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2024
Der KGR-Finder – ein QGIS Plugin zur schnellen Identifizierung von kulturell bedeutsamen Orten
Die KulturGutRetter – Vorbereitungen für einen Einsatz
1Das Deutsche Archäologische Institut (DAI) entwickelt gemeinsam mit dem Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) und der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) die »KulturGutRetter - Ein Mechanismus zur schnellen Hilfe für Kulturerbe in Krisensituationen«.
2Ziel ist es, die vorhandenen Kompetenzen in Deutschland in einem Team von Expert:innen zu bündeln, die im Krisenfall schnell Unterstützung bei der Sicherung oder der Bergung von Objekten und Bauwerken sowie bei deren Erhalt leisten können. In Form der CHRU (Cultural Heritage Response Unit) können diese Expertinnen und Experten beispielsweise über den europäischen Zivilschutzmechanismus (UCMP) als taktische Einheit weltweit in den Einsatz geschickt werden, um vor Ort eine Notversorgung von akut bedrohtem Kulturgut durchzuführen[1].
3Die CHRU, die ausschließlich in zivilen Krisen wie zum Beispiel Feuer, Überschwemmung oder Erdbeben aktiviert werden kann, startet ihren Einsatz erst nach Abschluss der humanitären Hilfe, also frühestens 72 h nach Auftreten des Ereignisses. Diese 72 h werden allerdings schon genutzt, um sich ein Lagebild zu verschaffen und Einsatzplanung und genaue Aufstellung des Teams auszuarbeiten. In dieser Phase werden so viele Informationen wie möglich über das potentielle Einsatzgebiet gesammelt. Dies ist besonders wichtig, da bei internationalen Einsätzen über den exakten Einsatzort letztlich vor Ort in Zusammenarbeit mit den einsatzführenden Institutionen und der LEMA (Local Emergency Management Authority) entschieden wird.
4Zu den notwendigen Informationen, die speziell für den Einsatz der CHRU entscheidend sind, gehören Angaben zu allen kulturell und historisch wertvollen Stätten und Einrichtungen, die sich im betroffenen Gebiet befinden. Dies betrifft also nicht nur große und bekannte archäologische Stätten oder Museen, sondern auch eine Vielzahl an weiteren Orten wie religiöse Stätten (Kirchen, Moscheen, Friedhöfe etc.) oder auch denkmalgeschützte Gebäude oder Kunstgalerien usw. Um diese Orte schnell zu identifizieren und genauso schnell in eine exakte Lagekarte für die Einsatzplanung eintragen zu können, wurde das hier beschriebene QGIS-Plugin[2] ›KGR Finder‹ entwickelt.
Das QGIS-Plugin ›KGR-Finder‹
5Der KGR-Finder[3] ermöglicht es durch das einfache Zeichnen von Polygonen oder das Anklicken von bereits vorhandenen Polygonen, in einer Karte Daten von Open Street Map (OSM)[4] oder dem iDAI.gazetteer[5] herunterzuladen und in der Karte inklusive aller vorhandenen Attribute anzuzeigen. Der iDAI.gazetteer ist das digitale Ortsregister der iDAI.world. Er ist ein Normdatensystem für Ortsnamen (Toponyme) und deren geografische Koordinaten (im einfachsten Fall die Längen- und Breitengrade eines Punktes, der in etwa das Zentrum des Orts beschreibt). Über eine offen dokumentierte Programmierschnittstelle (API: Application Programming Interface) können Daten gezielt gefiltert und abgefragt werden, um diese so automatisiert zu verarbeiten. Das Plugin ist so angelegt, dass zukünftig auch weitere Dienste leicht integriert werden können.
6Sowohl OSM als auch iDAI.gazetteer sind eine kollaborative Ressource. Das bedeutet, die dort hinterlegten Angaben werden in einem Community-Verfahren von Freiwilligen hinterlegt und decken dadurch sehr viele geographische Gebiete ab, aber sie enthalten auch Lücken und eine unterschiedliche Dichte an Informationen. Beide Dienste werden jedoch aktiv betrieben, wodurch die verfügbaren Informationen stetig verbessert werden. Für eine erste Lagebeurteilung für den Einsatz der CHRU stellen diese Angaben bereits jetzt schon eine äußerst wertvolle Quelle dar.
7Das Plugin kann über Github heruntergeladen, installiert und im Programm QGIS genutzt werden. Dabei bietet es zwei unterschiedliche Methoden in der Anwendung: Zum einen kann über das Zeichnen-Tool in einer Karte ein selbst zu definierendes Polygon über dem gewünschten Abfragegebiet aufgezogen werden. Zum zweiten kann über das Layer-Tool die Abfrage durch einfaches Anklicken bereits vorhandener Polygone – die beispielsweise von Diensten wie dem Copernicus Rapid Mapping Service (CEMS) importiert wurden – aktiviert werden. Beide Methoden liefern anschließend Daten von OSM und iDAI.gazeetter zurück, die innerhalb dieser Polygone liegen.
8Im Fall von OSM können Orte mit Tags versehen werden und so in alle möglichen denkbaren Kategorien unterteilt werden[6]. Diese Tags werden vom KGR-Finder abgefragt und können in den Einstellungen bearbeitet werden. Voreingestellt verfügbar sind Tags die einen archäologischen oder kultur-historischen Kontext aufweisen wie z. B. ›museum‹, ›archaeological_site‹ oder ›ruin‹ und ›place_of_worship‹. Da es aber aufgrund des bereits erwähnen Community-Charakters von OSM keine festgeschriebenen Definitionen für Tags von Orten gibt, können in einem weiteren Feld noch alle anderen denkbaren Tags hinzugefügt werden. Dies kann notwendig sein, da zum Beispiel ein Nutzer eine Kirche als ›church‹ taggen kann, während ein anderer Nutzer eine Kirche als ›place_of_worship‹ markiert.
9Durch die Option weitere Tags für die Abfrage hinzufügen zu können, ist es möglich, ein breites Spektrum an Orten abzudecken. Zusätzlich kann diese Funktion im Fall der CRHU auch für die allgemeine Einsatzplanung außerhalb des Kulturaspektes äußert hilfreich sind. Hierüber können mit Hilfe der modifizierten Abfragen auch einsatzrelevante Informationen bspw. zu möglichen Lagerflächen, Krankenhäusern oder öffentlich zugänglichen Trinkbrunnen in der Nähe der geplanten Base of Operation (BoO) herausgefiltert werden.
10Auch die Daten des iDAI.gazetteer lassen sich über einige Filter reduzieren, sodass die Ergebnisliste möglichst vollständig, aber übersichtlich bleibt. So können archäologische Bereiche, die sich auf vergangene administrative oder chronologische Begrenzungen beziehen, ausgeschlossen werden. Diese Angaben sind für den Einsatz der CHRU nicht relevant, möglicherweise aber hilfreich in anderen Anwendungsfälle.
Beispiele für die Nutzung des ›KGR-Finder‹ für die Einsatzplanung
11Die folgenden Beispiele verdeutlichen die Anwendung und den Nutzen des KGR-Finders für die KulturGutRetter. Dabei wird der Einsatz des Tools an vergangenen Ereignissen demonstriert, was sich methodisch auf zukünftige KulturGutRetter-Einsätze übertragen lässt.
12Im September 2018 traten im Norden Tunesiens Überschwemmungen auf, die großen Schaden an Gebäuden und der Infrastruktur verursachten. Infolge des Ereignisses wurde auch der Rapid Mapping Service des europäischen Fernerkundungs-Dienstes Copernicus aktiviert. Dadurch stehen zeitnah Karten und Vektordaten zum freien Download zur Verfügung, die das betroffene Gebiet und das Ausmaß der Überschwemmungen anzeigen.
13Im Falle eines – gedachten – KGR-Einsatzes können die Copernicus-Daten[7] schnell in ein QGIS-Projekt importiert werden und der KGR-Finder genutzt werden, um herauszufinden, ob in den betroffenen Gebieten Orte liegen, die Kulturgüter beherbergen. Dabei können die vom CEMS vordefinierten Bereiche einzeln über das Layer-Tool abgefragt werden (Abb. 1). Hier zeigt sich, dass im Bereich ›Somaa‹ zehn Punkte liegen, die mit entsprechenden Tags versehen sind. Die Mehrzahl der Punkte liegt zwar entfernt von den Überschwemmungsgebieten, ein Punkt aus dem iDAI.gazetteer, die archäologische Stätte Henchir el Somaa, welche mittig in der oberen Hälfte des Polygons gelegen ist, ist jedoch sehr nah an einer kartierten Überschwemmung dran. Dies ist eine wichtige Information für die Einsatzplanung der CHRU und würde im Laufe der Einsatzvorbereitung einer genaueren Betrachtung unterzogen werden (welche Art von Kulturgut ist dort vorhanden, wie sehen mögliche Schäden aus usw. ­– oder aber, handelt es sich um einen Fehleintrag?).
14Mit Hilfe des Drawing-Tools des KGR-Finders ist es aber auch möglich, das gesamte von den Überschwemmungen betroffene Gebiet abzufragen, beziehungsweise sogar noch ein wenig darüber hinaus (Abb. 2). Im Fall von Überschwemmungen, die ein dynamisches Ereignis darstellen und ggf. noch laufenden Veränderungen unterliegen, kann es durchaus interessant sein, auch Orte außerhalb des akut betroffenen Gebietes im Auge zu haben. Ebenso kann die großflächige Ansicht hilfreich für die gesamte Logistik eines Hilfseinsatzes sein, da die CHRU erst in einer zweiten Welle zum Einsatz kommt und ggf. Material von anderen (THW-)Einheiten übernimmt, die an anderer Stelle tätig waren.
15Detailliertere Informationen zu den heruntergeladenen Punkten und Polygonen lassen sich in QGIS schnell über die Attributtabelle anzeigen. Auch diese Informationen tragen wesentlich dazu bei, die Orte zu priorisieren, die bei einer Einsatzplanung ggf. stärker beachtet werden müssen oder können nochmal im Einzelnen überprüft werden (Abb. 3).
16Die Ergebnisse aus der Anwendung des KGR-Finders können weiterhin direkt mit konkreten Informationen zu vorliegenden Schäden, ebenfalls aus der Fernerkundung, in Zusammenhang gebracht werden. Im Fall des Erdbebens in Marokko im September 2023 konnte über hochauflösende Satellitenbilder aus dem Maxar Open Data Program [8] direkt großer Schaden an der Moschee von Tinmal sichtbar gemacht werden (Abb. 4). Die Moschee lag nur wenige Kilometer vom Epizentrum entfernt und abgesehen von der Ausgabe einer Karte mit allen notwendigen Angaben und Bildmaterial, kann über das Tool schnell die Umgebung nach weiteren Schäden abgesucht werden.
17Die Explosion im Hafen von Beirut im August 2020 betraf ein dicht bebautes, urbanes Gebiet. Ähnlich wie bei einem Erdbeben hat die Schockwelle je nach Abstand zum Ort der Explosion und Zustand der Gebäude mehr oder weniger Schaden angerichtet. Dementsprechend kann das betroffene Gebiet in mehrere Zonen eingeteilt werden und die Schäden priorisiert werden. Dies hat unmittelbaren Einfluss auf die Einsatzplanung. Über den KGR-Finder lässt sich auf Knopfdruck eine ganze Reihe von Orten außerhalb der Zone mit dokumentieren Beschädigungen darstellen (Abb. 5), welche die Explosion unbeschadet überstanden haben und in einem Einsatz keine Bedeutung haben. Im Gegensatz dazu lassen sich aber auch Orte von kulturellem Wert ganz in der Nähe des Explosionsortes sowie im weiteren betroffenen Bereich identifizieren. Alle diese Orte werden in Vorbereitung des Einsatzes genauer betrachtet und recherchiert, sodass bis Einsatzbeginn eine Liste mit priorisierten Einsatzorten vorliegt.
Technische Details
18Das in diesem Dokument beschriebene QGIS-Plugin steht unter der GNU General Public License Version 3 (GPLv3) zur freien Verfügung. Es wurde in Python entwickelt und nutzt die umfangreichen Funktionen von QGIS, um sowohl Daten effizient abzufragen, als auch deren Darstellung im Kartenfenster zu ermöglichen.
19Das Plugin erfordert für die Integration neuer Schnittstellen, dass diese eine »REST-Schnittstelle« bereitstellen, über die Daten mittels HTTP(s)-Protokoll abgerufen werden können. Da die Feldbezeichnungen der unterschiedlichen Schnittstellen variieren können, bietet das Plugin Entwicklern die Möglichkeit, sogenannte Mappings zu erstellen. Diese Mappings verbinden die Feldbezeichnungen der externen Datenquelle mit den entsprechenden Attributen in der Attributtabelle von QGIS, um eine reibungslose Datenintegration zu gewährleisten.
Ausblick
20Bei der Planung von internationalen Hilfseinsätzen in jedem Bereich spielt der Bereich der Fernerkundung eine immer wichtigere Rolle und die Menge der zu Verfügung stehenden Daten, auch frei verfügbarer, wächst stetig weiter an. Auch kommerzielle Anbieter öffnen in diesen Fällen oft den Zugang zu Daten (siehe oben bspw. das Maxar Open Data Program). Diese Angebote können in Verbindung mit der Nutzung des Plugins sehr hilfreich sein, um schnell für einen KulturGutRetter in Frage kommende Orte herauszufiltern (Abb. 6).
21Dies ist natürlich sehr positiv zu bewerten, stellt aber auch eine Herausforderung dar, den Überblick über die zur Verfügung stehenden Daten zu behalten. Im Fall der KulturGutRetter stellt das QGIS-Plugin ›KGR-Finder‹ ein sehr gutes Tool für einen ersten schnellen Überblick dar. Dadurch ist es möglich, sich bei der Einsatzplanung schnell auf die Orte und Informationen konzentrieren zu können, die tatsächlich relevant sind. Und auch wenn ein CHRU-Einsatz mit etwas Verzögerung startet, ist Zeit dennoch ein wichtiger Faktor.
22Aber auch für andere Bereiche der archäologischen Forschung kann das Plugin eine gute Hilfe sein. So lassen sich bspw. schnell exakte Karten für Exkursionen herstellen oder auch Karten für Publikationen, die sich auf bestimmte Elemente beziehen – sofern diese Tags bereits in den OSM- und iDAI.gazetteer-Daten hinterlegt sind. Aus diesem Grund ist es wünschenswert, dass sich sowohl die Datengrundlage von OSM und iDAI.gazetteer über die sehr verdienstvolle Arbeit der Communities weiter fortsetzt als auch, dass in naher Zukunft weitere Datenbanken in das Plugin integriert werden können.
Abstracts
Zusammenfassung
Der KGR-Finder – ein QGIS Plugin zur schnellen Identifizierung von kulturell bedeutsamen Orten
B. Fritsch, T. Schönbuchner, J. Canalejo, P. Marzban, E. Iacono
Ereignisse wie Erdbeben, Feuer oder Überschwemmungen können großen Schaden an archäologischen oder kulturellen Stätten und Objekten verursachen. Um Kulturgut in den betroffenen Gebieten schnell identifizieren zu können und somit die Einsatzplanung der KulturGutRetter zu unterstützen wurde das QGIS-Plugin ›KGR-Finder‹ entwickelt. Dieses Plugin erlaubt es durch das Zeichnen oder Anklicken von Polygonen in QGIS Abfragen bei Open Street Map (OSM) und iDAI.gazetteer zu starten, welche Vektordaten von relevanten Orten zurückgeben. So lassen sich aussagekräftige Karten der von einer Katastrophe betroffenen Gebieten hinsichtlich des dort vorhandenen Kulturgutes erstellen. Die abzufragenden Parameter können beliebig auf andere OSM-Tags ausgeweitet werden, so dass sich das Plugin sehr gut auch für andere Projekte wie archäologische Surveys oder die Erstellung von Karten für Publikationen verwenden lässt.
Schlagwörter
Geoarchäologie, Kulturgüterschutz, Fernerkundung, GIS-Analyse, Digitale Dokumentation
Abstract
The KGR-Finder – a QGIS Plugin for the quick identification of culturally significant places
B. Fritsch, T. Schönbuchner, J. Canalejo, P. Marzban, E. Iacono
Events such as earthquakes, fires or floods can cause major damage to archaeological or cultural sites and objects. The QGIS plugin ›KGR-Finder‹ was developed to quickly identify cultural assets in the affected areas and thus support the response planning of KulturGutRetter. By drawing or clicking on polygons in QGIS, this plugin allows queries to be made to Open Street Map (OSM) and iDAI.gazetteer, which return vector data from relevant locations. This makes it possible to create meaningful maps of the areas affected by a disaster with regard to the cultural assets present there. The parameters to be queried can be extended to other OSM tags as required so that the plugin can also be used very well for other projects such as archaeological surveys or the creation of maps for publications.
Keywords
Geoarchaeology, Heritage Protection, Remote Sensing, GIS-analysis, Digital Documentation
Die KulturGutRetter – Vorbereitungen für einen Einsatz
Das QGIS-Plugin ›KGR-Finder‹
Beispiele für die Nutzung des ›KGR-Finder‹ für die Einsatzplanung
Technische Details
Ausblick
Abstracts
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