹ enthaltenen zeichenartigen Sinnzusammenhänge – ›architectural cues‹ nach Amos Rapoport[63] – abriefen, in Handlungsabläufe integrierten und im Handeln ihrer Lebenswelt Ausdruck und Bedeutung verliehen. Zwar erachten soziale Akteure ihre aus kulturellen und natürlichen Faktoren bestehende Lebenswelt als gegeben und nehmen sie zur verlässlichen Grundlage ihres Handelns, doch sind Lebenswelt und Handeln rekursiv aufeinander bezogen. Im Handeln und in Diskursen nämlich werden die Parameter der vermeintlich stabilen Lebenswelt mit den zugehörigen gesellschaftlichen Werten und Überzeugungen immer wieder von Neuem vergegenwärtigt, affirmiert, abgelehnt oder verändert.
84Die bisherigen Ausgrabungen in der nördlichen Unterstadt belegen, dass es einerseits besonders in Hofflächen gewisse Regelmäßigkeiten in der Ausstattung und räumlichen Anordnung von Installationen, daneben aber auch erstaunlich viele Besonderheiten in den einzelnen Siedlungsbereichen gegeben hat. Eine Regelmäßigkeit betrifft die Größe und Platzierung von Herdstellen, die meist einen etwa rechteckigen und seltener einen rundlichen Umriss hatten[64]. Große Herdstellen scheinen nämlich nicht nur ein typisches Merkmal von Höfen gewesen zu sein, sondern auch eine besonders ausgeprägte Ortskonstanz aufzuweisen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die langen Sequenzen von immer wieder an der gleichen Stelle erneuerten Herden in den Höfen 1/13, 1/15 und 2/15 sowie in Raum 1/18/Hof 1/17. Eine ähnlich lange Sequenz aufeinanderfolgender Herde wurde 1999 und 2000 in der Ausgrabung in der nordöstlichen Unterstadt, wiederum in einer Hoffläche, angetroffen[65]. In den von uns untersuchten Höfen der nordwestlichen Unterstadt befanden sich die Herde im mittleren Bereich des jeweiligen Hofes, aber nur in zwei zeitlich aufeinanderfolgenden Höfen (Hof 1/15 und 2/15) tatsächlich etwa in der Mitte, während sie in den anderen Beispielen exzentrisch angeordnet waren. Bei der Platzierung vieler dieser großen Herde scheint Wert darauf gelegt worden zu sein, sie entlang einer Mittelachse des Hofes und damit in einem gewissen Abstand von den umgebenden Mauern anzulegen. Dies könnte aus Gründen der Feuerprävention geschehen sein, und/oder aber weil die Herde von mehreren Gebäuden aus gemeinsam genutzt wurden und damit nicht das Anrecht nur der Bewohner eines Gebäudes gebildet haben (siehe unten). Demgegenüber fluktuiert die Positionierung von Herden in überdachten Bereichen weitaus stärker, und sie erreichen in der Regel auch nicht eine solche Größe wie die genannten Herde in Höfen. Eine Ausnahme bilden die Herdstellen in Raum 1/18, deren Größe der von Herden in Höfen nahekommt.
85Insgesamt gesehen, scheinen Herde in Höfen ungleich stärker einen Fixpunkt des täglichen Lebens gebildet zu haben als Herde in überdachten Bereichen, bei denen ein höheres Maß an Variabilität in der räumlichen Platzierung akzeptiert worden zu sein scheint. Dieser Sachverhalt dürfte damit in Zusammenhang stehen, dass die Herde in den Hofarealen gemeinschaftlich von Bewohnern verschiedener Häuser angelegt, genutzt, instandgehalten und erneuert wurden und man sich auf eine bestimmte Position geeinigt hatte, die anschließend nicht angetastet wurde. Hierauf deuten auch weitere Gemeinsamkeiten in der Ausstattung von Höfen mit Installationen hin. Ein solches Merkmal, das sich in mehreren Höfen nachweisen lässt, sind mit Steinplatten gepflasterte Bereiche, die in allen Fällen in einiger Entfernung von den Herden angelegt wurden. Dies könnte darauf hindeuten, dass die auf den Steinplatten ausgeführten Tätigkeiten nicht in der Nähe von offenem Feuer stattfinden sollten. In zwei Fällen (Hof 1/17 und 1/13) befinden sich in der Nähe von großen Herdstellen ein Ofen oder mehrere kleine Öfen, was ein weiteres für Höfe kennzeichnendes Muster darstellen könnte, auch wenn sich die Formgebung der jeweiligen Öfen in den beiden Höfen stark unterschieden hat.
86Die Ausgrabung hat aber darüber hinaus vor Augen geführt, dass es neben diesen auf bestimmte kulturelle Muster hindeutenden Regelmäßigkeiten auch erhebliche Unterschiede in Bezug auf die in einzelnen Arealen einer Siedlung gleichzeitig ausgeübten kulturellen Praktiken gegeben hat. Die Pflaster aus Steinplatten und Öfen, die ein wiederkehrendes Merkmal von Höfen unserer Ausgrabung in der nordwestlichen Unterstadt zu sein scheinen, wurden in Höfen der nordöstlichen Unterstadt nicht beobachtet. Auch ritualisierte Gelage, wie sie für den zweiten Bauhorizont in dem durch die Quadranten LI25 und LII25 erforschten Areal durch kleine schlüssellochförmige Öfen sowie Deponierungen von Gelagegeschirr und intentionell zerstörte Gefäße wahrscheinlich gemacht werden können[66], scheinen während eines relativ kurzen Zeitabschnitts auf diesen eng begrenzten Bereich beschränkt gewesen zu sein. Auffällig ist ferner, dass derartige Öfen und rituell zerstörte Gefäße unseres Wissens bisher noch nirgends in Tiryns nachgewiesen werden konnten. Mehrfach für den ersten Bauhorizont belegt sind auch Hinweise auf die Ausführung metallurgischer Tätigkeiten (vgl. Beitrag Prillwitz), die in dem darauffolgenden Bauhorizont keine Entsprechung finden und in dieser Dichte für SH IIIC-zeitliche Siedlungsareale ungewöhnlich sind. Der in Hof 1/17 (Quadrant LII24) freigelegte schlotförmige Ofen, in dem möglicherweise ringförmige Webgewichte aus Ton kurz gebrannt wurden, ist nur in diesem einen Bereich nachweisbar, wie bisher überhaupt in Tiryns noch keine vergleichbaren Ansammlungen derartiger Webgewichte beobachtet worden sind. Einzigartig in Tiryns ist schließlich auch der dicht mit kleinen Steinen gefüllte Krug in Raum 3/14 (Abb. 86. 87. 88), der als Gewicht oder zu anderen, für uns nicht nachvollziehbaren Zwecken gedient haben mag. Umgekehrt wurden in den von uns untersuchten Haus- und Hofbereichen der nordwestlichen Unterstadt zwar einzelne, aus Lehm gefertigte zylindrische Behälter, aber keine Konzentrationen nebeneinander angeordneter Behälter dieser Art festgestellt, die aus der nordöstlichen Unterstadt, der Unterburg sowie in zeitgleichen Siedlungen des griechischen Festlands häufig belegt sind[67].
87Die Diversität kultureller Praktiken manifestiert sich darüber hinaus in der Vielgestaltigkeit der Konstruktion von Herden. Der Typus der Herde mit einer Unterlage aus dicht und sorgfältig verlegten Gefäßfragmenten oder Steinen und einer darauf aufgetragenen dünnen, glattgestrichenen Lehmlage, auf der gekocht wurde[68], gilt seit längerem als kennzeichnend für SH IIIC-zeitliche Herde und wirkt vordergründig so einheitlich, dass sich hierfür in der Literatur die Bezeichnung ›Scherbenherde‹ (›sherd hearths‹) eingebürgert hat. Diese Bezeichnung ist indes irreführend, da sie nur für solche Herde angebracht wäre, bei denen direkt auf den Scherben gekocht wurde. Der Normalfall bestand jedoch darin, dass die für die Konstruktion der Herde verwendeten Gefäßfragmente oder Steine nicht als Oberfläche für das Kochen, sondern als Unterlage für die aus Lehm bestehende Kochoberfläche dienten. Bei näherer Betrachtung stellt sich überdies heraus, dass solche Herde mit Scherbenunterlage auf verschiedene Weise konstruiert wurden, weshalb sich hinter dieser scheinbar einheitlichen Art von Herden Subtypen verbergen, deren Konstruktion auf einer zum Teil divergierenden Abfolge von Arbeitsschritten beruhte. Innerhalb dieser Chaîne opératoire der Herdkonstruktion wurde manchmal eine flache, tellerförmige Grube ausgehoben, in welche die Scherbenunterlage verlegt wurde, manchmal wurden die Scherben aber auch auf ebener Erde verlegt; manchmal erhielten die Scherbenunterlagen eine eher runde, manchmal eine eher eckige Form; manchmal wurden die Scherben der Unterlage flächendeckend angeordnet, manchmal wurde jedoch eine rundliche Stelle ohne Scherben ausgespart, die sich in der Lehmlage fortsetzte[69]. Es ist zu vermuten, dass diese ausgesparte, rundliche Stelle beim Kochen in einer bestimmten Weise genutzt wurde, z. B. um ein Verrutschen von Herdgeräten (Kochtöpfe u. ä.) während des Kochvorgangs zu vermeiden.
88Mit Herden scheinen jedoch nicht nur Praktiken des Kochens verbunden gewesen zu sein, sondern auch solche, die in den magisch-religiösen Bereich fallen. Weitere Beispiele für mögliche Objektdeponierungen, wie sie im Falle kleiner Bronzeobjekte in der Umgebung von Herdstellen in Raum 1/14[70] oder einer Panzerschuppe eines Schuppenpanzers nahöstlicher Art unter einer Herdstelle in der nordöstlichen Unterstadt zum Vorschein gekommen waren[71], sind bei den weiteren Ausgrabungen allerdings nicht mehr angetroffen worden, was erneut die Variabilität kultureller Praktiken zwischen verschiedenen Siedlungsarealen verdeutlicht.
89Ein weiterer Aspekt, der zu der kulturellen Heterogenität der in der nordwestlichen Unterstadt zusammenlebenden Siedlungsgemeinschaft beigetragen hat, bildet die Performanz kultureller Traditionen unterschiedlicher Herkunft, die sich in der hybriden Verbindung von Merkmalen der lokalen materiellen Kultur, wie z. B. der bemalten und unbemalten mykenischen Keramik, mit solchen, die nicht lokalen Ursprungs sind, widerspiegelt. Ein gemeinsamer Nenner aller untersuchten Areale der Siedlung der nordwestlichen Unterstadt liegt darin, dass von allen nachweisbaren Fremdelementen die nach Italien weisenden mit Abstand am stärksten vertreten sind. Die Ausgrabungen haben dabei zu einer erheblichen Ausweitung des ohnehin sehr breiten Spektrums der aus Tiryns vorliegenden italischen Merkmale der materiellen Kultur beigetragen. Merkmale wie die keramische Nachahmung eines Bronzeeimers vom Typ Kurd[72], die kleine Kanne mit seitlicher Ausgusstülle und vorspringender Leiste am Innenrand (Abb. 83; siehe oben) sowie der Eimer mit Gruppen von waagerechten Leisten[73] sind in dieser Form noch nie in Griechenland gefunden worden und finden ebenso gute Entsprechungen in Italien wie die Miniaturräder aus Blei (Abb. 108)[74], das Fragment einer mutmaßlichen verzierten Beinschiene (Abb. 32) und Dolche vom Typ Pertosa[75]. Der Anteil und die Vielfalt derartiger Elemente zentralmediterraner Abkunft scheint dabei in der nordwestlichen Unterstadt deutlich höher als in der nordöstlichen zu sein, was erneut den Sachverhalt, dass die in verschiedenen Siedlungsarealen gleichzeitig ausgeübten kulturellen Praktiken einem erheblichen Maß an Variabilität unterlag, unterstreicht.
90Neben den nach Italien weisenden Elementen gibt es auch solche, die von einer Kenntnis von Praktiken und Objekten zyprisch-levantinischer Provenienz zeugen. Hierzu gehören die Schalenlampe nahöstlichen Typs (Abb. 89) und das zypro-ägäische Rollsiegel (Abb. 90) mit der Darstellung eines ›Herren der Tiere‹ aus dem ersten Bauhorizont sowie die Fragmente von Wandappliken aus dem ersten und zweiten SH IIIC-zeitlichen Bauhorizont. Die Formgebung der Lampe mit ihrer etwa kreisrunden Mündung und der kleinen vorspringenden Schnauze für den Docht unterscheidet sich dabei deutlich von jener der aus der nordöstlichen Unterstadt vorliegenden Schalenlampen, deren Schnauze durch beidseitiges Eindrücken weit vorspringt und der Mündung ein fast kleeblattförmiges Aussehen verleiht[76]. Die Laufzeit derartiger Schalenlampen in Tiryns ist derzeit noch nicht zu bestimmen, da unklar ist, wann sie einsetzen[77]. Bemerkenswert ist, dass es sich bei der aus der nordwestlichen Unterstadt vorliegenden Lampe sogar um eine lokale Abwandlung des nahöstlichen Lampentyps handeln könnte. Seit der späten Palastzeit in Tiryns belegt und sicher aus Zypern entlehnt ist die Objektform der Wandapplik (Abb. 37. 104. 105), die bereits aus früheren Ausgrabungen in der nördlichen Unterstadt aus SH IIIC-Früh-Kontexten bekannt war[78]. Sofern das Fragment der Wandapplik aus dem zweiten Bauhorizont nicht aus einem älteren Kontext verlagert wurde, wäre es der bisher späteste Beleg dieser Objektform in Tiryns, die, wie Rahmstorf festgestellt hat[79], in SH IIIC Fortgeschritten und Spät bisher nicht belegt ist. Die Darstellung von Dreifußständern zyprischen Typs auf dem Krater des zweiten Besiedlungshorizonts (Abb. 106. 107) zeigt, dass die Auffindung eines solchen bronzenen Ständers im Tiryns-Schatz keinen Einzelfall darstellt, sondern derartige herausragende Bronzegefäße zyprischer Herkunft zu einem Teil der Lebenswelt von Einwohnern des SH IIIC-zeitlichen Tiryns gehört haben und von diesen als Teil eines mehrteiligen Sets von zeremoniellem Festgeschirr verwendet wurden[80].
91Diese klar zu identifizierenden, nach Italien oder den zyprisch-levantinischen Bereich weisenden Elemente der materiellen Kultur sprechen dafür, dass in der nordwestlichen Unterstadt Menschengruppen gelebt haben, die mit kulturellen Traditionen vertraut waren, deren Ursprung weit außerhalb Südgriechenlands lag. Mit großer Wahrscheinlichkeit lässt sich hieraus erschließen, dass Teile der in der nördlichen Unterstadt lebenden Bevölkerung aus jenen geographischen Zonen stammten, sei es, dass sie selbst dort geboren wurden oder Vorfahren von ihnen in diesen Zonen gelebt hatten. Dass diese starken Kontakte in weit entfernte Regionen des Zentral- und Ostmittelmeerraums in Tiryns eine lange Tradition hatten, zeigen schlaglichtartig die aus der Unterburg vorliegenden Beispiele für Gegenstände mit zypro-minoischer bzw. ugaritischer Schrift[81] aus der zweiten Hälfte des 13. Jhs. v. Chr. sowie der jüngst erbrachte Nachweis der Einfuhr eines Hausschweins italischer Abkunft während des 14. oder 13. Jhs. v. Chr.[82]. Angesichts dieser Kontinuitätslinien von der Palast- zur Nachpalastzeit fällt auf, dass weder in der Ausgrabung in der nordwestlichen noch in der nordöstlichen Unterstadt zypro-minoische Graffiti auf Keramik beobachtet wurden, wie sie aus SH IIIB-zeitlichen Kontexten der Unterburg häufiger belegt sind als an jedem anderen Ort Griechenlands[83]. Das Fehlen solcher Zeichen steht in unserer Ausgrabung einem regelmäßigen Auftreten von Fragmenten von Wandappliken gegenüber, was bedeutet, dass es im Tiryns der frühen Nachpalastzeit zwar Menschen gegeben hat, die mit bestimmten Praktiken zyprischer Herkunft[84] vertraut waren, aber in der nördlichen Unterstadt nichts auf eine zumindest residuale Vertrautheit mit zyprischer Schrift hindeutet. Die jüngst von Melissa Vetters aus dem Vorkommen einer beschrifteten Tonkugel in einem SH IIIC-Entwickelt-Schichtbefund an der N-Spitze der Unterburg abgeleitete These eines Fortwirkens zypro-minoischer Schriftlichkeit in Tiryns über das Ende des Palastes hinaus[85] findet somit in den Ausgrabungen in der nördlichen Unterstadt keine Unterstützung. Zukünftige Forschungen werden zu klären haben, ob hieraus abzuleiten ist, dass die beschriftete Tonkugel, entgegen der Ansicht von Vetters, doch aus endpalastzeitlichen Kontexten verlagert worden ist, oder ob in der Nachpalastzeit das Phänomen der Kenntnis und Anwendung zypro-minoischer Schrift aus uns noch unbekannten Gründen nur auf Einwohner der Unterburg beschränkt blieb.
92Trotz der nicht zu leugnenden, nach Italien bzw. Zypern weisenden Fremdelemente in der materiellen Kultur ist aber der Weg, bestimmte Objektgruppen ›ethnisch‹ zu deuten und aus dem Vorkommen z. B. von Wandappliken oder Gefäßen der handgemachten, geglätteten Keramik darauf zu schließen, die sie nutzenden Menschen müssten zwingend fremder Herkunft gewesen sein, als zu simpel zurückzuweisen[86]. Das Verhältnis zwischen materiellen Formen und kollektiven Identitäten ist nämlich nicht starr, sondern dynamisch, da es jenen komplexen Aneignungs- und Aushandlungsprozessen unterliegt, die dazu beitragen, dass solche Identitäten sich ständig im Fluss befinden[87]. Dabei werden im sozialen Handeln fremde und einheimische Formen und Traditionen fortwährend rekombiniert, neu interpretiert und hierdurch neue Synthesen geschaffen, die es zuvor in dieser Form nicht gegeben hat. Dies führt dazu, dass Wissen oder materielle Formen, die von außen kommen, schnell von der Mehrheitsbevölkerung übernommen werden können und umgekehrt zugewanderte Menschengruppen sich Merkmale der kulturellen Traditionen der Mehrheitsbevölkerung aneignen können, ohne dass dies gleichbedeutend mit der Aufgabe einer eigenen Gruppenidentität gewesen sein muss[88]. Welche materiellen und immateriellen Merkmale von einer sich als zusammengehörig betrachtenden Gruppe zur Abgrenzung von anderen gewählt wird, unterliegt folglich einem fortwährenden Wandel. Aus diesem Grunde trifft auch der Ausdruck ›Akkulturation‹ insofern nicht den Kern der Sache, als es sich nicht um eine einseitige Anpassung einer Gruppe an die Mehrheitsbevölkerung, sondern um einen in beide Richtungen laufenden, offenen Prozess handelt, der alle hieran Beteiligten einbezogen und verändert hat[89]. In der Zusammensetzung der geschlossenen Fundinventare des Zerstörungshorizonts am Ende des ersten SH IIIC-zeitlichen Bauhorizonts spiegelt sich diese Verschmelzung von Einheimischem und Fremdem zu Etwas, was weder als ausschließlich ›indigen‹ noch als ›fremd‹ bezeichnet werden kann, wider.
93Das Nebeneinander verschiedener kultureller Traditionen und Praktiken in der Siedlungsgemeinschaft des SH IIIC-zeitlichen Tiryns scheint sich auch auf den funerären Sektor erstreckt zu haben. Gleichzeitig mit dem ersten SH IIIC-zeitlichen Bauhorizont in der nordwestlichen Unterstadt existierte an der N-Spitze der Unterburg ein Bestattungsplatz, in dem Verstorbene ohne Beigaben, aber in regulär wirkenden Körperhaltungen und manchmal von Steinsetzungen eingefasst beigesetzt wurden[90]. Bereits in SH IIIC Entwickelt, d. h. zeitgleich mit dem zweiten SH IIIC-zeitlichen Bauhorizont in der nordwestlichen Unterstadt, wurden diese Bestattungen überbaut, und anschließend sind derartige Gruppen von Bestattungen in Tiryns nicht mehr nachzuweisen. Die anthropologische Analyse der Skelette der im Norden der Unterburg Bestatteten ergab, dass es sich um einen charakteristischen Querschnitt durch eine Bevölkerung handelt und die Personen nicht durch Gewalt zu Tode gekommen sind[91]. Wir haben es damit um einen chronologisch eng begrenzten Bestattungsplatz einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zu tun, die vielleicht in der Unterburg gelebt und ihre Toten nicht in Kammergräbern an Berghängen in der Umgebung des Ortes, sondern nahe bei dem besiedelten Areal bestattet hat. Vor dem Hintergrund dieses Bestattungsplatzes beigabenloser Bestattungen ist auffällig, dass in dem von uns freigelegten Teil der gleichzeitigen Siedlung der nordwestlichen Unterstadt keine vergleichbaren Bestattungen gefunden wurden. Mehr noch, trotz intensiver anthropologischer Betreuung und Durchsicht der geborgenen Tierknochen auf menschliche Überreste hin, konnten nur einzelne menschliche Knochen in den Schichten der mykenischen Zeit nachgewiesen werden[92]. Dies könnte bedeuten, dass verstorbene Einwohner der nordwestlichen Unterstadt in Kammergräbern beigesetzt wurden und/oder dass es irgendwo im Gebiet der Unterstadt einen oder mehrere zeitgleiche Bestattungsplätze intra muros ähnlich dem in der nördlichen Unterburg gegeben hat.
Die kurze Blüte der SH IIIC-zeitlichen ›Planstadt‹
94Die SH IIIC-zeitliche nordwestliche Unterstadt ist ein Beispiel für eine Bauplanung, die nach einem bestimmten Konzept systematisch auf einer in ihrer genauen Größe noch zu bestimmenden, aber in jedem Fall sehr ausgedehnten Fläche in die Tat umgesetzt und anschließend durch die Einwohner mit Leben erfüllt wurde, aber bereits nach wenigen Generationen ins Stocken geriet und schließlich deutlich vor dem Ende der mykenischen Zeit aufgegeben wurde. An der Charakterisierung der Abfolge dieser Ereignisse als einem gescheiterten Urbanisierungsprozess möchten wir festhalten[93] und dabei betonen, dass im Lichte der Erkenntnisse, die während der beiden letzten Ausgrabungskampagnen in der Flächengrabung und der Sondage gewonnen wurden, sich die Beobachtung erhärtet hat, dass bereits vor der Aufgabe des von uns erforschten Bereichs der nordwestlichen Unterstadt Entsiedlungsvorgänge eingesetzt hatten. Die den ersten SH IIIC-zeitlichen Bauhorizont beendende Zerstörung, die etwa am Ende der Unterphase SH IIIC Früh 2 stattgefunden haben muss, scheint dabei in diesem Areal einen siedlungsgeschichtlichen Einschnitt nach sich gezogen zu haben, wurde doch anschließend, am Beginn des zweiten Bauhorizonts, nur noch ein Teil der vorherigen Gebäude wiederaufgebaut und der Anteil von Freiflächen deutlich erhöht. Dass ein solcher Einschnitt aber nicht auf die nördliche Unterstadt in ihrer Gesamtheit zutrifft, zeigt das Beispiel des 1999 und 2000 untersuchten Areals der nordöstlichen Unterstadt, wo auf die anscheinend zeitgleich mit der nordwestlichen Unterstadt stattfindende Zerstörung am Ende von SH IIIC Früh 2 (Phase 2) eine Bebauung vergleichbarer Dichte folgte und die Besiedlung noch mindestens bis SH IIIC Fortgeschritten anhielt, allerdings in einer gegenüber der vorhergehenden deutlich aufgelockerten Bebauungsdichte.
95Ein gemeinsamer Nenner aller bislang erforschten Bereiche der nördlichen Unterstadt besteht somit darin, dass sie nach SH IIIC Entwickelt als Siedlungsraum schnell (nordwestliche Unterstadt) oder allmählich (nordöstliche Unterstadt) aufgegeben worden zu sein scheinen. Da die Besiedlung in der Unterburg bereits in SH IIIC Früh 2 eine beträchtliche Bebauungsdichte erreichte[94], die in der Folge nicht wesentlich zugenommen hat, ist es eher unwahrscheinlich, dass die Einwohner der aufgegebenen Areale im Nordwesten der Unterstadt dorthin umgezogen sind. Nicht auszuschließen ist dagegen ein Umzug in andere Bereiche der Unterstadt, wobei vor allem die, was die Phase SH IIIC anbelangt, noch weitgehend unerforschte östliche und südliche Unterstadt als potentielle Ausweichquartiere in Frage kämen, während aus der westlichen Unterstadt bisher wenig Anzeichen einer Besiedlung während der mykenischen Nachpalastzeit vorliegen. Das Ausmaß der in der Mitte von SH IIIC (Unterphasen Entwickelt und Fortgeschritten) in der nordwestlichen und nordöstlichen Unterstadt stattfindenden und auch in der nordöstlichen Unterstadt spürbaren Vorgänge der Siedlungsauflockerung oder Entsiedlung deutet jedoch unseres Erachtens eher auf ein allgemeines krisenhaftes Phänomen unbekannter Art hin, das Teile der Bevölkerung im Laufe der zweiten Hälfte von SH IIIC veranlasst hat, Tiryns zu verlassen[95]. Dies war der Beginn vom Ende des mykenischen Tiryns.
Neubeginn in der Früheisenzeit
96Ab dem Beginn der Früheisenzeit ist eine erneute Nutzung des Areals zu verzeichnen. Mit Ausnahme einer einzigen, möglicherweise zu einem eisenzeitlichen Haus gehörenden Mauer (Mauer 7/14) kamen keine Hausreste dieser Zeitstellung in unserer Ausgrabung zutage. Es fehlen insbesondere eisenzeitliche Laufhorizonte, da diese wahrscheinlich der Erosion und der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung des Areals zum Opfer gefallen sind. In nächster Nachbarschaft zu den Häusern müssen die Toten beigesetzt worden sein, was einen markanten Unterschied zu den Verhältnissen in der mykenischen Nachpalastzeit darstellt. Die Ausgrabungen erinnern dabei einmal mehr an das während der Früheisenzeit in der Argolis zu beobachtende Vorherrschen von Körperbestattung und die Vielfalt der nebeneinander angewandten Arten der Beisetzung von Toten. Durch die Art, wie man die Gräber in dem von uns erforschten Areal angelegt hat, ergeben sich Hinweise darauf, dass Mauern mykenischer Häuser noch an vielen Stellen sichtbar gewesen sein müssen, da man auf sie Bezug nahm. So wurde die Bestattung 1/17 direkt auf einen Stein der mykenischen Mauer 2/18 niedergelegt, und die Steinkistengräber im Gräberareal wurden so platziert, dass sie annähernd parallel zu der mykenischen Mauer 9/15 angeordnet wurden, ohne diese zu stören.
97Die eisenzeitlichen Grabbefunde auch der Kampagnen 2017 und 2018 haben die Erkenntnis bestätigt, dass alle in der nordwestlichen Unterstadt in situ angetroffenen Bestattungen dieser Epoche in die geometrische Zeit datieren. Reste protogeometrischer Bestattungen fanden sich nur in umgelagerter Form, was durch eine Wiederbelegung von Steinkistengräbern zu erklären ist. Die bei den Grubengräbern im Süden des Quadranten LII24 festgestellte Sitte, senkrecht stehende Steine unterschiedlicher Form und Größe als Markierung des Grabes zu verwenden, ist bereits bei früheren Ausgrabungen zur Früheisenzeit in Tiryns nachgewiesen worden[96].
98Auch im Hinblick auf das Fehlen von Spuren einer Nutzung des Areals nach der geometrischen Zeit bestätigen die Befunde der beiden letzten Ausgrabungskampagnen das zuvor gewonnene Bild, denn es konnte kein weiterer Befund nachgewiesen werden, der in die archaische Zeit datiert werden kann. Am Übergang von der geometrischen zur archaischen Zeit dürfte es somit abermals zu einer markanten siedlungsgeschichtlichen Veränderung gekommen sein, bei der möglicherweise das zerstreute Siedlungsmuster der Früheisenzeit von einer räumlich konzentrierten Besiedlung abgelöst wurde, ein Prozess, der mit der Herausbildung der archaischen Polis von Tiryns in Zusammenhang gestanden haben könnte[97].
J. M. – A. P.
Geoarchäologische Untersuchungen im nordwestlichen Stadtgebiet von Tiryns
Forschungsstand
99Die bisherigen Arbeiten zur Landschaftsgenese in der Umgebung von Tiryns zeigten ein durch Bohrungen erfasstes Fließgewässer aus dem 13. Jh. v. Chr. Der Fluss durchströmte die alluviale Ebene und passierte die Unterstadt von Tiryns im Norden. Eberhard Zangger postulierte 1993, dass die Menschen der späten Bronzezeit aufgrund eines katastrophalen Überschwemmungsereignisses den Damm von Kofini sowie davon abzweigend einen großen Kanal errichteten, um das Gewässer rund 1,5 km südlich an der Akropolis von Tiryns vorbeizuführen[98].
100Die Bohrungen von Zangger erbrachten im oberen Teil ein 40 cm mächtiges alluviales Sediment, gefolgt von einer 150 cm starken rezenten Aufschüttung und darunter bis zu 300 cm mächtige fluviale Ablagerungen, die er als Überschwemmungssedimente eines singulären Events gedeutet hat[99].
Die Stratigraphie der fluvialen Sedimente unter dem Stadtgebiet
101Ausgrabungen in der nordwestlichen Unterstadt legten 2015/2017 fluviale Schotter des Flusses frei. Sie traten im Quadrant LII25 unter SH IIIC-zeitlichen Mauerfundamenten zutage. Es erfolgte 2017 ein rechteckiger Tiefschnitt mit den Maßen 2,0 m × 1,5 m × 1,55 m (Abb. 3. 137).
102Ziel der 2017 von den Autoren durchgeführten geoarchäologischen Untersuchungen war die Detailrekonstruktion der fluvialmorphologischen Dynamik und des Abflussverhaltens sowie der Sedimentations- und Erosionsprozesse. Im kulturhistorischen Kontext sollten die Untersuchungen Auskunft über das Ausmaß und die Auswirkungen der Überschwemmungsereignisse geben, die der Fluss auf das Siedlungsverhalten in der Unterstadt hatte. Die stratigraphische Beschreibung erfolgt von Liegend nach Hangend, dabei werden die fluvialen Architekturelemente mit Großbuchstaben und entsprechendem Elementcode[100] beschriftet.
Kulturschichten (Y1a und Y1b)
103An der Basis des Aufschlusses ist in mehr als 244 cm Tiefe unter der Geländeoberfläche die dunkelbraune humusreiche und lehmige Schicht Y1a aufgeschlossen, deren Grenzen nicht räumlich orientiert und wellig sind. Y1a ist eine Kulturschicht, die neben Holzkohle und Brandlehm auch Keramikfragmente enthält. Diese werden in die zweite Hälfte des 14. Jhs. v. Chr. datiert (SH IIIA2)[101]. Über der Kulturschicht liegt die zweite anthropogene Ablagerung Y1b, deren Abgrenzung zur darüber liegenden Schicht gerade verläuft und aus lehmig-schluffigem Material besteht. Beide Kulturschichten besitzen einen vergleichsweise hohen Anteil an organischer Substanz (2,33 %, vgl. Abb. 138). Nach dem derzeitigen Stand der Untersuchungen gibt es keine Hinweise auf eine Bebauung des Gebiets der späteren nordwestlichen Unterstadt während der Zeit der Ablagerung dieser Kulturschichten. Die welligen Horizontgrenzen, der erhöhte Anteil an organischer Substanz sowie die im Dünnschliff TIR-MM3 sichtbaren pedogenetischen Merkmale (Abb. 131) bestätigen diese Annahme. Ein weiteres Identifikationsmerkmal als Kulturschicht ist durch den relativ hohen Anteil an Phosphor (371,9 ppm) gegeben (Abb. 138).
Hochflutsedimente (A-LS)
104Es folgen darüber fluviale Sedimente (Schichten 17, 18), die dort aufgrund von Überschwemmungen zur Ablagerung kamen. Dieses feinsandige und schwach lehmige Auensediment besitzt eine Mächtigkeit von 40 cm.
105Aufgrund geringer Fließgeschwindigkeiten wurden überwiegend Feinsande (Schicht 18 hat einen Feinsandanteil von 57 % und Schicht 17 von 46 %) abgelagert. Die sedimentologischen Merkmale sind in Form von horizontal laminierten Feinsanden (Sh) und fein laminierten Überschwemmungssedimenten (Fl) ausgebildet. Das Fluvial-Architekturelement zeigt einen laminierten Sand (LS).
1. Begehungshorizont (B-B1)
106Über den horizontal geschichteten Überschwemmungssedimenten zeigt der Befund eine durchmischte Schicht bestehend aus braunen Schluffsanden (Schicht 15) und hellgrauen Sanden (Schicht 16 mit einem Mittelsandanteil von 63 %). Durch die zum Teil massigen oder schwachen laminaren Strukturen werden beide Schichten dem Faziescode Sm zugeordnet. Diese Schichten weisen jedoch erheblich gestörte fluviale Architekturelemente auf, d. h. es sind keine planaren Strömungs- oder Sedimentationsmuster erkennbar, und sie können somit nicht durch natürliche Prozesse erklärt werden. Möglicherweise passierten Hirten mit ihren Herden öfter diesen Bereich der Aue, wodurch wohl besonders feuchtes Substrat bewegt und damit teilweise leicht durchmischt wurde. Diese Annahme wird gestützt durch die ansteigenden Phosphorwerte in Schicht 15 auf Werte von bis 668,4 ppm.
Überschwemmungsebene (C-FFp)
107Aus stark schluffigen Sanden bestehende Feinschichtungen (Schichten 13 und 14) belegen die Wirkungen zahlreicher schwacher Hochwasser. Schicht 14 umfasst insgesamt 28 nachweisbare Hochwasserereignisse. Die laminare Feinschichtung (Fl), der leicht erhöhte Anteil an organischer Substanz (2,1 %) sowie die höheren Schluff- und Tongehalte (Schluff: 49,5 %, Ton: bis 5,8 %) in den Sedimenten weisen auf eine proximale Überschwemmungsebene (FFp) hin.
2. Begehungshorizont (D-B2)
108Kleine Rinnensysteme, die sich in die Ablagerungen der Überschwemmungsebene (Schicht 13) eingeschnitten haben, belegen eine Änderung des Abflussmilieus. Stärkere Hochwasserereignisse lagern zuerst Schicht 9 mit hellgrauen Kiesen (Gmm) und dann Schicht 10 mit Schluffsanden ab (mit hohem Feinsandanteil von 41,1 %). Die Zuweisung des Faziescodes gilt jedoch unter Vorbehalt, da auch hier eine spätere starke Durchmischung stattgefunden hat. Mehrere unterschiedlich stark gedrehte Blöcke, die aus einer laminaren Feinschichtung aus feinsandigen und lehmigen Wechsellagen (Fl) bestehen, sind in eine lockere grobsandige Matrix eingebettet. Diese Struktur kann nicht durch natürliche Ablagerungsprozesse erklärt werden. Die mikromorphologischen Untersuchungen am Dünnschliff TIR-MM2 (Abb. 132) unterstützen ebenfalls die Annahme, dass diese Durchmischungen von Menschen und/oder Tieren hervorgerufen wurden. Die im Dünnschliff sichtbaren sowohl primären (z. B. grobe Mineralkörner) als auch sekundären Komponenten (durch Bodenbildung erzeugte Merkmale) zeigen keine räumliche Orientierung. Obwohl die Sandmatrix im unteren Teil der Schicht mit einer Porosität von 30 bis 40 % relativ locker ist, sind dünne vertikale Risse in den feingeschichteten Blöcken, insbesondere im oberen Bereich der Schicht, vorhanden. Indikatoren von Begehungen wie Komprimierung, Rissbildung etc. entstehen nur im oberen Bereich einer betroffenen Schicht[102]. Außerdem ist davon auszugehen, dass die Durchmischung unter besonderen Bedingungen stattgefunden hat: Die feinkörnige fluviale Schichtung muss zum Zeitpunkt der Störung trockener gewesen sein als die darunterliegende Sandschicht. Dies würde die gute Erhaltung der Blöcke erklären. Auch wenn nicht vollständig ausgeschlossen werden kann, dass die Durchmischung durch andere Prozesse wie z. B. durch das Hinwerfen von Substrat durch Menschen entstehen könnte, sprechen die Abwesenheit von einer Tendenz zur Sortierung von gröberen Partikeln und die Porenstruktur (kein schwammartiges Mikrogefüge) dagegen[103].
Flussablagerungen (E-SB/F-LS/G-GB)
109Bis heute weitestgehend ungestörte Hochwasserablagerungen (Schicht 8), die aus horizontal laminierten Schluffsanden (Sh) bestehen, lagerten sich über der durchmischten Schicht ab. Eine Zunahme der Fließgeschwindigkeit führt dann zur Ablagerung von Schicht 7 mit grobsandigen und feinkiesreichen Sedimenten (Sh). In Schicht 7 sind deutliche Strömungsstreifungen erkennbar (Abb. 133). Letzte Hochwasserereignisse sowie hohe Fließgeschwindigkeiten sind in Schicht 5 durch höhere Grobsand- und Kiesgehalte dokumentiert. Der auffallend hohe Anteil an Phosphor in diesen Schichten ist auf eine nachträgliche Verunreinigung durch Ausscheidungen von Tieren oder Menschen zurückzuführen.
1. Fundament (Y2)
110Die Flusssedimente werden von einer anthropogenen Aufschüttung überlagert. Die Aufschüttung besteht aus kleinen lehmigen Blöckchen in einer feinsandigen Matrix. Sowohl die Korngrößenverteilung (Schluffgehalt: 53,5 %) als auch der organische Anteil (2,2 %) der Aufschüttung zeigen einen deutlichen Unterschied zu den natürlichen Flussablagerungen (Abb. 138). Hinzu kommt der leichte Anstieg des Phosphorgehaltes auf 244,9 ppm.
Flussschotter (H-CH)
111Weiterhin lässt sich dem stratigraphischen Befund entnehmen, dass der anthropogene Auftrag und die damit verbundene Einebnung des Reliefs das Abflussregime des Flusses veränderte und er sich durch Lateral- und anschließende Tiefenerosion in die Auftragsschicht einschnitt. Mehrere Wechsel von Grobsand- (SB) und Feinkiesbändern (GB) in der ehemaligen Abflussrinne zeigen hohe Fließgeschwindigkeiten und bis zu acht stärkere Abflussereignisse an (Schichten 2 und 3).
2. Fundament (Y3)
112Über den fluvialen Schottern liegt eine weitere anthropogene Aufschüttung Y3. Sie besteht aus Feinsand mit lehmigen Feinsandblöckchen. Die lehmigen Feinsandblöckchen sind teilweise platt und horizontal gestreckt. Dies deutet mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine gezielte Verdichtung von Y3 durch Menschen hin. Im Dünnschliff TIR-MM1, der aus dieser Schicht an der nordwestlichen Profilwand beprobt wurde, ist eine schwache Sortierung der Sandmatrix zu sehen, die allerdings nicht schichtenweise, sondern in abgegrenzten Bereichen auftritt (Abb. 134 a). Zusammen mit den eingebetteten lehmigen Blöckchen, die zum großen Teil scharfkantig sind (Abb. 134 b), kann dies als Hinweis auf eine Schüttung interpretiert werden. Die Verdichtung von lehmigen Blöckchen lässt sich im Dünnschliff aufgrund späterer starker Bioturbation nicht eindeutig erkennen.
113Diese Aufschüttung mit einer ausgesprochen ebenen Fläche diente wohl der Schaffung eines ausgedehnten Fundaments, um auf diesem die Gebäude der Unterstadt (datiert in SH IIIC) von Tiryns errichten und den damaligen Auenbereich nutzen zu können. Für die Untersuchung der bodenphysikalischen Eigenschaften des spätbronzezeitlichen Baugrundes erfolgte eine ungestörte Probenentnahme mittels normierter Stechzylinder (vgl. Abb. 135). Die Entnahme sollte Auskunft über die Wasserhaltefähigkeit (Feldkapazität), die Lagerungsdichte sowie die Wasserdurchlässigkeit geben. Zum Vergleich wurden weitere ungestörte Proben aus den Schichten entnommen, die durch Überschwemmungen (Schicht 17) und Hochwasserereignisse (Schicht 8) abgelagert worden waren. So besitzt die anthropogene Aufschüttung eine etwas niedrigere Lagerungsdichte und folglich eine höhere Wasserdurchlässigkeit als die Flussablagerungen (Abb. 139).
114Ebenso unterschieden sich die Aufschüttung Y3 (TIR S7, S8 und S9) und die fluviale Schicht 8 (S10, S11 und S12) in ihrer Fähigkeit Bodenwasser zu halten (Abb. 136). Nach der vollständigen Sättigung zeigt die Aufschüttung eine kürzere Abnahme der Saugspannung als die fluvialen Sedimente. Begründet ist dies durch die unterschiedliche Körnung (Abb. 138), den damit verbundenem Porenraum, den Humusgehalt sowie das Gefüge also die Aggregatstabilität. Ausgehend von diesen genannten Merkmalen kann die Aufschüttung als idealer Baugrund für die Unterstadt angesehen werden[104].
Zur Flussgeschichte
115Die aktuellen geoarchäologischen Untersuchungen in der Unterstadt von Tiryns unterstreichen die große Bedeutung von Geoarchiven an archäologischen Ausgrabungsorten. Die Rekonstruktion der fluvial-morphologischen Dynamik und damit einhergehender Prozesse in der Unterstadt erlaubt die Ableitung des nachstehenden Szenarios: Eine erste Phase zeigt einen unbebauten Auenbereich während der Unterphase SH IIIA2, in dem die vorgefundene Keramik auf eine erste anthropogene Nutzung weist. Es folgen immer wiederkehrende, schwache Hochwasserereignisse, die auf eine Flussverlagerung zur Nordseite des Palastes hindeuten und in einer zweiten Phase zusammengefasst sind. In der darauffolgenden 3. Phase erfolgt die Nutzung des Auenbereiches durch Mensch und Tier nach den Überschwemmungen. In der 4. Phase treten dann wiederkehrende periodische Überschwemmungen auf. Nach den Hochwasserereignissen ist eine erneute Nutzung des Areals durch Menschen und Tiere nachgewiesen (5. Phase). Weitere Überschwemmungen überwiegend mit Sandakkumulation und höhere Fließgeschwindigkeiten in Abflussrinnen mit Grobmaterialakkumulation sind fassbar (6. Phase). Eine erste Bebauung des Auenbereiches ermöglicht die Aufschüttung im Überschwemmungsbereich während Phase 7. Der stratigraphische Befund zeigt in der 8. Phase, dass der Fluss aufgrund der Umgestaltung (Bebauung des Auenbereiches) durch den Menschen dieses Fundament wiederum lokal erodierte. Es folgen in der 9. und letzten Phase weitere Eingriffe durch Menschen. Sie schütteten in der Aue ein ebenes Fundament für die Unterstadt von Tiryns auf. Da die letzte Aufschüttung in Phase 9 in den untersuchten Bereichen nicht durch fluviale Ablagerungen verändert oder überdeckt wurde, fällt sehr wahrscheinlich die Bauphase des Damms von Kofini und die Errichtung des Kanals in den Beginn von Phase 9.
116Insgesamt konnten durch die fluvial geschichteten Feinsande in den jeweiligen Überschwemmungssedimenten bis zu 150 Hochwasserereignisse etwa zwischen der Mitte des 14. Jhs. und dem Ende des 13. Jhs. v. Chr. nachgewiesen werden. Die assoziierte Keramik erlaubt eine zeitlich ungewöhnlich genaue Eingrenzung des untersuchten Abschnittes der Flussgeschichte. Er währt rund eineinhalb Jahrhunderte, beginnt in SH IIIA2 und endet mit der Errichtung der Unterstadt am Beginn von SH IIIC. Bei den vorgefundenen feingeschichteten Wechsellagen handelt es sich um die Hinterlassenschaften von regelmäßig wiederkehrenden, schwächeren Hochwasserereignissen und nicht um einmalige oder seltene Extremereignisse. Aus den Untersuchungen ergeben sich keine Belege, welche die von Zangger geäußerte These einer von den Flussablagerungen verschütteten palastzeitlichen Unterstadt bestätigen würden.
117Das in Tiryns untersuchte Geoarchiv liefert signifikante Ergebnisse für die Interpretation der Mensch-Umwelt-Wechselwirkungen spätbronzezeitlicher Gesellschaften und zeigt, wie die Menschen mittels eines erfolgreichen Flussgebietsmanagements auf Hochwasserereignisse reagierten und wie eine dauerhafte Hochwasserkontrolle gelang. Durch die idealen Aufschlussbedingungen mit den fluvialen Ablagerungen und die zeitlich exakte Eingrenzung stellt das Profil unter der Unterstadt von Tiryns eines der bedeutendsten Geoarchive zur Rekonstruktion der Flussgeschichte in semiariden Gebieten dar[105].
Th. B. – S. K.-W. – H.-R. B. – I. U.
Bericht zur archäologischen Prospektion in Tiryns mit Hilfe der Geoelektrischen Tomographie 2D/3D
Einleitung und Fragestellung
118Im direkten Anschluss an die bisherigen archäologischen Grabungsflächen der nordwestlichen Unterstadt des mykenischen Zentrums von Tiryns wurden im Zeitraum vom 22.–28.05.2018 vom Geographischen Institut der Universität Heidelberg Messungen zur Geoelektrischen Tomographie durchgeführt. An den Untersuchungen waren neben dem Autor auch Dipl.-Geol. Gerd Schukraft sowie Janine Lange (M.Sc.) beteiligt. Vor Ort wurde die Gruppe von Daniel Frank, M.A., betreut. Mit Hilfe der Messungen sollten die verschütteten archäologischen Strukturen im Untergrund weiterverfolgt werden, um damit möglicherweise auch die Grenzen der Ausdehnung der Unterstadt in nördlicher Richtung zu bestimmen[106].
119Die oberflächennahen archäologischen Befunde in der Unterstadt von Tiryns ergaben zunächst hervorragende Voraussetzungen zum Einsatz der Geoelektrischen Tomographie (2D/3D), die besonders gut geeignet ist, um verschiedene Lockersedimente zu differenzieren. Darüber hinaus können mit der Methode auch in den Sedimenten eingebettete archäologische Artefakte identifiziert werden. Nach den sedimentologischen Befunden der Arbeitsgruppe Prof. Bork und Prof. Unkel (Universität Kiel) wurde in einem Tiefschnitt in mehr als 244 cm Tiefe unter der Geländeoberfläche eine Kulturschicht angetroffen, die mit Hilfe von Keramikfragmenten in die zweite Hälfte des 14. Jhs. v. Chr. datiert werden konnte[107]. Darüber lagern mehrere Begehungshorizonte sowie unterschiedliche feinkörnige fluviale Hochflutsedimente, die in ca. 150 cm Tiefe mit einem anthropogenen Auftragshorizont abschließen, auf dem schließlich die Gebäude aus dem frühen 12. Jh. v. Chr. errichtet wurden. Die oberflächennahe Lage der Gebäudestrukturen der bisherigen Grabungen ließ vermuten, dass weitere Gebäudestrukturen auch in der nördlichen Fortsetzung der Grabungsflächen nahe der Oberfläche vorhanden sein sollten. Weiterhin sollte geprüft werden, ob mit den Messungen die Bebauungsgrenze der Unterstadt erreicht werden würde.
Methodische Vorgehensweise
120Die Methode der geoelektrischen Tomographie basiert auf den klassischen Vierpunkt-Verfahren der Geoelektrik, bei der mit jeweils 2 Elektroden (Speis-Elektroden) Strom in den Untergrund gespeist wird und mit zwei anderen Elektroden (Mess-Elektroden) das elektrische Potenzial gemessen wird, aus dem dann schließlich der spezifische elektrische Widerstand bestimmt werden kann[108]. Bei der Messung einer Geoelektrischen Tomographie werden zahlreiche Elektroden (z. B. 50 oder 100 Elektroden) linienhaft (für 2D-Messungen) oder flächenhaft (für 3D-Messungen) mit dem Messgerät verbunden, so dass durch die Messung von z. T. mehreren Tausend Einzelpunkten letztlich ein Schnittbild der Widerstandsverteilung (2D) oder ein Blockbild der Widerstandsverteilung (3D) ermittelt werden kann. Dafür stehen unterschiedliche Elektrodenkonfigurationen zur Verfügung, die je nach Fragestellung eingesetzt werden können. Für die archäologische Prospektion ist die Dipol-Dipol-Anordnung besonders gut geeignet. Eine weitere gebräuchliche Konfiguration stellt die Schlumberger-Anordnung dar[109].
121Im Zuge der Messkampagne wurden insgesamt 12 linienhafte Profile (Tiryns 1–12) zur Geoelektrischen Tomographie 2D sowie zwei flächenhafte Auslagen zur Geoelektrischen Tomographie 3D (Tiryns 3D/1 und 3D/2) gemessen. Zunächst wurden sechs parallel verlaufende geoelektrische Profile mit je 100 Elektroden im Abstand von je 0,75 m in nördlicher Verlängerung der bisherigen archäologischen Grabungsareale gemessen (Abb. 140). Dabei wurde sowohl mit Dipol-Dipol-Anordnung als auch mit Schlumberger-Anordnung der Elektroden gemessen. Die Profile Tiryns 7–12, die im Abstand von je 1,3 m zwischen den einzelnen Profilen angeordnet waren, konnten zudem auch noch als Pseudo-3D-Messung ausgewertet werden. Dabei werden mehrere einzelne 2D-Messungen zu einem gemeinsamen Datensatz verbunden und als 3D-Tomographie ausgewertet. Im Falle der 2D-Tomographien für Pseudo-3D wurde mit je 31 Elektroden mit einer Äquidistanz von 1 m in Dipol-Dipol-Anordnung und in Schlumberger-Anordnung gemessen. Da die räumliche Auflösung der Messungen ungefähr den halben Elektrodenabstand beträgt, werden damit Auflösungen von ca. 0,2 bis 0,5 m möglich. Die Abb. 140 zeigt eine Übersicht aller Messungen auf dem Grundstück Anastassios Petroulas.
Ergebnisse der Geoelektrischen 2D-Tomographien
122Die Ergebnisse der 2D-Tomographien T1–T6 sowie T7–T12 zeigen eine einheitliche Grundstrukturierung, die in allen Messprofilen zu erkennen ist (vgl. Messprofil Tiryns 1 in Abb. 141 und Messprofil Tiryns 6 in Abb. 142). Die obersten ca. 1–2 m sind von einer sehr heterogenen Verteilung vergleichsweise hoher Widerstandswerte bestimmt, die auf zahlreiche archäologische Befunde hindeuten (gelbe und rote Farben, Werte > 60 Ohm*m). Beispielsweise zeigen klar erkennbare vertikale Strukturen der Widerstandsverteilung wahrscheinlich Mauerreste an. Darunter folgt eine Schicht mittlerer Widerstandswerte in unterschiedlicher Mächtigkeit, die relativ feinkörnigen fluvialen Sedimenten (Hochflutsedimente) zuzuordnen sind (grüne Farben, Werte ca. 20–60 Ohm*m). Die geringen Werte an der Basis ab ca. 3–5 m Tiefe unter Geländeoberkante (GOK) zeigen sehr wahrscheinlich den Schichtwechsel von holozänen alluvialen Sedimenten zu pleistozänen Tonen an der Basis an (blaue Farben, Werte < 20 Ohm*m)[110].
123Der Übergang von den höheren Werten mit archäologischen Befunden in den oberen Profilbereichen zu den mittleren Werten der Hochflutsedimente darunter ist an vielen Stellen als horizontale Grenze in derselben Tiefenlage zwischen 1 und 2 m Tiefe (unter GOK) ausgebildet. Damit kann diese Grenze als ehemalige Landoberfläche oder als Begehungshorizont interpretiert werden. Die Grenze entspricht höchstwahrscheinlich der Basis der Bebauung aus der Zeit um 1200 v. Chr., da auf diesem Niveau auch viele vertikale Strukturen (vermutlich Mauerreste) ansetzen. Die horizontale Grenze wird in allen Profilen häufig unterbrochen. Es scheint, dass sich entweder fluviale Rinnen in die ehemalige Landoberfläche eingeschnitten hatten oder die Vertiefungen zumindest teilweise auch anthropogen entstanden sein könnten.
124Eine weitere Auffälligkeit zeigt sich in allen Messprofilen dadurch, dass im nördlichen Profilbereich hohe Widerstandswerte (rote Farben, Werte > 100 Ohm*m) bis in eine Tiefe von ca. 4 m zu verzeichnen sind (bei Tiryns 1 ab ca. Profilmeter 60, Abb. 141, und bei Tiryns 6 ca. zwischen Profilmeter 56 und 68, Abb. 142). Vermutlich handelt es sich dabei um grobkörnigere fluviale Sedimente, die ein ehemaliges Flussbett nachzeichnen. Besonders gut ist diese Struktur anhand einer deutlichen Anomalie höherer Widerstandswerte in Tiryns 6 (Abb. 142) zu erkennen.
Ergebnisse der Geoelektrischen Pseudo-3D-Tomographie
125Um die Struktur der Rinne am nördlichen Ende der Untersuchungsfläche genauer zu erkunden, wurden kürzere, parallele geoelektrische Profile (T7–T12) in engem Abstand zueinander (je 1,3 m) gemessen und anschließend zu einem 3D-Datensatz zusammengesetzt (siehe oben). Bereits bei der Betrachtung der Einzelprofile vor der Datenzusammensetzung wird die Rinne anhand höherer Werte des elektrischen Widerstands deutlich angezeigt (rote Farben, Werte > 100 Ohm*m). Beispielhaft sind die Ergebnisse der Geoelektrischen Tomographien Tiryns 10 in Abb. 144 und Tiryns 12 in Abb. 145 dargestellt. Da die Umrisse der Rinnenverfüllung anhand der elektrischen Widerstandswerte sehr regelmäßig und rechtwinklig abgebildet werden – besonders bei Tiryns 10 (Abb. 144) – wurde zunächst auch eine anthropogene Anlage (massive Mauerstruktur?) nicht ausgeschlossen. Diese Interpretation wurde allerdings wieder verworfen, da bei einer vom griechischen Antikendienst vorgenommenen Sondage kein entsprechender anthropogener Befund nachgewiesen werden konnte. Dennoch ist die fluviale Rinne auch von archäologischem Interesse, da die Sedimente höchstwahrscheinlich mit einem Fluss in Zusammenhang stehen, der ganz am Ende des 13. Jhs. v. Chr. von mykenischen Baumeistern durch die Anlage eines Dammes (Damm von Kofini) am Oberlauf des Flusses umgeleitet wurde. Dass die fluviale Sedimentation an dieser Stelle Ende des 13. Jhs. v. Chr. geendet habe muss, wird durch archäologische Befunde aus dem frühen 12. Jh. v. Chr. belegt, die direkt auf den Flusssedimenten aufsitzen (vgl. vertikale Strukturen in der Messung Tiryns 1, Abb. 141). Auch bei den Messungen Tiryns 10 und 12 sind vertikale Strukturen zu identifizieren (z. B. bei Profilmeter 53 und 56 in Tiryns 12, Abb. 145), die auf oberflächennahe archäologische Befunde hindeuten. Aufgrund der Tiefenlage ist es wahrscheinlich, dass diese Strukturen ebenfalls ins 12. Jh. v. Chr. datieren.
126Die räumliche Lage, und damit der Verlauf der fluvialen Rinne, wird im 3D-Blockbild sichtbar, zu dem die sechs Einzelprofile Tiryns 7–12 als ein gemeinsamer 3D-Datensatz ausgewertet wurden (Abb. 146). Dabei wird offensichtlich, dass südlich des Hauptgerinnes eine zweite, kleinere Rinne existiert, die parallel zur größeren Rinne verläuft. Auch dieser Befund weist eher auf eine natürliche Entstehung der Strukturen und nicht auf eine anthropogene Anlage hin.
Ergebnisse der Geoelektrischen 3D-Tomographien
127Direkt im Anschluss an die bisherigen Grabungsflächen wurden zwei flächenhafte Messungen zur Geoelektrischen Tomographie 3D durchgeführt (Lage s. Abb. 140). Dabei wurde wie auch bei den anderen Messungen mit engen Elektrodenabständen gearbeitet, um eine möglichst hohe räumliche Auflösung der Daten zu gewährleisten (Abb. 149). Das Ergebnis für die Messung 3D/1 (Abb. 147) zeigt deutlich höhere Werte des spezifischen elektrischen Widerstands (gelbe, braune und rote Farben, Werte > 50 Ohm*m) bis in eine Tiefe von ca. 2,5 m. Auch hier deuten die heterogene Verteilung der Widerstandswerte sowie z. T. linienhafte Strukturen auf archäologische Befunde hin (z. B. Mauerreste). Eingebettet sind die vermutlich archäologischen Strukturen in feinkörnige Hochflutsedimente, die durch mittlere Werte des elektrischen Widerstands angezeigt werden (grüne Farben, Werte ca. 20–50 Ohm*m). Die ab ca. 2,5 m Tiefe folgenden niedrigen Widerstandswerte (blaue Farben, Werte < 20 Ohm*m) zeigen einen deutlichen Substratwechsel an und repräsentieren vermutlich pleistozäne Tone an der Basis (siehe oben). In Abb. 148 sind die beiden Messungen 3D/1 und 3D/2 zu einem 3D-Blockbild zusammengefügt. Auch im Blockbild sind sowohl der deutliche Schichtwechsel ab ca. 2,5 m Tiefe (unter GOK) als auch die sehr heterogenen oberflächennahen Strukturen anhand der unterschiedlichen Widerstandswerte gut zu erkennen.
128Zusammenfassende Darstellung der wichtigsten Ergebnisse der geoelektrischen Prospektion
1) Mit Hilfe der geoelektrischen Tomographie (2D/3D) konnten in allen Messungen unterschiedliche Sediment- oder Substrattypen im Bereich der nordwestlichen Unterstadt des mykenischen Tiryns differenziert werden. Dabei sind die obersten ca. 2 m durch die höchsten Widerstandswerte und eine sehr heterogene Verteilung des elektrischen Widerstands gekennzeichnet, die auf archäologische Befunde hindeuten. Dafür sprechen auch zahlreiche kleinräumige vertikale Strukturen, bei denen es sich z. B. um Mauerreste handeln könnte.
2) Die Grenze zu den darunterliegenden Hochflutsedimenten verläuft an vielen Stellen horizontal und wird als mykenische Oberfläche der Zeit um 1200 v. Chr. gedeutet, da auf diesem Niveau zahlreiche kleinräumige Anomalien (archäologische Befunde) aufsitzen.
3) Im nördlichsten Bereich der Untersuchungsfläche ist in allen 2D-Tomographien eine breite Anomalie hoher Widerstandswerte zu erkennen, die als fluviale Rinne interpretiert wird. Die Sedimentation endete im späten 13. Jh. v. Chr., da auch auf diesen Sedimenten offensichtlich archäologische Strukturen des 12. Jhs. v. Chr. gründen. Vermutlich handelt es sich dabei um das ehemalige Bett eines Flusses, das im späten 13. Jh. v. Chr. durch den Damm von Kofini umgelenkt wurde. Diese Flussumlenkung war eine wichtige Grundlage für die Bebauung der nordwestlichen Unterstadt von Tiryns.
4) Durch Kombination mehrerer 2D-Tomographien zu einem 3D-Datensatz (Pseudo-3D-Tomographie) wurde die Rinnenstruktur für einen kleinen Ausschnitt genauer untersucht. Dabei konnte die räumliche Lage und somit der Verlauf der Rinne in diesem Bereich nachgezeichnet werden.
5) Im direkten Anschluss an die bisherigen Grabungsflächen wurden zwei 3D-Tomographien gemessen, die anhand von Anomalien der elektrischen Widerstandswerte ebenfalls Hinweise auf oberflächennahe archäologische Befunde erbrachten. Deutlich erkennbar ist in den Tomographien auch ein Schichtwechsel zu feinkörnigeren Sedimenten ab ca. 2,5 m Tiefe, die durch niedrige Werte des spezifischen elektrischen Widerstands angezeigt werden.
S. H.
Befunde metallurgischer Tätigkeiten
129Im ersten Bauhorizont der Nachpalastzeit konnten sicher ein, wahrscheinlich jedoch zwei grubenartige Befunde identifiziert werden, die Werkplätze metallurgischen Handwerks darstellen. Einer befand sich am Durchgang von Raum 3/14 zu Raum 1/18 in LI24 (Grube 10/18) und der zweite im Süden von Raum 1/15 in LI25 (Grube 9/17). In den jüngeren Abschnitt des ersten Bauhorizontes gehört ein größeres Tiegelfragment in Raum 1/17 (LI24/59), dessen Bezug zu den benachbarten Befunden zu klären ist.
Grube 10/18 und Umgebung
130Der Befund G10/18 lag in Raum 3/14 unmittelbar westlich der vermutlich ehemals hölzernen Schwelle zu Raum 1/18 und war ab Oberfläche VIII in seinen Umrissen vollständig erkennbar (ca. 3,28 m ü. NN in LI24/77 G10/18, Abb. 62. 150). Bereits in Oberfläche VII erschien jedoch ein rot gebrannter Lehmziegel in LI24/77 (Befund-Nr. 123/18, 3,41 m ü. NN) und es zeichneten sich in Oberfläche und Abhub VII Bereiche durch eine Vermischung von Asche/Kohle und Rotlehmmassen in LI24/77 sowie im Osten von LI24/76 ab (ab ca. 3,37–3,44 m ü. NN, Abb. 63). Das Sediment in der Verfüllung der Grube in Abhub VIII unterschied sich allerdings nicht wesentlich von jenem um die Grube herum (lehmiger Sand, gelblich hellbraun, viele kleine Kiesel). Die Unterkante der kleinen flachen Grube wurde zwar noch erreicht, jedoch musste die Grabung aufgrund starker Regenfälle abgebrochen werden.
131Die Grube war annähernd rechteckig, ca. 30–40 cm lang, 26–32 cm breit und 10–20 cm tief und verlief genau entlang der Schwelle. Da der Boden des Raumes 3/14 in diesem Bereich mit Lehmziegeln ausgelegt war, scheint für die Grube an dieser Stelle einfach der Lehmziegel Nr. 123/18 ausgebrochen worden zu sein. Kleine, ungebrannte Lehmziegelfragmente verblieben in der Grube. In der Grube fanden sich Reste eines Tiegels in mehreren Fragmenten sowohl direkt östlich des gebrannten Lehmziegels (Nr. 193/18, Abb. 151) als auch verstreut in der Grube (3,27–3,30 m ü. NN) sowie mehrere Bronzefragmente ohne bisher klar deutbare Form (3,27–3,34 m ü. NN). Westlich außerhalb der Grube kamen noch innerhalb des verfärbten Bereiches das Fragment eines kleinen aufgerollten Bronzestabes (3,35 m ü. NN, evtl. Kopf einer Rollennadel[111]) und ein Bronzeblech (3,33 m ü. NN; Abb. 152) sowie knapp außerhalb dieser Zone Nadelfragmente aus Bronze (3,34 m ü. NN) zu Tage. Feine grünlich korrodierte Metallreste im Tiegel deuten auf Bronze- bzw. Kupferverarbeitung hin. Ob es sich bei den Bronzefragmenten in und um die Grube herum um Produkte oder Rohstoffe (z. B. gesammelter Bronzeschrott) der Arbeiten hier handelt, muss vorerst offenbleiben. Der entnommene Lehmziegel Nr. 123/18 war wahrscheinlich in irgendeiner Weise in die Arbeitsprozesse eingebunden, worauf sein Brand und schwarzgraue Schlieren an der Oberfläche hinweisen. Vielleicht wurde er als Teil einer Schutzkonstruktion, Abdeckung, Ablage für glühende Kohle oder ähnliches genutzt. Eine kastenartige Struktur aus Lehmziegeln neben einer Grube fand sich bereits in einem palastzeitlichen Werkstattkontext in Raum 210 der Unterburg von Tiryns, der ebenfalls mit metallurgischen Arbeiten in Verbindung gebracht wird[112]. In Stadt Nordwest fanden sich Spuren von Wärmeeinwirkung und Reste von Asche/Kohle vor allem außerhalb der Grube 10/18, weshalb die Funktion der Grube nicht offenkundig ist. Möglicherweise entstand sie nur beiläufig aufgrund der Gewinnung eines Lehmziegels und diente danach vor allem als Abfallgrube zur Entsorgung nach abgeschlossener Arbeit? Oder der Arbeitsplatz in der Grube wurde bewusst sehr sauber gehalten. In diesem Fall könnte der Lehmziegel auch vorübergehend als Grubenabdeckung genutzt worden sein, wenn eine Konstruktion zu Grunde gelegt wird, welche die Luftzufuhr für den Schmelzprozess durch Blasbälge gewährleistet. Allerdings würde dies vermutlich auch zu stärkeren Brandspuren in der engen Grube führen, die so nicht beobachtet werden konnten.
Grube 9/17
132Der als Grube 9/17 angesprochene Befund in den Quadranten LI25/82.92 wurde ab Abhub VII und in LI25/83.93 ab Abhub VIIA (ab ca. 3,20–3,24 m ü. NN) beobachtet. Er zeichnete sich durch eine leicht dunklere Färbung, andere Konsistenz sowie Einschlüsse von Rotlehm und ein wenig Holzkohle ab. Der Umriss war auf diesem Niveau nicht klar, auf ca. 3,13 m ü. NN war er annähernd quadratisch mit gerundeten Ecken. Der Durchmesser betrug an der Oberkante in O-W-Richtung ca. 1,20 m, in N-S-Richtung ca. 1 m.
133Die Ausgrabung in Raum 1/15 wurde im Bereich der Grube 9/17 in dem Quadrant LI25/82.83.92.93 bis auf eine Tiefe von ca. 2,65 m ü. NN fortgesetzt, um den Befund zu untersuchen. Dabei wurde er in O-W-Richtung vollständig und in S-N-Richtung in der Südhälfte geschnitten (Abb. 153. 154).
134Im Süden des Befundes wurden dabei auf einer Fläche von ca. 0,3 m × 0,5 m leicht verfestigte und rotbraun gebrannte Lehmwände angetroffen (Befund-Nr. 258/17), die sich zunächst nach unten fortsetzten und auf ca. 2,89–2,91 m ü. NN zu einer Sohle zusammenliefen. Ein leichter Absatz in der vertikalen Wandung sorgte hierbei für die Ausformung einer kleineren randlichen Mulde in der unteren Zone (Abb. 155). Im restlichen Bereich, d. h. in ca. ¾ der Grube (gemäß dem Umriss an der Oberkante des Befundes), konnten keine Strukturen identifiziert werden.
135Unterhalb der verfestigten Lehmwand bzw. -sohle der Grube fanden sich eine größere Randscherbe handgemachter geglätteter Keramik, eine große Pithosscherbe sowie drei große flache Steine in einer mit Holzkohleflittern, Kieseln und wenig Kalk durchsetzten Schicht. Dabei lagen alle Funde horizontal wie eine Bettung oder Unterlage zum Teil nebeneinander, zum Teil übereinander: die Pithosscherbe (ohne eigene Befund-Nr.) unter der Steinplatte mit Befund-Nr. 259/17 (2,88 m ü. NN), schräg darüber das Fragment der handgemachten geglätteten Keramik mit der Innenseite nach oben, Befund-Nr. 287/17 (2,86 m ü. NN). Die unterste Steinplatte lag einzeln auf ca. 2,74–2,77 m ü. NN. Die durch Holzkohle leicht grau gefärbte Schicht reichte bis auf 2,72 m ü. NN hinab, womit die Unterkante der Grube 9/17 in den natürlichen Schwemmsedimenten erreicht wurde.
136Die Funde aus der Grubenfüllung (Abhub VIIA und VIII) umfassen Keramikscherben, u. a. Fragmente von dickwandiger Grobkeramik, wahrscheinlich Pithoi oder Wannen, und Fragmente von handgemachter geglätteter Keramik, kleine Bronzefragmente, einen hellen Silexabschlag sowie eine kleine Tonkugel. Die Steinplatten entsprechen mit Ausnahme von Nr. 259/17 dem üblichen lokalen weißen Kalkstein. Die Platte Nr. 259/17 ist hingegen aus einem gelblichen sehr feinkörnigen und leicht verkieselten Sedimentgestein und weist ein rötlich gefärbtes Band auf. Sie ist möglicherweise in der Form zugerichtet. Eine Seite weist eine auffällig glatte Oberfläche auf, welche auch feine lange Kratzspuren vornehmlich in ähnlicher Ausrichtung längs der Platte trägt (Abb. 156).
Auswertung und Interpretation des Befundes
137Die tiefer liegende leicht graue Schicht, die durch Wärme verfestigte und mit Steinen und Keramik unterfütterte Sohle darüber und die Grubenfüllung darüber legen mindestens zwei Phasen der Grubennutzung nahe. Für die erste Phase gab es außer der Holzkohle hier jedoch keine Brandspuren im Sediment, weshalb zu diesem Zeitpunkt der Untersuchung ungeklärt bleiben muss, ob die Holzkohle durch Feuer in der Grube zu erklären ist oder ob sie als Abraum dorthin verbracht wurde. Die unterste der Kalksteinplatten ist aufgrund ihrer Position vermutlich dieser Phase zuzurechnen. In einer nächsten Phase scheint die Grubensohle mit Steinplatten und Keramikscherben ausgelegt wurden zu sein. Inwieweit diese Objekte auch als Arbeitsunterlage gedient haben oder eine andere praktische Funktion erfüllten (siehe unten), ist derzeit nicht zu sagen, jedoch sollte diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden. Die sehr ebenmäßigen Oberflächen der Steinplatten, insbesondere von Nr. 259/17, würden sich dafür anbieten. Sie wurden jedoch sicher früher oder später von der Lehmschicht überdeckt, welche auch die Grubenwand bildete und durch Feuer verfestigt wurde. Ohne Materialanalysen gibt es bislang keine eindeutigen Hinweise darauf, dass diese Lehmschicht aus eingebrachtem oder aufbereitetem Material bestand. Die Zusammensetzung zeigt große Ähnlichkeit zu der des Sedimentes, in das die Grube hineingegraben wurde (Korngrößen, Dichte). Große Teile der leicht verfestigten Grubenwand wurden am Ende der Ausgrabung geborgen, zerbrachen dabei jedoch in mehrere Teile. Aufgrund der geringen Stabilität und keiner makroskopisch erkennbaren Vitrifikation der Grubenwand lässt sich schließen, dass die Oberfläche keinen höheren Temperaturen (evtl. < 525 °C, sicher < 600–700 °C[113]) auf Dauer ausgesetzt war. Das Fehlen der nordöstlichen bis nordwestlichen Grubenwand sowie eines klar erkennbaren oberen Grubenrandes deutet auf eine kleinräumige Wärmequelle ausschließlich in der südlichen Ecke der Grube. Die Beobachtungen sprechen dennoch dafür, dass es sich um eine pyrotechnische Installation gehandelt haben kann.
138Wir ziehen in Betracht, dass die im Jahr 2015 gefundene steinerne Gussform für Sicheln[114] knapp oberhalb von G9/17 (vgl. Beitrag Maran – Papadimitriou), LI25/93, Befund-Nr. 338/15; Oberkante 3,45 m ü. NN; Unterkante 3,27 m ü. NN) mit der Grube in Zusammenhang steht. Die schräge Lage der Gussform in bzw. auf der Grubenfüllung könnte diese These stützen. Weiterhin wurde 2015 in Raum 1/15 eine Bronzesichel nur wenige Meter nördlich in LI25/62.72 auf 3,24 m ü. NN gefunden (Befund-Nr. 303/15)[115]. In diesem Kontext betrachtet könnte die Steinplatte Nr. 259/17 auch als Deckstein für die Gussform in einem verdeckten Guss gedient haben, was im Detail noch zu überprüfen bleibt. Es wurde kein Tiegel in oder im Umkreis der Grube gefunden, jedoch könnten die Gussform sowie die wenigen Bronzefragmente aus der Grube auf metallurgische Arbeiten in der Grube hinweisen. Die geringe Vitrifikation der Grubenwand steht hierzu nicht im Widerspruch, denn eventuell war das Sediment nur einer vergleichsweise geringeren Wärmeeinwirkung ausgesetzt. Nach heutigem Forschungsstand wurden Schmelztiegel während der Bronzezeit nicht im Feuer stehend von außen oder durch Konvektion beheizt, sondern die Wärmezufuhr erfolgte nur von oben über Düsen auf die Kohle im Tiegel[116]. Diese Arbeitsweise ist wahrscheinlich ein Grund dafür, dass metallurgische Installationen im archäologischen Befund oft schwer zu erkennen sind.
Tiegel in Raum 1/17
139Der Tiegelfund in LI24/59 Abhub IV (3,56 m ü. NN) gehört zum gleichen größeren Raumkomplex 3/14.1/17.2/17.3/17.4/18.5/18 wie der Befund G10/18, jedoch in die jüngere Phase. Er kam in dem langen schmalen Raum 1/17 nahe der großen Wanne (in LI24/57.58) und den verstreuten Fragmenten eines tragbaren Herdes oder Ofens (vor allem in LI24/58.59.60, vgl. Beitrag Maran – Papadimitriou) zu Tage. Soweit vom Erhaltungszustand zu beurteilen handelt es sich wahrscheinlich um einen runden Tiegel mit über 20 cm Durchmesser (Abb. 157). Grüne Ablagerungen an der Innenseite weisen wiederum auf Kupfer-/Bronzeverarbeitung hin. Das nächst liegende Kupfer-/Bronzefragment wurde ca. 2 m davon entfernt südlich der Wanne gefunden. In der darunterliegenden Zwischenoberfläche IVA wurde hier südlich der Wanne eine aschige Schicht angetroffen (oberhalb der Zieltiefe von 3,53–3,58 m ü. NN). Inwieweit die Ascheschicht, der tragbare Ofen/Herd und der Tiegel in Zusammenhang stehen und hier einen Arbeitsplatz markieren oder hier nur abgestellt wurden, bleibt beim vorläufigen Stand der Auswertung offen. Die geringe Breite des Raumes von knapp 1,10 m erschwerte sicherlich sowohl Durchgang als auch Arbeit. Wie bereits ausgeführt ist es zudem unwahrscheinlich, dass die Tiegel und der Inhalt über Konvektion in Öfen erwärmt wurden.
Fazit
140Es ist bemerkenswert, dass hier auf relativ kleinem Raum mehrere Hinweise auf Metallverarbeitung angetroffen wurden. Dabei unterscheiden sich die Werksplatzbefunde voneinander in mehreren Aspekten wie etwa der Lage im Raum und der Ausgestaltung des Arbeitsplatzes. Auch die Dimension der identifizierten Anlagen ist eher gering. Dafür fanden hier solche Arbeiten vermutlich in relativ kleinem Maßstab in unterschiedlichen Räumen oder Raumkomplexen (zum Teil parallel?) statt. Die stratigraphische Einordnung legt nahe, dass die beiden Grubenbefunde etwa zeitgleich sind und in den älteren Abschnitt des ersten Bauhorizonts datieren. Darüber hinaus ist auf herausragende Einzelfunde wie den Teil einer Gussform für Siegelringe im palastzeitlichen Kontext (Abb. 23; vgl. Beitrag Maran – Papadimitriou) zu verweisen, der als Hinweis auf Metallhandwerk in der frühen Erschließung dieses Siedlungsgebietes gelten kann.
141Für das Areal wird somit die Frage aufgeworfen, inwieweit eine räumliche Kontinuität von metallurgischen Werkstätten in der ausgehenden Palastzeit und frühen Nachpalastzeit zu beobachten ist. Auch in der Unterburg von Tiryns gab es im Bereich der Nordspitze bereits Hinweise auf eine mögliche Ortskontinuität handwerklicher Tätigkeiten von der Palastzeit in die Nachpalastzeit[117]. Die detaillierte Auswertung der Installationen in Stadt Nordwest, auch mit Blick auf umliegende Funde und Befunde, steht noch aus.
S. P.
Abstracts
Zusammenfassung
Der lange Schatten der Palastzeit. Die nördliche Unterstadt von Tiryns: ein Großbauprojekt palast- und nachpalastzeitlicher Entscheidungsträger
Joseph Maran – Alkestis Papadimitriou
Die mit den Kampagnen 2017 und 2018 abgeschlossene deutsch-griechische Ausgrabung in der nordwestlichen Unterstadt von Tiryns hat neue Erkenntnisse zum Wandel von Kultur und Umwelt in der mykenischen Palast- und Nachpalastzeit erbracht. Geoarchäologisch-sedimentologische Untersuchungen widerlegen die These einer Überschwemmungskatastrophe als Auslöser der bekannten Flussumleitung der späten mykenischen Palastzeit. Die nördlich der Akropolis vorliegenden fluvialen Sedimente wurden nicht auf einmal, sondern bei bis zu 150 Hochwasserereignissen zwischen der Mitte des 14. Jhs. v. Chr. und dem Ende des 13. Jhs. v. Chr. allmählich akkumuliert. Der Nachweis einer ausgedehnten Planierschicht lässt den Wunsch zur Bebauung des Areals als wichtiges Motiv für die Flussumleitung erscheinen, eine Planung, die aber während der Palastzeit nicht mehr verwirklicht werden konnte. In dem unbebauten Areal ließen sich vorübergehend Kunsthandwerker nieder, die für den Palast Möbel aus Holz und Elfenbein sowie andere Luxusgüter herstellten. Die am Beginn von Späthelladisch IIIC Früh einsetzende Bebauung folgte einem in beiden Bauhorizonten des 12. Jhs. beibehaltenen Bebauungsschema aus rechteckigen Modulen mit gleich ausgerichteten Höfen und Häusern. Der sorgfältig konzipierte Charakter der so geschaffenen ›Planstadt‹ erweist diese als ein Vermächtnis endpalastzeitlicher Bauplanungen und als das wohl einzige Großbauprojekt, das in SH IIIC in Griechenland verwirklicht wurde. Die Besiedlung der nordwestlichen Unterstadt geriet indes schon nach wenigen Generationen ins Stocken und wurde lange vor dem Ende der mykenischen Zeit aufgegeben.
Schlagworte
Tiryns, Mykenisches Griechenland, Nachpalastzeit, Flussumleitung
Abstract
The Long Shadow of the Palatial Period. The Northern Lower Town of Tiryns: A Major Construction Project of Palatial and Post-Palatial Period Decision-Makers
Joseph Maran – Alkestis Papadimitriou
The German-Greek excavations in the Northwestern Lower Town of Tiryns, which were concluded with the campaigns of 2017 and 2018, have led to new insights concerning cultural and environmental change in the Mycenaean palatial and post-palatial period. Geoarchaeological and sedimentological investigations disprove the theory that a catastrophic flood prompted the well-known river diversion of during the late Mycenaean palatial period. The fluvial sediments encountered to the north of the acropolis were not deposited all at once, but accumulated gradually in up to 150 flood events between the mid 14th century and the end of the 13th century B.C. Evidence of an extensive levelling layer indicates that the desire to build on the site was an important motive for diverting the river – a plan which then could not be carried out during the palatial period. The undeveloped area was temporarily occupied by artisans who produced furniture of wood and ivory as well as other luxury goods for the palace. Construction at the site started in the beginning of the phase Late Helladic IIIC Early and followed a building plan – maintained in both 12th century building horizons – consisting of rectangular modules with identically aligned courtyards and houses. The carefully conceived character of the thus created town planned from scratch shows that the latter is based on the legacy of final palatial period planning and also probably constitutes the only major construction project that was implemented in Greece in LH IIIC. The inhabitation of the Northwestern Lower Town faltered after a few generations, however, and was abandoned long before the end of the Mycenaean period.
Keywords
Tiryns, Mycenaean Greece, post-palatial period, lower town, river diversion
Einleitung
Die Ausgrabungen 2017–2018 in der nordwestlichen Unterstadt
Ausgrabung in den Quadranten LI24–26, LII24–26
Mykenische Zeit
Protogeometrische bis archaische Zeit
Sondage in Quadrant LI–LII 17
Mykenische Zeit
Siedlungsgeschichtliche Auswertung
Spätpalastzeitliche Aktivitäten und Bauplanungen in der nördlichen Unterstadt
Die nördliche Unterstadt – Ein Großbauprojekt der älteren mykenischen Nachpalastzeit
Kulturelle Praxis und Lebenswelt in der nördlichen Unterstadt
Die kurze Blüte der SH IIIC-zeitlichen ›Planstadt‹
Neubeginn in der Früheisenzeit
Geoarchäologische Untersuchungen im nordwestlichen Stadtgebiet von Tiryns
Forschungsstand
Die Stratigraphie der fluvialen Sedimente unter dem Stadtgebiet
Kulturschichten (Y1a und Y1b)
Hochflutsedimente (A-LS)
1. Begehungshorizont (B-B1)
Überschwemmungsebene (C-FF)
2. Begehungshorizont (D-B2)
Flussablagerungen (E-SB/F-LS/G-GB)
1. Fundament (Y2)
Flussschotter (H-CH)
2. Fundament (Y3)
Zur Flussgeschichte
Bericht zur archäologischen Prospektion in Tiryns mit Hilfe der Geoelektrischen Tomographie 2D/3D
Einleitung und Fragestellung
Methodische Vorgehensweise
Ergebnisse der Geoelektrischen 2D-Tomographien
Ergebnisse der Geoelektrischen Pseudo-3D-Tomographie
Ergebnisse der Geoelektrischen 3D-Tomographien
Zusammenfassende Darstellung der wichtigsten Ergebnisse der geoelektrischen Prospektion
Befunde metallurgischer Tätigkeiten
Grube 10/18 und Umgebung
Grube 9/17
Auswertung und Interpretation des Befundes
Tiegel in Raum 1/17
Fazit
Abstracts
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