Die klassischen und hellenistischen Töpferwerkstätten im Kerameikos
Ein Dissertationsprojekt
Einleitung
1Der Kerameikos als archäologische Stätte befindet sich heute im Herzen der modernen Stadt Athen. In der Antike wurde mit ›Kerameikos‹ zunächst die Straße bezeichnet, die von der Agora (gr. Marktplatz) durch das Dipylon (das bedeutendste Stadttor Athens) bis zur ca. 1600 m entfernten Akademie führte. Im frühen 5. Jahrhundert v. Chr. wurden entlang der Straße Grenzsteine (Horoi) mit der Inschrift »Grenze des Kerameikos« aufgestellt, so dass bereits in der Antike der Name der Straße zum Synonym für diese mit ihren angrenzenden Monumenten geworden war. Die Kerameikosstraße führt als Hauptstraße durch den Demos Kerameis, das antike Töpferviertel Athens[1]. Das Töpferviertel befindet sich im Schwemmland zwischen den beiden Flüssen Eridanos und Kephissos. Hier fanden die Töpfer über Jahrhunderte hinweg ideale Bedingungen für ihre Tätigkeit vor. Die eingeschwemmten, hochwertigen Tonablagerungen hatten bereits vor der klassischen Zeit Töpfer angezogen, so dass von einer älteren Töpfertradition in diesem Gebiet ausgegangen werden kann. Ab dem 6. Jahrhundert v. Chr. entwickelte sich in Athen eine Keramikproduktion von so hoher Qualität, dass die Gefäße in den ganzen Mittelmeerraum und darüber hinaus exportiert wurden. Der Kerameikos als Zentrum dieser hochspezialisierten athenischen Produktion ist in der wissenschaftlichen Diskussion unbestritten und dennoch stellt die Erforschung dieser Werkstätten im Kontext als Produktionsort bis heute ein Desiderat dar.
Töpferwerkstätten und Belege für eine lokale Töpferproduktion
2Im allgemeinen Verständnis ist eine Werkstatt zunächst ein räumlich definierter und abgegrenzter Platz, an dem eine Arbeit ausgeführt wird bzw. (kunst- )handwerkliche Produkte hergestellt werden. Demzufolge ist eine Töpferwerkstatt ein festgelegter und begrenzter Ort, an dem keramische Produkte produziert werden. Zum Herstellungsprozess zählen die Gewinnung und Aufbereitung des Tons, die Formgebung und die Trocknung der Keramik sowie ihre Dekoration und der Brand. Die Gewinnung des Rohmaterials und seine Aufbereitung muss nicht notwendigerweise in den Werkstätten oder der unmittelbaren Umgebung erfolgt sein. In den letzten Jahren konnten in Attika durch naturwissenschaftliche Verfahren neue antike Tonlagerstätten lokalisiert bzw. die Gebiete des Tonabbaus eingegrenzt werden. Daraus geht hervor, dass das Rohmaterial Ton unter Umständen auch über weitere Strecken transportiert werden konnte. Ebenso müssen die Töpferwaren nicht in den Werkstätten selbst gelagert und verkauft worden sein. Aus antiken Quellen ist für Athen beispielsweise ein spezieller Marktplatz belegt, an dem ausschließlich Kochgeschirr verkauft wurde. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass Töpfer ihre Waren auf Märkten verkauften. Auf jeden Fall ist die Position von Verkaufsräumen am Straßenrand, d. h. mit direktem Zugang zu Transportmöglichkeiten, günstig.
3Bei der Ausstattung von Werkstattgebäuden muss zunächst zwischen immobilen und mobilen Strukturen unterschieden werden. Zu den festen Bestandteilen gehören a) die Architektur, also gebaute Strukturen, wie die Räumlichkeiten der Werkstatt (überdachte, geschlossene Räume) und b) fest installierte, wasserbauliche Einrichtungen zur Frischwasserversorgung und Abwasserentsorgung. Hierzu gehören ggf. auch Schlämmbecken zur Tonaufbereitung oder die Töpferöfen (Abb. 1). Neben den Töpferöfen sind im archäologischen Befund die beweglichen Gegenstände in Form von Kleinfunden die am eindeutigsten identifizierbaren Belege für eine lokale Töpferproduktion. Hierzu zählen große Geräte wie die Töpferscheibe, aber auch Rohmaterialien, Werkzeuge, Brennstützen (Abb. 2), Model und Probestücke. Häufig kommt es zu Fehlbränden, die gemeinsam mit anderen Werkstattabfällen und ausrangierten Werkzeugen konzentriert im archäologischen Befund auftreten können und zusammenfassend als ›Töpferschutt‹ bezeichnet werden.
Belege für das Töpferhandwerk im Kerameikos
4Im Gelände der Kerameikosgrabung wurden zahlreiche Belege für die athenische Keramikproduktion der klassischen bis hellenistischen Zeit (5.–2. Jh. v. Chr.) gefunden, die im Rahmen des Dissertationsprojektes erstmalig zusammengestellt und kontextualisiert werden (Abb. 3). Neben 14 Töpferöfen besteht das Untersuchungsmaterial nach einer vorläufigen Schätzung aus ca. 600 Brennstützen, darunter auch ca. 100 ungebrannte Tonbatzen mit Fingerabdrücken (Abb. 4) sowie hunderte weitere Gegenstände aus Werkstattabfällen, z. B. Fehlbrände, Brennproben und Model. Die einzelnen Werkstattareale können in erster Linie anhand der Töpferöfen topographisch eingegrenzt werden.
Nr. 1: Die Töpferwerkstatt am 3. Horos
5Die Reste von mindestens drei Töpferöfen wurden bei den Ausgrabungen 1940/1941 unter dem Monument am 3. Horos freigelegt. Der Fund eines schwarz gefirnissten, attischen Skyphos korinthischen Typus in der Sohle einer der Öfen gibt den Hinweis, dass die Töpferwerkstatt noch im späten 5. und möglicherweise am Übergang zum 4. Jahrhundert v. Chr. betrieben wurde. Während der Reinigungsarbeiten am westlichen Rand der Kerameikosstraße in den Jahren 2020 und 2021 wurde eine Ölmühle identifiziert, die südlich an die als Töpferwerkstatt interpretierten Strukturen angrenzt und das Areal der Werkstatt somit begrenzt. Zum Töpferareal gehört ein vierter Töpferofen, der 2021 aufgefunden wurde.
Nr. 2: Die Töpferwerkstatt am südlichen Rand des Grabungsgebietes
6Während der Ausschachtungsarbeiten für den Bau des Museums wurden im Januar 1937 auf dem Felsrücken südwestlich des Kerameikos-Geländes Reste von drei übereinanderliegenden, frühhellenistischen Töpferöfen aus dem späten 4. Jahrhundert v. Chr. gefunden. Dieser Werkstatt konnte Produktionsschutt zugeordnet werden, der den angrenzenden Hang hinabgeworfen wurde. Eine Grube im Hof des späteren Heiligtums der Artemis Soteira wurde u. a. mit diesem Material aufgefüllt. Die Werkstattabfälle bezeugen die massenhafte Produktion von schwarz gefirnisstem Ess- und Trinkgeschirr: Kantharoi mit Dornhenkeln, Schalen und gestempelte Teller. Die räumliche Nähe zwischen den Töpferöfen und dem Werkstattschutt belegen die Existenz einer Töpferwerkstatt im näheren Umfeld.
Nr. 3: Die Töpferwerkstatt am Querweg
7Im Areal des Rundbades wurden während der Ausgrabungen 1938 vier Töpferöfen freigelegt, die bisher in das 4. Jahrhundert v. Chr. datiert wurden. Der in den Ofenresten gefundene Fehlbrand eines megarischen Bechers und weiterer, reliefierter Keramikfragmente, aber auch die Nutzungsphasen des Rundbades selbst geben Anlass zur Korrektur der Datierung in das 3. Jahrhundert v. Chr. bzw. in die zweite Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr.
Nr. 4: Die Töpferwerkstatt westlich der Lakedamoniergräber
8Ein weiterer Ofen im Typus der Rundbadöfen wurde westlich des Lakedaimoniergrabes gefunden. Ob dieser Ofen zur gleichen Werkstatt oder ggf. zu einer weiteren Töpferei gehört, muss überprüft werden.
Nr. 5: Die Töpferwerkstatt vor dem Dipylon
9Zwei Töpferöfen hellenistischer Zeit wurden am Südwestrand der Straße vor dem Dipylontor gefunden. Sie überlagern den Straßenraum der klassischen Kerameikosstraße. Der erste Ofen wurde 1915 von Alfred Brueckner ausgegraben. Ungeklärt ist bisher der mögliche bauliche Zusammenhang zu den umliegenden Mauern. Der zweite Ofen ist heute noch im Gelände sichtbar (Abb. 1) und wurde bei den Ausgrabungen von 1966 entdeckt. Der Ofen ist um 90 Grad zum Ersten versetzt und scheint in einem räumlichen Zusammenhang mit diesem zu stehen. Die Ähnlichkeit der beiden Öfen und eine späthellenistische Datierung wurden bereits bei den Ausgrabungen 1966 bemerkt. Es muss untersucht werden, welche Kleinfunde sich dieser Töpferproduktion zuweisen lassen und wie diese Werkstatt genau zu datieren ist.
10Belege für die lokale klassische und hellenistische Keramikproduktion sind lediglich in kurzen Grabungsberichten erwähnt worden. Im Jahr 2000 erschien die Doktorarbeit von Maria Chiara Monaco zu den protogeometrischen bis hellenistischen Töpferwerkstätten in Athen und Attika. Für die Töpferwerkstätten im Kerameikos wurde das publizierte Material ausgewertet. Die wenigen, bis dahin unpublizierten Hinweise auf eine Töpferproduktion im Gelände sind dort jedoch ohne Kenntnis des gesamten kontextualisierten Materials verwendet worden. Die 2002 veröffentlichte Dissertation von Eleni Hasaki über Töpferöfen in Griechenland bezieht zwar auch die publizierten Töpferöfen aus dem Kerameikos ein, eine detaillierte Analyse hat jedoch auch hier nicht stattgefunden. Daher ist bis heute die systematische Aufarbeitung der klassischen bis hellenistischen Töpferwerkstätten im Kerameikos ein Desiderat. Durch das Promotionsprojekt wird diese Lücke geschlossen werden.
Zentrale Fragestellungen und Ziele des Projektes
11In den letzten Jahren ist innerhalb der Keramikforschung eine Verschiebung des Schwerpunktes von eher kunsthistorischen und technischen Fragestellungen hin zur Untersuchung der eigentlichen Werkstattgebäude zu beobachten. Die Häufung von mehreren Töpferöfen an gleicher Stelle ab klassischer Zeit lässt den Schluss zu, dass die Töpfer über einen längeren Zeitraum an einem Ort tätig waren. Die Identifikation fester Werkstattstrukturen, wie sie für die Werkstatt am 3. Horos (Nr. 1) vermutet werden kann, oder die Einbindung in bestehende Strukturen, wie für die Werkstatt im Rundbad (Nr. 3), bilden ein großes Potenzial für die Lokalisierung und den Aufbau von Töpferwerkstätten. Den zentralen Forschungsschwerpunkt des Projektes stellt folglich die Frage dar, welche Elemente eine Töpferwerkstatt konstituieren. Über antike Schriftquellen und Vergleiche mit traditionellen Töpfereien wird sich dieser Frage genähert und anschließend mit dem archäologischen Befund abgeglichen.
12Weitere Schwerpunkte bilden die wirtschaftsräumliche Einbindung in das Stadtbild sowie die Beziehung der Töpfereien zu benachbarten Werkstätten, wie sie bei der Töpferwerkstatt am 3. Horos (Nr. 1) und der benachbarten Ölmühle zu beobachten sind. Darüber hinaus werden Untersuchungen der Wasserleitungs- und Kanalsysteme sowie der nahegelegenen Brunnen neue Erkenntnisse zur Wasserversorgung, Wassernutzung (z. B. auch Recycling von Wasser) und Abwasserentsorgung von Werkstätten liefern, insbesondere auch in Bezug auf mögliche gemeinschaftliche Ressourcennutzungen.
13Bisher aufgestellte Theorien der Keramikforschung sollen auf ihre Beweiskraft hin überprüft werden. Beispielsweise gehen viele Forscher:innen von einer Spezialisierung der einzelnen Werkstätten auf bestimmte Produkte aus. Die vermeintliche Spezialisierung auf eine Produktion von Kantharoi der Werkstatt am südlichen Rand des Grabungsgebietes (Nr. 2) und eventuell einer Skyphoi-Produktion in der Werkstatt am 3. Horos (Nr. 1) scheinen dies zunächst zu bestätigen.
14Anschließend werden die Untersuchungen zum Kerameikos in einen gesamt-attischen Kontext gestellt, um hierdurch neue Einblicke in die Keramikproduktion dieser ›Kunstlandschaft‹ zu erhalten und dadurch eine seit langem bestehende Forschungslücke zu schließen.
Abstracts
Zusammenfassung
Die klassischen und hellenistischen Töpferwerkstätten im Kerameikos
Ein Dissertationsprojekt
Das Dissertationsprojekt mit dem Titel »Die klassischen Töpferwerkstätten an der Kerameikosstraße vor dem Dipylon« ist an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn angesiedelt. Im Rahmen dieser Studie werden die klassischen und hellenistischen Töpferwerkstätten im Gelände der Kerameikosgrabung systematisch aufgearbeitet. Zentral sind dabei zum einen die Frage nach den konstituierenden Elementen von Töpferwerkstätten und – aufgrund des umfangreichen Materials dazu – die Erstellung einer Typologie und der chronologischen Klassifizierung von Töpferwerkzeugen. Zum anderen soll die wirtschaftsräumliche Einordnung dieser Werkstätten in das Stadtbild wie auch ihre Beziehungen zu anderen Wirtschaftszweigen thematisiert werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden anschließend in einen gesamt-attischen Kontext gestellt, um neue Erkenntnisse zur Organisation dieses Handwerks in Attika zu gewinnen.
Schlagwörter
Kerameikos, Keramikproduktion, Töpferschutt, Töpferwerkstatt, Werkzeuge
Abstract
The Classical and Hellenistic pottery workshops in the Kerameikos
A Dissertation Project
The PhD project titled »The Classical Pottery Workshops at the Kerameikos street in front of the Dipylon« is located at the Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Within the framework of this study, the classical and hellenistic pottery workshops in the area of the Kerameikos excavation will be systematically investigated. On the one hand, the question of the constituent elements of pottery workshops and – due to the extensive material base – the creation of a typology and chronological classification of pottery tools are central aspects of this study. On the other hand, the economic spatial classification of these workshops in the cityscape as well as their relationships to other economic sectors will be addressed. The results of this investigation will then be placed in a pan-Attic context in order to gain new insights into the organization of this craft in Attica.
Keywords
ceramic production, Kerameikos, pottery debris, pottery workshop, tools
Einleitung
Töpferwerkstätten und Belege für eine lokale Töpferproduktion
Belege für das Töpferhandwerk im Kerameikos
Nr. 1: Die Töpferwerkstatt am 3. Horos
Nr. 2: Die Töpferwerkstatt am südlichen Rand des Grabungsgebietes
Nr. 3: Die Töpferwerkstatt am Querweg
Nr. 4: Die Töpferwerkstatt westlich der Lakedamoniergräber
Nr. 5: Die Töpferwerkstatt vor dem Dipylon
Zentrale Fragestellungen und Ziele des Projektes
Abstracts