Spätbronzezeitliche Siedlungshügel in Makedonien und ihre »Gebaute Umwelt«
Einleitung
1Siedlungshügel sind über ganz Europa verteilt in vielen vorgeschichtlichen Zeitepochen eine beliebte Siedlungsweise gewesen, in der sich durch wiederholte Besiedlung am gleichen Ort über Jahrhunderte hinweg ein anthropogener Hügel geformt hat. Im Vorderen Orient als Tell oder auch Tepe bekannt, werden Siedlungshügel in Griechenland als Magoula (Region Thessalien) oder Toumba (Region Makedonien) bezeichnet. Im Großraum Makedonien gibt es Toumben bereits seit dem Neolithikum, und auch in der Bronzezeit wird dieser Siedlungstypus weiter genutzt. In der späten Bronzezeit ist ein signifikanter Anstieg der Siedlungen in Zentralmakedonien festzustellen, wohingegen in Ostmakedonien ein Siedlungsrückgang zu beobachten ist. Die Bautradition der Siedlungshügel hat sich in Nordgriechenland bis zum Beginn der Eisenzeit fortgesetzt.
2Diese im Vergleich zu den Zentren der mykenischen Welt in der Öffentlichkeit weniger bekannten Siedlungen am nördlichen Rand der ägäischen Welt befanden sich in dicht besiedelten Gebieten. Im Rahmen des Dissertationsvorhabens erfolgt eine Neubetrachtung jener Siedlungsstrukturen und des Siedlungswesens im Landschaftsraum Makedonien in der späten Bronzezeit (ca. 1650–1050 v. Chr.) unter Berücksichtigung der sozialen Lebensaspekte.
Forschungsgeschichte
3Durch ihre markante Form waren die Toumben leicht im Gelände zu entdecken, und daher ist diese Siedlungsform in Makedonien bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bekannt[1].
4Aufgrund der Ähnlichkeit zu eisenzeitlichen Grabhügeln (etymologisch vom griechischen Wort τύμβος abgeleitet) erhielten die Siedlungen irreführenderweise den Namen Toumba. Angespornt durch die Hoffnung auf reich ausgestatte Gräber, waren die Forscher bereits sehr früh an der Ausgrabung dieser Hügel interessiert. Die erste Grabung fand an der Toumba Thessaloniki 1899 durch Theodoros Macridy-Bey statt. Anstatt der gesuchten Bestattungen und Beigaben kamen jedoch mehrere übereinander liegende Schichten mit Hausgrundrissen aus Lehmziegeln zum Vorschein.
5Mit dem Bau der Eisenbahnstrecken Anfang des 20. Jahrhunderts entwarf Adolf Hermann Struck (ein späterer Bibliothekar des DAI Athen) mehrere Handskizzen (Abb. 1) und einen Katalog von Hügeln in Zentralmakedonien. Während des Ersten Weltkrieges begannen die topographischen und photographischen Arbeiten von Léon Rey, welcher auch die ersten Grabungen mit dem Ziel der Definierung von Siedlungsabfolgen durchführte[2]. Die nachfolgenden 1920er und 1930er Jahre gelten als Pionierzeit in der Erforschung des prähistorischen Makedoniens[3], in welcher vor allem Surveys mit Kartierungen und statistischen Keramikdokumentationen durchgeführt wurden.
6Darüber hinaus ist besonders Walter Abel Heurtley zu nennen[4], der jedoch wie Rey den Schwerpunkt auf die keramische Datierung der Schichten legte und nicht auf die Baubefunde. 1967 wurde von David Henry French ein weiteres wichtiges Überblickswerk mit Kartierungen geschaffen, in dem die Fundstellen aufgelistet wurden, dieses bildet zusammen mit zwei Arbeiten von Dimitrios Grammenos – jeweils aufgeteilt über Zentral- und Ostmakedonien – die Grundlage für diese Doktorarbeit[5].
7Neben diesen substanziellen Kartierungsarbeiten fanden ab den 1970er bis 1990er Jahren größer angelegte Grabungen statt. In dieser für die Erforschung der bronzezeitlichen Toumben bedeutenden Phase wurden vier Siedlungshügel in Zentralmakedonien umfassend ausgegraben und schließlich (zumindest teilweise) publiziert. Dies sind die Grabungen an den Toumben Kastanas, Agios Mamas, Assiros und Thessaloniki, welche deshalb besonders im Fokus der Doktorarbeit stehen (Abb. 2).
8Als eines der aktuellsten Projekte ist hier kurz auf das »Anthemous Valley Project« zu verweisen[6], bei welchem mit einem multidisziplinären Ansatz auch geoarchäologische Untersuchungen durchgeführt werden, um die Entwicklung der Landschaft und ihre kulturellen Veränderungen detailliert zu erfassen.
Landschaftsraum
9Das Untersuchungsgebiet umfasst die modernen griechischen Regionen Zentral- und Ostmakedonien (Abb. 3). Begrenzt wird der Landschaftsraum durch das Mittelmeer im Süden und die im Norden an Griechenland heranreichenden Gebirgsketten, die als naturräumliche Schwelle zu verstehen sind.
10Das Voras-Gebirge im nordwestlichen Grenzgebiet, Kerkini am Dreiländereck sowie das Lekani-Gebirge dienen zusammen mit den Rhodopen als nordöstliche Grenze zu Bulgarien. Durch die letzten beiden Gebirge können Thrakien und Makedonien leicht voneinander abgegrenzt werden.
11Ebenso ist die Region Westmakedonien durch das Pieria-Gebirge von Zentralmakedonien abgetrennt und bildet mit seinen Hochebenen insgesamt einen landschaftlich eigenen Naturraum.
12Die geographischen Gegebenheiten – große Flusstäler und Gebirgszüge – unterteilen den Raum Makedonien intuitiv in mehrere Subregionen, welche unterschiedliche Lebensbedingungen bezüglich der Umweltfaktoren und des Bewegungsradius bieten. Die spätbronzezeitlichen Siedlungen lassen sich an der Küste, an Flussverläufen und auch an Hügeln lokalisieren.
13Zudem haben sich im Laufe der Zeit der Küstenverlauf sowie auch die Seenlandschaften deutlich verändert. Besonders spiegelt sich dies am Thermaischen Golf wider, da dort die Küste in vorgeschichtlicher Zeit noch deutlich, ca. 50 km, ins Inland zurückgezogen war[7].
14Diese Unterteilung in Subregionen kann an die von Nord nach Süd verlaufenden Flusssysteme gekoppelt werden, da sich an diesen die Siedlungen explizit häufen (Abb. 4). Hervorstechend sind hier die beiden Flüsse Axios und Strymonas, die beide aus den nördlich angrenzenden Gebirgen kommen und wichtige Verbindungsachsen darstellen. Exemplarisch wurde auf der Karte der rot umrahmte Untersuchungsraum deshalb auch über die modernen Landesgrenzen hinweg ausgedehnt.
15Außerdem von Bedeutung ist die Nord-Süd-Verbindung der Flüsse, da sich Makedonien in der späten Bronzezeit als Peripherie im Austauschbereich zwischen der mykenischen Welt im Süden und dem Balkan-Raum im Norden befand. Als importierte und markante Funde sind hier als Beispiele die mykenische Keramik (importiert, imitiert) aus dem Süden und Pyraunoi (›tragbare Herde‹/Kochgefäße mit hohem durchlöchertem Ständer) aus dem Norden zu erwähnen. Daneben ist auch die Verbindung in den westanatolischen Kulturraum über den thrakischen Landweg von Bedeutung.
16Alles in allem erfordert die geographische Fragmentierung in lokale Subeinheiten eine genauere und kritische Analyse der Veränderungen der Siedlungsmuster und ihrer Bauweisen und wird daher im Rahmen dieser Forschungsarbeit, auch mit Bezug auf soziogeographische Faktoren, untersucht. Unterstützend werden diese Muster zukünftig mit Kartierungen und Netzwerk-Analysen in QGIS weiter herausgearbeitet.
Differenziertes Gesellschaftssystem
17Trotz der bisher immer noch recht geringen Anzahl an ausgegrabenen Siedlungshügeln, lassen sich durch vergleichende Beobachtungen viele Aussagen zu Siedlungsstrukturen treffen. Die ca. 1 ha großen Toumben können Höhen von bis zu 20 m aufweisen, je nachdem wie lange der Hügel besiedelt und auch wie viel Füllmaterial für etwaige Planierungen bei der Neuanlage einer Bauphase verwendet wurde.
18Bei den Grabungen wurden meist abgestufte Hangschnitte umgesetzt, um schnell einen stratigraphischen Querschnitt und aussagekräftige Profile zu erhalten (Abb. 5).
19Die mehrphasigen Hügel bestehen aus verschiedenen Bauhorizonten, in denen Lehmziegelgebäude (teilweise mit Pfostenbauten, selten auch mit Steinfundamenten) errichtet wurden. Diese Gebäude treten in ganz unterschiedlichen Formen und Größen auf, oft auch in Komplexen, und waren durch Freiflächen und in einigen Fällen durch Straßen voneinander getrennt.
20Siedlungsübergreifend gibt es ganz unterschiedliche Anordnungen von Raumeinheiten und kein uniformes Bauschema. Dennoch lassen sich an einigen Toumben eindeutig geplante Siedlungen mit Straßensystemen sowie gemeinsamer Vorratshaltung und damit ein differenziertes Gesellschaftssystem erkennen.
21Am Beispiel der Siedlungsphase 9 (1350–1300 v. Chr.) von Assiros kann dies gut verdeutlicht werden (Abb. 6). Hier sind drei West-Ost ausgerichtete Straßen zu erkennen, welche die Siedlung unterteilen. Besonders bemerkenswert ist in dieser Phase das Auftreten von mehreren großräumigen Lagerräumen zur Vorratsspeicherung, in denen durch die gute Erhaltung mit Getreide gefüllter Körbe und Vorratsgefäße ein eindeutiger Hinweis auf Überschusswirtschaft gegeben ist.
22Dieses Bauschema und insbesondere die drei schmalen Straßenverläufe lassen sich über mehrere Phasen hinweg verfolgen. Die in Assiros am besten erhaltene Bauphase 6 (Abb. 7) wurde ohne ein zentrales Gebäude sehr strukturiert angelegt. Neben den festen Straßenverläufen, entlang derer sich die Hauskomplexe anschmiegen, kann dies auch deutlich an den gemeinsam genutzten Wänden der Hauskomplexe festgestellt werden. Die Strukturen der Bauphase 6 (1150–1100 v. Chr.) wurden durch einen Brand zerstört, wodurch sich nicht nur die Lehmziegelmauern, sondern auch Gefäße und Tonbehälter, teils mit Abdrücken von Weidekörben, gut erhalten haben[8]. Auffallend ist, dass in fast jedem Raum Vorratsgefäße vorhanden sind und dadurch die Nahrungsspeicherung wohl eher gleichmäßig verteilt in der Gesellschaft vorhanden war im Gegensatz zur Phase 9.
23Zudem ist im Nordwesten der Siedlung der Rest einer mit einem Steinfundament versehenen Umfassungsmauer erhalten geblieben. Ähnliche Kasematten-Strukturen können an weiteren Siedlungen, wie beispielsweise der Toumba Thessaloniki, nachgewiesen werden.
24Generell sollen bei allen Siedlungen mit ausgegrabenen und dokumentierten Bauplänen die kleinteiligen Veränderungen im Hausbau aufgezeigt werden, ob und inwiefern beispielhaft die Größe, die Anzahl der Räume, Orientierung der Gebäude oder das verwendete Material variieren.
25Überdies wird die übergreifende Siedlungsstruktur analysiert. Systematisch wird hier das Augenmerk auf Parzellierungen, Straßen, Höfe, und Umfassungen gerichtet. Es wird das Ziel verfolgt, spezielle Raumaufteilungen – Koch-, Wohn-, Vorrats- und Arbeitsbereiche – zu identifizieren und die Nutzung des Raumes im Hinblick auf soziale und ökonomische Aspekte zu untersuchen.
Gebaute Umwelt
26Speziell für die Siedlungshügel, in denen Gebäude über Jahrhunderte hinweg kontinuierlich mehrfach übereinander an gleicher Stelle, oft ohne große Abweichung, errichtet wurden, lassen sich einige Fragestellungen herausarbeiten.
27Warum wurden nach dem Ende einer Bauphase exakt an der gleichen Stelle wieder baugleiche Gebäude und Freiflächen genutzt? Teilweise wurden sogar Mauern und Vorratsgefäße der alten Phase beim Neubau wiederverwendet.
28Aus welchem Grund hat sich in anderen Siedlungsphasen der Bauplan oder die Funktion eines Gebäudes geändert? Welche Ursachen gibt es für ein verändertes Baumaterial oder eine abgewandelte Bauweise?
29All diese Überlegungen sollen chronologisch im Verlauf der Spätbronzezeit in allen Siedlungen mit ergrabenen Baubefunden miteinander verglichen werden. Dies erlaubt die Möglichkeit, nuancierte Muster und Unterscheidungen zu entdecken. Zentral miteinbezogen in diese Fragestellungen ist das Verständnis, dass das alltägliche Verhalten von Menschen und ihrer Umwelt durch kulturelle, historische und soziale Faktoren beeinflusst wird, was unter anderem zurückgeht auf die Idee des Habitus des Soziologen Pierre Bourdieu[9].
30Solche Erwägungen werden ebenfalls in der Architektursoziologie verwendet, in welcher sich das Konzept der Gebauten Umwelt herausgebildet hat[10]. Bei diesem wird alles Gebaute und vom Menschen Erschaffene als soziales Objekt verstanden, welches den Aufbau und die Gewohnheiten einer Gemeinschaft widerspiegeln kann. Durch Gebautes werden räumliche Grenzen erzeugt, die soziale Gruppen separieren können. Diese bauliche Umwelt ist Teil der sozialen Ordnung einer Gemeinschaft und durch sie beeinflusst. Heike Delitz zufolge, ist Architektur ein symbolisches Medium, durch dass sich die Gesellschaft selbst konstituiert[11].
31Allerdings ist dieser Abdruck der Gemeinschaft nicht als rein statisch zu sehen, da das Gebaute fortwährend weitergenutzt und verändert wird und so den Menschen bzw. die Gesellschaft und deren Verhalten weiter direkt und indirekt beeinflusst. Auch die Auslöschung von Gebautem etwa durch Zerfall, Zerstörung, Umbau oder Umfunktionierung sind Bestandteil davon. Architektur ist als gemeinschaftliches Bauprojekt anzusehen, das langlebig geplant ist. Insofern kann die diachrone Betrachtung der Geschichte eines Gebäudes helfen, soziale Handlungsprozesse einer Gemeinschaft wahrzunehmen[12].
32Allgemein können verschiedene soziale Theorien[13] dabei helfen, Veränderungen in der Siedlungsarchitektur besser zu verstehen. Mit weiteren sorgfältigen Untersuchungen – beispielhaft durch die Auswahl oder Veränderung des Baumaterials und der Bautechnik – lassen sich somit nicht nur Rückschlüsse über wirtschaftliche Zusammenhänge, sondern auch zu sozialen Faktoren identifizieren.
33Insgesamt kann die Siedlungsarchitektur somit als Gebaute Umwelt verstanden werden, welche Hinweise auf die Gemeinschaft, die sozialen Rollen und auf wirtschaftliche Aspekte liefert. Denn jede Entscheidung menschlicher Aktivität im Alltagsleben hat Auswirkungen auf die durch Bauen erschaffene Umwelt.
Abstracts
Zusammenfassung
Spätbronzezeitliche Siedlungshügel in Makedonien und ihre »Gebaute Umwelt«
Im Rahmen des Dissertationsprojektes »Siedlungen als Gebaute Umwelt spätbronzezeitlicher Gemeinschaften im Raum Makedonien« wird die Entwicklung der Siedlungsorganisation und ihrer Hausarchitektur im Verlauf der Spätbronzezeit genauer analysiert. Die Toumba als charakteristisches Bauwerk wurde bewusst von Gemeinschaften als Siedlungsort ausgewählt und durch die Bauaktivitäten aufeinanderfolgender Gesellschaften über Jahrhunderte geformt. So werden die mehrphasigen Siedlungsstrukturen mit Blick auf die Auswahl des Baumaterials, der Raumanordnung, Hauseinrichtungen, Straßensysteme und Nutzung von Freiflächen detailliert begutachtet. Miteinbezogen werden dabei theoretische Konzepte, wie die Gebaute Umwelt, welche dabei helfen können, Veränderungen im Hausbau sowie die sozialen und wirtschaftlichen Organisationsformen besser zu verstehen.
Schlagwörter
Gebaute Umgebung und Befunde, Gemeinschaften, GIS-Analyse, Prähistorische Archäologie, Spätbronzezeit, Tell-Siedlungen
Abstract
Late Bronze Age Settlement Mounds in Macedonia and Their »Built Environment«
Within the framework of the dissertation project »Settlements as Built Environment of Late Bronze Age Communities in Macedonia« the development of settlement organisation and their house architecture over the time of the Late Bronze Age is being analysed in detail. The Toumba as a prominent artificial structure was consciously chosen by communities as a place to live and was shaped over centuries by the building activities of successive communities. In this way the settlement structures are being examined in respects to the selection of building material, spatial arrangement, house furnishings, road systems and the use of open spaces. Theoretical concepts regarding the community and the Built Environment are included in the study for a better understanding of the changes in house constructions as well as social and economic organizations.
Keywords
built environment, GIS analysis, hilltop settlements, Late Bronze Age, prehistoric archaeology, social organisation
Einleitung
Forschungsgeschichte
Landschaftsraum
Differenziertes Gesellschaftssystem
Gebaute Umwelt
Abstracts